Gestern Abend waren die Jogger in der letzten Sonne noch in kurzen Hosen unterwegs, heute sind wegen Blizzard die Schulen geschlossen und man muss von den Bürgersteigen in einem Satz auf die Straße springen: Eismatsch und Pfützen, 30 cm Schnee, Spritzfontänen hinter den Taxis, die Hunde auf dem Arm und unter die Zeitung gedrückt, in der es wie seit Wochen nur um Trump geht.
Mein Tee steht gerade auf dem Tisch, da ist Art Spiegelman in der Tür, mit einer Fahrradtasche und einer Mappe, die beide zu groß wirken für den zart gebauten Mann, ein Windstoß, und er wäre weggeweht - gerade so wie seine Helden in alten Comics, die sich mit Brille und Bart tarnten. Die Brillengläser mit der Serviette getrocknet, Omelette mit Salat bestellt und schon liegt das erste Exponat auf dem Tisch: »RESIST!«
François Molly und Nadja Spiegelman, Frau und Tochter, wurden von Gabe Fowler, dem Besitzer des Comicladens Desert Island in Brooklyn, eingeladen, eine Flugschrift für den Women's March in Washington zu machen: 40 Seiten, Farbe, Format wie die taz: RESIST! 1000 Frauen reagierten auf den Aufruf, online Material einzusenden - und jetzt sind sie zusammen in dem Heft: Cover-Gestalterinnen des New Yorker und Frauen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Comic probierten. Trump macht es einem leicht, da sein narzisstisches Geltungsbewusstsein Angriffsflächen ohne Ende bietet, die Witze und Karikaturen purzeln nur so über die Seiten. Aber da ist auch die Depression, der Frust, der Wunsch, vier Jahre lang Winterschlaf zu halten. Daneben geht es um die Rechte und die Pressefreiheit, die plötzlich wackelig scheinen, und feministisch die politische Wiedereinforderung des eigenen Körpers. Art erzählt von seinem Lieblingsschild in Washington: »I wish my uterus could shoot bullets, then the government would stop regulating it!«
Art Spiegelman wollte erst gar nicht nach Washington, es sei für Frauen, was habe er da zu suchen, aber dann las er auf der Website der Organisatorinnen, dass alle Männer willkommen seien, die Weisungen von Frauen entgegennehmen. Verheiratet sei er, also hin. Aber er habe doch ausgehandelt, dass es in »RESIST!« auch eine »Men's Cave« am Ende gebe - mit seinem Strip »Billionaires' Lives Matter«. Auf dem Protestmarsch lief er dann als Verteiler mit einer RESIST-Tasche herum: »Free! Free! Free! As our country should be!«
Überall in den USA spürt man die Aufregung der Protestmärsche. Am Samstag zuvor, Woche drei unter Trump als Präsident, war das Greenwich Village nach einem LGBT-Protest in Christopher Street voller Menschen mit Plakaten, Liedern, alles summte von Gesprächen und die Slogans flackerten immer wieder auf. Ein Gemeinschaftsgefühl hatte alle erfasst. »This is day one for the next four years!«
Aber es ist schwierig, kommt Art auf das Thema zurück: Wie zeichnet man gegen Trump? Alles geht so schnell – keiner kann in dem Tempo mithalten. Wir sind in der zweiten Woche des »Travel Bans«, und in den Meetings während der Woche schaute jeder dauernd auf die Smart-Phones, um die nächsten Gerichtsbeschlüsse mitzubekommen. »Kimmel und die Late-Night-Shows schreiben ihre Texte um 6 Uhr, senden um 11, und nachts um 3 ist alles schon Schnee von gestern.« Wie ein Schattenboxer bewegt sich Trump so schnell, dass er nie da ist, wo er scheint - aber all seine Ausfallschritte machen ihn, trotz der Bosheit seiner Dummheit, bei seinen Anhängern nur stärker. Soll man es da besser gar nicht erst mit Satire probieren, die ihn bei seinen Anhängern nur stärker macht? Von diesem Zwiespalt handelt ein neues Panel Arts: Einer, der seinem gezeichneten Alter ego gleicht, liegt zwischen Federdecken, alles ist grau und schwarz, und hebt ein Protestschild: Resist!
In den letzten Jahren hat Art Spiegelman das Werk des jüdisch-amerikanischen Malers Si Lewen wiederentdeckt und für eine Neuausgabe von dessen »Parade« gesorgt - ein Leporello aus über 60 Zeichnungen, die in einer Bildfolge Kriege und Pogrome im 20. Jahrhundert darstellen. Das Jahrhundert, das den jungen Si Lewen aus Polen über Berlin nach New York vertrieben hat. Si Lewens Leben liest sich wie ein Roman, den Art in langen Gesprächen mit dem beinahe verschollenen Maler mit einem riesigen vergessenen Werk rekonstruierte. Si Lewens »Parade« war schon einmal erschienen und Art Spiegelman hatte die Bilderfolge, die ihn an Hans Masareel erinnert haben muss, keine Ruhe gelassen. Serielles Erzählen in Bildfolgen als Vorläufer der Graphic Novel, er musste den Maler aufspüren. Und er stolperte dabei in ein Riesenlager unbekannter Bilder, die seit Jahrzehnten kein Auge erblickt hat - aber in denen man eine große Phantasie im Umgang mit seriellen Elementen, Wiederholungen und Reprisen, sowie ein unablässiger Strom von Einfällen erkennt. Art’s favorite dish.
Nun ist Art Spiegelmans Forschung abgeschlossen, und während man auf der Vorderseite eines riesigen Leporellos die »Parade« findet, hat Art auf der Rückseite »An Artist's Odyssey« rekonstruiert (Si Lewen's Parade. And Artist's Odyssey. Edited and with an Introduction by Art Spiegeln. New York: Abrams Comicarts 2017). Si Lewen, 1918 geboren, hat vor zwei Jahren als 95-jähriger mit dem Malen aufgehört. Davor haben ihn die ungemalten Bilder, wie sein Leben, nie Ruhe gelassen. Am Ende, körperlich nicht immer in der Lage, zu malen, hat er gar versucht, sich selbst zu amputieren. Gott sei Dank, war ihm das nicht gelungen, nur die Nervenstränge hat er durchtrennt. Mit der nun tauben Hand hat er beim nächsten Besuch Arts in seinem Atelier auf den Boden gewiesen: Mit dem Malen ginge es nicht mehr so, aber schau: und überall aus dem Boden wuchsen Gipshände. Die Hände, die schon in seiner apokalyptischen »Parade« vorkamen - und jetzt mahnend wiederkehrten.
Auch hier im Studio wie überall in New York der bange Blick nach Deutschland und auf Angela Merkel – wird sie’s schaffen? Man merkt, dass man die Sorge hat, mit Trump etwas losgetreten zu haben, dessen Dynamik nicht mehr aufzuhalten ist. Im Gespräch ist man dann stimmungsmäßig wieder bei Art Spiegelmans Bild von dem Mann im Bett, einem Comics-Spitzweg: Der arme Poet mit dem Protestschild. Thumps up for Angela.
Aber zurück zu Si Lewen: Art Spiegelman schlägt das Leporello auf und schüttelt bewundernd den Kopf: ein Schaffen ohne Ende. Inzwischen stehen wir in Art Spiegelmans eigenem Atelier, einem Labyrinth aus Tischen und Regalen, Computern und Workstations, das Relais einer großen Wundermaschine, mit grübelnden Feedbacks, farbensprühenden Ekstasen und tintespuckendem Zögern und einem unbändigen Elan: RESIST! Plötzlich wachsen Hände aus dem Boden.
New York, 10.2.2017