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Nördlich von ihm sehe ich
immer
er ist beinah
orange, eine Blüte
rosa Gefieder
sanfter Wind
so am Ende
mit mir.
Lorine Niedecker
Paian auf einen Ort
Und der Ort
war Wasser
Fisch
Feder
Flut
Seerosen Morast
Mein Leben
unter Laub und auf dem Wasser
Meine Mutter und ich
geboren
im Schlamm Sumpf verschworen
dem Nass
Mein Vater
ruderte durch Moor
und Nebel
vom Trocknen hierher
sah ihr Gesicht
an der Orgel
unter der Last von Seewasser
und Kälte –
legte er Leinen, handelte mit Karpfen
damit die Tochter
höher an Land
kam
zum Studium
Er sah seine Frau
taub werden
und abwesend
Sie
kannte die Boote
und Seile
und spielte nicht mehr
Sie half ihm Netze
auszulegen und zu teeren
Sie hatte einen guten Schuss
Er blieb gelassen
als ihm ein Mann nachts
Elritzen klaute
am nächsten Tag bot er an
sie zurückzukaufen
Brachte einen Sack
voll grünem Löwenzahn
ohne Flut
keine Orangen – und nichts in der Hand
Keine Sumpfdotterblumen
bei steigender Flut
hielt er uns über Wasser
Ich bedaure, dass sie die Tafelenten nicht hörte
die Explosion ihres Abhebens
vom Wasser
Nicht die Füße der Sora-
Ralle ihr süßes
Schöpfen Löffeln Platschen
absteigende Tonleiter
Spritzen Tränen Tropfen
Hat sie als Mädchen
gelacht?
Sein Kiel streifte
den Wassersellerie der
verschwand
wegen der Karpfen
Er wusste die Wasserlinse
verzog sich im Mud Lake gegen Herbst
auf den Grund
Er wusste was unter
verrottetem Laub lag
oder im Hechtkraut
bevor der Sommer summte
Frisches Laub
frisches totes Laub
damit war immer zu rechnen
Laub
Er konnte nicht – wie
Bachläufer – über die
Haut des Wassers gleiten
Ihm ging Einsamkeit
ins Netz
Über sein funkelnagelneues Auto
meinte Mutter – ihr Haus
stand neben seinem:
Kein Kolibri
zieht das
Im Steigen und Sinken
des Lebens
ankerte er hier –
in mittleren Jahren
saß er nachts
neben seinen Schuhen
schaukelte auf dem Stuhl
Gefangen, nicht »umschlungen
von den Schlingen
ihres Haars«
Ich wuchs im grünen
Glitschen Rutschen Klatschen
im Uferschatten auf
Kinderzeit – ich watete
durchs Kraut
Unterm Ahorn schaukelt
Pipi-Glissando
sublim
schmieriger
Gesang.
Auf dem Rücken des Flusses
wurde ich groß
Zuhaus am Steg
die Bücher
Shelley konnte den Kurs
halten und lesen
Ich war der einsame Regenpfeifer
ein Bleistift
als Schwinge
Aus heimlichen Aufzeichnungen
musste ich dem
Druck mich entgegenstemmen
forcieren austarieren
In uns der Rhythmus von Luft und Meer
»Wir leben von der heftigen Woge
der Verse«
Alle sieben Jahre Mauser
des einsamen Vogels
noch so jung
sieben Jahre lang
ein Stadtkleid
einmal die Woche
Und eins für Zuhaus
verwaschene blaue Streifen
als sie einen
Schrei pfiff
Tanzböden
kannten meine Leute keine
die Waldschnepfen schon –
ihr Hinterland
ihr Draußen
Trauerfeierlichkeiten wie
welche Blume
dem Großvater
aufs Grab
wenn nicht
Seerosen –
für ihn, der sich beim Mähen
vor dem Gras verneigte
wo nun die Iris steht
auf dem Damm
für sie beide
und für ihn
wo sie nun liegen
wie viel winziger als sie
bin im Dunkeln ich?
Vor aller Religion
war ein Drang in uns
vom Grund des Sees
strebt ALLES
zum Licht
außer die
die sich aus freiem Willen
in schwarze Meerestiefen kämpfen
In uns fordert ein Trieb
das Unbekannte heraus
Der Fluss steigt – Flut
Schmelze und raus aus dem Haus
Wieder hinein – der Besen
nasser als nass
Unter
dem vollgesogenen Teppich
brüten Asseln
keine Schlangen im Haus
wo sind die nur? –
sie
wusste, wie man nach
der Flut aufräumte
er lenzte Boote und Häuser
denen das Wasser
unebene Böden bescherte
Du mit Seewasser in den Adern
setz dich in den Fluss
und erwarte wie der langstielige blaue
Ehrenpreis sich
füllt
Oh, mein treibendes Leben
hänge deine Liebe nicht
an Dinge
Wirf sie
über Bord
wo sie in der Flut
verderben
Lass das Neue im Laden –
alles nimmt sich am Ende
das Wasser
Ich setzte
aufs trockene Wort:
Der Junge mein Freund
der in der Aula
Geige spielte
Auf diesem Strom
laviert meine von Mühsal
umspülte Erinnerung
mondlichternd Barken
durchs Delta
und in den Fluss
Sie fischten in Schönheit
Das gelang nicht immer so
mit Fischen
rot stieg
der Mars
trieb in meinem Kopf
über Schleusen und Sümpfe
über die Menschen
am Rand
Aus dem Amerikanischen
von Hans Jürgen Balmes

Sie finden das Gedicht von Lorine Niedecker in gedruckter Form in: Neue Rundschau, Ausgabe 2014/2.