Säbelrasseln ohne Sinn und Verstand

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Säbelrasseln ohne Sinn und Verstand

Von René Zeyer, 11.08.2014

Wirtschaftskrieg ist brandgefährlich und das Vorspiel zu einem möglichen richtigen Krieg.

Die USA und die EU «bestrafen» Russland mit Sanktionen. Die letzte verbleibende Supermacht und das europäische Machtgebilde begründen das damit, dass die Weltgemeinschaft das Verhalten Russlands in der Ukraine nicht hinnehmen könne. Es handle sich bei der Annexion der Krim und bei der Unterstützung von Separatisten um Völkerrechtsbruch, um einen Verstoss gegen übergeordnete und allgemein anerkannte Werte und Regeln.

Lassen wir dahingestellt, mit welchem Recht die USA und die EU die Deutungshoheit über diese Begriffe annektieren. Lassen wir auch dahingestellt, wieso angesichts deren supranationalen Bedeutung die grösste Wirtschaftsmacht der Welt, China, nicht zu solidarischer Beteiligung an diesen Sanktionen aufgefordert wird, die neutrale Schweiz hingegen schon.

Was sollen Sanktionen bewirken?

Sondern fragen wir uns: Wenn eine Sanktion, eine Strafe ja etwas bewirken soll, was wäre das dann hier? Im aufgeklärten Verständnis soll eine Strafe einen Regelverstoss ahnden, für andere abschreckend wirken und gleichzeitig den Übeltäter auf den rechten Weg zurückbringen, im Fall eines Freiheitsentzugs in erster Linie resozialisieren. Sonst wäre es ja reine Rache, höchstens alttestamentarisches «Auge um Auge, Zahn um Zahn». Da aber bislang keine der sanktionierenden Mächte klar formuliert hat, was eigentlich das Ziel dieser Bestrafung sein soll, kann man sich nur in Vermutungen ergehen.

Könnte das Ziel sein, dass Staatspräsident Putin vor die Weltöffentlichkeit tritt und sagt: «Nicht zuletzt, weil es mich persönlich geschmerzt hat, als Paria, Brandstifter oder Verantwortlicher für den Tod unschuldiger Flugzeugpassagiere tituliert zu werden, gebe ich hiermit bekannt, dass die Krim per sofort der Ukraine ausgehändigt, die Unterstützung der Separatisten eingestellt wird und sich Russland an der Behebung der Kriegsschäden beteiligt, damit die Ukraine anschliessend besser aufgestellt in die EU und später in die Nato eintreten kann.»

Eine solche Annahme wäre tatsächlich lachhaft. Ist sie’s, sind es die Sanktionen dann nicht mangels erkennbarer anderer Ziele auch? Nein, sie sind zwar ziellos, aber brandgefährlich. Denn statt den Sanktionsmächten diesen Gefallen zu tun, hat Putin – wie zu erwarten –seinerseits Sanktionen verkündet. Alleine EU-Unternehmen haben im Jahr 2013 Lebensmittel im Wert von mehr als elf Milliarden Euro nach Russland geliefert. Der sofortige Wegfall dieser Exporte wird die EU-Landwirtschaft, vor allem im ökonomisch wankenden Agrar-Staat Frankreich, genauso schmerzlich treffen wie die russische Bevölkerung, da das Riesenreich – unglaublich, aber wahr – mehr als die Hälfte seiner Nahrungsmittel importiert. Aber bereits hat Brasilien angekündigt, gerne und sofort in die Bresche zu springen, und es gibt auch noch andere Produzenten auf der Welt, die noch so gerne ihre Überschüsse mit einem netten Extraprofit exportieren möchten. Und angesichts russischer Devisenreserven von rund 500 Milliarden Dollar muss sich vorläufig auch niemand Sorgen um die Bezahlung machen.

Und die Schweiz?

USA und EU haben ohne Not, ohne nachvollziehbare Begründung und vor allem ohne klare Zielsetzung einen Handelskrieg vom Zaun gebrochen, der vorhersehbar und unweigerlich eskaliert. Jede Seite verfügt über genügend weitere Möglichkeiten, der anderen zu schaden. Ein Überflugverbot für westliche Airlines gegen die Sperrung des Panama-Kanals für russische Schiffe. Dollar- und Euro-Embargo gegen Einstellung von Gaslieferungen. Umlenkung russischer Rohstofflieferungen nach China gegen das Verbot des Marktzugangs für russische Firmen in allen Staaten, in denen die USA oder die EU genügend Einfluss haben. Und dann? Hat irgend jemand eine Idee, wohin das führen soll? Was der Zweck der ganzen Übung ist? Ausser, dass seit dem Kalten Krieg die friedliche Koexistenz von Nuklearmächten und Frieden in Europa niemals so gefährdet war wie heute.

