Ein Interview mit dem Buchautor Jörg Weisner

jorg_weisnerJörg Weisner studierte nach einer Banklehre und Anlageberatung in einer Großbank Betriebswirtschaft und startete parallel in der Unternehmensberatung. Seit 1989 ist er als Berater, Trainer und Unternehmens-Coach tätig. Sein erstes Buch „Job&Joy“ ist 2001 bei Econ erschienen. Soeben ist sein zweites Buch „Vergiss Selbstdisziplin, erfolgreiche Gewohnheiten bringen dich voran“ im OG-Verlag erschienen.

Herr Weisner, Sie haben ein Buch über Gewohnheiten geschrieben. Haben Sie selbst ein paar, die Sie gerne loswerden würden – vielleicht sogar Vorsätze für 2009?

buch-coverNa klar, wie wohl die meisten Menschen auch. Bei mir sind es die vielen Unterlagen neben meinem Schreibtisch. Hier habe ich einiges angesammelt. Manchmal warte ich mit der Erledigung einer Aufgabe zu lange. Das eine oder andere erledigt sich zwar von selbst, aber insgesamt kann ich hier noch manches verbessern. Eine andere Gewohnheit, die ich gern verändern würde, ist das Essen. Ich esse oft zu unbewusst und zu schnell. Das will ich ändern. Entscheidend ist aber nicht die Konzentration auf die Gewohnheiten, die ich loswerden möchte, sondern auf die erfolgreichen Gewohnheiten, die ich aufbauen will. Ich kann nur dann Gewohnheiten loswerden, wenn ich für jede alte Gewohnheit eine neue positive und erfolgreiche Gewohnheit aufbaue.

Sind feste Regeln und Rituale denn nun etwas Positives oder eher Negatives?

Zunächst betrachte ich sie als etwas Positives, sie geben uns Halt, sie ermöglichen uns schnell zu reagieren, sie schaffen auch Freiheit, weil ich den Kopf für andere Dinge frei bekomme. Ein allgemeines gut oder schlecht gibt es hier nicht. Entscheidend ist, ob die Gewohnheit mir langfristig mehr Energie, mehr Freiheit und mehr Freude bringt. Wenn ich mir zum Beispiel jeden Abend beim Fernsehen einen Sechserpack Bier reinziehe, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn ich am nächsten Morgen nicht so fit bin, wie ich es eigentlich sein möchte. Wenn ich mir stattdessen angewöhne, regelmäßig zu joggen und für ausreichend Schlaf und Entspannung sorge, dann werde ich damit viel vitaler, leistungsfähiger und zufriedener sein.

Wie entstehen denn aus Ihrer Sicht Gewohnheiten?

Durch Wiederholung. Durch gleiche Abläufe, die wir wieder und wieder ausführen, bis wir nicht mehr darüber nachdenken brauchen. Bis unser Unterbewusstsein die Steuerung übernommen hat. Hilfreich ist auch ein immer gleiches Setting. Wenn ich mir etwa meine Joggingschuhe schon abends hinstelle und meine Laufsachen so hinlege, dass ich am nächsten Morgen nur noch reinzuschlüpfen brauche, dann erhöhe ich damit die Chance, auch wirklich laufen zu gehen.

Warum werden wir negative Gewohnheiten so schlecht wieder los?

Weil wir sie nicht mehr im Bewusstsein haben und sie automatisch ablaufen und uns so der Auslöser gar nicht mehr bewusst ist. Alle Gewohnheiten haben wir irgendwann einmal gelernt, indem wir neue Verbindungen zwischen unseren Nervenzellen angelegt haben. Je öfter wir diese Verbindungen nutzen, desto stärker werden diese und desto schneller greifen wir auf diese Gewohnheiten zurück. Wenn wir dann diese alten Gewohnheiten ändern wollen, wollen wir meistens zu viel. Statt eine negative Gewohnheit durch eine positive zu ersetzen, wollen wir am liebsten alle schlechten Gewohnheiten auf einmal loswerden. Das klappt natürlich nicht. Denken Sie nur an die typischen Vorsätze zu Silvester. Viele Menschen nehmen sich in dieser Nacht vor, ab dem 1. Januar mehr Sport zu treiben, gesünder zu essen, effektiver zu arbeiten und mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und vielleicht auch noch mit dem Rauchen aufzuhören. Das ist ja alles sehr löblich, funktioniert so aber nicht.

Alles gut und schön, aber wie wird denn nun daraus eine neue, positive Gewohnheit?

