Ein Interview mit dem Buchautor Volker Marquardt

Volker Marquardt, geboren 1968, arbeitet seit 1990 als Reporter, Redakteur und Textchef bei diversen Zeitungen und Magazinen. 2003 erschien sein Buch „Das Wissen der 35-Jährigen. Handbuch fürs Überleben“. Marquardt ist inzwischen älter geworden, prompt erscheint das zweite Buch: „Halbzeit – Was mit 40 wirklich zählt“. Denn ab 40 räumen die meisten noch mal mit ihrem Leben auf, machen weniger Kompromisse und fragen sich: Was zählt wirklich?


volkermarquardtHerr Marquardt, Sie haben soeben ein Buch für 40-Jährige geschrieben. Spricht mich an – ich bin auch 40. Also: Wie geht es mir gerade?

CoverWenn es Ihnen so geht, wie den meisten, dann, machen Sie vermutlich gerade Kassensturz. Schließlich ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür: Spätestens ab 40 wird bei den um 1970 Geborenen nämlich rückwärts gezählt, rein statistisch natürlich. Frauen aus unseren Jahrgängen werden 81,2 Jahre alt, Männer 78,3. Mit exakt 39,15, respektive 40,6 Jahren beginnt also für uns die zweite Lebenshälfte. Unsere um 1940 geborenen Eltern, die laut Statistik eine Lebenserwartung von knapp 67 Jahren haben, erreichten diese Halbzeit schon mit 34,3 Jahren. Und um 1910 geborenen Großeltern hatten schon mit 26,5 Jahren Halbzeit. Eigentlich sollten wir also dankbar sein. Doch stattdessen bekommen viele Torschlusspanik. Das gab es natürlich schon immer, aber eben früher: Unsere Eltern hatten sie um die 30, wir bekommen sie mit 40 – und fragen uns: War’s das jetzt? Kann ich, will ich noch 25, 30 oder 35 Jahre, die mir bleiben, so weiterleben? Was ist mir eigentlich wirklich wichtig im Leben? Das treibt viele in dem Alter um.

Sie sagen auch, wir 1968-Geborene sind eine Zwischengeneration. Wie kommen Sie darauf?

Zum einen ist uns der Glaube an den Daueraufschwung der Wirtschaftswunderjahre abhandengekommen. Mitten in unserem ersten festen Job hat uns 2002 die Wirtschaftskrise erwischt. Dabei gab es schon vorher Zeichen für die Grenzen des Wachstums: Im Kindergarten erlebten wir, wie die Weltwirtschaft an den autofreien Sonntagen der Ölkrise stockte. Auf dem Höhepunkt unserer Pubertät begruben die Trümmer von Block 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl den Glauben an den technischen Fortschritt. Und am Anfang unserer Ausbildung brachte der Fall der Mauer eine Menge Chancen, aber auch Millionen Arbeitslose mit sich. So wurden wir zu einer skeptischen Generation. Wir pflegen eine ironische Distanz zu den klassischen Karrieren mit ihren Statussymbolen: Golfturnier, Dienstwagen, Business-Lounge – alles verdächtig. Die Chefs halten uns deshalb sicher nicht für besonders ehrgeizig. Sie schätzen an uns eher, dass wir ruhig, zuverlässig und perfektionistisch sind. Aber manchmal übersehen sie uns auch. Denn wir fallen höchstens durch Understatement auf. In manchen Situationen fehlt uns einfach das Durchsetzungsvermögen. Zum Glück ist aber nicht sicher, dass in den obersten Etagen auf die Generation 50plus bruchlos die heutigen Twentysomethings folgen. Die Zwanzigjährigen haben jedoch viele Vorteile: Sie sind zielstrebiger als wir, sie treiben ihre Karriere voran und interessieren sich wirklich für Luxus-Artikel. Sie lieben einfach alles: Promis, Technik, Dolce & Gabana, Karriere. Wie weit man damit kommen kann, sieht man an ihrer Gallionsfigur: Paris Hilton.

Das klingt latent resigniert. Ist für unsere Generation nicht ebenso typisch, dass sie mehr Brüche in den Lebensläufen aufweist als andere Generationen und viele sich selbstständig gemacht haben?

Ja natürlich. Und eben diese Brüche in der Lebensbiografie können in Krisenzeiten ein Vorteil sein. So mies stehen unsere Chancen auf eine zweite Karriere gar nicht – besonders wenn wir aufhören, uns selbst im Weg zu stehen. Für unsere Väter wäre es mit 40 wohl undenkbar gewesen, den Beruf zu wechseln, eine neue Sprache zu lernen, auszuwandern – so wie es immer mehr Angehörige unserer Generation tun. Im Managersprech heißt das: Alleinstellungsmerkmal. Ein Jobcoach würde uns wohl raten, unser Dilemma als Stärke zu begreifen und auszuspielen. Der eine oder andere Vierziger hat das ja auch schon begriffen.

Wie konkret wirkt sich diese Halbzeit-Depression denn nun beruflich aus?

