Ein Interview mit der Unternehmerin und Bloggerin Anita Freitag-Meyer

Anita Freitag-Meyer, Jahrgang 1969, wurde schon mit 23 Jahren Geschäftsführerin und Teilhaberin des elterlichen Betriebs, der Verdener Keks- und Waffelfabrik Hans Freitag. 2010 übernahm sie das Unternehmen ganz von ihrem Vater. Im März 2011 begann sie auch noch zu bloggen. Doch die Reaktionen waren anders als gedacht: Vor allem Mitarbeiter nutzten das “Keksblog” und dessen Gästebuch, um ihrem Ärger Luft zu machen…

Frau Freitag-Meyer, Sie bloggen seit dem 27. März für Ihr Unternehmen. Wie kamen Sie auf die Idee?

Ich hörte einen Vortrag von Thomas Knüwer, hatte bis dato Null Ahnung, was Social Media, das Web 2.0 überhaupt ist, hatte keinen Facebook-Account und nicht den geringsten Plan, wie man Twitter überhaupt buchstabiert. Nach dem Vortrag habe ich gedacht: “Das willst du auch, du willst über deine Firma reden, dich austauschen mit dem Endverbraucher, uns als Arbeitgeber vorstellen, die Menschen bei uns zeigen.” Ich wollte über das, was mich bewegt und wofür ich als Chefin der Keksfabrik Hans Freitag stehe, reden und schreiben.

Worüber bloggen Sie denn da so?

Neue Produkte, Filme aus der Produktion, Einblicke in die Produktentwicklung, Crowdsourcing in Sachen Verpackungsgestaltung, allgemeine Themen der Lebensmittelbranche, Menschen bei Hans Freitag, Stellenangebote, Firmengeschichte, Hans Freitag unterwegs, Kundenstimmen, Berichte aus den Abteilungen wie Qualtitätsmanagement, Instandhaltung, Bücher, die wir gelesen haben. Und und und.

Und wie viel Zeit investieren Sie dafür?

Das ist sehr unterschiedlich. Für Social Media allgemein etwa eine Stunde am Tag. Ich bin aber immer online und beantworte Kommentare oder Fragen sofort. Zum Schreiben der Blogartikel nutze ich oft das Wochenende oder den Abend.

Ihr Blog hatte jedoch noch ein paar Risiken und Nebenwirkungen: Ihre Mitarbeiter begannen, sich in Ihrem Gästebuch über Sie zu unterhalten…

Ja, das war nach der Betriebsversammlung im April, während der ich verkünden musste, dass ich mich momentan nicht in der Lage sehe, eine Lohn- und Gehaltserhöhung zu zahlen. Unsere Branche leidet unter den stark gestiegenen Rohstoffpreisen, man möge bitte Verständnis haben. Keiner meldete sich spontan zu Wort, ich war in dem Glauben, dass meine Mannschaft Verständnis hat und meine Entscheidung mitträgt. Weit gefehlt. Es dauerte keine zwei Tage, da meldete sich „Anonymus“ in unserem öffentlichen Bloggästebuch zu Wort und wurde ziemlich ungemütlich. Die Leute hätten schließlich auch höhere Kosten, das Benzin, die Lebenshaltungskosten… und mir würde es ja immer noch gut gehen und ich könne mir gar nichtvorstellen, dass die Mitarbeiter auf drei Prozent mehr Lohn angewiesen seien. So war der Tenor. Unterstützt wurde Anonymus von „Reiner Zufall“, der in dasselbe Horn blies. Dann meldeten sich weitere Mitarbeiter zu Wort, die für mich in die Bresche sprangen, dass ich schon dafür sorgen werde, dass der Laden läuft und dass es nun mal nicht leicht sei heutzutage, dass sie mir vertrauen würden und dass Anonymus und Reiner Zufall ja auch abhauen könnten, wenn es ihnen hier nicht gefiele. Es ging richtig hoch her und mir wurde das zunehmend unangenehm, diese internen Diskussionen öffentlich einsehbar zu führen. Ich wurde auch schon angesprochen, was bei uns denn los sei. Nicht schön. Wir haben dann eine passwortgeschützte Pinnwand nur für Mitarbeiter installiert, auf der heute diese Dinge besprochen werden können. Das klappt sehr gut und diese Pinnwand ist mittlerweile die meistgeklickte Seite auf dem Blog.

