Ich habe heute einen guten Freund besucht. Wir grillten. Dazu erzählte er mir eine Geschichte. Sie begann langweilig: Noch ein Jahr, dann gehe sein Chef in den Ruhestand. Ein Jahr Vorfreude auf die wohlverdiente Rente. Ich dachte, warum erzählt der mir das? Sehe ich so alt aus? Oder so naiv? Wohlverdient mag sie ja sein, meine Rente, aber der Himmel weiß, ob tatsächlich noch Geld in dem Generationenpott ist, wenn ich am Kassenschalter anstehe. Meine Vorfreude hält sich da in Grenzen, ganz im Gegensatz zum Zwang zunehmender Vorsorge.
Während mein Freund also seinen bald scheidenden Chef beschrieb, erzählte er, dass der eigentlich gar nicht mehr viel macht. Gut, er setzt um, was die oberste Geschäftsführung von ihm verlangt. Er führt seine Leute, wie in den vergangenen Jahren auch. Redlich. Genauso reißt er seine Stunden runter, wickelt ab. Aber er probiert nichts Neues mehr aus. Riskante Projekte? Ohne ihn. Innovative Experimente? Nein, Danke. Wozu auch? In dem Stadium riskiert man seinen guten Ruf nicht mehr. Oder gar das Lebenswerk. Am Ende droht die unehrenhafte Entlassung. So will keiner ausscheiden. Nicht nach 20 Jahren in der Firma!
Menschlich kann ich das verstehen. Hey, ich sitze nicht auf dem hohen Ross. Ich würde vielleicht genauso handeln. Schön gemütlich in die dritte Lebensphase gleiten, nachdem man so lange den Rücken krumm gemacht hat. Wer einen Indian Summer genießen will, reist dazu ja auch nicht in die Tundra.
Aber dann kamen mir Zweifel. Der Grillnebel verflüchtigte sich: Der Chef ist eine Lame Duck!
In dem Jahr, in dem der Typ lahm seine Zeit absitzt, lähmt er zugleich das Unternehmen. Der Nachfolger – falls der überhaupt schon gefunden ist – kann noch nichts Neues anstoßen, das Team kann nichts beginnen, was die Komfortzone des Ex-Chefs in spe gefährdet und schlimmer: So ein gelähmtes Jahr kann den Esprit einer ganzen Abteilung auf Jahre versauen. Man kann von Glück sagen, wenn die den Nachfolger mit offenen Armen empfängt – vor allem wenn der grundlegend was ändern und in den Haufen wieder Pepp reinbringen will.
Jalla! Jalla!
“Da kannste nix machen”, sagte mein Freund lakonisch, “der sitzt halt noch solange im Sattel wie er reiten darf.” Das stimmt, dachte ich, das macht der locker. Aber ist das ein Argument?
Nicht, dass ich alte Menschen aus dem Sattel schubsen möchte. Schon aus ganz opportunen Gedanken. Aber deswegen muss man auch nicht zu Sancho Panza werden. Das Leben ist kein ruhiger Ritt. Und schon gar nicht vor der Ziellinie. Da heißt es noch mal: Jalla! Jalla!
Was ich damit sagen will: Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen gegenüber Mitarbeitern so verhalten, wie die Deutsche Bahn gegenüber Reisenden im Winter. Jedes Jahr ist der Schienenbetrieb aufs Neue überrascht, dass es im nächsten Dezember schon wieder Temperaturen unter dem Gefrierpunkt geben kann, was – das habe selbst ich herausgefunden – Weichen und Oberleitungen nicht gut tut. Aber wenn die Züge deshalb dann ausfallen, können die Schaffner nicht mal einen ICE freigeben, damit Pendler bei Minus 15 Grad nicht noch weitere 20 Minuten auf den Folgezug warten müssen.