Besonders wenn der 40. Geburtstag näher rückt, entwickeln wir ein bis dahin eher verdrängtes Gefühl nach Sicherheit. Dann stellt man sich plötzlich ganz andere Fragen: Statt „Was macht mir Spaß?“ eher „Was kann ich wirklich gut?“ Statt „Wo kann ich mich selbst verwirklichen?“ eher „Welcher Job hat bei meiner Qualifikation Zukunft?“ oder „Gibt’s meinen Beruf in zehn Jahren überhaupt noch?“ Statt „Was habe ich noch nicht angefangen?“ eher „Welchen Job will ich mit 45 oder 50 ausüben, ohne mir albern vorzukommen?“ Und entsprechend verändern wir unseren Job – oder die Einstellung dazu.

Halten Sie das Alter 40 für eine Karrieregrenze?

Nein, das hat sich geändert. 40 zu sein, bedeutet heute nicht das Ende. Da geht noch was. Deutlich häufiger als früher sind Frauen über 40 unter den Top- Führungskräften. Mit 42,6 Jahren sind sie im Schnitt über vier Jahre jünger als ihre männlichen Kollegen. Einige Firmen beginnen, sich schon heute auf das Ende des Jugendkults einzustellen. Sie merken, dass gerade 40-Jährige mit ihrer Mischung aus Sicherheitsdenken und Neugierde in vielen Bereichen perfekt einsetzbar sind. Noch 2003 gaben in einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung 15 Prozent der befragten Unternehmen an, grundsätzlich keine älteren Mitarbeiter zu beschäftigen. Diesen Jugendkult können sich Unternehmen heute nicht mehr leisten. So stieg der Anteil der über 50-Jährigen in der BMW-Belegschaft in den letzten zehn Jahren von 14 auf 37 Prozent. Auch Konkurrent Audi setzt auf 40plus: An der Produktion des neuen Sportwagens R8 sind vorwiegend ältere Facharbeiter beteiligt. Der Altersdurchschnitt liegt hier bei über 40 Jahren. So etwas hören wir natürlich gern. Dann bleiben uns noch ein paar produktive Jahre, bis wir unseren beruflichen Höhepunkt erreicht haben.

Trotzdem malen Sie kein besonders attraktives Bild von einem Vierziger. In Ihrem Buch heißt es: „Er brennt nicht mehr, will keine Karriere mehr machen.“ Hört sich nicht nach einem zweiten Frühling an.

Die Vierziger reagieren damit zum Teil auf Veränderungen im Privatleben. Frauen mit 40 sind nicht wie in der Generation unserer Großeltern Gemahlinnen, die ihrem Ehemann den Rücken freihalten, sondern gleichberechtigte Partnerinnen – und manchmal auch Konkurrentinnen um die Karriere. Täglich müssen in modernen Familien die verschiedenen Ansprüche der Partner und Kinder durch Verhandlungen geregelt werden: „Du bringst morgen die Kinder in die Schule, und dafür gehe ich übermorgen zum Elternabend – und dann zum Sport, okay?“ Wir sind die erste Generation, bei der die Männer ähnlich gut ausgebildeten Frauen gegenüberstehen. Fast jeder Dritte Deutsche zwischen 35 und 40 Jahren – über zwei Millionen Menschen – hat eine Fachhochschul- oder Hochschulreife, darunter genauso viele Frauen wie Männer. Davon hat wiederum fast jeder Dritte einen Universitätsabschluss oder eine Promotion in der Tasche. Auch hier sind es fast genauso viele Frauen wie Männer. Diese gut ausgebildeten Vierziger-Frauen nahmen bei der Geburt der Kinder Elternzeit. Aber spätestens, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, wollten viele wieder zurück an den Schreibtisch, ins Büro oder in die Kanzlei. Bei dieser Aufgabenteilung ist an Karriere, die in vielen Fällen 50 und mehr Arbeitsstunden erfordert, kaum zu denken.

Aus einer beginnenden Midlife-Crisis wird das jetzt aber keinen reißen. Gibt es nicht noch ein paar richtig gute Gründe fürs Vierzigsein?

Mit 40 wollen wir unseren Partner nicht mehr ändern. Davor hieß es immer: Wie wär’s mit einem Tangokurs gegen die Speckröllchen? Oder einem Besuch im Museum für die Couch-Potato? Inzwischen wissen wir es besser: Aus einem Trecker wird kein Sportwagen mehr. Das entspannt manche Beziehungen. Frauen wiederum haben mit 40 so viel Spaß am Sex wie nie zuvor. Die Mehrheit der heute 40-jährigen Frauen hatte laut einer Umfrage schon vor ihrem 18. Geburtstag das erste Mal Sex. So richtig Spaß daran hatten die meisten aber erst später, so ab Mitte 30. Vermutlich liegt das dann an der Kombination aus Routine, Hormonen und Selbstironie.

Danke, jetzt freue ich mich auf die Fünfziger.