Indem wir den Entschluss fassen. Indem wir uns vornehmen, eine einzige neue Gewohnheit regelmäßig jeden Tag zu üben – und das für einen Zeitraum von 21 Tagen. Und indem wir uns den Nutzen vor Augen führen, den diese neue Gewohnheit für uns hat. Ich gehe zum Beispiel seit mehr als acht Jahren etwa einmal die Woche zum Krafttraining. Das tue ich nicht, weil es mir Spaß macht – zumindest nicht vorher und ganz sicher nicht währenddessen. Das tue ich, weil es mich vor Rückenschmerzen bewahrt. Und weil es mir ein wesentlich besseres Körpergefühl gibt. Der Zeitraum von 21 Tagen ist einerseits überschaubar, zugleich aber auch so lange, dass sich eine neue Gewohnheit aufbauen kann. Wenn mir diese Gewohnheit nach 21 Tagen immer noch gefällt, werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit dabei bleiben. Ich habe beispielsweise früher immer viel Kaffee getrunken. Das wollte ich ändern. Statt Kaffee bin ich auf grünen Tee und Früchtetee umgestiegen. Am Anfang war es ungewohnt. Doch inzwischen genieße ich das Teetrinken.

Ihr Buchtitel enthält den Imperativ „Vergiss Selbstdisziplin“. Widerspricht sich das nicht dem, was Sie gerade beschreiben?

Nein, im Gegenteil. Selbstdisziplin funktioniert nur mit Bewusstsein. 95 Prozent unserer Handlungen laufen aber unbewusst ab. Aus diesem Grund haben wir oft das Gefühl, zu wenig Selbstdisziplin zu haben. Ein weiteres Problem der Selbstdisziplin ist, dass die meisten Menschen damit negative Gefühle verbinden. Weil sich eben fast jeder mehr davon wünscht. Wenn wir uns stattdessen auf den Aufbau erfolgreicher Gewohnheiten konzentrieren, kommen wir schneller voran.

Was raten Sie dann einem klassischen Prokrastinierer, zu deutsch: Aufschieber?

Der erste Schritt ist, sich das eigene Verhalten bewusst zu machen. Was genau schiebe ich auf? Wann schiebe ich etwas auf? Dann würde ich mir einen bestimmten Bereich wählen, den ich verändern will. Also zum Beispiel die Dinge direkt erledigen, die Belege gleich wegheften oder die Post sofort öffnen und nicht die Briefe tagelang ungeöffnet liegen lassen. Die Kernfrage ist: Wie schaffe ich es, mir die Gewohnheit aufzubauen, diese Dinge direkt zu erledigen? Diese Aufgabe muss so beschrieben sein, dass ich genau überprüfen kann: Habe ich es gemacht oder nicht? Der Erfolg muss messbar sein.

Warum empfehlen Sie, den Erfolg dabei immer wieder zu messen?

Weil das motiviert. Und weil es uns zeigt, dass wir Fortschritte machen. In meinen Seminaren frage ich gern, wer von den Teilnehmern schon einmal Hochsprung ohne Messlatte gemacht hat. Natürlich keiner. Ohne Messlatte fehlt der Ansporn, der Vergleich, der Erfolg. Da sind sich alle einig. In dem Wort „Maßnahme“ steckt ja auch schon das „Maß nehmen“ drin. Also ist eine Maßnahme ohne eine entsprechende Meßlatte genauso sinnlos, wie Hochsprung ohne Latte. Wenn ich konkrete Maßnahmen formuliere, muss ich mich aber auch belohnen, wenn ich diese erfüllt habe.

Und wie sollte jemand bei Rückschlägen reagieren?

Rückschläge gehören zum Leben dazu. Sie sind wie jeder Fehler voller Lernchancen. Sie zeigen uns, dass wir etwas noch nicht können. Wichtig ist, dass wir uns von diesen Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Gerade als Erwachsene stellen wir an uns oft viel zu hohe Ansprüche. Mir fällt hier immer ein, wie mein Sohn ein Einrad zu seinem zwölften Geburtstag geschenkt bekam. Als ich abends von der Arbeit nach Hause kam, konnte er Einrad fahren. Ich hatte es ebenfalls versucht und nach drei vergeblichen Anläufen aufgegeben. Ich war eben zu unsportlich, dachte ich. Bis ich meinen Sohn fragte, wie oft er denn am Nachmittag geübt hatte. „Vielleicht drei oder vier Stunden“, lautete seine Antwort. Da wurde mir schlagartig klar, wie wenige Chancen ich mir selbst gegeben hatte. Ich hatte bereits nach drei Versuchen aufgegeben. Hätte ich auch nur annähernd die gleiche Geduld wie er aufgebracht, hätte ich es wahrscheinlich auch gelernt. Genauso ist es mit dem Aufbau neuer Gewohnheiten: Manchmal erfordert es eben Geduld und Ausdauer. Der Erfolg ist dann umso süßer.

Gibt es Wege, gute Gewohnheiten zu trainieren?

Ja, eindeutig. Wenn ich mir eine Gewohnheit für den genannten Zeitraum von 21 Tage vornehme und diese neue Verhaltensweise jeden Tag anwende, besteht eine große Chance, dass ich nach diesen drei Wochen diese Verhaltensweise so weit in mein Leben integriert habe, dass sie schon weitgehend unbewusst abläuft. Vielen hilft es in dieser Phase, sich jeden Tag vor Augen zu führen, wie weit sie es schon gebracht haben. Eine sehr gute Möglichkeit ist, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich gegenseitig zu inspirieren und zu motivieren.