Aber warum in die Ferne schweifen: Wie steht es in all diesem Schlamassel mit der Schweiz? Wie lebt sie ihrer Neutralität nach, wie kann ein Kleinstaat mittelfristig überleben, wenn sich die Big Boys mal wieder raufen? Die kleine, neutrale, mitten in der EU liegende Schweiz, autonom, aber nicht autark. Wenn wir fehlende Strategie und Zielsetzung in diesem Sanktionskrieg bemängeln, können wir doch sicher auf Szenarien, Analysen, Handlungsanleitungen, Strategien, methodisch sauber herausgearbeitet und mit Argumentarien nötige Entscheidungen befördernd, zurückgreifen.

Es gibt doch Heerscharen von wohlbezahlten Spezialisten, Wissenschaftlern, Staatsrechtlern, Neutralitätsforschern, Diplomaten. Sie hatten seit der Zeitenwende von 1989 immerhin 25 Jahre Zeit, sich Gedanken zur Weiterexistenz einer neutralen und souveränen Schweiz zu machen, sei es im Dienste von Universitäten, staatlichen Behörden, der Wirtschaft, Think Tanks oder anderen an dieser lebenswichtigen Frage Interessierten. Schliesslich sprechen wir hier nicht von der Neuordnung der Einwanderungspolitik, dem zukünftigen Verhältnis zur EU oder von Zollvorschriften beim Import von Alphörnern.

Sondern es geht um den dringend nötigen staatsbürgerlichen Diskurs über existenzielle Fragen der Schweiz. Aber nichts ist. Gewurstel herrscht, populistisches Geschrei. Ein Bundesrat, der «derzeit» die Übernahme von EU-Sanktionen ablehnt. Aber sich jederzeit eine neue Lagebeurteilung vorbehält. Fein. Das ist Taktik. Aber wo ist die Strategie? Wo sind die Zielsetzungen, die Mittel und Methoden, um sie zu verwirklichen? Hier unterscheidet sich die Schweiz überhaupt nicht von den sich gegenseitig sanktionierenden Grossmächten. Als Kleinstaat hätte sie aber eine klare Überlebensstrategie viel nötiger.

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Endlich wieder jemand, der offenbar gewohnt ist, strsategisch zu denken und vor allem strategische Lagebeurteilung zu betreiben. Wohltuend. Doch so lang sich politische Entscheidträger nicht von solcher Denkarbeit beeinflussen lassen sondern nur bis zu den nächsten Wahlen denken, wird auch solche Gedankenarbeit nicht viel am Weltgeschehen ändern. Ich frage mich schon seit einiger Zeit, auf wieviel "Verschonen" Schweizer Entscheidträger angesichts der sich abzeichnenden, mindestens möglichen Katastrophe zählen wollen. 1812 - 1914 - 2014... Wie weiter?

der Krieg mit Russland fällt aus (wirtschaftliche Gründe; das wird einfach zu teuer oder keiner geht hin) und die Lage um die Ukraine beruhigt sich (sie bleibt im russischen Einflussbereich mit Geldern aus der EU stabilisiert und gefördert; auch sehr teuer, aber da hofft man ja noch auf den Rückfluss der Investitionen).

Unvorstellbar, is klar, aber mal angenommen.

Ich bin mir ganz sicher (°?°), die Russen vergessen die saftigen „Ohrfeigen und Arschtritte“ aus ganz Europa und den USA und wir alle können dann wieder den Handel treiben, wie vor der Krise.
Geht ganz schnell!

Oder doch nicht?

Aber dafür haben WIR doch UNS, wir sind ja nicht allein, das stehen wir durch und helfen uns gegenseitig, wie früher auch! Äh?.

Und wenn es wirklich schlimm werden sollte, dann kommen die Amis und helfen uns wieder aus der Klemme. Ganz sicher, kostenlos!

Oder es gibt doch Krieg?

Dann könnte die USA auch wieder alle Probleme auf einmal lösen.
Und es wäre auch wieder Platz für Israel, falls es denen da unten zu eng werden sollte.

Das scheint wirklich die beste Lösung zu sein (°!°).