Das Rentenalter verdienter Mitarbeiter kommt jedenfalls genauso wenig überraschend. Und dass es sich die Menschen auf ihre alten Tage gerne gemütlich machen, ist auch keine Raketenwissenschaft. Warum also nicht einem Bald-nicht-mehr-Chef im letzten Jahr den Nachfolger zur Seite stellen und so für einen dynamischen Übergang sorgen – mit mehr Innovationswille und Pepp? Das erste Halbjahr zur Einarbeitung, das zweite für den Stabwechsel. Da kann der Neue gleich alle auf Trab bringen und der Alte kann von seinem Sattel aus der Mentor sein. Merke: In business you never die, you consult away…
Ja, das ist riskant. Zwei Alpha-Männchen mit zwei Motiven – das ist heikel. Aber im Leben muss man nun mal Risiken eingehen. Das hört nie auf. Ich habe mal gelesen, ich glaube, das war bei dem Soziologen Niklas Luhmann, dass viele meinen, das Gegenteil von Risiko wäre Sicherheit. Wer kein Risiko eingeht, ist automatisch sicher. Totaler Quatsch! Ein Leben ohne Risiken ist unmöglich. Da fragen Sie mal unsere Nationalelf! Luhmann sagt daher: Das Gegenteil von Risiko lautet Gefahr. Wer Risiken eingeht, tut das bewusst und kalkuliert. Ja gut, dabei kann man daneben liegen und dann zimmert dir so ein Balotelli zwei Dinger in die Bude und macht auf Hulk Azur. Kommt vor. Aber wer Risiken partout vermeidet, der läuft Gefahr, dass sie trotzdem passieren – dann aber überraschend, hinterrücks und unkalkuliert. Das ist viel unangenehmer. Dann steht man nicht nur als Verlierer da, sondern als der Dumme.
Daniel
Eine sehr schoen formulierte Anketode, die Diktion hat mich hier und da sogar zum schmunzeln gebracht.
Ich denke jedoch, dass eine Doppelspitze nur die halbe Miete ist. Eine Uebergangs- und Einlernphase an die Nachfolge gibt es sowieso immer.
Der Grund dafuer, dass man am Ende seiner Karriere kein Risikio mehr ein geht, liegt zum einen doch darin, dass man wie im Text beschreiben Gefahr laeuft, seinen Ruf zu ruinieren. Und da liegt der Hund begraben: wenn ich 20 Jahre lang einem Unternehmen Innovation, Wachstum, Gewinn und Marktanteil gebraucht habe, ist es doch nicht drin, dass ein einzelner Fehltritt zum Schluss, all das ruiniert? Die selbe Kurzsichtigkeit wird oft gewinnorientierten Management vorgeworfen. Wie viele kollosale Fehltritte leisten sich so genannte Fuehrungskraefte in Weltkonzernen und gehen dann mit millionenschweren Abfindung in die naechste Aufsichtsratposition?
Zum anderen glaube ich, wenn sich jemand als Chef wirklich mit seinem Unternehmen verbunden fuehlt, wuerde er am Ende nicht versuchen, eine ruhige Kugel zu schieben und das Schiffchen langsam in den Hafen zu fahren. Im Gegenteil: wem wirklich was an seinem Lebenswerk liegt, der wird nicht dessen nachhaltigen Erfolg durch das Reiten toter Pferde aufs Spiel setzen, nur um seine eigene Haut zu retten.
Ich behaupte: dieser besagte Chef ist nicht mit dem Unternehmen verbunden. Wer sowas macht, sorgt nur fuer sich selbst, und nicht fuer das uebergeordnete Ziel. Mag sein, dass ich damit falsch liege, aber aus dem Besagten schliesse ich, dass der da nicht (mehr) hingehoert. Nicht mit so einer Einstellung.
In dem Moment, in dem du anfaengst so zu denken, bist du der Position nicht mehr wuerdig.
Jochen Mai
Glaub ich alles sofort, Daniel. Die Analyse ist so völlig plausibel. Nur: Wie löst du das Problem? Keiner sagt ja öffentlich: Ab jetzt schieb ich nur noch ne ruhige Kugel! Und nach 20 Jahren setzt du so einen verdienten Manager auch nicht brutal ab. Nicht ein Jahr vor dem Ruhestand. Wie sieht das aus vor all den Kollegen, die vielleicht noch 3 Jahre bis zur Rente haben? Du musst also irgendwas unternehmen, um dieses letzte Vorruhejahr wieder zu aktivieren… Nur was bleibt da außer Doppelspitze? Das ist ein echtes Dilemma…