Wieder einmal herrscht Ratlosigkeit, denn kann ich ein Buch, das ich, als realistische Autorin und Nicht-Germanistin, nicht verstanden habe, besprechen?
Arno Schmidt 1914 geboren, 1979 in Celle verstorben, gilt als großer der deutschen Nachkriegsliteratur, es gibt eine Arno Schmidt Stiftung und auch eine „KAFF auch Mare Crisium“-Website, die sich dem 1960 entstandenen Buch widmet.
Seit 1958 fand ich in Wikipedia, entwickelte Arno Schmidt seine theoretischen Überlegungen zu Prosa und Sprache, setzte sich mit James Joyce und Sigmund Freud auseinander und suchte diese Überlegungen in „KAFF auch Mare Crisium“ umzusetzen, das formal als Bindeglied zwischen dem Früh und dem Spätwerk gilt.
„Drei Personen auf dem Lande in Betrachtung des Mondes. Ein Endspiel zwischen dem Alltag der fünfziger Jahre und ihrer Futurologie. Angestelltenträume im Kalten Krieg. Arno Schmidt als Realist und Phantast in einem“, steht auf der Buchrückseite, also dort wo man sich Informationen holt, wenn man wissen will, was in dem Buch steht und vielleicht noch keine Informationen über den Autor hat.
„Ein sechsundvierzigjähriger macht mit seiner Freundin einer Designerin, einen Automobilausflug: mit der Isetta von Nordhorn nach Giffendorf in der Lüneburger Heide. Dort bewirtet sie Tante Heete, die lebensfrohe, aber etwas vereinsamte Witwe. Das ist die ganze Geschichte. Sie erzählt vom Wirtschaftswunder, das an den kleinen Angestellten vorbeigeht, und von den erotischen Obsessionen unseres Alltags. In ihrem Kern birgt sie ein Stück-Science-fiction, eine Utopie, die auf den Ungeist des Kalten Krieges reagiert: „KAFF“ ist ein literarisches Prisma der westdeutschen fünfziger Jahre“, ist die weitere Buchbeschreibung.
Das Ganze spielt in zwei Handlungsebenen, die sich im Druck voneinander unterscheiden, aber inhaltlich verschränkt sind, entnehme ich Wikipedia.
Die Erste ist der Besuch bei Tante Heete, das zweite die utopische Geschichte, die 1980 auf dem Mond spielt, weil die Erde nach dem Atomkrieg unbewohnbar geworden ist.
So weit so klar und auch verständlich. Dann nimmt man das Buch, schlägt es auf und hat diese zwei Ebenen auf dreihundertsechzig Seiten vor sich, die sich abspulen, wie ein gigantischer Monolog und noch dazu in einer Sprache, in der die Rechtschreibung völlig aufgehoben ist, bzw. sich Arno Schmidt einer eigenen bedient, Satzzeichen, Ausrufungszeichen etc kommen vor und auch der Satz „Wer nach „Handlung“ und „tieferen Sinn“ schnüffeln oder gar ein „Kunstwerk“ darin zu erblicken versuche sollte, wird erschossen.“
Und der unbedarften Leserin, die verstehen will, kommt es trotz der Hintergrundinformationen vor, wie der Sprung in eine gigantische Sprachspirale, die vom Hundersten ins Tausendste hinunterassoziiert. Die deutsche Geschichte, der Kalte Krieg, Konrad Adenauer und auch das Nibelungenlied kommen vor. Das entnahm ich Wikipedia, aus dem Buch selber habe ich nur kapiert, daß Krimhilde „Cream-hilled“ geschrieben wird.
Was tut die unbedarfte Leserin, die gewohnt ist, aus dem Text die Handlung zu verstehen und versucht sie durch Strukturen zu erfassen?
Meistens geht das auch, bei Richard Obermayrs „Gefälschen Himmel“ vor ein paar Jahren, war es etwas schwierig, da habe ich ebenfalls drüber gelesen, als ich bemerkte, daß ich den Inhalt nicht erfassen kann, denn die Zeit mich eingehender mit Arno Schmid zu beschäftigen, als mich in die Website einzuklinken habe ich oder nehme ich mir nicht.
