
Jedes von Coetzees Werken wird vom Feuilleton mit einer Flut von Rezensionen bedacht, und das nicht erst seit dem Nobelpreis. Manch einer der Rezensenten mag sich gewundert haben, dass ausgerechnet eine Übersetzerin mit ostdeutscher Vita beauftragt wurde (Warum übersetzt die nicht aus dem Russischen?). Häufig wird zur Übersetzung nichts gesagt, aber bei der Besprechung des deutschen Buches der Stil des Autors in höchsten Tönen gelobt – dann bin ich recht zufrieden. Wenn aber die übersetzerische Leistung doch erwähnt wird, dann habe ich extrem unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Drei Beispiele seien mir gestattet (ohne dass ich Namen nenne):
- Ein Rezensent sprach die Empfehlung aus, der Autor solle sich doch bitte einmal mit der deutschen Übersetzung seiner Werke befassen, die sei unzumutbar.
- Eine Rezensentin meinte kurioserweise »Coetzees hochverdiente Übersetzerin« habe für den Ausdruck Strong Opinions »den etwas schwammigen Ausdruck Feste Ansichten« gewählt. Doch gerade diesen deutschen Ausdruck wählte der Autor selbst und ich hatte keinen Anlass, ihn anders zu beraten.
- Eine überschwängliche Reaktion erhielt ich von einer anderen Rezensentin: »Reinhild Böhnke muss eine glückliche Frau sein.« Sie »ist die großartige Übersetzerin der Bücher von J.M. Coetzee – und wenn ich schon beim Lesen der von ihr ins Deutsche übertragenen Sätze so glücklich werde, wie viel mehr muss sie es beim Studium und Bearbeiten des Originals sein.«
Wenn man davon ausgeht, dass lohnende Arbeit (und das meine ich nicht finanziell) glücklich macht, hat die Frau recht. Was ich John Coetzee außerdem verdanke, ist unter anderem:
dass er mich auf Autoren aufmerksam gemacht hat, deren Lektüre mich bereichert hat (Robert Walser, Zbigniew Herbert, W.G. Sebald …)
dass er mich zum Studium von Philosophen angeregt hat (Platon, Jacques Derrida, Michel Foucault, René Girard, Thomas Nagel …)
dass ich spannende Experimente mit der Form des Romans miterleben durfte.
Am Alten Gewandhaus zu Leipzig stand eine Inschrift und sie steht auch jetzt über der Orgel im Saal des Neuen Gewandhauses: RES SEVERA VERUM GAUDIUM
Diese Sentenz kann ich aus vollem Herzen bekräftigen.

J. M. Coetzees großer Roman ›Die Kindheit Jesu‹ ist ein Meteor voller Intensität, Überraschung und Schönheit. Emigration, Einsamkeit, das Rätsel einer Ankunft: In einem fremden Land finden sich ein Mann und ein Junge wieder, wo sie ohne Erinnerung ihr Leben neu erfinden müssen. Sie müssen nicht nur eine neue Sprache lernen, sondern auch dem Jungen eine Mutter suchen. - In einem dunklen Glas spiegelt J. M. Coetzee unsere Welt, so dass sich alles Nebensächliche unseres Umgangs verliert und die elementarsten Gesten sichtbar werden.