Zweite Stufe – Entscheidung der Jury
Zehn AutorInnen und ihre Texte.
Vier JurorInnen und ihre „rauchenden“ Köpfe.
Lesen, Aufeinandertreffen kontroversieller Meinungen, diskutieren, lesen, austauschen, reflektieren über die Argumente der jeweils anderen JurorInnen, ein, zwei, drei, vier Nächte darüber schlafen, Texte noch einmal lesen, diskutieren, Argumente für die eigenen favorisierten Texte erarbeiten, Begründung formulieren.
Schließlich: einen Konsens hinsichtlich von vier Texten gefunden, einen ersten, einen zweiten Preis und zwei dritte Preise vergeben.
1. Preis: Sven Köther – „Die Frechheit“
Tutor: Andreas Montalvo – „Schnee im Bauch“
Begründung der Jury – „Die Frechheit“:
In „Die Frechheit“ entlarvt der Autor das Marketing-Englisch als leere Worthülse, gibt sie der Lächerlichkeit preis. In einem Satz über drei Seiten rechnet der Protagonist ab mit dieser Sprache. Er rechnet ab mit seinem jungen Vorgesetzen Lachsmeier, dessen Marketing-Englisch auf die ihm „Unterstellten“ niederprasselt. Er rechnet ab; mit einer Waffe, die er als Metapher für das klare Wort versteht. Das klare Wort, das Lachsmeier ihm und seinen KollegInnen zu nehmen versucht.
2. Preis: Anna-Katharina Pelkner – „Zerschnipselt“
Tutorin: Esther Sheelag Schmidt – „Marketing“
Begründung der Jury – „Zerschnipselt“
In lakonisch kurzen Sätzen und mit kreativer und ausdrucksstarker Sprache, entsteht in „Zerschnipselt“ das Bild vom zermürbenden Alltag einer Akademikerin, die sich unter prekären Arbeitsverhältnissen als Reisende durchschlagen muss. Zeit – und Arbeitsdruck finden ihren sprachlichen Ausdruck in staccatoartigen Sätzen, die die Protagonistin durch ihre Arbeitssituation hetzen lässt.
3. Preis: Alfred Cipera – „Zwischentöne“
Tutorin: Barbara Finke-Heinrich – „Pflege-leicht. Auszüge aus dem Pflegetagebuch“
Begründung der Jury – „Zwischentöne“
Das Wiener Mundartgedicht spiegelt in authentischer Sprache Vorurteile wider, denen ArbeitsimmigrantInnen seitens rassistischer ArbeitgeberInnen ausgesetzt sind. Gleichzeitig ist der Monolog eines „Herrn Gewerke Karl“ „durchwachsen“ mit Geraunze, Gejammer und Selbstmitleid. Noch deutlicher treten diese Facetten hervor, wenn im letzten Teil des Textes der Geselle Arkan dem Chef einige Benimm-Tipps gibt – und zwar in bestem Deutsch.
3. Preis: Siri Kusch – „der erinnerungsposten“
Tutor: Armin Schmidt – „Fristlos“
Begründung der Jury – „der erinnerungsposten“
Mit dem Vokabular der Wirtschaftstreibenden zieht ein/e gekündigte/r Arbeitnehmer/in den Schlussstrich unter die Berufslaufbahn. Aktiva und Passiva werden – auch in der Textform – gegenübergestellt. Die Autorin überträgt Fachbegriffe aus der Wirtschaft auf menschliches „Soll“ und „Haben“. Der von seinem Arbeitsplatz entfernte Mensch bleibt nur Erinnerung in einem nüchternen Bilanz-Posten.
Die sechs AutorInnen und ihre TutorInnen, deren Texte der zweiten Stufe nicht unter den ersten drei Plätzen sind, werden nicht aus dem Literaturpreisprojekt „entlassen“ …
Ihre Beiträge werden ebenfalls Eingang in die für Mai 2011 geplante Anthologie Eingang finden.
Joel Bedetti – „Das Polster“
Bärbel Dorn –„ Zwei unvollendete Erfolgsgeschichten“
Tutor: Tom Mokkahoff – „Warten auf Hilde“
Wilhelm Hengl – „Kurz vor Feierabend“
Tutorin: Marcela Všetičková – „Der Trauerredner“
Evelyn Leip – „Die Problemstelle“
Tutorin: Susanne Gregor – „Leonard Himmelspiel“
Oliver Meiser – „Gehalt“ und „Har(t)z IV“
Tutorin: Johanna Vorholz – „Frei nach Pixi Buch Nr. 47: Was soll ich werden?“
Annette Scholonek – „Wir nennen es Arbeit“
Tutorin: Silke Rath – „Ohne Worte“
Wir danken allen, die am Literaturpreis mitgewirkt haben, sie alle haben zum Gelingen des Projektes beigetragen.
