Wissen wir, was wir wollen?

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Wissen wir, was wir wollen?

Von Christoph Zollinger, 27.01.2019

Die Zersiedelung unseres Landes geht fast unbegrenzt weiter. Die Initiative, über die am 10. Februar 2019 abgestimmt wird, bietet die Möglichkeit, dies zu ändern.

Der persönliche Entscheid, für diese Initiative ein Ja in die Urne zu legen, auch die Argumente der Befürworter, beides ist nachvollziehbar. Die Nei -Empfehlungen der prominenten Gegner sind es weniger. Wollen wir nun die Zersiedelung unseres Landes stoppen oder nicht? Ein Ja hätte unangenehme und spürbare Konsequenzen, das Nein würde uns beides – auf Kosten späterer Generationen – ersparen.

Bedürfnisse der Bevölkerung

Das UVEK (Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) als Gegnerin der Initiative schreibt: „Ein starrer Bauzonen-Stopp lässt die Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft ausser Acht – und verhindert so eine sinnvolle Entwicklung.“ Frage 1: Welches sind und woher kennen diese Leute unsere „Bedürfnisse“ so genau? Frage 2: Weshalb soll die Idee der Initianten, die Schweizer Natur und Landschaft besser zu schützen, eine sinnvolle Entwicklung verhindern? 

Schon diese beiden Beispiele zeigen: Die Ansichten darüber, welches die legitimen Bedürfnisse der Bevölkerung sein sollen, gehen weit auseinander. So wenig, wie man die Meinung des „Volkes“ als einheitlich bezeichnen kann, genauso irreführend ist es, dessen Bedürfnisse als Begründung für oder gegen eine Initiative heranzuziehen. Ebenso fragwürdig ist das Argument der Gegner, dass mit dem 2013 verabschiedeten Raumplanungsgesetz die Zersiedelung bereits bekämpft würde. Einige Kantone befinden sich zwar tatsächlich in der Umsetzungsphase – was das heisst, lesen Sie hier weiter unten.

Die Befürworter    

Die Schweizer Natur und Landschaft soll besser geschützt werden, indem nachhaltiger und dichter gebaut wird. Der laufende jährliche Verlust an fruchtbarem Landwirtschaftsland soll eingedämmt werden. Die Versäumnisse des 2013 angenommenen Raumplanungsgesetzes sollen korrigiert werden. Konkret: Die dortige Formulierung, dass so viel Bauland eingezont werden darf, als in den nächsten 15 Jahren benötigt wird, ist der subjektiven Beurteilung lokaler Politiker und deren Lobbys überlassen. Wer mehr Boden braucht, kann unbegrenzt immer neuen Boden einzonen. Das Kernanliegen der Initiative ist die Einfrierung der Bauzonenfläche auf das heutige Niveau, nämlich 2’320 Quadratkilometer.

Die Gegner

Das vom Schweizerischen Gewerbeverband angeführte Gegenkomitee macht breite Front gegen diese Initiative – diese sei überflüssig und unnütz. Der Bundesrat ist generell der Meinung, mit dieser Initiative würde ein ehrbares Anliegen zu starr umgesetzt. Eine Knacknuss stellt tatsächlich die harte Forderung der Initiative nach Kompensation neu eingezonter Flächen anderswo dar, die dort also aus der Bauzone ausgezont werden müssten. Dies würde schwierig, innerhalb einer Gemeinde oder eines Kantons aber bewältigbar, mutmasst der Bundesrat. Er beanstandet, diese Initiative wäre zu zentralistisch und damit das Grundprinzip des Föderalismus missachtend. Die Umsetzung dieser Idee würde rasch an Grenzen stossen, meint Simonetta Sommaruga. Weder eine nationale Planungsbehörde, die Kantone zwingen könnte, Bauland abzugeben, noch eine Handelsplattform, auf der Bauland versteigert würde, wären realistisch.

Dies mag zutreffen – allerdings gibt es Anschauungsunterricht, wohin die kommunal und kantonal eigenständigen Gesetzesauslegungen in der Vergangenheit geführt haben. Geradezu entlarvend ist das Gegner-Argument, der starre Bauzonen-Stopp könnte dazu führen, dass nur dort gebaut würde, wo (an einem abgelegenen, schlecht erschlossenen Ort) Bauland zur Verfügung stünde. Dies ist indirekt die entlarvende Antwort auf die Frage, inwieweit die betroffenen Behörden das Raumplanungsgesetz von 2013 umsetzen …).

