Ein Interview mit der Buchautorin Susanne Reinker

ReinkerRund 17 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in einem Büro. Acht Stunden täglich, mindestens. Ihr Arbeitsplatz ist für sie nicht nur ein gewichtiger Lebensraum, sondern zugleich ein Krisengebiet, das ihr Verhalten, ihre Psyche und sogar die Gesundheit entscheidend beeinflusst. Büros gleichen einem kleinen Gemeinwesen mit eigener Kultur, eigenen, meist ungeschriebenen Regeln und Ritualen. Aber auch jede Menge Fallgruben und Konfliktfelder lauern zwischen Konferenzraum und Korridor, zwischen Kaffeeküche und Kopierer. Die meisten Büroarbeiter verbringen mehr Zeit, reden mehr mit ihren Kollegen als mit ihrer Familie, kennen die Belegschaft besser als ihre Nachbarn und sind den Launen und Marotten der Kollegen, ihrer Missgunst und ihren Intrigen dennoch ungeschützter ausgeliefert. Seinen Lebenspartner kann man sich schließlich aussuchen, seinen Beruf wählen – die Kollegen nicht. Hier gilt: all inclusive.

Kein Wunder, dass es bei so viel erzwungener menschlicher Nähe regelmäßig kracht. Entsprechend gefragt sind derzeit Ratgeber zum täglichen Wahnsinn im Büro: Die Bestsellerlisten werden dominiert von Titeln wie „Der Arschloch-Faktor“ oder „Und morgen bringe ich ihn um“. Mordlust statt Motivation. Auch Susanne Reinker hat einen solchen Bestseller geschrieben („Rache am Chef“) und ich wollte von ihr wissen: Ist das nicht alles sehr zugespitzt? “Nein”, sagt die Autorin im folgenden Interview…

Frau Reinker, in Ihrem Buch beschreiben Sie Chefs als Büroterroristen, Spaßbremsen und Wüteriche. Ist das nicht sehr zugespitzt?

Nein, sondern ein fast dokumentarisches Abbild der Wirklichkeit! – Beweise? Gerne: Die Forschungsergebnisse namhafter Unternehmensberatungen wie Gallup und Proudfoot Consulting, die deutschen Führungskräften fast schon traditionell in Sachen Personalführung ein Armutszeugnis ausstellen. Die 20 Regalmeter Ratgeberliteratur, in denen Karriereexperten auf dem Umweg über viele freundliche Ermahnungen genau dasselbe sagen wie ich, nur pädagogisch aufbereitet. Die Leserbriefe, die ich auf „Rache am Chef“ bekomme: Was ich da an einschlägigen Beispielen bekomme, verschlägt selbst mir manchmal den Atem. Kleine Kostprobe: „Wenn es Ihnen hier nicht passt, gehen Sie doch in den Irak!“

Was sind denn die Hauptgründe für das gestörte Verhältnis von Mitarbeitern und Vorgesetzten?

Der Hauptgrund ist altbekannt: In Deutschland werden Beförderungen wider besseres Wissen immer noch in erster Linie a) aufgrund besonderer fachlicher Leistungen oder b) als Belohnung ausgesprochen. Die berühmte „Sozialkompetenz“, die eine ganz entscheidende Führungsqualität ist, wird zwar theoretisch viel besungen, spielt aber besonders im Mittelstand nur eine untergeordnete Rolle. Und so kommt es, dass viele Chefs Personalführung als lästige Zusatzverpflichtung betrachten, anstatt ihr meist dürftiges Führungswissen auszubauen. Wenn schon nicht aus humanitären, so doch wenigstens aus karrierestrategischen Gründen.

Hat das in den vergangenen Jahren zugenommen? Warum?

Die Forschung zum Thema „innere Kündigung“ hat schon vor langer Zeit festgestellt, dass Führungskräfte in Zeiten wirtschaftlicher Krise kollektiv dazu neigen, moderne Erkenntnisse der Personalführung als überflüssigen Schnickschnack abzutun und zu „bewährten“ autoritären Methoden zurückzukehren. Obwohl die, wie in der Fachliteratur seitenweise erklärt wird, auf direktem Wege zu Demotivation und Leistungsabfall führen.

Nun ist Ihr Buch zugleich auch eine Handlungsanweisung zum Zurückschlagen: Sie empfehlen u.a. Boykott, Sabotage, Indiskretionen und schreiben ein Plädoyer für den Guerillakrieg im Büro. Welche Strategien sind den dabei die Effektivsten?

