Ein Interview mit dem Journalisten und Autor Matthias Nöllke
Matthias Nöllke arbeitet für den Bayerischen Rundfunk und hat als Autor schon einige Bücher geschrieben, vergangene Woche ist sein neustes Werk über Vertrauen erschienen. Das spielt gerade im Berufsalltag eine zentrale Rolle – zwischen Unternehmen und Kunden sowie Chefs und Mitarbeitern. Im Buch klärt er die Frage, wie man Vertrauen aufbaut, wie man Misstrauen begegnet und wie man verlorenes Vertrauen zurück gewinnt. Im folgenden Interview aber auch…
Herr Nöllke, was macht Sie so sicher, dass dieses Interview tatsächlich in meinem Blog erscheint? Ich könnte es auch wegwerfen, und Sie hätten mit Zitronen gehandelt.
Oh ja, das könnten Sie tun. Doch rechne ich nicht damit. Aus einer Vielzahl von Gründen: Sie sind mir nicht unbekannt, ich kenne Ihr Blog, weiß, dass dort Interviews mit Autoren erscheinen, ich selbst habe Ihnen schon ein Interview gegeben, das nicht im Papierkorb gelandet ist. Es gibt also ermutigende Erfahrungen. Doch wichtiger ist noch etwas anderes: Wenn ich mich an Ihre Stelle versetze, ergibt es gar keinen Sinn, ein Interview mit einem Autor zu führen, um es dann im Papierkorb zu versenken. Ich vermute: Unsere Interessen gehen hier in dieselbe Richtung. Beide sind wir bestrebt, dass ein möglichst anregendes Interview in Ihrem Blog erscheint. Wenn der Text dennoch in Ihrem Papierkorb landet, dann glaube ich auch nicht an einen Vertrauensbruch. Sondern ich mache mir eher Gedanken, ob meine Antworten nicht so zündend waren. Und dann würde ich Sie wohl fragen: Herr Mai, ganz offen, woran hat es gelegen, dass der Text nicht erschienen ist?
Nun, wir werden sehen, wie sich das Gespräch entwickelt. Ist das dann eigentlich schon „Vertrauen in Notwehr“, wie Sie es in Ihrem Buch nennen?
Bei meinen Interviews und Recherchen bin ich auf dieses paradoxe Phänomen gestoßen. Es gibt Situationen, in denen haben wir fast keine Wahl: Wir müssen uns auf eine Option einlassen, obwohl wir starke Vorbehalte haben. Wir schlucken unser Misstrauen herunter, um handlungsfähig zu bleiben. Vielleicht misstrauen Sie Ihrem Arzt oder Ihrer Autowerkstatt und begeben sich trotzdem in ihre Hände. Was sollen Sie auch tun, solange keine vertrauenswürdige Alternative verfügbar ist? Echtes Vertrauen ist das nicht. Es ist auch nicht sehr belastbar. Jedoch handelt es sich nicht um Misstrauen. Denn wer misstraut, der lässt sich eben nicht auf die Sache ein. Oder er behält die Zügel in der Hand und schaut dem andern sehr genau auf die Finger. Nicht so beim Vertrauen in Notwehr. Da liefern wir uns dem andern aus. Wir verhalten uns so, als ob wir vertrauten, gehen also das Risiko ein, übervorteilt zu werden. Die Pointe ist: Derjenige, dem wir in Notwehr vertrauen, hat oftmals keine Ahnung, dass unser Vertrauen nicht so ganz echt ist. Bei unserem Gespräch ist das freilich nicht der Fall, aber ich habe den Eindruck, im Beruf ist Vertrauen in Notwehr stärker verbreitet. Unter Mitarbeitern und Vorgesetzten gleichermaßen.
Worin unterscheiden sich denn Vertrauen und, sagen wir, Vertrautheit?
Vertrauen gründet auf Vertrautheit. Wir müssen jemanden, dem wir vertrauen, einschätzen können. Wen wir nicht durchschauen, dem vertrauen wir nicht. Tiefes Vertrauen erwächst gerade dort, wo uns auch die Grenzen, die Schwächen und die Schattenseiten des andern nicht verborgen geblieben sind. Makellosigkeit erweckt gerade kein Vertrauen. Eine glatte Oberfläche zeugt nur von dem Bemühen, sich nicht durchschaubar zu machen. Wer uns hingegen über seine Schwachpunkte nicht im Unklaren lässt, der setzt ein Zeichen des Vertrauens. Er rechnet damit, dass wir dieses Wissen nicht ausnutzen. Darüber hinaus können wir jemanden, dessen Schwachpunkte uns bewusst sind, besser einschätzen. Wir wissen, was wir ihm zutrauen können – und was nicht. Und doch muss man sehen: Jemand, der sich bemüht, Vertrautheit herzustellen, der möchte in aller Regel, dass wir ihm vertrauen.
