Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Erstmals gebloggt im Oktober 2007

Ich mache heute ein kleines sonntägliches Experiment: ein Blogeintrag im Briefstil als direkte Antwort auf das gelesene Buch. Eine Bekannte brachte mich auf diese Idee, ich bin neugierig, was herauskommen wird. Damit alle wissen, worum es geht (denn bei einem Brief an den Autor kann ich ja voraussetzen, dass er das Buch kennt – obwohl, SO sicher bin ich mir nach der Lektüre nicht), die Links vorweg: Wie Nichtleser belesen wirken können
Mut zur Lücke entwickeln
Anleitung zum Illiteratentum
Der große Bluff

Cher Monsieur Bayard,

ich habe Ihr Buch gelesen. Tatsächlich. Hätte ich es nicht tun sollen? Bin ich jetzt beeinflusst, zu wenig distanziert, um etwas darüber sagen zu können, fehlt mir die Kreativität? Oder habe ich mir aufgrund der Lektüre eine Meinung gebildet, die ich jetzt öffentlich zur Diskussion stelle?

Ich könnte ohne weiteres auch ohne das ganze Buch gelesen zu haben etwas dazu sagen – es gibt genug Rezensionen, und auch die habe ich mir angeschaut. Ich habe sogar Sie in einem Fernsehbeitrag gesehen. Nur eines fehlte mir noch zur Meinungsbildung: das Lesen des Grundtextes.

Sie äußern sich sehr eloquent über das Nichtlesen, Sie bringen sehr viele Beispiele aus der Literatur. Wie weit Ihnen zu trauen ist – ich weiß es nicht. Ich habe nicht alle der zitierten Bücher gelesen, ich kann daher nicht beurteilen, wie oft Sie Ihre Leser an der Nase herumführten. Manchmal waren Sie schon etwas sehr kreativ bei den Nacherzählungen, nicht wahr?

Selbstverständlich ist Ihre These, dass man nicht alle Bücher lesen kann, richtig. Es stimmt sogar, dass, egal wie viel Lebenszeit man mit Lesen verbringt, die Anzahl der nichtgelesenen Bücher immer, immer, immer extrem viel höher sein wird als die der gelesenen Bücher. Man muss wählen, eine Auswahl treffen mit dem Risiko das sie "falsch" ist. "Falsch" im Sinne von: Lesezeit für Langweiliges, Uninteressantes zu verschwenden anstatt sich glänzend zu unterhalten oder neue Gedanken zu entdecken. Aber gleich zum Nichtleser werden? Warum das? Lesen ist Vergnügen, ist wunderbar, ist eine Beschäftigung, der ich gerne nachgehe. Und darüber verlieren Sie keinen Satz, kein einziges Wort: dass Lesen einfach Freude macht, kommt in Ihrem Buch nicht vor. Sie schreiben ausschließlich über jene bei denen das nicht der Fall ist. Schade, da haben Sie aufgrund des geschickt gewählten Titels die Blender angezogen, und dann verschenken Sie diese Gelegenheit.

Wenn Ihnen Ihr Beruf keine Freude bereitet, wenn es darum geht, der Lektüre auszuweichen anstatt sich Ihr hinzugeben: warum suchen Sie sich keinen anderen? Sie werden es nicht glauben, aber es gibt Menschen, die lesen nicht weil man mit Gesprächen über Literatur auf einer Party eine gute Figur machen kann, sondern weil sie es gerne tun, weil die Geschichten interessant sind, weil neue Denkweisen spannend sind.

Wozu soll ich ein Buch in der "kollektiven Bibliothek" einordnen können? Um eine Auswahl zu treffen, für welche Lektüre ich mich letztendlich entscheide. Das Einordnen ist kein Selbstzweck wie von Ihnen dargestellt.

Warum soll ich Sekundärliteratur zu Rate ziehen, Rezensionen lesen, Meinungen ÜBER das Buch erfahren wenn nicht mit dem Ziel, Entscheidungsgrundlagen zu haben? All diese Meinungen sind doch bereits gefiltert durch die Person, die sie mir zur Verfügung stellt. Ich will kein Meinungsverwerter sein dem die entscheidende Grundlage des eigenen Lesens fehlt.

Warum soll man behaupten, ein Buch gelesen zu haben, wenn der Satz: "Das habe ich nicht gelesen" so einfach ist und nur eine Spur Selbstbewusstsein erfordert? Zum Blenden braucht es doch auch eine gesunde Portion Selbstbewusstsein!

Sie haben schon Recht, man muss sich nicht schämen, etwas nicht gelesen zu haben, egal, was die anderen dazu sagen. Niemand muss lesen. Aber damit irgendjemand über Nichtgelesenes reden kann, damit die "kollektive" oder "virtuelle", oder wie auch immer Sie das zu nennen belieben, Bibliothek entsteht, muss jemand mit dem Lesen beginnen und seine Meinung äußern. Ohne das sind die Nichtleser, die über Bücher reden wollen, verloren.

Man kann auch ruhig über Nichtgelesenes plaudern und vergnügt Sprechblasen produzieren. Den Sinn dahinter kann ich nicht erkennen, aber wenn es so viel Spass macht wie die Lektüre selbst, warum nicht. Man kann nur hoffen, nicht auf einen echten Leser zu treffen. Der hat am Ende eine eigene, noch nicht veröffentlichte Meinung, und kann sie sogar belegen.

Ihre Leserin

 

5 Gedanken zu “Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

  1. leselustfrust schreibt:

    Hmmm. Was für ein Sinn? Diskutier mal mit jemanden über ein Buch, dass du gelesen hast und der andere nicht. Völlig absurd.

    Bayard jetzt zu unterstellen, dass das Buch eigentlich eine Leseverführung sein sollte, halte ich aber für eine zu weite Interpretation.

  2. War nur ein Hinweis auf das Buch und weder eine Unterstellung noch eine Interpretation und selbstverständlich rede ich nur über das, was ich weiß, also was ich über das Buch gehört habe, über andere Bücher des Autors, die ich schon gelesen habe, ich war oft z.B. nur auf der Lesung oder habe, wie in diesem Fall, der zu der Zitierung führte, die Leseprobe gelesen und dann sag ich was dazu, wenn mir der andere darauf antwortet, ergibt sich eine Diskussion und wenn der das Buch gelesen hat, wirds vielleicht interessant, so absurd ist das also nicht, weil man ja über das Buch mehr erfährt

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