Welche persönlichen Konsequenzen haben Sie aus diesen Offenbarungen gezogen?

Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, regelmäßig einen kleinen Bericht der Geschäftsleitung dort zu posten. Ich möchte meine Leute mitnehmen bei meinen Entscheidungen, sie wissen lassen, wenn es gute Nachrichten wie einen tollen Abschluss gibt, wenn wir Investitionen planen, wie die Umsätze laufen, oder ich schreibe einen kleinen Gruß, bevor ich in den Urlaub fahre, ganz gemischte Themen und Anlässe. Ich merke, wie positiv sich das auf das Betriebsklima auswirkt, weil es diese Nähe zwischen Chefin und unseren 340 Mitarbeitern so vorher nicht gegeben hat. Meine Ansprache beschränkte sich früher auf eine Betriebsversammlung pro Jahr und ansonsten natürlich durch direkten Kontakt im Betrieb zu einzelnen Personen, aber da spricht man nicht über generelle Entscheidungen. Die anfängliche Krise durch die negative öffentliche Diskussion hat sich also mittlerweile in einen positiven Austausch verwandelt, den ich für sehr wertvoll halte.

Warum hat sich denn vorher nie einer getraut, mal Tacheles zu reden?

Weil sich die Mitarbeiter in der Regel nicht trauen, in einer Betriebsversammlung aufzustehen und etwas vorzutragen. Dafür sind sie meist zu schüchtern und dann weiß ja auch jeder, wer gemeckert hat. Das vermeiden die Leute. Nun bin ich der Meinung, dass es bei uns keine gravierenden Probleme gibt, denn das Thema mit der Lohnerhöhung habe ich in einem Zweistufenplan inzwischen zur Zufriedenheit der Mitarbeiter gelöst und ansonsten geht es oft um Kleinigkeiten wie zu wenig Fahrradständer, mehr Schlosser in der Nachschicht, das richtige Toilettenpapier. Kein Scherz.

Seit Mai gibt es auch einen freien Computer in der Kantine, den die Mitbeiter nutzen, um Feedback zu geben? Wie wird das genutzt?

Man sagt mir, die Mitarbeiter nutzen die Möglichkeit in jeder Pause, die neuesten Beiträge zu lesen. Für diejenigen, die Angst vor der Tastatur haben, drucken wir auch alles aus und hängen es in der Kantine an eine extra „Blog-Brett“.

Und die Kollegen bleiben wirklich anonym, wenn sie Kritik an Ihnen üben?

Die meisten ja. Es gibt aber auch sich klar bekennende Kollegen, die sich aktiv einbringen wollen.

Wie hat sich seitdem die Kommunikation in Ihrem Unternehmen verändert?

Es gibt einen regelrechten Flurfunk, Motto: „Hast du schon auf dem Blog gelesen? Weißt du schon? …“. Die Inhalte des Blogs sind ständiges Gesprächsthema und ich höre immer öfter den Satz: „Lasst uns das doch auf das Blog stellen.“ Sehr schön für mich zu sehen ist auch, dass unsere Mitarbeiter es schätzen, wenn über sie berichtet wird. Wenn wir Abteilungen vorstellen, einen Jubilar ehren, Azubis zur bestandenen Prüfung gratulieren oder langjährige Mitarbeiter in den Ruhestand verabschieden. Es ist eine Ehre für die Kollegen dort genannt zu werden. Die anfänglichen Bedenken gegen das böse Internet haben sich gelegt und ich bin der Meinung, dass unser Team stolz ist, dass wir ein modernes Unternehmen sind.

Und wie hat sich seitdem Ihr “normales” Blog entwickelt?

Die anfängliche Frequenz von über 20 Artikeln pro Monat können meine Bloggerkollegin und ich nicht aufrecht erhalten. Aber im Schnitt landen wir jetzt bei etwa 15 Artikeln pro Monat mit durchschnittlich 5000 Besuchern und 15.000 Klicks. Wenn wir das so beibehalten können, sind wir happy.