Ist das nicht ein zweischneidiges Schwert? Wer derart um Vertrauen wirbt, macht sich doch erst recht verdächtig.
Solange Ihre Vertrauenswürdigkeit nicht infrage steht, ist es in der Tat riskant, sie zu thematisieren. Sie versteht sich gewissermaßen von selbst. Zweifel werden erst laut, wenn Sie ohne Not das Thema ansprechen. Dann frage ich mich: Warum tut er das? Doch nur weil er annimmt, ich halte ihn für nicht vertrauenswürdig. So etwas macht mich misstrauisch. Der Fall liegt jedoch anders, wenn ich Ihnen mit Misstrauen und Ablehnung begegne. Dann haben Sie ja allen Grund, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Auch wenn jemand in einer Branche arbeitet, die als nicht sehr vertrauenswürdig gilt, ist es durchaus angebracht, Überzeugungsarbeit zu leisten, Referenzen und andere Vertrauensbeweise zu präsentieren.
Hat denn Vertrauen so viele Vorteile, dass es sich lohnt, es mehr Menschen zu schenken?
Ja, hat es. Sogar unschätzbar viele! Es ist „die Strategie mit der größeren Reichweite“, wie Niklas Luhmann gemeint hat. Wir erweitern unsere Handlungsmöglichkeiten ganz beträchtlich. Umgekehrt kann man sagen: Wer gar nicht mehr vertraut, ist ein Fall für die Psychiatrie. Auf den beruflichen Alltag bezogen: Vertrauen entlastet. Sie müssen sich nicht um alles selbst kümmern. Vertrauen stärkt unsere Leistungsfähigkeit: Wem vertraut wird, der traut sich selbst mehr zu. Und schließlich verbindet Vertrauen. Wenn Ihnen Vertrauen geschenkt wird, fühlen Sie sich zugehörig. Allerdings lässt sich Vertrauen leider auch missbrauchen. Man kann uns hereinlegen, ausnutzen, ruinieren. Dabei wird der materielle Schaden in der Regel übertroffen von der seelischen Belastung, die so ein Vertrauensmissbrauch mit sich bringt. Wir verlieren buchstäblich den Boden unter den Füßen, finden uns nicht mehr zurecht, wenn wir nicht wissen, wem wir noch vertrauen sollen. Es dauert eine ganze Weile, ehe wir wieder Vertrauen fassen können. Und darunter leiden auch diejenigen, die eigentlich unser Vertrauen verdient hätten.
Beruht Vertrauen denn nicht immer auf Gegenseitigkeit?
Nein, nicht immer. Zwar beruhen Vertrauensverhältnisse oftmals auf Gegenseitigkeit, sie müssen es aber keineswegs. Es gibt durchaus sehr einseitige Vertrauensverhältnisse, gerade im Berufsleben. Gehören beide Seiten unterschiedlichen Hierarchieebenen an, dürfte das sogar die Regel sein. Etwa wenn eine Führungskraft die Sekretärin ins Vertrauen zieht, wird die sich hüten, ihrerseits auszupacken.
Lassen Sie mich anders fragen: Beruht Vertrauen also nicht auf einer Art Gegengeschäft?
Vertrauen ist immer eingebettet in soziale Austauschbeziehungen, wie sie der amerikanische Soziologe Peter Blau schon in den Sechzigerjahren beschrieben hat. Mit andern Worten: Sie müssen etwas zu bieten haben, damit ich Ihnen vertraue. Aber auch für Sie muss sich die Sache lohnen. Was wir jeweils einbringen, kann sehr unterschiedlich sein: materielle Vorteile, Leistungen, Informationen, Anerkennung, menschliche Wärme, ja sogar Unterwürfigkeit kann ins Spiel kommen, wenn sie auch einen vergleichsweise niedrigen Tauschwert hat. In der Konsequenz heißt das aber auch: Sie können sich nicht immer aussuchen, wem Sie überhaupt vertrauen dürfen.
Gibt es einen Weg, vertrauenswürdiger zu werden?
