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Hundertvierzehn | Extra
Matt Sumell über ›Wunde Punkte‹ – Hormongetriebene Hartnäckigkeit

Matt Sumell verrät, warum er mit dem Schreiben angefangen hat. Das hatte mit Frauen zu tun, aber auch mit Fehlentscheidungen, einem ernsten Mountain-Dew-Problem und einem Stoßstangenblumenkasten.

 
Matt Sumell

Eigentlich wollte Matt Sumell gar nicht Schriftsteller werden, sondern nur seiner Literaturdozentin imponieren. Das Imponieren hat nicht geklappt, dafür aber das Schreiben. Nun erscheint sein erster Roman. ›Wunde Punkte‹ ist der Beweis eines ungeheuren Talents. Matt Sumell hat an der University of California Creative Writing studiert. Seine Erzählungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Sumell lebt zurzeit in Los Angeles.

Wenn ich ganz am Anfang anfangen soll, dann sollte ich mit der Feststellung anfangen, dass ich gar nicht Schrifsteller werden wollte. Ich wollte bloß Rebecca Lee rumkriegen, meine Literatureinführungsprofessorin an der University of North Carolina, Wilmington. Das war in den späten Neunzigern, als ich noch ein fehlgeleiteter Student der Umweltwissenschaften war, heftig verknallt und mit einem ernsten Mountain-Dew-Problem, nur mein Denken war damals schon genauso wie heute – fehlerhaft. Aber irgendwie ... noch fehlerhafter. Ich meine, irgendein Teil meines Gehirns ist so primitiv verkabelt, dass schon das Aussehen von jemandem zum Kurzschluss führen kann. Kommen dann noch Humor und Talent dazu, war's das für mich. Rebecca Lee hatte all das (sie ist gerade für ihren tollen Erzählband Bobcat für den Story Prize nominiert worden, neben Andrea Barrett und George Saunders), und mein Plan war es – wenn man denn von einem Plan sprechen konnte – sie so zu beeindrucken, dass es ihr nur so die Kleider vom Leib reißen würde. In ihrem Seminar strengte ich mich mehr an als in allen anderen. In dem Semester bekam ich meine erste 3 überhaupt in Biologie der Pflanzen, denn wer interessiert sich bitte schon für die Genomsequenzierung von Entengrütze, wenn es eine hübsche Frau zu bezirzen gilt? Leider war ich nicht ansatzweise so schlau oder interessant, wie ich dachte, aber dafür verfügte ich über diese hormongetriebene Hartnäckigkeit, also versuchte ich es immer wieder, zwei Jahre lang, ohne Erfolg. Am Ende hatte ich zwei Hauptfächer und einen Abschluss magna cum blablabla, der mich für absolut gar nichts qualifizierte, außer einen neununddreißigeinhalb-Stunden-Job im Gartencenter eines Home-Depot-Baumarktes in Patchogue, Long Island. Genau wie die meisten Jobs, die ich je hatte, war es der blanke Horror; so langweilig, dass mir der Tod gar nicht mehr so schlimm vorkam. Wir waren verpflichtet, an Mitarbeitermotivationstreffen teilzunehmen, wo die Leute irgendwas von orangenem Blut skandierten, ohne Scheiß – das haben sie wirklich getan.