So habe ich gedacht, das ist ein interessanter Autor, der durch das Konstruieren der verschiedenen Handlungsebenen und dem Kreieren einer eigenen Sprachgewalt, wahrscheinlich ein Kriegstrauma und die Ereignisse in Westdeutschland um 1950 und die Angst vor dem Atomkrieg bewältigen will.
Ich habe mir auch gedacht, daß ich mir vorstellen kann, selbst ein solches System zu erfinden, die Science fiction Autoren, erschaffen ja auch eigene Welten, machen das nur vielleicht ein wenig verständlicher.
Darum scheint sich Arno Schmidt nicht gekümmert zu haben. Ich habe das Buch zu Ende gelesen, allerdings zunehmend schneller, nachdem ich begriffen habe, daß ich nicht mehr weiß, worum es geht.
Gelesen hab ichs, weil ich das Buch vor einem Jahr im Bücherschrank gefunden habe und mir der Name des Autors natürlich ein Begriff war. Es gab einmal eine Sendung in den Tonspuren über ihn, voriges Jahr wurde, glaube ich, „Zettels Traum“ neu aufgelegt und auf der Buchmesse darüber berichtet und bei den Textvorstellungen, wo sich Michael Stavaric mit „Seelandschaft mit Pocahontas“ beschäftigt hat, was als Hörspiel diese Woche übrigens in Ö1 war, bin ich auch gewesen.
Ich bin ja eine Leserin mit einem relativ weiten Literaturbegriff, obwohl mich das Realistische mehr anspricht, interessiert mich auch, wie andere Autoren schreiben. Kann Arno Schmidt mit einem „Interessant aber unverständlich!“, stehen lassen und auch, daß er ein großer Autor ist.
Generell stellt sich natürlich die Frage, für wen er geschrieben hat und wer ihn liest?
Bucht man heute ein Schreibseminar, hört man als Erstes, man muß verständlich und für seine Leser schreiben.
Muß man natürlich nicht. Selbstverständlich, aber wer wird Arno Schmidt lesen und ihn verstehen? Ich habe das Erste schon, das Zweite nicht getan, werde die KAFF Mare Crisium Seite also schließen und am Nachmittag zu „Rund um die Burg“ gehen. Wahrscheinlich habe ich dann einige Kommentare von „JuSophie“, „Ich mach mir Gedanken“ oder anderen kritischen Geistern, die mir erklären, daß man über ein Buch, das man nicht verstanden hat, nicht schreiben darf!
Darf man es lesen, wenn man es findet und darf man, wie das Kind bei den neuen Kleidern des Kaisers sagen, „Das verstehe ich nicht?“, während die anderen, die sich nicht blamieren wollen, den Prunk und die Juwelen loben?
Im Internet habe ich gefunden, daß Schmidts Werk bei Publizistik und Literaturwissenschaft rühmende Beachtung aber auch Zweifel gefunden hat. So hat Walter Jens seinen Stil einmal für „Blödsinn“ gehalten. Ich finde das nicht und weiß auch nicht, ob Arno Schmidt das Entwerfen seiner Welten Spaß gemacht hat oder, ob es für ihn Traumabewältigung war? Bei Wikipedia habe ich auch etwas von Humor gefunden. Interessant auch, daß seine Bücher immer noch erhältlich sind. Marianne Fritz, die ja eine ähnlich gigantische Literaturwelt hat, wird, wie ich im Februar in der Alten Schmiede hörte, nicht mehr aufgelegt. Wer wird die Bücher lesen? Die Studenten natürlich, die besuchen wahrscheinlich auch Proseminare und schreiben Diplomarbeiten und Dissertationen darüber. Was macht der Durchschnittsleser, wenn er ein solches Buch findet? Legt er es weg, schimpft er darüber, lobt er es, etc?
