Ein Interview mit dem Bielefelder Rechtsanwalt Sven Terlinden
Zurzeit erschüttern die Überwachungsskandale von Mitarbeitern bei Lidl, Rewe, Plus & co. die Belegschaften. Offenbar sind dies keine Einzelfälle, sondern gängige Praxis in einigen Unternehmen. Für viele drängen sich deshalb sofort die Fragen auf: Was dürfen Chefs überhaupt kontrollieren? Und wie weit dürfen sie dabei gehen? Dazu habe ich den Bielefelder Rechtsanwalt und Partner der Anwaltskanzlei Terlinden, Dr. Reese, Lohrengel, Sven Terlinden, angerufen, der mir folgende acht Fragen kurzfristig beantwortet hat:

Arbeitgeber dürfen Mitarbeiter innerhalb bestimmter Grenzen kontrollieren. Insbesondere, wenn ein konkreter Verdacht zu arbeitsvertraglichem Fehlverhalten gegen den Beschäftigten vorliegt, darf der Arbeitgeber dem nachgehen. Also etwa Diebstahl oder Krankfeiern. Dazu darf der Chef auch Detekteien beauftragen. Problematischer ist die systematische Überwachung von Arbeitnehmern ohne diesen konkreten Verdacht. Das ist in der Regel nicht erlaubt. Entscheidend ist der Anlass der Überwachung. Oft begründen Arbeitgeber diese mit dem Schutz der Mitarbeiter. In diesem Fall muss man dann genau prüfen, ob die Maßnahme auch objektiv diesem Zweck dient.
2. Sind versteckte Kameras im Büro erlaubt?
Das kommt darauf an. Grundsätzlich ist der Arbeitsplatz keine Privatsphäre des Arbeitnehmers. Gegen eine offene Überwachung durch sichtbare Kameras kann man daher meist nichts unternehmen. Auch eine versteckte Überwachung kann zulässig sein, wenn dafür wie oben beschriebene Gründe vorliegen. Nur wenn die Videoüberwachung aufgrund ihrer Intensität oder Zielsetzung zu einer Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Betroffenen führt, ist sie unzulässig.
3. Darf der Chef meine E-Mails mitlesen und mein Diensthandy abhören?
Soweit es sich ausschließlich um eine dienstliche E-Mail-Adresse oder einen dienstlichen Telefonanschluss handelt, ja. Dann dürfen die dazugehörigen Geräte vom Mitarbeiter auch nur dienstlich verwendet werden. Und das darf der Chef zum Beispiel durch Stichproben überprüfen. Anders sieht es aus, wenn der E-Mail-Account oder der Telefonanschluss auch zur privaten Nutzung überlassen werden. Dann darf der Arbeitgeber nur nach Rücksprache mit dem Arbeitnehmer den dienstlichen Anteil, nicht jedoch den privaten Teil überprüfen.
4. Kann der Chef kontrollieren, wie oft ich Pause mache oder aufs Klo gehe?
Kontrollieren kann er das im Rahmen von Zeiterfassungssystemen. Pausenzeiten sind in der Regel arbeitsvertraglich und/oder tarifvertraglich geregelt. Toilettengänge dagegen sind keine Pausen, sondern gehören zur Arbeitszeit. Anders als Raucherpausen, die wiederum Pausenzeit sind. Arbeitsrechtliche Konsequenzen können sich daraus unter normalen Umständen nicht ergeben. Möglich wäre das nur, wenn sich der Arbeitnehmer absichtlich und nachhaltig seiner Dienstpflicht durch unnötige Toilettenaufenthalte entzieht. Dazu kann das heimliche Rauchen auf der Toilette gehören.
5. Darf der Arbeitgeber Daten über mich im Internet googeln – also etwa in Blogs oder Sozialen Netzwerken?
Das Internet ist ein öffentlicher Raum. Und der Arbeitgeber darf sich aus allen allgemein zugänglichen Quellen Informationen beschaffen. Insoweit ist der Arbeitnehmer selbst dafür verantwortlich, was und wie viel er über sich selbst öffentlich preisgibt. Die so gewonnenen Informationen darf der Arbeitgeber dann sowohl bei einer Einstellung als auch bei seiner Beförderungsentscheidung verwenden.
6. Darf er mir wegen meiner Aussagen im Internet kündigen?
Grundsätzlich gilt: Was der Arbeitnehmer in seiner Freizeit tut, geht den Arbeitgeber nichts an. Es sei denn, es betrifft den Arbeitgeber. Soweit das außerdienstliche Verhalten arbeitsvertragliche Pflichten verletzt, kann dies zur Kündigung führen. Heißt: Wer sich öffentlich negativ oder gar beleidigend über seinen Arbeitgeber äußert, riskiert seinen Arbeitsplatz, da sich aus dem Arbeitsvertrag eine allgemeine Loyalitätspflicht ergibt. Gleiches gilt für die Preisgabe von Betriebsinterna und Firmengeheimnissen.