Das einzig Gute an Home Depot war die Rücknahmegarantie. Man konnte alles zurückgeben, sogar Pflanzen, die schon tot waren, Pflanzen, an deren Namen man sich nicht erinnerte, weil man sich im College, statt aufzupassen, nur wie ein Perverser für Rebecca Lees Pullover interessiert hatte. Und deshalb ging ich während der vielen Stunden, die ich mich in den Gängen des Baumarktes herumdrückte und versuchte, gerade beschäftigt genug auszusehen, dass mich die Kunden nicht ansprachen, meinen fehlerhaften Gedanken nach und kam auf die Idee, einen Blumenkasten auf der Heckstoßstange meines Hyundai-Kombis zu befestigen. Den Kasten bepflanzte ich dann mit Gänseblümchen oder irgend so'nem Zeug, fuhr damit herum und ließ mich drei oder viermal pro Tag als Schwuchtel beschimpfen. Und wenn die Blümchen irgendwann eingegangen waren, brachte ich sie zurück und bekam neue, und das Ganze wiederholte ich dann ungefähr ein Dutzend Mal. Irgendwann schickte ich dann Rebecca ein Foto meines Stoßstangenblumenkastens, in der Hoffnung, sie damit zu beeindrucken, aber ich glaube, sie war nicht sehr beeindruckt. Also schrieb ich weiter, was sie immer noch nicht beeindruckte, und schrieb weiter, was sie immer noch nicht beeindruckte, und schrieb weiter, bis ich mich schließlich ins MFA-Programm an der University of California, Irvine gewartelistet hatte. Da gab es neue Damen, die ich vergeblich zu beeindrucken versuchen konnte, bis es dann irgendwann mal geklappt hat, und dann noch ein paar Mal, also habe ich mit dem Schreiben weitergemacht.

Natürlich gab es in den Jahren, die ich mit dem Schreiben von ›Wunde Punkte‹ verbracht habe, immer wieder Phasen, in denen das nicht ausreichte, um weiterzumachen, in denen der Zweifel sich breit machte, in denen ich ins Schreiben zu viel investieren musste, in denen mir das Leben dazwischenkam. Dann brauchte ich andere Gründe. Ich habe nach diesen Gründen gesucht, bin zufällig darüber gestolpert, habe sie irgendwie gefunden – der Gedanke von Elkin, zum Beispiel, Schreiben sei unsere »Rache gegen die, die uns schikanieren«, oder Hempels »das Leid bekämpfen«, oder Gass' »Weil ich hasse. Viel. Heftig.« Relevanter ist vielleicht, was mir Geoffrey Wolff sagte, als meine Mutter krank wurde: »... das Pech als Glück zu nutzen, das zu verwenden, was uns weh tut.« Aber wenn ich wirklich ehrlich bin, habe ich mit dem Schreiben angefangen – und weitergemacht –, weil mich eine kluge, hübsche Dame dazu brachte, es zu wollen. Ich finde, dieser Grund ist so gut wie jeder andere, und ich hoffe, dass das auch im Buch deutlich wird. Dass sich tief unter diesem ganzen fehlerhaften Denken – dem Zorn, den Fehlentscheidungen, dem Saufen und den Drogen, der Gewalt und dem Mädchen-Hinterherlaufen – ein Gefühl von Ehrfurcht und Wertschätzung verbirgt, was die Menschen – vor allem die Frauen – in Albys Leben betrifft. Dass er seine Mutter geliebt hat. Dass seine Schwester ihm wichtig ist. Dass er sich sogar dann, wenn er sich von seiner schlimmsten Seite zeigt – und das tut er häufig –, mit dem Wissen an seine ehemaligen Freundinnen erinnert, dass die Frauen, die dich lieben, und sogar ein paar, die es nicht tun, das Leben besser machen, lohnenswert, und manchmal sogar schön.


Tonaufnahme
Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler

Wunde Punkte

Der erste Roman des Amerikaners Matt Sumell - ein emotionaler Faustschlag. Eigentlich ist Alby ein guter Kerl. Aber dennoch schlägt er seine Schwester, besäuft sich sinnlos und fängt mit jedem Streit an, der ihm in die Quere kommt. Kein Wunder, dass seine Mutter selbst auf dem Sterbebett kein gutes Wort für ihn übrig hat. Dabei liebt Alby sehnsuchtsvoll und unbeholfen: einen verletzten Vogel, seine Großmutter, jeden Schwachen und Wehrlosen unter uns. In seinem ungestümen Wesen offenbart sich ein verletzlicher, melancholischer und liebessüchtiger Held, der uns wider Willen zum Lachen bringt. Ein erstaunliches Debüt voll derbem Humor und verblüffender Intensität.

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Frankfurt am Main 2020
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