Karl-Josef Müller schrieb uns am 16.10.2020
Thema: Verena Brunschweiger: Wie penetranter Pronatalismus ein gutes Buch erodieren kann
In Deutschland wird niemand gezwungen, Kinder in die Welt zu setzen. In ganz Europa und überhaupt in demokratischen Ländern ist es wohl ebenso. Wer einem Satz wie dem folgenden widerspricht, kann nach Meinung der Rezensentin dennoch nur auf der falschen Seite stehen:
„Oder indem man die Zwangsmutterschaft ganz explizit als solche enttarnt und sich ihr verweigert, denn schließlich ist das Gebären der patriarchale Imperativ schlechthin.“
Eine apodiktische Aussage, hinter der sich eine unumstößliche Wahrheit kaum verbergen kann.
Was die Autorin der Rezension dem zu besprechenden Buch vorwirft, ist - horribile dictu – dass dort von einer vierfachen Mutterschaft die Rede ist:
„Aber gerade das ist die allergrößte Schwäche dieses Buchs, das sonst so viel Wichtiges und Richtiges beinhaltet, denn die Autorin schwelgt auf eine Art und Weise in ihrer eigenen vierfachen(!) Mutterschaft, die einem die Lektüre profund und wieder und wieder verleidet: ‚Noch nie hatte ich etwas Schöneres erlebt. Diese Magie der ersten Begegnung durfte ich vier Mal erleben, und es waren die glücklichsten Momente meines Lebens. […] Einerseits ist meine Mutterschaft das Schönste, was mir im Leben passiert ist.‘ Das hat in einem Buch, das sich wissenschaftlich gibt, nichts verloren – das ist reinste pronatalistische Propaganda, die man überhaupt nicht sollte lesen müssen.“
Schweres Geschütz gegenüber einer Frau, die vier Kinder in die Welt gesetzt hat. Für die Autorin der Rezension erweckt dies Gefühle nah am Ekel.
Weiter geht‘s im absolutistischen Ton der Rezensentin, die – wissenschaftlich fundiert und daher unumstößlich – weiß, worum es geht, zum Beispiel um die „provozierender Selbstverständlichkeit“ mit der „sich Eltern nicht nur alle Privilegien nehmen, sondern immer noch mehr fordern“.
„Arndt beklagt: ‚Fehlendes Verständnis für meine Mutterschaft von Frauen* gehört zu meinem täglichen Brot‘ – ja, vielleicht weil es kinderfreien und kinderlosen Frauen reicht, ständig diskriminiert zu werden, nur weil sie nicht den ausgelatschtesten aller Pfade trampeln und sich reproduzieren? Weil sie es satthaben, mit welch provozierender Selbstverständlichkeit sich Eltern nicht nur alle Privilegien nehmen, sondern immer noch mehr fordern?
In einer Zeit, in welcher eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht ist, weil sich eine exponentiell wachsende Bevölkerung das Recht herausnimmt, nichtmenschliche Tiere so zu verdrängen, dass künftig noch viel mehr und ganz andere Viren von diesen auf uns überspringen werden, kann man die nonchalante Anmaßung von Menschen mit Kindern nicht mehr unterstützen. Vor allem dann nicht, wenn das replacement level bereits um zwei überschritten wurde.“
Entschuldigung, wir haben zwei Kinder in die Welt gesetzt, tut uns leid, sie sind auch ganz unglücklich, Opfer unserer pronatalistischen Haltung, äh, Propaganda, geworden zu sein. Und ja, wir bekennen, wir hätten gerne Enkel, hat sich leider, ach nein: Gott sei Dank, noch nicht ergeben.
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