Ein Interview mit dem Schweizer Reputationsforscher Mark Eisenegger

Eisenegger ist Soziologe und Leiter der Bereiche Issues Monitoring und Reputationsanalytik am fög (Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft) der Universität Zürich sowie Vorstandsmitglied des European Centre for Reputation Studies (ECRS) mit Sitz in München und Zürich. Er wurde jüngst für seine Arbeit „Reputation in der Mediengesellschaft“ mit einem internationalen Kommunikationspreis ausgezeichnet.

Herr Eisenegger, wozu ist Reputation überhaupt gut?

Der Ruf spielt im alltäglichen Leben eine absolut bestimmende Rolle. Das lässt sich schon an einfachen Beispielen belegen. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf der Suche nach einem gediegenen Restaurant, um ihre Angebetete zu beeindrucken. Wenn Sie sich nicht auf Erfahrungen stützen können, müssen Sie sich zwangsläufig auf die Empfehlung Dritter verlassen. Solche Empfehlungen sind nichts anderes als Reputationsurteile, von denen wir uns leiten lassen – auch weil sie Zeit sparen. Egal, ob Sie sich für einen Anwalt entscheiden, für eine Bank, die Schule Ihrer Kinder oder welchem Politiker Sie Ihre Stimme geben, immer spielen Reputationsurteile dabei eine zentrale, wenn nicht die ausschlaggebende Rolle. Reputation legitimiert darüber hinaus aber auch Macht und Statuspositionen: Tagtäglich werden wir Zeuge davon, dass Politiker oder Manager ihren Hut nehmen müssen, weil ihr Ruf ramponiert ist. Und weil die Medien mittlerweile sehr erfolgreich darin sind, die Reputation von Akteuren mit einem hohen Status kritisch zu hinterfragen, bestimmen sie immer mehr mit, welche Top-Manager bleiben und welche gehen. Macht, die sich nicht mit Mitteln der Gewalt und Repression absichern lässt, muss also zunehmend durch eine adäquate Reputation verdient werden. Damit vollbringt Reputation gleichzeitig ein soziales Wunder: Sie rechtfertigt gesellschaftliche Ungleichheit. Dass die einen viel und die anderen wenig Macht und Einfluss besitzen, wird gesellschaftlich so lange akzeptiert, wie die Bessergestellten über eine intakte Reputation verfügen. Damit hält Reputationsstreben zugleich unsere Gesellschaft zusammen. Denn nur derjenige kann sie erwerben, der die gesellschaftlich gesetzten Ziele und Werte erfüllt.

Das erklärt, warum für Mächtige ein guter Ruf entscheidend ist. Aber hat er dieselbe Bedeutung auch für Otto Normal?

Reputation ist die wichtigste Voraussetzung für Statuszuwachs. Deshalb streben auch so viele Menschen nach Bildungszertifikaten, wie renommierten Schul- oder Hochschulabschlüssen. Diese Zertifikate sind nichts anderes als Reputationsproben, die sich gegen Karrierechancen eintauschen lassen. Reputation ist in der modernen Gesellschaft also unverzichtbare Voraussetzung für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg. Allerdings hat deren Verletzlichkeit massiv zugenommen: Allein durch das Internet werden viele Lebensläufe und Leistungsbiografien transparenter. Internetportale und Blogs, die etwa Hochschulprofessoren durch Studierende oder öffentliche Personen bewerten, sind nur ein Beispiel dafür. Damit wird das Spitzenpersonal aber zugleich einem gesellschaftlichen Dauertest ausgesetzt, den nur wenige dauerhaft bestehen können.

Was prägt den Ruf entscheidend?

Reputation setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Erstens muss derjenige entsprechende Kompetenz und damit verbundene Erfolge unter Beweis stellen. Diese so genannte funktionale Reputation misst sich in der Wirtschaft beispielsweise daran, wie profitabel das Unternehmen, eine Abteilung oder der Einzelne wirtschaftet. Zweitens muss sich der Reputationsträger in der sozialen Welt bewähren. Entscheidend ist also, ob er gesellschaftliche Normen und Werte einhält. Das ist die sogenannte soziale Reputation. Drittens braucht jeder Akteur aber auch eine sogenannte expressive Reputation. Entscheidend ist hierbei die Frage, wie einzigartig jemand ist und welche emotionale Attraktivität und Faszinationskraft von ihm ausgeht. Unsere Studien zeigen, dass zwar alle drei Reputationsdimensionen essenziell sind, die dritte jedoch den größten Wert besitzt. Nur damit gelingt, relevante Zielgruppen zu mobilisieren oder langfristig an sich zu binden.

Wie lässt sich dann ein guter Ruf aufbauen?

Kurz gesagt, indem Sie funktionale und soziale Erwartungen erfüllen, ohne dabei der eigenen Identität untreu zu werden – und dies relativ besser als die direkten Konkurrenten.

Und die lange Version?

