Ein Interview mit dem Eintscheidungscoach Kai-Jürgen Lietz
Kai-Jürgen Lietz hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem er der Frage nachgeht, wie wir bessere Entscheidungen treffen können – Das Entscheider-Buch. Insgesamt 15 Fallstricke will der Bad Homburger Coach ausgemacht haben, in die wir unbewusst stolpern. Darunter etwa die Elefantenfalle, wenn wir ein bestimmtes Kriterium überschätzen (Preis) und dabei ein ebenso wichtiges vernachlässigen (Qualität). Oder die Treibjagdfalle, wenn wir uns aus einer vermeintlichen Not heraus zu schnell entscheiden, obwohl wir alle Zeit der Welt gehabt hätten. Ob und wieso uns richtige Entscheidungen so schwer fallen, wollte ich genauer wissen…

Keine Sekunde.
2. Und was haben Sie sich dabei gedacht?
Ich habe mich gefreut, dass ich mein Buch potenziellen Lesern vorstellen kann. Ich weiß natürlich, worauf Sie hinaus wollen. Das Interviewangebot hat mich vor die Wahllosfalle gestellt, wie sie ja auch in meinem Buch beschrieben ist. Auch wenn ich natürlich vor der Frage stand – mache ich es oder mache ich es nicht? – greift sie nicht, weil ich sehr genau wusste, was ich will. Und das macht die Falle wirkungslos.
3.Sie haben gerade ein Buch über Entscheidungsfallen veröffentlicht. Warum nicht direkt ein Buch darüber, wie man gute Entscheidungen trifft?
Der Aufwand, ein Buch zu schreiben, lohnt sich nur, wenn man etwas zu sagen hat. Es gibt bereits eine Reihe sehr guter Bücher, die sich mit dem Thema Entscheidung befassen. Mir sind aber in meiner Praxis als Entscheidungscoach bestimmte Entscheidungsfallen so häufig begegnet, dass ich ihnen sogar Namen gegeben habe. Als ich dann in der Fachliteratur keinen Pieps darüber entdecken konnte, wusste ich, was ich zu tun hatte. Wer die Fallen kennt, möchte sie vermeiden. Daher beschäftige ich mich in dem Buch natürlich auch damit, wie man gute Entscheidungen trifft.
4. Muss man sich nicht erst einmal klar darüber sein, was man will, bevor man über Fallen sinniert?
Es ist sogar so, dass diese Klarheit der erste Schritt ist, viele Entscheidungsfallen zu vermeiden. Die meisten Fallen sind nicht so beschaffen, dass ich mir groß Gedanken machen müsste, ob ich da jetzt hineintappe. Nur haben wir in unserem Leben irgendwann einmal etwas Falsches gelernt und sind der Überzeugung, das Richtige zu tun. Deshalb ist es ja eine Falle, weil wir suboptimal entscheiden und darin keinen Fehler sehen können. Wenn ich aber weiß, worin der Fehler liegt, werde ich ihn bewusst nicht mehr machen.
5. Was sind denn die drei häufigsten Fallen, in die Menschen tappen, wenn sie die Wahl haben?
Die drei häufigsten Fallen sind meine Ansicht nach diese: Als Erstes die Wahllosfalle. Dabei bekommen wir eine Alternative angeboten und sollen entscheiden, ob wir es machen oder nicht. So wie die Frage, ob ich mit Ihnen dieses Interview führe. Die Falle besteht darin, dass ich mir gar nicht über das eigentliche Entscheidungsproblem klar werde. Das ist ja nicht, „führe ich ein Interview mit Jochen Mai oder nicht“, sondern wohin investiere ich meine Zeit, um mein Buch bestmöglich zu vermarkten“. Dabei ist das Interview nur eine mögliche Alternative, jedoch nicht die einzige. Die zweite Falle ist die Angebotsfalle. Dabei lassen wir uns unbewusst von Anbietern oder Vorbildern diktieren, wie unser Bedarf auszusehen hat und orientieren uns nur an den vorhandenen Alternativen – statt selbst klar zu formulieren, was wir wollen. Genau diese Situation erleben wir, wenn ein neuer Trend durchs Dorf getrieben wird. Viele springen dann auf den fahrenden Zug auf, ohne vorher zu klären, was der eigene Bedarf ist. Die dritte Falle ist die Schneckenfalle: Wir lassen die Dinge laufen, statt zu entscheiden. Später jedoch können wir der Entscheidung nicht mehr ausweichen, haben dann aber nur noch schlechte Alternativen zur Auswahl.
6. Und wie geht man damit am besten um?
Ich muss meine Entscheidungsweise in Frage stellen: Warum entscheide ich mich so und nicht anders? Auf dieser Erkenntnis aufbauend kann ich dann bessere Entscheidungen treffen. Für die eben angesprochenen Entscheidungsfallen reicht es beispielsweise meist aus, wenn man exakt weiß, was man will.