Kommunale „Hinterhof-Diskussionen“ rufen nach einem Mentalitätswandel

Dass der Zersiedelungsstopp in Gefahr sei, diese Meinung vertrat Andreas Schneider, Professor für Raumentwicklung an der Hochschule Rapperswil schon 2017. Die Ziele der Lenkung der Siedlungsentwicklung, beschlossen 2013, gerieten weitgehend in Vergessenheit, was auch dadurch bestätigt werde, „dass sich die Zersiedelung des Landes trotz aufwendigen Planungen fast ungebremst weiter fortsetzt“ (NZZ). Anlass zu grosser Sorge bereiten Schneider insbesondere „Kleinstädte und Agglomerationsgemeinden, die bis 2035 bis mit zu 30 Prozent mehr Einwohnern den grössten Schub an baulicher Verdichtung bewältigen müssen“. Sie seien dafür weder fachlich-organisatorisch noch politisch-mentalitätsmässig ausreichend aufgestellt. 

Siedlungs- und Landwirtschaftsflächen

Gemäss den Arealstatistiken des EDI (die laufende für 2013/18 wird ca. 2021 gesamthaft verfügbar sein), haben die Siedlungsflächen in 33 Jahren jährlich um durchschnittlich 1983 Hektaren zugenommen. Sie entstanden zu 41% auf Naturwiesen und Heimweiden, zu 35% auf Ackerland, zu 16% auf Obst-, Reb- und Gartenbauflächen und zu 2% auf Alpwirtschaftsflächen. Im selben Zeitraum haben die Landwirtschaftsflächen pro Jahr durchschnittlich um 2320 Hektaren abgenommen. Anders ausgedrückt: Täglich reduziert sich die Landwirtschaftsfläche um das Äquivalent von acht Fussballfeldern.

Wie wäre die Zersiedelung zu stoppen?

Halten wir fest: Zwar hat die Raumplanung vieles unternommen, doch konnte dies weder das Wachstum der Siedlungsflächen auf ein wünschenswertes Mass reduzieren, noch die Ausnützung der Siedlungsflächen zufriedenstellend steigern. Dennoch gab es gute Gemeinde- und Kantonsbeispiele, die erfolgreich waren mit Massnahmen, die Zersiedelung zu stoppen. Wirksam erwies sich eine Mischung von vier Massnahmen: Erstens: Rückzonung überflüssiger Bauzonen, da sich die einstige Schätzung der Bevölkerungszunahme als falsch erwiesen hatte (Bsp. Köniz). Zweitens: Festlegung von Siedlungsbegrenzungslinien entlang bestehender Siedlungen (Kanton Zug). Drittens: Umnutzung ehemaliger Industriebrachen mithilfe von Gestaltungsplänen (Winterthur). Viertens: Bessere Nutzung des Baulandes durch Anpassung der   Ausnützungsziffer (diverse Gemeinden).

Mahnruf

Abschliessend: Bernard Debarbieux, Professor für politische und Kulturgeografie an der Universität Genf, brachte es anlässlich des 1. Schweizer Landschaftskongresses in Luzern im Sommer 2018 auf den Punkt, wenn er ins Rund der 360 Fachleute aus Raumplanung und Umweltschutz fragte: „Wissen wir, was wir wirklich von der Landschaft wollen? Ist die Landschaft ein Kulturgut oder in erster Linie ein Verbrauchs- und Produktionsmittel?“

Die Initiative dürfte abgelehnt werden. Das Kernanliegen der Initianten ist berechtigt, gut gemeint, ja überfällig. Getrieben von der Erfahrung, dass sich das bisher Unternommene in Sachen haushälterischem Umgang mit dem knappen Boden als völlig ungenügend erwiesen hat, wollen sie jetzt schlicht zu viel aufs Mal. Als Mahnruf, der zum Nachdenken auffordert, mögen ihre Anliegen da und dort im Gedächtnis haften bleiben.

Für die Initiative sprechen sich aus: die Grünen (die Jungen Grünen haben die Initiative lanciert), SP, EVP, Pro Natura, u. a. Gegner der Initiative: Bundesrat und Parlament, SVP, CVP, FDP, GLP, BDP, Economiesuisse, Gewerbeverband u. a.

Zersiedelungs-Initiative JA: Kompensationen in den Agglomerationen nötig!
Die neuen kantonalen Richtpläne setzen den Gemeinden bezüglich ihrer Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung (E+A) und ihrer Besiedlungsdichte (E+A/ha Bauzone) auf Wachstum ausgerichtete behördenverbindliche Vorgaben. Die Gegner der Zersiedelungs-Initiative täuschen sich gewaltig, wenn sie meinen, die Gemeinden könnten diese ambitiösen kantonalen Vorgaben überwiegend in den bestehenden Bauzonen erfüllen. In den Agglomerationsgemeinden wird es heftigen Widerstand gegen eine übermässige Verdichtung geben. Leute, welche unverdichtetes Wohnen schätzen, werden ihre Ansprüche anmelden. Standortgebundene Betriebe und öffentliche Einrichtungen und Anlagen sind bei Erweiterungen auf Neu-Einzonung von Kulturland in die Bauzone angewiesen.

