In Upstate New York
im frühen Frühjahr
sah ich die Catskills und es sah aus
wie zuhause
an einem Tag im späten Herbst
wenn das Laub schon liegt
und der erste Tote
und die Fliegen nicht mehr fliegen
sondern ganz langsam werden und wieder und
wieder gegen Fensterscheiben stoßen
Eine lange Autofahrt
eine Irrfahrt mit einem
den ich zwei drei Mal sah
wir überquerten den gewaltigen Stausee
der New York mit Trinkwasser versorgt
vernagelte Häuser
auf der Suche nach einem anderen
der dort irgendwo wohnte
just to say hello to get to know each other
am Ende jedoch blieben wir bis tief in die Nacht
es war ein jüdisches Fest
mitten im Wald
wir saßen um den langen Tisch
Plastiktischdecke mit Blumenmuster angerostete Metallklemmen
und beteten
sieben acht Personen
auch ich bekam
eine Kippa
auch ich las
aus dem Alten Testament und war unversehens
was ich nie gewesen bin
Vetreter einer Nation
und wollte verschwinden
manchmal kommen Elche bis ans Haus
sagte der Gastgeber meiner Erinnerung nach
Elche
Gewesenes und Nichtgewesenes
er hatte eine Schreibhütte
wie Bernhard Shaw
nur größer
in die er manchmal ging um Platten zu hören
schrieb fast nie veröffentlichte nichts
hörte Platten so wollte er's
(…)
In der 44. Straße Whisky
vor den Toiletten Türsteher
und Aufzüge
aus denen Leute stiegen
plötzlich da waren
es lief Musik man konnte nicht sprechen
und die Kellnerin war bleich bis in die Lippen
that goddamned bitch hörte ich am Tresen
jemanden sagen
fuck man how often I've told her honey you tire me
so laut und doch hörte ich das
Erinnerung in der Erinnerung
und dachte an fünfunddreißig Mescals
den der sein Kanu in einen Mond stieß
aber dann draußen auf dem Weg ins Hotel
kein Mond obwohl's die 35. Straße war
Ecke Fifth Avenue
nur der hellschwarze Himmel über Manhattan
und der Wind tief unten der nichts ausließ
(…)
Und der Fuchs der meinen Weg kreuzte
aus der Fichtenschonung
zwischen Autobahn Friedhof und Baumschule brach
und flog als hätte er keine Beine
über die weit und ungeschützt daliegende Wiese
beim morgendlichen Gehen
in Ulriksdal in einem anderen Herbst
als das Laub schon lag und der erste Tote
Ahornblätter gelbe kreiselndfallende Sternbilder
oder tausend Herzschläge in einer Sekunde
war es ein Goldschakal
der Schauder kurz darauf
wenn Eiswind vom Meer her
einem den Hosenstoff an die Beine drückt
das Zittern im harten Gras
(April 2016)
Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien.
Sein Debütroman ›Der lange Gang über die Stationen‹ erschien 2008, es folgten die Romane ›Magdalenaberg‹ (2009), ›Wiedersehen in Fiumicino‹ (2011), ›Roter Flieder‹ (2012) und ›Schwarzer Flieder‹ (2014). Zuletzt erschien ›Zeichnungen. Drei Erzählungen‹ (2015). Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Kunstpreis Berlin, dem Österreichischen Staatspreis und dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.

Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt die Geschichte zweier Brüder und ihrer Heimat in Oberösterreich – ein mit biblischer Wucht erzählter Roman um Missverständnisse, Tötungen, Familientragödien und Befreiungsversuche.
Alexander kehrt von seinem Auslandseinsatz als Soldat internationaler Truppen in die Heimat zurück. Seine Unruhe treibt ihn bald wieder fort. Sein jüngerer Bruder Jakob führt unterdessen den elterlichen Hof. Als sich sein Freund aufhängt, wird Jakob die Schuldgefühle nicht mehr los. Der Vater fabuliert von phantastischen Geschäftsideen, während er heimlich Stück für Stück des Ackerlandes verkaufen muss. Mit großer poetischer Ruhe und Kraft erzählt Reinhard Kaiser-Mühlecker von den Menschen, die durch Verwandtschaft, Gerede, Mord und religiöse Sehnsüchte aneinander gebunden sind. Es ist die Geschichte zweier Brüder, die dieser Welt zu entkommen versuchen – eine zeitlose und berührende Geschichte von zwei Menschen, die nach Rettung suchen.