„Schäm‘ dich Welt“
Es gibt Bilder, welche die Welt zwar nicht verändern, sie aber zumindest aufrütteln. Zu ihnen gehört seit 1972 Nick Uts Aufnahme der neunjährigen Vietnamesin Kim Phuc, welche nach der Explosion einer Napalmbombe, die ihr die Kleider vom Leib gerissen hat, auf einer Strasse schreiend dem Fotografen entgegen rennt. Oder seit 1993 Kevin Carters Fotografie eines verhungernden sudanesischen Mädchens, das allein hilflos am Boden kauert, während im Hintergrund ein Geier auf seine Beute lauert.
Und nun ist es Nilufer Demirs Bild des dreijährigen Aylan al-Kurdi, der bei der Überfahrt auf einem Gummiboot zur griechischen Insel Kos zusammen mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder ertrunken ist und den die Wellen an einen Strand bei der türkischen Stadt Bodrum gespült haben. Wo der Junge, wie vom Schlaf übermannt, in Kleidern und Schuhen liegen blieb und später von einem geschockten Polizisten behutsam weggetragen wurde.
Obwohl vor Aylan al-Kurdi Hunderte von Flüchtlingen bei der gefährlichen Passage übers Mittelmeer ertrunken sind, ist es dieses eine Bild, das mit einem Schlag das Los der Fliehenden ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt hat. Das Hashtag, unter dem die Aufnahme des toten Jungen in der Türkei über Twitter verbreitet wurde: „Humanität ans Ufer geschwemmt“. Und die türkische Tageszeitung „Milliyet“ titelte: „Schäm‘ dich Welt“. Die Türkei allein beherbergt fast zwei Millionen syrischer Flüchtlinge.
Weltweite Betroffenheit? Während es Syriens Nachbarn – der Libanon, Jordanien, der Irak und die Türkei – nicht an Solidarität mangeln lassen und insgesamt gegen vier Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben, bleiben die reichen Öl-Länder am Golf merkwürdig passiv – von ein paar für ihre Verhältnisse mickrigen Spenden an Hilfsorganisationen abgesehen. Laut Amnesty International haben die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Katar, Kuweit, Oman und Bahrain bisher „null Auffangmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge angeboten“.
Was umso stossender ist, als einzelne dieser Staaten im Bürgerkrieg in Syrien aktiv mitmischen und aufständische wie islamitische Gruppen im Kampf gegen Präsident Bashar al-Assad unterstützen. Dessen Regime allerdings Schätzungen zu Folge nach wie vor für bis zu 90 Prozent aller zivilen Opfer in seinem Land verantwortlich ist.
Auch Abdullah al-Kurdi, der Vater des ertrunkenen Jungen, weiss um die Passivität begüterten Araber. „Ich will, dass die arabischen Regierungen – nicht die europäischen Länder – sehen, was meinen Kindern zugestossen ist, und im Andenken an sie den Leuten helfen“, sagte der 40-Jährige, als Ambulanzen die Särge seiner Frau Rehan und seiner beiden Kinder Aylan und Ghalip über die türkische Grenze auf den Märtyrerfriedhof in Kobani überführten. Drei nicht mehr anonyme Opfer unter mehr als einer Viertelmillion namenloser Toter.
Saudi Arabien hat eine leere Zeltstadt für 3 Millionen Menschen.
In der EU wird derzeit ein Verteilschlüssel für syrische Flüchtlinge diskutiert und soll demnächst umgesetzt werden. Obwohl Saudi Arabien offensichtich über die nötige Infrastruktur verfügt, werden keine Flüchtlinge aufgenommen – wie es übrigens auch andere reiche Golfstaaten nicht machen.
In der Türkei und Jordanien platzen die Flüchtlingslager aus allen Nähten. In Mina in Saudia Arabien würden rund drei Millionen Flüchtlinge Zuflucht finden. Die Zelte sind gut isoloiert und zudem mit Teflon-Dächer und Klimaanlagen ausgestattet.
Leere Zeltstadt:
In Mina, einem Vorort von Mekka, übernachten während des Haddsch die Pilger. Bis auf eine Woche im Jahr, steht die Zelt-Stadt also leer. Doch anstatt den Syrern Zuflucht zu gewähren, weigern sich die Araber offensichtlich weiterhin ihre lebensrettenden Pforten zu öffnen. Ein Hintergrund: Eine Öffnung würde natürlich für Probleme während des Haddsch sorgen. Jeder Muslime sollte mindestens einmal in seinem Leben nach Mekka pilgern.