Die Jury: Margot Fink, Erwin Holzer, Petra Öllinger, Georg Schober
PS: Und welche Erfahrungen konnten die AutorInnen und ihre TutorInnen während ihrer Kooperation sammeln?
Lassen wir die Beteiligten doch einfach selbst zu Wort kommen – in der Rubrik Stimmen der Schreibenden …
Sven Köther – „Die Frechheit“ – ein kurzer Textauszug
Den Lachsmeier töten wollte ich nicht, auch nicht bedrohen, war doch gar nicht geladen die Pistole, lag aber gut in der Hand und ihre Wirkung tat sie auch, weil der Lachsmeier wurde sofort kreideweiß, als ich mit der Waffe in sein Büro kam und freundlich werde ich auch nicht geschaut haben, obwohl ich immer freundlich schaue, fragen Sie meine Kunden, die lassen sich nämlich gerne von mir besuchen, bestellen gerne bei mir, weil ich so ein freundlicher Mensch bin und nicht von der Sorte Verkäufer, die nur Zahlen im Kopf hat, was einer wie der Lachsmeier allerdings nicht einsieht, in seinem jungen, studierten Bürokratenschädel nur Tabellen, Summen und Statistiken beherbergt, so dass, wenn er redet, nur diese Tabellen, Summen und Statistiken hervorsprudeln und jeder, der nur ein bisschen was vom Verkaufen versteht sofort merkt, dieser Mensch versteht überhaupt nichts vom Verkaufen …
Wie es im Text „Die Frechheit“ weitergeht, erfahren Sie in der Anthologie, die im Mai 2011 erscheinen wird.
Anna Katharina Pelkner – „Zerschnipselt“ – ein kurzer Textauszug
Kleingeredet. Dem Wortschwall unterlegen. Die Silben der Empörung. Sie sind gefasst. In Worte, wohldosiert. In analytische Bröckchen zerbröselt und zerschnipselt. Fragmentiert. Schnipsel in den Kasten. Wohin damit. Ein Kasten voller Wut. Verärgerter Schnipsel. Die Wut als Fragment im verschlossenen Kasten. Gedeckelt, damit sie nicht loslegt. Herumwütet. Draufhaut. Rumschreit. Den Zorn einsperren in den Schnipselkasten.
Loshetzen in aller Frühe. Auf dem Weg zum Fernbahnhof. Zug nicht verpassen. Nerven nicht verlieren. Gedröhne aus fremden Ohren. Erbrochenes auf der Treppe. Den Koffer hochschleppen. Gesprächsfetzen. Private Angelegenheiten in der mobilen Öffentlichkeit. Heraus geplärrt am Telefon. Hängen sie in Fetzen. Akustischer Overkill. …
Wie es im Text „Zerschnipselt“ weitergeht, erfahren Sie in der Anthologie, die im Mai 2011 erscheinen wird.
Alfred Cipera – „Zwischentöne“ – ein kurzer Textauszug
Ob Türk, ob Tschech oda Krowot,
I nimm wos Orbeitsaumt so hot.
Wäu haum dans eh nur lauta Ruaß –
es kummt nur der, wos kumma muaß.
Des Oarge is, dos ma si g´freit,
waun ana moi vier Wochn bleibt.
Wäu sunst muaßt olle 14 Tog
neich eischuin, wos i gor ned mog.
Und Deitsch kaun kana von die G´frasta!
Zwoa sogt a jeda zu mia „Masta“
doch sunst do kennans nur noch „Pause“
und – is eh kloa – „zweite Jause“!
…
Wie es im Text „Zwischentöne“ weitergeht, erfahren Sie in der Anthologie, die im Mai 2011 erscheinen wird.
Siri Kusch – „der erinnerungsposten“ – ein kurzer Textauszug
Forderungen/Aktiva |
Verbindlichkeiten/Passiva |
ich fordere nichts mehr | verbindlich war ich gern. | zieh nur noch bilanz, den | war niemals passiv, blieb |
schlussstrich, stichtag 31.12., | stets erfolgswirksam und keinem |
unter meine laufbahn, aktiv | etwas schuldig. mein working capital |
beendet, doch nicht von mir. | war erstrangig. den blick fürs |
vorfristig aufgekündigt gegen | wesentliche verlor ich nicht, |
vorfälligkeitsentschädigung. | doch dafür meinen arbeitsplatz. |
…
Wie es im Text „der erinnerungsposten“ weitergeht, erfahren Sie in der Anthologie, die im Mai 2011 erscheinen wird.