Die Sozialreputation ist ein Minenfeld. In der Mediengesellschaft ist sie der größte Risikofaktor. Denn moralisches Fehlverhalten anzuprangern erzeugt mehr Aufmerksamkeit und Schlagzeilen als sozialverantwortliches Handeln zu würdigen. Deshalb sollten sich vor allem Unternehmen auf ihre funktionale Wirtschaftsreputation konzentrieren und im Bereich der Sozialreputation die gesellschaftlichen Standards einhalten – jedoch ohne dieses soziale Engagement zu sehr an die große Glocke zu hängen. Glaubwürdiges soziales Engagement baut auf die Tat, nicht auf das Wort. Firmen, die sich in ihrer Außenkommunikation allzu moralisch geben, schüren Misstrauen und animieren die Medien, kleinste Vergehen sofort zu skandalisieren. Aber auch zu starke Personalisierung schadet: Je stärker die Reputation des Unternehmens am Unternehmer oder CEO festgemacht wird, desto verletzlicher ist sie. Die Verantwortung für ein Fehlverhalten einem abstrakten Gebilde zuzuweisen, ist schwer. Eine bekannte Person lässt sich dagegen wunderbar plakativ an den Pranger stellen. Zudem beeinträchtigt eine zu starke Personalisierung die Motivation der Mitarbeiter: Wird das Unternehmen zentral über die Führungsspitze wahrgenommen, muss es die Reputation mit jedem Führungswechsel neu aufbauen. Das ist teuer. Viele Unternehmen haben das in der Vergangenheit klar unterschätzt: Sie haben eher eine Art Starkult betrieben und damit einen langfristigen Reputationsaufbau behindert.

Der Starkult erzeugt aber auch mehr Aufmerksamkeit und damit Faszination, was ja offenbar den größten Reputationswert besitzt.

Große Firmen werden zwar mehr beachtet, tragen dafür aber auch das höhere Reputationsrisiko, denn sie stehen umso mehr in der Verantwortung, erfolgreich und sozialkonform zu agieren. Der Effekt wirkt umso stärker, je marktbeherrschender die Stellung eines Unternehmens ist: McDonald’s und nicht Burger King ist das vorrangige Angriffsziel der Anti-Globalisierungsbewegung; Microsoft und nicht Apple ist die bevorzugte Zielscheibe der Hacker-Szene. Zumindest aus Reputationssicht ist es nicht unbedingt ein Nachteil, die Nummer zwei im Markt zu sein. Gleichzeitig sollte das Reputationsmanagement von Konzernen nicht primär nach Beliebtheit streben oder versuchen, besonders sympathisch zu erscheinen. Wirkungsvoller ist, Respekt und Vertrauen in die bisherige und künftige Leistungsfähigkeit aufzubauen und zu erhalten.

Was aber wenn Ruf und Image beschädigt sind? Lässt sich das schnell und langfristig reparieren?

Das hängt davon ab, welcher Teil der Reputation beschädigt ist. Wenn es um Kompetenz, also die funktionale Reputation geht, lässt sich schnell korrigieren, indem sich entsprechende Erfolge wieder einstellen. Moralische Defizite prägen den Ruf nachhaltiger und lassen sich meist nur unter Anwendung radikaler Maßnahmen – wie etwa einem öffentlichen Schuldeingeständnis – ausgleichen.
Weil Reputation vom Zuspruch Dritter lebt, lässt sich ein solcher Imageschaden zudem oft nur dann korrigieren, wenn dem Gescholtenen von glaubwürdigen Akteuren öffentlich der Rücken gestärkt wird. Je besser somit das Netzwerk, in das der Reputationsträger eingebettet ist, desto einfacher lassen sich Reputationsmängel beheben.

Welche Rolle spielen dabei die Medien und wie muss man sie nutzen?

Erst wenn sich auch unbekannte Dritte ein Bild über den Prestigeträger machen, kann Reputation entstehen. Und genau solche Bekanntheit verschaffen Medien wie keine andere Instanz. Die Bedeutung der Medien hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten allerdings sprunghaft erhöht. Stakeholder etwa nehmen Unternehmen immer ausschließlicher über die Medien wahr, und Autoritäten wie Wirtschaftsexperten und Ratingagenturen geben ihre Einschätzungen heute gezielt über einflussreiche Medienkanäle ab. Ausschlaggebend ist jedoch, dass das moderne Mediensystem den Profit am Skandal kultiviert und so für einen markanten Aufstieg aufregender Meldungen und Verlautbarungen sorgt. Nicht erst seit den großen Bilanzfälschungsskandalen und den Abzocker-Geschichten gehören radikale moralische Urteile zum Grundarsenal gegenwärtiger Medienkommunikation. Dadurch sind Unternehmen heute viel höheren Reputationsrisiken ausgesetzt. Unsere Forschung zeichnet denn auch wesentlich kürzere Zyklen des guten Rufs nach als früher. Erfolgreiche, mediengerichtete Reputationspflege bedeutet deshalb auch, die eigene Medienpräsenz sparsam zu dosieren. Publizität um jeden Preis – zum Beispiel in Form von sogenannten Homestories – schadet und erhöht nur die Angriffsflächen.