Das hängt von Ihrem Gegenüber ab und von der Angelegenheit, um die es geht. Nehmen wir an, es handelt sich um eine Sache von einigem Gewicht. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Sie bauen ganz allmählich ein Vertrauensverhältnis auf. Sie beginnen mit kleinen Projekten. Bewähren Sie sich, bin ich bereit, Ihnen mehr Vertrauen zu schenken. Diese Methode ist außerordentlich gut geeignet, Vertrauen aufzubauen. Methode Nummer zwei besteht im Aufbau von Reputation. Gelte ich bei anderen als vertrauenswürdig, sind auch Sie bereit, mir zu vertrauen. Vor allem wenn Sie diejenigen, die mir vertrauen, gleichfalls für vertrauenswürdig halten.
Ich nehme an, es gibt bei all den Methoden, die Sie recherchiert haben auch fiese Tricks…
…selbstverständlich gibt es die. Sogar in Hülle und Fülle. Eine besonders abgefeimte Methode besteht darin, den andern emotional zu verstricken, um ihn dann regelrecht auszuplündern. Es fängt recht harmlos an: Sie werden dazu gebracht, dem andern eine kleine Portion Vertrauen zu schenken – und werden nicht enttäuscht. Doch ist dies nur der Köder, den Sie schlucken sollten. Im Folgenden werden Sie dazu gebracht, Ihren Einsatz in schwindelerregende Höhen zu treiben. Sie müssen mehr und mehr investieren, um der Sache noch zum Erfolg zu verhelfen. Ab einer bestimmten Grenze setzt Ihr Sinn für die Realität aus: Sie dürfen einfach nicht enttäuscht werden. Daher tun Sie alles, um die Illusion aufrechtzuerhalten, der andere habe das Vertrauen verdient, das Sie ihm entgegengebracht haben.
Eine typische Masche von Trickbetrügern. Trittbrettfahren in Sachen Vertrauen bringt aber häufig Vorteile.
Nur wenn es sich um eine einmalige Angelegenheit handelt oder Sie anonym bleiben können. In solchen Fällen wird tatsächlich am häufigsten Vertrauen enttäuscht. Trittbrettfahren lohnt sich, der Ehrliche ist der Dumme. Die Situation ändert sich aber grundlegend, wenn das Gesetz des Wiedersehens gilt und ich weiß, wer mich da hereingelegt hat. Dann kann ich dafür sorgen, dass sich die Sache herumspricht und nicht noch andere auf Sie hereinfallen. Wie Laborexperimente gezeigt haben, sind Menschen außerordentlich interessiert daran, dass Trittbrettfahrer nicht davonkommen, sondern bestraft werden. Auch wenn sie persönlich zunächst keinen Vorteil davon haben.
Angenommen, man hat dieses Vertrauen verspielt: Wie gewinnt man es zurück?
Ich sehe da drei Möglichkeiten, die sich sogar ergänzen können: Man setzt einen klaren Neuanfang. Für den andern muss deutlich werden, dass sich etwas Entscheidendes geändert hat. Unternehmen können etwa Vertrauen zurückgewinnen, indem sie sich von denen trennen, die den Vertrauensbruch zu verantworten hatten. Das deutlichste Zeichen ist natürlich, wenn die Führungsspitze ausgewechselt wird. Denn Vertrauen und Misstrauen machen sich immer an Personen fest. Außerdem dokumentieren Sie so, dass Sie den Vertrauensbruch nicht billigen. Die zweite Option: Bauen Sie Verständnisbrücken auf. Und zwar von zwei Seiten. Einmal müssen Sie zeigen, dass Sie verstanden haben, was Sie mit Ihrem Vertrauensbruch angerichtet haben. Wer bagatellisiert, findet kein neues Vertrauen. Zum andern aber müssen Sie auch erklären, wie es zu dem Vertrauensbruch gekommen ist. Das bedeutet gerade nicht, dass Sie ihn entschuldigen, aber es muss begreiflich werden, wie es geschehen konnte – und weshalb es künftig nicht mehr geschieht. Drittens: Sie lassen die Zeit für sich arbeiten. Sie üben sich in Geduld und drängen den andern nicht, wieder mit Ihnen ins Geschäft zu kommen. Stattdessen warten Sie ab und lassen erkennen, dass Sie sich geändert haben. Gar nicht so selten bekommen Sie dann noch einmal eine zweite Chance. Und die sollten Sie nutzen.
Ich danke für das vertrauensvolle Gespräch – das hiermit im Blog erschienen ist.
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