Thomas Glavinic: Das Leben der Wünsche

Zum Autor:
Thomas Glavinic wurde 1972 in Graz geboren und lebt inzwischen mit Frau und Kind in Wien. Vor seiner schriftstellerischen Karriere arbeitete Glavinic ua als Werbetexter und Taxifahrer, als Schüler spielte er auch Schach auf einem Niveau, dass er auf Platz zwei (in seiner Altersklasse) der österreichischen Schachrangliste aufschien.

Sein Debutroman „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ erschien 1998. Die Geschichte, die auf dem Leben des österreichischen Schach-Großmeisters Karl Schlechter basiert, ist lesenswert, bemerkenswert sind allerdings die biographischen Angaben zum Autor im Klappentext: „“ernährte sich von 1985 bis 1989 ausschließlich von ‚Kinderschokolade Zigeunerrädchen und Cola'“; „nahm 1986, ‚gleichwohl der Kinderpsychiatrie entgehend‘, Kurt Waldheim in Schutz“. Das fasziniert mich noch immer.

2000 erschien „Herr Susi“ (ein Roman über Fußball, nicht weiter erwähnenswert), 2001 „Der Kameramörder“ (ein Krimi), 2004 „Wie man leben soll“(eine Satire, durchgehend im „man“-Stil verfasst), 2006 „Die Arbeit der Nacht“ (ein düsterer Roman über Jonas, der sich plötzlich allein auf der Erde wieder findet) und 2007 „Das bin doch ich“ (wieder satirisch, diesmal über den Literaturbetrieb). Wer Glavinic noch nicht kennt, dem empfehle ich schon an dieser Stelle, die Bücher in der Reihenfolge des Erscheinens zu lesen um die Entwicklung dieses Schriftstellers, seine thematische und stilistische Vielfalt, gut nach verfolgen zu können.

Inhalt:
Jonas, 35, wenig ambitionierter Werbetexter, verheiratet mit Helen, zwei kleine, geliebte Söhne und außerdem die heimliche Geliebte Marie, bekommt von einem zwielichtigen Mann die Erfüllung von drei Wünschen angeboten. Zunächst ungläubig, beginnt er zu überlegen:

„Ich könnte mir wünschen zu erfahren, ob das Leben einen Sinn hat. Nicht? Oder ob Sterben einen Sinn hat.“ (…) „Ich hätte gern mehr über den Tod gewusst, ehe ich sterbe.“ (..) „Ich hätte vielleicht gern gewusst, wie es ist, knapp davonzukommen. Um ein Haar an großem Unheil vorbeizuschlittern, verstehen Sie?“ (…) „Weniger träge zu sein. Mehr zu unternehmen. Mich aufraffen zu können. Aktiver zu sein, neugieriger, lebendiger. Neues auszuprobieren!“ (…) „Ich könnte mir wünschen, mein Verhältnis zu den Menschen zu verstehen, richtig? Größe könnte ich mir in mein Leben wünschen, Dramatik und Besonderheit. Ich könnte mir wünschen, ein anderer zu sein, ein reicher Erbe, der… Ich könnte mir einen sinnvollen Tod wünschen, damit er besser zu ertragen ist. Ich könnte mir wünschen, einen Feind – den ich nicht habe – töten zu lassen (…).“
Allerdings schließt Jonas diese Überlegungen damit ab: „ich wünsche das alles nicht. Ich wünsche mir: mehr Wünsche. Ich wünsche mir, dass sich alle meine Wünsche erfüllen.“

