Geboren 1941 in Tulbing, NÖ. Matura in Tulln. Fachschule für Wirtschaftswerbung in Wien. Dort auch Studium der Germanistik und Geschichte. Redakteur (1970 bis 1995 der literarischen Zeitschrift WESPENNEST) und Herausgeber (1972 bis 1974 der literarischen Zeitschrift AHA). Seit 1975 8 Bücher (2 Romane, 5 Lyrikbände), 3 Hörspiele, 3 Filmdrehbücher. 1986-1996 auch als „Bildner & Realisator“ tätig (Installationen mit Malereien, skulpturalen Arbeiten; Foto-Installationen; synergetische Projekte; Video-Projekte). Mehr: http://e.a.richter.ist.org/
TRESOR
mit voller Absicht dieses Fundwort: Tresor. Ist das Ohr
ein Tresor? (Tres Ohr?) Ist dieses Sirren, das so nah
der Sprache erscheint, ein Dauerton, ganz aus der atmenden
Nähe, auch aus der Sternenferne, Widerhall von Lichtjahren,
die nie aufhören würden, sich zu äußern, auch ohne offenes
Ohr? Achja, offen, ohne geöffnet zu sein, schreiben, ohne
geschrieben zu werden, sehen ohne Sicht und doch Durchblick?
Ein Frühling, der hinterm linken Ohr vorbeiweht. Es ist auch ein Wehen
am Bildschirm, schwankende Helligkeiten inmitten schimmernder
Schwärze – schwarzer Monitor, der zweite, dritte, und darauf
ein schlaffes Blatt, das sich nie erheben würde, wenn nicht
ein Pfauchen aus mir herausbräche, künstliche, gesteuerte
(beteuerte) Wut. Gestern Wut, heute keinerlei Reue. Ruhe.
Nach dem morgendlichen Aufbruch des Personals tagsüber Ruhe.
Das Personal ruht auswärts. Das Licht zuckt über die schwarze
gerahmte Fläche – nur Reflexion von Papierhaufen hinterm Rücken.
Rücken und Nacken gestreckt, steife Selbstbewahrungshaltung.
So der Schmerz (und ein solcher auch direkt hinterm Ohr) beinahe
wie ausgeschaltet, weggesperrt in ein anderes Zimmer, achja,
dort unter dem Bett, der fraglichen Wand rechts, die nie fragt,
sondern starrt voller altmexikanischer Vorausahnungen.
Jetzt Pause, auch aus dem Magen, mit herausragender Sonde
hin zum linken Ohr – wer wagt es, mir deshalb Linkshändigkeit
zuzuschreiben? Ich selbst erfand sie mir unlängst, ohne Not.
Ich sei Linkshänder gewesen, gewalttätig umgeschult.
Sah mich als Schüler, dem das Ohr zornig wuchs in der Hand
des Lehrers, der es wusch und salbte, auch Stirn, Nase und Wangen.
Zu welchem Zweck? Solch ein Lehrer kommt aus dem Tresor der Zeit,
die zugleich so unwahrscheinlich zusammengepreßt unterm Stuhl lauert.
Der Stuhl (sonst das Allerlauteste im Raum) schweigt. In der kleinsten
Bewegung die Möglichkeit, daß alles auf einmal abblättert und
ich mich hinausstürzen muß bei der Tür voller Herzweh in die Natur
(Freitag, 13.05.2011, 15:37 Uhr)
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