Ich hab ja nichts dagegen, dass ein Verband pro Woche gefühlte Vierundtrölfzig Studien auf den Markt wirft, um zu dokumentieren, dass das Geld der Mitglieder nicht sinnlos verpulvert wird. Was soll ein Verband schon anders tun? Effektive Community-Arbeit? Die findet weniger Beachtung. Dann lieber Meldungen wie diese: Jeder Dritte schaut schon vormittags in sein soziales Netzwerk. Stammt vom Bitkom, das. Dessen Erkenntnis für den heutigen Sonntag: “Viele Mitglieder sozialer Netzwerke loggen sich schon am frühen Morgen bei ihrer Internet-Community ein. Fast jeder dritte Nutzer (29 Prozent) wirft schon am Vormittag einen ersten Blick auf sein Profil, sieben Prozent noch vor dem Frühstück, weitere fünf Prozent während des Frühstücks und 22 Prozent checken ihre Netzwerke mittags oder nachmittags, 42 Prozent erstmals im Laufe des Abends.” Erst???
Das muss man sich mal vorstellen: Da besitzen Menschen einen Computer mit Internet-Anschluss oder ein Smartphone mit Push-Funktionen – und dann nutzen die das auch! Entsprechend alert bis überrascht ist denn auch der Tenor der weiteren Meldung, Zitat:
“Für erstaunliche 4 Prozent (Anm. d. Red.: Wow, ganze 4 Prozent!) der Community-Mitglieder ist der Gang ins Netzwerk offenkundig die erste Handlung am Tag. Gleich nach dem Aufwachen noch im Bett loggen sie sich in ihrer Community ein. Weitere acht Prozent verlassen zwar ihr Bett, um zu sehen, was es Neues in ihrer Community gibt, gehen aber gleich nach dem Aufstehen oder noch während des Frühstücks online.”
Achso, eine Infografik gibt es gleich noch dazu (Man beachte die Überschrift!):
Das ist natürlich der Böööörner, würde der fleischgewordene High-Heel Carmen Geiss jetzt sagen. Sagt sie aber nicht. Der Jet Set schläft gerne länger. Stattdessen meldet sich Bitkom-Präsident Dieter Kempf zu Wort, der das morgenmuntere Treiben aus seinem Hochbett wohl zu beurteilen weiß:
„Ungeachtet dessen, wie man diese Verhaltensmuster jeweils persönlich bewertet: Für jedes achte Community-Mitglied hat das Netzwerk eine offenkundig herausragende Bedeutung.“
Endlich wäre das geklärt: Jeder Achte findet den Kontakt zu seinen Freunden und Bekannten wichtig. Schon am Morgen. Womöglich könnte das Beziehungsbedürfnis gar hinter dem Aufstieg der Sozialen Netze stecken. Das aber gilt es weiter zu erforschen und muss daher Gegenstand weiterer teurer Studien sein…
Starker Tobak. Und ich frage mich, welche Meldung kommt wohl als nächste?
- 90 Prozent der Menschen mit Führerschein fahren auch Auto.
- Jeder zweite Kaffeemaschinenbesitzer trinkt schon zum Frühstück einen Kaffee.
- Erstaunliche 4 Prozent der Blogger können schreiben.
- 99 Prozent der Twitter-Nutzer schaffen offenkundig nicht mehr als 140 Zeichen pro Tweet. Der Rest heißt @Saschalobo.
Stay tuned!
Niels
Haha, großartig. :)
Mir fällt zunehmend schwer, diese Verbände ernst zu nehmen bzw. empfinde ich die Arbeit als nervtötend und demotivierend. Und ich bin diesbezüglich in einem ähnlichen Thema unterwegs (Cloud Computing), zu dem nun auch jeder etwas sagen möchte/muss.
Baschdi
Sehr unterhaltsam geschrieben! Danke!
Johannes
Oder wie wäre es damit: “Fast jeder Jugendliche wird immer älter!” Neueste Studien aus den USA belegen, dass sich in regelmäßigen Abständen sog. Birthdays wiederholen, ein Indiez für das altern einer ganzen Generation!.
Unfassbar, wie für solche Studien Geld verprasst wird.
Lukas K.
Ich finde die Kritik nicht gerechtfertigt. Eigene Schlüsse ziehen und Behauptungen aufstellen kann jeder, wenn er möchte. Aber diese zu beweisen und mit Fakten zu untermauern ist nunmal Aufgabe der Wissenschaft / Statistik / Marktforschung (usw.)! Einige Untersuchungen erscheinen tatsächlich sinnlos, aber es gibt Verantwortliche, die sich mit ihren Entscheidungen nicht auf eine bloße Annahme stützen können. Ich denke auch ich hätte das Ergebnis mit einem Blick auf meinen Freundeskreis vorraussagen können, aber repräsentativ wäre das nicht!
Jochen Mai
Natürlich kann man alles erforschen und statistisch absichern. Zum Beispiel auch wie viele Bauchnabelfussel ein Mensch im Lauf seines Lebens produziert. Aber wer will das wissen? Und wer soll dafür bezahlen?
Deshalb stellen sich bei dieser Studie massiv zwei Fragen:
1. Warum muss man für viel Geld erforschen und statistisch absichern, was ohnehin klar ist: Dass die Menschen mit Internetanschluss, die sich bei einem Netzwerk angemeldet haben, dieses auch schon morgens nutzen? Wer profitiert von einem solchen Wissen, dass es den (finanziellen) Aufwand und das anschließende alerte Versenden solcher Meldungen rechtfertigt?
2. Das Ergebnis ist alles andere als spektakulär (4% – hallo???) – die genutzte Sprache der Meldung tut aber so. Man darf daher annehmen, dass den Absendern die Wässrigkeit ihrer Suppe bewusst war, weshalb sie da ordentlich Sprachwürze reingekippt und den Pott noch mal haben aufkochen lassen. Nur: Das Zeug schmeckt deswegen nicht besser. Und es ist auch mächtig viel Leserverarsche drin, wenn ein Verbandspräsident nicht mehr feststellen kann, als: “Für jedes achte Community-Mitglied hat das Netzwerk eine offenkundig herausragende Bedeutung.” Ja, komisch: Wieso sind die wohl Mitglied geworden, weil es keine Bedeutung hat?
Der sollte sich lieber fragen, ob nach einer solchen Meldung auch jedes achte Bitkom-Mitglied noch so über den Verein denkt.