Wenn die Kompensationen dieser Neu-Einzonungen in den Randregionen der Schweiz erfolgen würden, hätten wir für die Erhaltung des Grünraums innerhalb der Agglomerationen nichts gewonnen. Solche Kompensationen müssen innerhalb der Agglomerationen selbst vorgenommen werden. Nur dann können wir den für die Landwirtschaft, die Naherholung und die Natur notwendigen Grünraum erhalten. Dies muss bei der gesetzlichen Umsetzung einer angenommenen Zersiedlungs-Initiative unbedingt beachtet werden.

Gebetsmühlenhaft wird mit der Einwanderung der Bauboom begründet, obwohl diese nur zu einem geringen Anteil dazu beiträgt. Der Haupttreiber der Bauerei ist neben dem Verkehr der Wohnflächenverbrauch pro Person. Dieser steigt nach wie vor an und erreicht Werte von über 40 m2, in Einfamilienhausgebieten oft das Doppelte. Und die Raumplanung schaut zu und betreibt Pflästerlipolitik. Zur Erinnerung: 1976 wurden erstmals Zahlen zum Kulturlandverlust durch die Bauerei veröffentlicht, der berühmte Quadratmeter pro Sekunde. Es ist ein Armutszeugnis der Bundespolitik, dass dieser Wert immer noch stimmt, tak-tak-tak- jede Sekunde! Trotz gegenteiliger Beteuerungen. Wer's weniger abstrakt, sondern bildhaft vorgeführt haben will, greife zu den grossartigen Zeichnungen von Jörg Müller, ebenfalls 1976 publiziert: «Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn». Gilt auch immer noch. Leider.

„Der Wohnraum pro Kopf der Inländer wächst seit 10 Jahren nicht mehr signifikant. Trotzdem ist der Wohnraumkonsum in der Schweiz in dieser Zeit um 40 Mio m2 gestiegen, bedingt durch die wachsende Bevölkerung. Dieses Bevölkerungswachstum ist vor allem eine Folge der hohen Nettozuwanderung (+804‘588). Der Geburtenüberschuss betrug in dieser Zeit bei den Schweizern +12‘626, bei den Ausländern + 187‘893.“ (Roland Schmutz, Präsident ECOPOP im Bulletin Nr. 81/September 2018)

Noch nie wurden in der Schweizer Geschichte soviele Wohneinheiten gebaut wie in den letzten 12 Jahren-. Der Grund ist tabu: unkontrollierte Einwanderung.

Wie bei der erfolgreichen Zweitwohnungsinitiative müssen auch hier der StimmbürgerInnen wieder das Steuer selbst in die Hand nehmen und Politikern und Baulöwen zeigen, wo der Weg durchgeht - und wo nicht.
Schützen wir unsere schöne Schweiz - für uns selbst und für unsere Kinder! Ein deutliches JA zur Initiative!

Die Frage, wie viel Bauland es auf absehbare Zeit benötigt, hängt doch stark mit der Zukunft der Personenfreizügigkeit und der Zuwanderung in unser Land zusammen. Letzterer wollten Volk und Stände vor 5 Jahren mit ihrem Ja zur Volksinitiative der SVP gegen die Masseneinwanderung einen Riegel schieben. Die eidg. Räte hintertrieben aber deren Umsetzung. Erstaunlich, dass Autor Christoph Zollinger diesen Aspekt völlig übergangen hat.

Ja genau, auch diese Initiative wird entgegen besserem Wissen und Gewissen wieder abgelehnt werden. Wer möchte denn nicht seinen Landsitz in der schönsten Naturzone mit Aussicht bauen, und welcher Bauer und Bergler - die die verbleibenden vier Millionen Ur-Schweizer ja alle irgendwie mal waren - möchte seinen nassen Gumel-Acker nicht anstatt für Fr. 5.- /m2 für CHF 500-2000.- pro Quadratmeter an neue Schweizerische Mitbürgerinnen oder Mitübrger verkaufen? Die sind ja nicht blöd! Ein Cousin hat sicher auch gleich noch das richtige Baugeschäft für das Projekt und andere Verwandte helfen professonell sicher gerne bei der Behördenarbeit und beim Wiederverkauf. In der rohstoffarmen Schweiz sind Bauland und Immobilien ja sichere Ressourcen und Kapitalanlagen, bei denen man etwas in den Händen hat und nicht bloss auf Papier. Und das zuviel Gebaute lässt sich dann durch den Nachrutschdruck der besser Verdienenden wegen den vielen neu Zugewanderten in günstigeren Wohnobjekten schon noch auffüllen. Also ein klares Nein für die Initiative von jedem rechten Schweizer.

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