Der Fremde stimmt dem zu. Von da an verändert sich Jonas’ Leben. Er erlebt mit, wie eine Tankstelle überfallen wird und wie ein Mensch direkt vor ihm von einem Lastwagen angefahren wird. Helen stirbt plötzlich, und es stellt sich heraus, dass auch sie einen Geliebten hatte – der auf grausame Weise zu Tode kommt. Marie verlässt ihren Mann, dieser geht in ein Kriegsgebiet. Nachts kann er nicht schlafen, bei seinen Streifzügen passieren eigenartige Dinge. Eines Nachts wird die Stadt von Wassermassen geflutet, morgens sind nur noch kleine Überbleibsel zu sehen. Jonas’ Aktien steigen, seine Vertraute und Exfreundin Anne, die Krebs hat, gesundet plötzlich, usw.
Manches von diesen Erlebnissen ist sehr surreal, Jonas findet sich ua im Weltall wieder, anderes nur außergewöhnlich. Ob Jonas sich zumindest einen Teil davon nicht nur einbildet, bleibt offen. So wie nicht alles abgeschlossen wird – was passiert zB mit dem Meteoriten?

Am Ende brechen Jonas und Marie zu einer Reise ans Meer auf (ich halte es eher für verschwimmende Zeit als für einen Fehler des Autors, dass hier die zeitliche Abfolge nicht ganz stimmt) und werden von einer Flut verschlungen.

„Das Leben der Wünsche“ steht „Der Arbeit der Nacht“ sehr nahe. Wieder heißt der Protagonist Jonas (auch weitere kleinere Details stimmen überein, wie zB der Name der Geliebten Marie), wieder herrscht eine sehr düstere, beklemmende Atmosphäre. Die Verbindung zwischen beiden Romanen ist einerseits deutlich erkennbar, andererseits schwer fassbar. Als hätte der Autor seiner einsamen Figur ein zweites, alternatives Leben geschenkt. Leider war gerade „Die Arbeit der Nacht“ dasjenige seiner Bücher mit dem ich am wenigsten anfangen konnte. Ich mochte diese Stimmung einfach nicht, was aber nichts über die Qualität aussagt. „Das Leben der Wünsche“ ist allerdings um vieles leichter lesbar, es ist eines der Bücher, die ich in kürzester Zeit verschlungen habe – trotz Zurückblätterns um die Schlüsselszene am Anfang mehrmals zu lesen.

Dieses Buch steht vielfältiger Interpretation offen, dennoch störe ich mich nach wie vor an dem Satz „Das alles wünsche ich mir nicht.“ All die erfüllten, nicht wirklich eingestandenen dunklen Wünsche Jonas’ beziehen sich auf die Aufzählung am Anfang. Aber Jonas hat diese Überlegungen eben damit abgeschlossen, dass er sich diese Dinge nicht wünscht. Allerdings kennt man das aus jedem Märchen, dass die Wunscherfüllung eine gefährliche Sache ist. Ein nicht klar definierter Handel ist der übliche Stolperstein, genau das passiert Jonas.

Die Sprache ist knapp, aber klar. Störend fand ich lediglich, dass ein österreichischer Autor Worte wie „Wurstbude“ benutzt.
Anführungszeichen bei der direkten Rede werden weggelassen, gelegentlich auch Chats und SMS samt der nicht immer korrekten Groß- und Kleinschreibung eingebaut. Mit Personenbeschreibungen hält sich der Autor nicht auf, hier bleibt er konsequent beim Erzählen aus der Sichtweise Jonas’ (und der weiß ja, wie die Menschen um ihn herum sind und in welcher Beziehung sie zu ihm stehen). Eine personale Erzählsituation in der dritten Person, wohl nicht zufällig die Erzählweise Kafkas.

Fazit: Ein düsteres Buch mit vielen Interpretationsmöglichkeiten, das sicher mit mehrmaligen Lesen noch mehr gewinnt. Beim erstmaligen Lesen habe ich noch nicht alle Anspielungen und Möglichkeiten verstanden, aber es beschäftigt mich noch. Nur eines ist sicher: auch wenn es um Wünsche geht, mit einem Märchen darf man nicht rechnen.

3 Gedanken zu “Thomas Glavinic: Das Leben der Wünsche

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Google Foto

Du kommentierst mit Deinem Google-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s