Die Liebeshandlung – Jeffrey Eugenides

Books | Posted 27/11/2011 | Autoren, Belletristik, Orell Füssli | 1 Ein Kommentar »

Lange hat es gedauert, bis der Nachfolger des Bestsellers «middlesex» in die Läden kam. Doch das Warten hat sich gelohnt: Jeffrey Eugenides’ neuer Roman «Die Liebeshandlung» wird alle seine alten Fans zufriedenstellen – und ihm mit Sicherheit viele neuen Leserinnen und Leser bescheren…

Text: Erik Brühlmann
Fans von Jeffrey Eugenides brauchen Geduld. Während andere Schriftsteller in einem Jahrzehnt fünf, sechs oder mehr Bücher veröffentlichen, vergehen zwischen zwei Eugenides-Romanen im Schnitt neun Jahre. So gesehen erscheint sein neues Werk «Die Liebeshandlung» pünktlich – neun Jahre nach dem mit dem Pulitzer-Preis gekrönten Epos «Middlesex».

Aus zwei mach eins
Dass es «Die Liebeshandlung» überhaupt in die Regale der Buchläden geschafft hat, ist eigentlich ein Zufall. «Nach ‹Middlesex› arbeitete ich zwei Jahre lang an einem anderen Roman», gestand der in Detroit geborene Schriftsteller im Mai dieses Jahres an einem Podiumsgespräch an der Book Expo America. Irgendwann habe er die Hintergrundgeschichte einer Nebenfigur namens Madeleine geschrieben und einfach nicht mehr damit aufhören können. Plötzlich sei ihm klar geworden, dass Madeleine das Potenzial für einen eigenen Roman habe. «Danach war es wie bei der Operation von siamesischen Zwillingen: Ich versuchte, die beiden Geschichten voneinander zu trennen und in beiden genügend lebenswichtige Organe zu belassen, damit sie überleben.» Im Fall von Madeleine und «Die Liebeshandlung» ist die Operation gelungen. Das andere Manuskript verschwand in der Schublade.

Es musste etwas anderes sein
Dass der Nachfolger von «Middlesex» keine weitere Familiensaga werden würde, war dem 51-Jährigen zu diesem Zeitpunkt längst klar. «Nach ‹Middlesex› hatte ich genug von dieser Art Geschichten und wollte einfach etwas ganz anderes machen», so der Schriftsteller. Also machte er sich auf, mit seiner zur Hauptfigur beförderten Madeleine die Gefilde der Liebe und des marriage plot – so auch der Titel des englischen Originals – zu erkunden. «Der marriage plot war die Grundlage vieler grosser Romane des 19. Jahrhunderts», erklärte der studierte Anglist am Podiumsgespräch. In Romanen wie Jane Austens «Mansfield Park» oder Leo Tolstois «Anna Karenina» ging es um Liebe, Heirat und Moral – der Stoff, aus dem emotionale Geschichten gestrickt sind. «Mir war schnell klar, dass mein Unterfangen nicht einfach werden würde, denn meine Geschichte sollte nicht 1816, sondern in den 1980er-Jahren spielen.» Im 19. Jahrhundert konnte eine Frau durch eine Heirat gesellschaftlich aufsteigen, eine Scheidung bedeutete hingegen ihren persönlichen Ruin; das bot hervorragenden Stoff für Romane. Moderne Entwicklungen wie Eheverträge beerdigten dagegen die Geschichten mit einem klassischen marriage plot als Grundlage. «Trotzdem wollte ich versuchen, eine solche Geschichte vor modernem Hintergrund zu schreiben.»

Eine Geschichte der unzähligen Ebenen
Aber keine Angst: Natürlich verbrachte der Pulitzerpreisträger nicht so viele Jahre damit, eine simple Liebesgeschichte zu schreiben – auch wenn «Die Liebeshandlung» durchaus als eine Dreiecksgeschichte zwischen Madeleine und ihren Verehrern, dem hoffnungslos verliebten Mitchell und dem manisch-depressiven Leonard, gelesen werden kann. Ebenso gut geht der Roman auch als eine witzige, teilweise freche College-Geschichte durch; oder als philosophische Betrachtung des Themas Liebe; oder als Tour de Force durch die Klassiker der Marriage-plot-Literatur; oder als Kaleidoskop der Liebe in all ihren Ausprägungen: körperlich, geistig, romantisch, religiös, erfüllt und unerfüllt. Kurzum: Jeffrey Eugenides hat die Jahre des Schreibens dazu genutzt, eine Geschichte zu erschaffen, die an Vielschichtigkeit kaum mehr zu überbieten ist und zu mehrfachem Lesen auffordert.

Der Autor in seinem Buch
Nach «Middlesex», der Geschichte eines Hermaphroditen, habe er beschlossen, keine Fragen mehr nach autobiografischen Elementen in seinen Romanen zu beantworten, erklärte Jeffrey Eugenides an der Book Expo America lachend. Er wird sich allerdings darauf einstellen müssen, dass ihm solche Fragen wieder gestellt werden. Es glaubt ja wohl kein neugieriger Journalist an einen Zufall, dass «Die Liebeshand- lung» unter anderem am College der Brown University 1982 spielt – also genau an dem Institut, an dem der Autor ein Jahr später selbst seinen Abschluss machte. Autobiografisch angehaucht dürfte auch sein, dass Mitchell, ein Student der Religionswissenschaften, nach dem Universitäts-Abschluss nach Indien reist, um mit Mutter Teresa zu arbeiten; dasselbe tat auch Jeffrey Eugenides. Der Schriftsteller sieht sich selbst zwar nicht als einen autobiografischen Autoren – «es verwirrt mich immer, wenn ich über mich selbst schreibe» –, gestand aber in einem Interview: «Ich benutze Episoden aus meinem Leben, damit meine Geschichten real erscheinen.»

Und die Moral von der Geschicht’ …
«Die Liebeshandlung» ist ein wenig wie das wahre Leben: Die Schönheit des Buchs liegt im Auge des jeweiligen Betrachters. Jede Leserin und jeder Leser wird etwas anderes aus der Geschichte mitnehmen, vielleicht auch etwas über die Liebe oder zumindest die Liebesliteratur lernen. Die Erkenntnisse des Schriftstellers selbst sind naturgemäss etwas distanzierterer Natur: dass es auch in unserer modernen, zuweilen kühlen und berechnenden Zeit möglich ist, eine Geschichte mit einem funktionierenden marriage plot zu schreiben. «Ich kam zu dem Schluss, dass der marriage plot in der heutigen Zeit immer noch in unseren Köpfen abläuft», stellt er fest. «Er ist die Idee der idealisierten Romanze, die wir alle haben. Wir alle sind aufgewachsen mit Erwartungen und Vorstellungen, wie man die perfekte Liebe findet. Wir haben diese Vorstellungen aus Filmen und Büchern. Und auf dieser Grundlage funktioniert der marriage plot auch heute noch.»

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Titel:
Die Liebeshandlung

ISBN-13:
9783498016746

Autor:
Jeffrey Eugenides

Verlag:
Rowohlt

One Comment

  1. Jeffrey Eugenides – Middelsex und Die Liebeshandlung « über das lesen und schreiben says:

    [...] bei Das Lesen ist schön – sehr ausführlich, oder auch bei Lettra. Beide Rezensionen sind so gut geschrieben und sagen eigentlich alles, so das ich nicht mehr viel [...]

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