Zunächst: Mein Buch gibt sowohl Mitarbeitern als auch Vorgesetzten einen Überblick über die gängigsten Vergeltungsmethoden und natürlich auch über die Ursachen für Rache am Arbeitsplatz – daraus können beide Seiten für sich eine Lehre ziehen…

…dennoch adressieren Sie in erster Linie an die Mitarbeiter…

Für die Mitarbeiter wird das vielleicht die sein, dass Leidensgenossen sich gelegentlich durchaus mit schlagzeilenträchtigen Aktionen wie Enthüllungen und Computersabotage zur Wehr setzen. Gleichzeitig lernen die Chefs aus meinem Buch hoffentlich, dass die spektakulären Racheakte nur die Spitze des Eisbergs sind – und dass die viel wirksamere, gefährliche Bedrohung für sie in den zahllosen kleinen giftigen Verweigerungsaktionen liegt, zu denen jeder Mitarbeiter jederzeit und völlig unauffällig in der Lage ist.

Nicht jeder ist so taff. Welche Möglichkeiten bleiben denn den sanfteren Gemütern?

Erstens: Rechtschutzversicherung abschließen, die auch bei Konflikten am Arbeitsplatz greift. Zweitens: Sich mit den Kollegen zusammentun, anstatt darauf reinzufallen, wenn der Chef gezielt Zwietracht sät. Drittens: Schikanierendes Verhalten sowie Fehlentscheidungen, Fehler und Fehltritte des Vorgesetzten wo immer möglich und am besten zu mehreren dokumentieren. Viertens: Sachlich (!) signalisieren, dass man eine öffentliche Auseinandersetzung nicht scheut, ob nun firmenintern über den Chef vom Chef oder per Anwalt. Viele Mitarbeiter machen den Fehler, dass sie zu viel zu lange runterschlucken und schlechte Chefs damit indirekt in ihrem Fehlverhalten bestätigen.

Viele Philosophen haben sich über Generation mit Rache beschäftigt. Ihr Ergebnis: Die kurzfristige Wiedergutmachung, der schnell Triumph ist allenfalls ein Pyrrhussieg.

Was die Philosophen sagen, klingt zwar weise, ist aber aus wissenschaftlicher Sicht inzwischen veraltet. Seit die Forscher Gehirnaktivitäten messen können, gibt es zahlreiche Belege dafür, dass es ausgesprochen gut tut, einen anderen für ungerechtes Verhalten zu strafen – dann wird nämlich das Belohnungszentrum im Hirn aktiv und führt zu guten Gefühlen. Außerdem haben Frankfurter Sabotageforscher erst kürzlich Belege dafür gefunden, dass Vergeltung in einem von Unrecht geprägten Betriebsklima positive Auswirkungen auf Psyche und Gesundheit dauerdrangsalierter Mitarbeiter hat. Nicht zuletzt schreckt zu erwartende Gegenwehr potenzielle Täter ab, wie sogar in einem Bestseller-Ratgeber für Manager zu lesen ist.

Mit welchen Reaktionen müssen Mitarbeiter rechnen, die zu solchen Mitteln greifen?

Die meisten Racheaktionen sind kaum nachweisbar. Selbst wer unter Verdacht gerät, kann sich oft genug mit „war ein Versehen“ oder „kann doch jedem mal passieren“ herausreden. Und selbst wenn der Täter festgestellt werden kann, kommt es nicht immer zu strafrechtlichen Konsequenzen: In sensiblen Branchen wie Banken, Versicherungswesen und Datenverarbeitung gibt es die Tendenz, einschlägige Vorfälle im Zweifel lieber unter den Tisch zu kehren, als zu riskieren, dass etwas an die Öffentlichkeit gerät, das Image lädiert und das Kundenvertrauen zerstört.

Ist das nicht ein gefährliches Spiel – insbesondere für das Betriebsklima?

Das mit Abstand gefährlichste Spiel für das Betriebsklima treiben Führungskräfte, die ihre Führungsaufgabe nur ungenügend, gar nicht oder auf kontraproduktive Weise wahrnehmen. Personalführung macht einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe aus; dafür werden sie schließlich bezahlt.

Worin liegt der Unterschied Ihrer Empfehlungen zum „Management von unten“?

„Management von unten“ funktioniert nur bei Chefs, die zwar ihre Macken haben, aber letztlich zur Selbstkritik in der Lage und lernbereit sind. Die sind aber in diesen Zeiten eher die Ausnahme. Bei den anderen – denen, die erkennbar ratgeberresistent sind – funktioniert womöglich nur das alte Erziehungsrezept: „Wer nicht hören will, muss fühlen“.