Auf die üble Rolle der Golfstaaten im Syrien-Debakel hinzuweisen ist richtig – aber auch etwas billig: Verschwiegen wird hier nämlich, was Jakob Augstein im Spiegel 38/2015 als fast einziger Publizist unerschrocken ausspricht: "Es ist die grösste Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Kein Land trägt dafür mehr Verantwortung als die Vereinigten Staaten. Im nahen Osten sind sie längst keine Macht der Ordnung mehr, sondern eine der Zerstörung." Und weiter: "Sie haben Afghanistan und den Irak in Chaos und Verwüstung zurückgelassen. Und aus politischem Kalkül schürten sie in Syrien den Bürgerkrieg." Konkret: Mit ihren heimlichen Aufrüstungs- und Ausbildungslagern für "gute Terroristen" in Jordanien mischen sich Geheimdienste und Armee der USA seit Jahren gewalttätig in diesen weit von ihnen entfernten Konflikt ein. Der Stratege Albert Stahel hat schon lange darauf hingewiesen. Und die Unrechtsstaaten (Frauenverachtung in Saudi Arabien!) am Golf, die den ebenso brutalen wie totalitären Islamismus des IS massiv mitfinanzieren, sind mitunter gute Freunde und Verbündete der USA. Jetzt zeigen die direkten und in direkten Kriegstreiber hinter dem Atlantik mir Fingern auf die Europäer, denen sie das Flüchtlingsproblem mit eingebrockt haben. "Wenn die USA jetzt hinter sich blicken, dann sehen sie eine Landschaft voller Trümmer und Toter", hält Augstein fest. "Allein 4 Millionen Syrer haben seit Ausbruch des Krieges 2011 ihr Land verlassen. Davon beherbergt Jordanien 630 000, der Libanon 1,2 Millionen, die Türkei zwei Millionen. Und die USA 1500." Völlig unverständlich bleibt, warum die Machthaber in Europa die zynischen und gewalttätigen Einmischungen der Amerikaner nicht durchschauen – und ihnen teils gar weiterhin in jene "War Theatres" hinterher stolpern, die der "Weltpolizist" weltweit immer wieder vom Zaun reist. Nicht "die Welt" sollte sich schämen, sondern dieser eigenmächtige "Weltpolizist". Niklaus Ramseyer
Wir Leben in einer Zeit des Globalen Wahnsinns. Wir stolpern von Wirtschftskriesen in Humanitäre Kriesen. Gestern Griechenland Heute Flüchtlinge wer weiß was Morgen das Thema ist...
Das Internet hat dazu geführt das jeder Mensch auf einem anderen Informationsstand ist. Die einen sehen die armen Flüchtlinge, wieder andere sehen in den Flüchtlingen eine migrationswaffe... Die einen halten die USA für den Hauptschuldigen durch die Kriege im Nahen Osten. Andere sehen in den USA die Weltpoliztei.
Ich denke was wir momentan erleben ist erst der Anfang. Der Kampf um die Ressourcen wird sich weiter zuspitzen. Was wieder neue und größere Flüchtligsströme auslösen wird.
Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn
waren schon so oft überfallen, erobert,
besetzt und bevormundet. Die Befehle,
Anordnungen und Vorschriften kamen aus
Wien, aus Berlin und aus Moskau. Jetzt
haben diese 4 Länder wirklich schon genug
sich noch irgendwelche Vorschriften über
Asylanten-Quoten aus Brüssel aufzwingen
zu lassen. Sie wollen diese Überfremdung
nicht und die Kämpfer des Islamischen
Staates noch weniger, da werden sie wohl
lieber aus der EU austreten. Die reichen
Golfstaaten wollen auch keine Terroristen
im Land haben. Geld wäre ja genug dort und
die Flüchtlinge bräuchten dort keine Sprach-
Kurse besuchen.
Die Golfstaaten gehören zu den Drahtziehern des Terrors in Syrien und im Irak und haben dem zufolge keinerlei Neigung, für die Folgen ihres verbrecherischen Treibens einzustehen.
Weltweite Betroffenheit? Und wie steht es mit der Schweiz? Abgesehen von Betroffenheitsrhetorik ist da, ähnlich wie in den reichen Golfstaaten, wenig an offiziellem Engagement wahrzunehmen. Die Grenze bei Buchs, anders als die Grenze bei Salzburg, bleibt geschlossen.
Auf Europa werden bald einge Fragen zukommen. Insbesondere dann, wenn der Daesh (IS) einst zerschlagen sein sollte und seine Kämpfer, Anhänger und Unterstützer nach Europa kommen und hier um Asyl anfragen. Und sollten sie hier ordentlich zu Gefängnis verurteilt werden, stellt sich wiederum die Frage, wie man sie abschieben kann, da sie nun in ihren Ländern an Leib und Leben gefährdet bzw. verfolgt sind... Fragen über Fragen!