Die Sanktionen gegen Russland bewirken tatsächlich null nichts, ausser, dass das Volk leiden muss. Treffen will man aber die Regierung . Nützt aber nichts, denn nicht demokratische Regierungen lassen sich nicht in die Knie zwingen. Siehe Beispiel Kuba, Iran, Irak , Norkorea. Ausserdem kann Herr Putin (wie übrigens die ganze Elite auch) sich nach wie vor einen neuen Mercedes kaufen, wenn er einen benötigt. Statt aus Deutschland bezieht er ihn nun neu aus China. Umgehungsgeschäfte nennt man das. Der Westen müsste wennschon auch China sanktionieren, was er aber nie machen wird, weil er dann wirtschaftlich am Ende wäre. Was also soll diese sinnlose Übung?
Die Schweiz, als Nicht-EU-Land hätte die Möglichkeit eine neutrale Position einzunehmen. Wird aber auf die Länge nicht durchhalten, da vor dem US-Diktat alle westlichen Länder wie Strohalme einknicken. Ja, wir Europäer lassen uns einmal mehr von den USA vor den Karren spannen und in einen Krieg gegen Russland hineinpeitschen. Es ist verdächtig still, niemand muckt auf. Schon komisch.

Scheint mir in dieser Angelegenheit das Beste. Insgesamt fühlen sich die Schweizer wohl eher zum Westen und ihren Werten hingezogen.

Die Stimmung und die Eskalationsbereitschaft wirkt auf mich sehr bedrohlich. Die Ukraine hat sich in Korruption und schwacher Bürgerschaft selbst viele Probleme geschaffen, war nicht fähig ein gefestigtes demokratisches, vielleicht föderalistisches Gebilde aufzubauen nach dem Austritt aus der Sowjetunion. Eine unbedingte Solidarisierung für dieses Land, müsste der Westen nicht in diesem aktuellen Masse vollziehen.

Es wäre Deeskalation angesagt. Der aktuelle Zustand erzeugt nur Verlierer. Mein Vertrauen, dass in nächster Zeit die Deeskalation gelingen könnte, ist aber mässig. Es gilt den starken Mann zu spielen, keiner gibt nach. Putin hat Fehler gemacht, aber die NATO bzw. Westen genau so. Mit gegenseitigen Beschuldigungen kommt man nicht weiter. Erst Eingeständnisse von Fehlern würden wahre Stärke beweisen. Gerne erinnere ich an Gorbatschow, der als Erster die Deeskalation des Kalten Krieges einläutete. Im Moment sind die Regierungen beiderseits nicht dazu fähig. Würde dies ja auch das Risiko einer Abwahl der Regierenden/Machthabenden bergen. Ich denke der 2. Kalte Krieg ist ausgebrochen und wieviele Jahre er dauert steht in den Sternen.

Der Westen insbesondere die USA hätte die Macht und Technik, Russland in einem konventionellen Krieg massiv zu schaden. Einzig, so absurd es klingt, die radikale Abschreckung durch die Atombomben ist wie einst im Kalten Krieg Garant, dass es nicht völlig aus dem Ruder läuft. Das Wissen der Totalvernichtung unseres Planeten setzt ein Patt. Jedem Kriegstreiber muss man dies vor Augen führen und mitteilen, dass es keine Schlacht zu gewinnen gibt.

Herr Zeyer, einmal mehr herzlichen Dank für Ihre geistreichen Zeilen.

Machen Sie weiter so!

Danke für den Artikel, ich habe dem nichts zuzufügen.

Wiederum ein wohltuender Kontrapunkt zum Angsthasengeschwafel im verlinkten Artikel.
Danke für Ihren klaren Kopf, Herr Zeyer.

Einer wird gewinnen! Motto: zwei Fliegen auf einen Schlag oder wie man die lästige Konkurrenz ausschaltet.
Man bastle eine Finanzkrise… (Ratings sind ja nur Empfehlungen) Man plane nebenbei einen Kreuzzug. Man entzweie langsam sich anbahnende Freundschaften durch Intrigen und aktiver Beihilfe zu Zwistigkeiten und freue sich. Denn wo zwei sich streiten freut sich der Dritte auf lukrative Geschäfte….. so was oder ähnliches pro-logt`e ein Tischnachbar relativ laut im Restaurant Du Rhone.
Das hab ich in Think-Tanks gelernt und zwar im Handumdreh`n. Das lernt man sonst an keinem Ort, so gut, so schnell und schön. Und wenn sie noch was lernen soll`n, dann kommen sie hier her. Hier zeigt man ihnen was sie woll`n und noch ein bisschen mehr! (Text: ausgenommen Abänderungen, Chris Howland) …cathari

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