Ich bin keine Durchschnittlsleserin, lese auch literarische Einzelgänger und finde es spannend, wenn die ihre literarischen Welten und ihre Sprachkritiken erschaffen.
Und da sich meine Leser immer daran stoßen, daß ich mich beispielsweise nicht an die S-Schreibung und die Beistrichregeln halte, würde mich interessiere, was sie zu Arno Schmidts Orthografie sagen?
Dann hat mich interessiert, was die Durchschnittleser zu Arno Schmidt meinen, wenn sie sich das trauen und ein wenig nachgegooglet. Da gibt es nicht sehr viel, die Rezension von Jens Fleischhauer ist aber sehr interessant. Interessieren würde mich natürlich, wie der literarische Außenseiter zu seinem Ruhm und seiner Stiftung kam? Unverlangt eingeschickt wird er seine Werke wahrscheinlich nicht haben, denn dann hätte er höchstwahrscheinlich keine Antwort oder Hinweise, daß die Ortographie nicht stimmt und die Handlung unverständlich ist, bekommen.
Interessant dazu ist, in einem ganz anderen Zusammenhang Andreas Eschbach Artikel „Ich habe mein Roman fertig, wohin soll ich ihn schicken“, die Stelle, wo er von den vielen schlechten unverlangt eingesandten Texten, die sich bei einem Verlag sammeln, schreibt. In die würde ich auch gern einmal Einsicht nehmen und da sind wir bei der Frage, wie man die Spreu vom Weizen trennt?
Welche Kriterien es dafür gibt und ob man das wirklich kann? Ich habe da meine Zweifel, obwohl ich Arno Schmidt für einen großen Autor halte. Anni Bürkl hat einmal von der Kompetenz des Kritisierens gesprochen. Das Buch ist aber veröffentlicht, also der Rezeption freigegeben und ich höre die Autoren immer sagen, daß ihnen dann das Buch nicht mehr gehört und jeder seine Meinung äußern darf.
Ich lese, wie meine Leser wissen sehr viel, von Arno Schmidt bis zu Hera Lind, meistens ist Verständliches darunter. Arno Schmidt war mein bisher schwierigster Fall, wenn ich so sagen darf. Den Ulysses habe ich nicht gelesen. Ich wollte es, als ich aber dazu kam, hat mir die Anna das Buch weggetragen.
Über Richard Obermayr, der sicher viel verständlicher ist, habe ich schon geschrieben. Bei Theodor Sappers „Kettenreaktion Kontra“, der ein Onkel von Hilde Langthaler ist, ist es, glaube ich, ähnlich.
Auch ein literarischer Einzelgänger, der den Krieg auf theoretische Art und Weise bewältigt hat, nicht so bekannt, wie Arno Schmidt, sondern in Wien Volkshochschullehrer auf der Urania, seine Nichte, hat die Herausgabe des Romans, 2006 durchgesetzt. Da ich damals in der Szene Margareten Thalia Buchgutscheine gewonnen habe, habe ich das Buch gelesen. Wieder viel zu schnell und es nicht verstanden, obwohl es viele Anmerkungen darin gibt. Damals gab es noch den Lesezirkel in der Hauptbücherei, wo man aufgefordert wurde, ein Buch vorzustellen. Ich hätte es mir sogar vorstellen können, mich mit dem Buch mehr auseinanderzusetzen. Jessica Beer hat abgewunken, weil viel zu schwer für das Publikum!
Da sind wir immer noch bei der Frage, was soll, kann, darf man in Zeiten der Pisakrise und des wachsenden funktionalen Analphabetismus lesen?
Alles natürlich, ganz klar, nur, wie geht es einem Gastarbeiterkind oder einem Immigranten, wenn er Arno Schmidt im Bücherkasten findet? Vor zwei Jahren gab es bei literaturcafe.de, eine Aktion, wo drei Autoren einen „Schlechten Text“ zusammenbastelten, für den Rest des Romans haben sie Kaptiel aus anderen Romanen genommen, (war Arno Schmidt dabei?) und das an die Zuschußverlage geschickt.