7. Was darf der Arbeitgeber auf keinen Fall?
Problematisch sind alle Maßnahmen, die sich gezielt gegen einzelne Mitarbeiter richten, sofern hier kein konkreter Verdacht vorliegt. Verstößt der Arbeitgeber gegen das Gebot der Gleichbehandlung, setzt er sich ebenfalls dem Verdacht des Mobbings aus. Ganz und gar unzulässig sind Eingriffe in den Intimbereich, also etwa Video- und Audioüberwachungen von Toiletten, Sanitärbereichen und Umkleidekabinen. Der gezielte Einsatz von derlei Überwachung als Psychoterror ist natürlich ebenso tabu.
8. Wenn dennoch solche Fälle bekannt werden: Welche Rechte habe ich? Kann ich den Arbeitgeber auf Schadenersatz verklagen?
Wer sich von seinem Arbeitgeber zu Unrecht überwacht und bespitzelt fühlt, sollte Rat und Hilfe beim Betriebsrat oder seiner Gewerkschaft suchen. Viele Dinge lassen sich bereits so schnell klären. Ist es wegen etwaiger Überwachungen zu einer Kündigung gekommen, sollte man schnell einen Anwalt aufsuchen, da dann Fristen laufen, innerhalb derer beispielsweise eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht werden muss. Danach verfallen etwaige Ansprüche. Wurde jemandem aufgrund einer unzulässigen Überwachung gekündigt oder ist der Arbeitnehmer durch solche Bespitzelungen gar erkrankt und leidet nun an Schlafstörung oder Herz-Kreislauf-Beschwerden, können sich daraus Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche ergeben. In diesem Fall sollte man aber immer professionellen Rat einholen.
Mirko Schneider
Hallo Herr Mai,
ich hab die Erfahrung gemacht, dass in besonders führungsschwachen Unternehmen am meisten (heimlich) überwacht wird. Die Zeit, die damit verplempert wird, ist sicher besser in den direkten Kontakt zum Mitarbeiter investiert. Aber genau das soll oft umgangen werden.
Die filmische Aufnahme von Mitarbeitern kann auch positiv sein:
In meiner Lieblingsbäckerei hängt direkt neben dem Tresen ein Bildschirm, auf dem die Mitarbeiter in der Bachstube bei der Arbeit für jeden Kunden live zu sehen sind. Man hat das Gefühl, sie sind stolz darauf, beobachtet zu werden.
Beim Fußball werden auch alle “Mitarbeiter” offen überwacht. Hinterher werden die Spielzüge ausgewertet, um sich zu verbessern.
Ich finde, es ist eine Frage der Unternehmenskultur, ob “Überwachung” gegen die Mitarbeiter eingesetzt wird oder um das Unternehmen und die Mitarbeiter weiter zu entwickeln. Aber so ist es ja immer.
Schönen Abend!
Mirko Schneider
Jochen Mai
Hallo Herr Schneider,
gegen eine offene Form der Aufzeichnung, ggflls. sogar mit Einwilligung der Belegschaft (Fußball), ist ja auch überhaupt nichts zu sagen. Das Problem ist die heimliche Ausspähung. Das ist letztlich immer ein Misstrauensbeweis – und der zerstört jedes kollegiale Miteinander.
Mirko Schneider
Hallo Herr Mai, sehe ich ganz genau so. Letztlich ist nicht die Überwachung das Problem, sondern wie und warum man es tut.
Christian Müller
Hallo Herr Mai
Passend zum Stern Artikel habe ich auch Ihr Posting mit großem Interesse gelesen, da ich ein “Opfer” dieser Überwachung geworden und immer noch bin. Ich finde auch, dass gerade in Führungsschwachen Unternehmen die Überwachung wichtig ist, um sich eine gewisse Falsche Sicherheit und Authorität zu “erzwingen”.
Vielen Dank für Ihren Post und den Tips.
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daniela
hallo habe mal eine frage,ich arbeite in einem betrieb wo auch eine Kamera hängt uns wurde mitgeteilt das sie nur zu unserem Schutz dient aufgrund von Überfällen oder Einbrüchen nun ist es aber so das während unserer Arbeitszeit das Telefon klingelt und die Chefin sagt sie würde beim frühstück sitzen und uns beobachten und wir sollten doch noch dies und das so und so machen ist das rechtens?