7. Jetzt mal praktisch: Wie trifft man denn nun die beste Entscheidung?
Entscheidungen geben meinem Handeln eine Richtung. Daher muss ich zuerst eine Vision für die Zukunft haben. Danach kann ich mir für jede Situation erarbeiten, was ich will. Das nenne ich Entscheidungsklarheit erlangen. Wenn Sie wissen, was Sie wollen, stellen Sie fest, dass viele Ad-hoc-Alternativen nichts taugen. Also müssen Sie sich selbst Alternativen schaffen. Darüber hinaus ist eine Entscheidung nur sinnvoll, wenn sie sich umsetzen lässt, also wenn Sie dafür auch Unterstützer finden. Dabei ist die Reihenfolge absolut kritisch. Wer sich mit Alternativen beschäftigt, bevor er weiß, was sein Bedarf ist, lässt sich schnell verführen. Wer versucht, nach getroffener Wahl Hilfe zu finden, steht häufig vor verschlossenen Türen.
8. Sie haben dazu einen Entscheidungskompass entwickelt. Was soll das?
Der Entscheidungskompass ist ein Managementwerkzeug, mit dem man in wenigen Minuten erarbeiten kann, was man genau will. Dabei werden drei so genannte Kontrollelemente erarbeitet. Sie stellen quasi die DNS jeder Entscheidung dar. Ich verwende den Begriff Kompass, weil die Ergebnisse wieder verwendbar sind und als Richtschnur dienen. Zum Beispiel habe ich vor einiger Zeit meinen Entscheidungskompass für die Vermarktung meines Buches erstellt. Das hilft mir heute, interessante Chancen wie dieses Interview richtig einzuordnen.
9. Wer hat schon die Zeit, sich im Alltag vorher so viele Gedanken zu machen? Die meisten entscheiden doch spontan.
Die Frage ist natürlich berechtigt. Auch ich entscheide häufig spontan – immer dann, wenn ich weiß, dass mein Unterbewusstsein in der Vergangenheit richtig von mir konditioniert wurde. Das ist wie mit dem Autofahren: Am Anfang muss man an alles Mögliche denken – in den Spiegel sehen, vor dem Schalten die Kupplung treten, und so weiter – irgendwann aber geht es wie von selbst. Malcolm Gladwell hat diesen Prozess in seinem Buch „Blink“ sehr treffend beschrieben. Wenn ich allerdings weiß, dass die Situation neu ist, wie etwa wenn man sein erstes Buch geschrieben hat, dann nehme ich mir die Zeit und treffe meine Entscheidungen sehr bewusst. Mit diesen fünf bis zehn Prozent meiner geplanten Entscheidungen verbessere ich auch meine unbewussten. Natürlich kann es trotzdem sein, dass mir für eine umfassende Entscheidung schlichtweg die Zeit fehlt. Dann muss ich den Entscheidungsprozess situationsabhängig kürzen.
10. Der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der sich mit der Heuristik wissenschaftlich beschäftigt, würde Ihnen widersprechen. Er sagt: Gute Entscheidungen basieren oft auf einer unbewussten Intelligenz, die sehr schnell operiert und gerade in komplexen Situationen faszinierend einfach ist.
Sie sagen es: Professor Gigerenzer befasst sich mit der Heuristik. Es würde mich daher wundern, wenn er etwas anderes heraus findet. Sein Entscheidungsmodell ist nach meiner Wahrnehmung sehr eingeschränkt. Er reduziert eine Entscheidung auf die Situation, in der ich vor einer Anzahl von Alternativen stehe und von jetzt auf gleich eine schlaue Auswahl treffen muss. Entscheidungen zu treffen, heißt für mich aber auch, Entscheidungen zu gestalten, also aktiv für attraktive Alternativen zu sorgen. Dazu muss ich – begrenzte Rationalität hin oder her – genau wissen, was ich will. Ansonsten bin ich gar nicht so weit von Herrn Gigerenzer entfernt. Ich bin auch der Meinung, dass es keine rationalen Entscheidungen gibt. Doch anders als er denke ich, dass wir die oft unbewussten Aspekte der Entscheidung an die Oberfläche holen müssen, um dann besser entscheiden zu können. Sonst können wir uns nie von unseren Entscheidungsfallen lösen.
Rafael Schimanski
Sehr schönes Interview, sehr spannend! Viele Grüße, R.S.
Excellence-Blog
Vielen Dank für das tolle Interview, ich habe richtig Spaß dabei gehabt :-) und freue mich jetzt natürlich, es hier im Blog zu lesen.
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derherold
Eine Frage zum Buch:
Gibt es da auch den Verweis auf die *Spieltheorie*, die meiner Erinnerung nach einst “heiß diskutiert” wurde ?
Excellence-Blog
Der Fokus meines Buches liegt eindeutig auf dem Entscheider selbst und wie er zu guten Entscheidungen kommt. Im Rahmen der Umsetzung lege ich eine Schlaglicht darauf, wie er sich die Unterstützung von anderen Menschen und Instutionen sichert.
Die Analyse unterschiedlicher Verhaltenstrategien von Wettbewerbern, Mitarbeitern. Partnern, etc. mit zu berücksichtigen wäre weit über das Fokusthema “Entscheidungfallen” hinausgegangen. Aber vielleicht schreibe irgendwann einmal ein Buch über “Spielpraxis”. :-)
Zum Buch gibt es übrigens eine Website mit Probekapitel, Inhaltsverzeichnis und einigem mehr. http://www.entscheiderbuch.de
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