Was passiert, wenn ich ein Kapitel von Arno Schmidt unverlangt an die Verlage schicke? Bleibt es im Keller liegen, schreibt mir die Praktikantin „Aber das ist doch „KAFF auch Mare Crisium“, ich habe meine Diplomarbeit darüber geschrieben!“ oder wollen die Zuschußverlage zehntausend Euro dafür haben?
Ob Arno Schmidt-Spezialisten unter meinen Lesern sind, weiß ich nicht. Wenn jemand das Buch gelesen hat und mir schreibt, wie es ihm dabei gegangen bin, finde ich das schön.
2011-09-16
KAFF auch Mare Crisium
3 Kommentare »
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ich hab ein bisschen arno schmidt in der vergangenheit gelesen und fand mich damit zurecht, es muss mir halt nicht unbedingt eine lineare geschichte erzählt werden. ich find von mir raus isolierte, schöne sätze auch schon genug. (deswegen hatte ich auch eine zeitlang spaß mit joyces ulysses, hätt ich die handlung an sich verfolgen wollen, hätt mich das wohl auch frustriert.)
ich bin definitiv für mut zum eigenen empfinden. bücher weglegen, wenn man sie nicht versteht oder erträgt und auch bücher nicht verstehen & mögen, die tendenziell eher gemocht und empfohlen werden. (oder auch umgekehrt…)
und sich als schreibende leserin auf eine stufe mit der wissenschaft in punkto leseverständnis stellen, finde ich unproduktiv. das sind ja ganz andere zugänge. und ansprüche. und überhaupt: es gibt doch eh für jedes buch eher passendes zielpublikum und eher nicht passendes zielpublikum. und dann gibts auch noch den richtigen zeitpunkt für die lektüre. genug ausreden also, wenn man ein buch einfach nicht mag. 😉
Kommentar von s. — 2011-09-16 @ 12:49 |
Vielleicht ist es das, wo ich ein bißchen hänge. Denn ich kann nicht sagen, ob ich das Buch mag oder nicht.
Ich habe es nicht verstanden! Dann habe ich nachgeschaut, worum es geht und bin auf diese Grundsatzfragen gekommen, die mich offenbar mehr interessierten, als das Buch selbst.
Wahrscheinlich interessiert mich auch das Psychologische daran, so würde ich auch gerne mit Arno Schmidt über das Buch diskutieren, aber das geht ja leider nicht.
Das mit den schönen Worten, den Sprachräuschen und Wortduschen, wie ich das nenne, hilft mir meistens auch, so hantle ich mich beispielsweise durch Andrea Winklers Texte.
„KAFF auch mare crisium“ ist aber wahrscheinlich zu theoretisch und dann lege ich Bücher wahrscheinlich aus Respekt vor dem Autor nicht so gerne in der Mitte weg. Ich lese zu Ende, weil mich interessiert, wie es weitergeht.
In diesem Fall habe ich, muß ich gestehen, ein bißchen geschummelt, denn ich hatte noch hundert Seiten und einen Kliententermin, so habe ich drübergelesen, weil ich noch flüstern wollte, bevor ich zum Burgtheater gehe.
Und natürlich habe ich ein bißchen den Absolutheitsansspruch, alles zu verstehen, wie ich auch gerne alle Bücher lesen will. Geht natürlich nicht, ich weiß!
Wow sind Sie schnell, ich bin ja noch gar nicht mit dem Artikel und dem Verlinken fertig. Sehe ich Sie heute bei „Rund um die Burg“?
Kommentar von Eva Jancak — 2011-09-16 @ 13:32 |
Leider nicht, ich bin fleißig am Railjetfahren (siehe mein Blog 😉 ) – in 1,5 Stunden geht es wieder nach Budapest. Ihnen aber viel Spaß!
Kommentar von s. — 2011-09-16 @ 14:47 |