Leserbriefe zur Rezension

"You can be me when I`m gone."

Kenzaburo Oe literarisiert in "Tagame Berlin - Tokyo" den Selbstmord seines Schwagers

Von Stefan Mesch


Dr. Berthold Janecek schrieb uns am 26.07.2006
Thema: Stefan Mesch: "You can be me when I`m gone."

Mein Leserbrief richtet sich auch an die Frau Dr. Nora Bierich, deren wunderbare Übersetzungen mir viele Werke von Ôe Kenzaburo erst bekannt gemacht haben.
Als Zoologe möchte ich trotzdem ein paar Worte zu zwei Tieren herschreiben, die für den Roman "Tagame" besonders wichtig sind. Da ist zunächst einmal "Tagame" selbst. Das ist weder ein 'Schildkäfer' noch ein 'Schildblattkäfer'. Was Ôe als Knabe im Bergbach fing, ist Lethocerus deyroll[e]i (Familie Belostomatidae) (daß ich persönlich bei 'Bergbach' an eine andere Art dächte, tut nichts zuer Sache), die größte Wasserwanzenart Japans. Ich glaube, daß das Tier weniger durch seine Gestalt an einen altmodischen Kassettenrecorder erinnert, sondern daß die in Lauerstellung abgespreizten Fangbeine an altertümliche Kopfhörer gemahnen. Für diese Raubwanze gibt es leider keinen für die Übersetzung geeigneten deutschen Namen. Blattwanzen, Plattwanzen, Grundwanzen oder Fangwanzen - alle werden sie bereits mit anderen wissenschaftlichen Namen verbunden. - Ich käme da zu einem alten Wort Mörikes, das wieder verwendet werden könnte: Lauerwanze. Darin steckt ein Aufnahmegerät ebenso wie jene 'lauernden' Kassetten Gorôs.
Kommen wir zu Kogitos Kampf mit der Schildkröte, einem der Höhepunkte des Buches, - der sich natürlich sinnvoll in den Gesamtkontext einfügt. Zunächst macht Ôes Beschreibung des Tieres deutlich, daß es sich - trotz des japanischen Wortes 'suppon' - um keine Suppenschildkröte handeln kann. Etwa schneidet Kogito dem Tier die beiden Nasenfortsätze ab, die, wie auch andere Einzelheiten auf die Weichschildkröte Trionyx (oder Pelodiscus) sinensis. Diese Schildkröte zu versenden, stellt eigentlich eine Beleidigung dar, da sie Symbol für eine ungezügelte Sexualität ist. Auf den Penis des Tieres weist Ôe übrigens besonders hin, auch auf den Schlangenhals. Wang2 ba1 (nicht nur bie1) wird die Weichschildkröte im Chinesischen genannt. (Mir bleibt kein Platz für genauere Deutungen dieses Wortes und der Schriftzeichen.) Wang2 ba1 ist auch ein Wort für den Hurenwirt, wang2 ba1 dan4 (ungefähr 'Hurenbastard') ist eine besonders schwere Beleidigung. Ich glaube, daß der Kampf mit der Schildkröte, deren Fleisch Kogito dann wegwirft, sowohl auf die öffentliche Meinung über die homoerotische Beziehung zu dem jungen Offizier als auch auf die Kommentare Gorôs über seine Liebe zu einem sehr jungen Mädchen anspielt. Nicht als Meinung des Autors, sondern als eine Art Gegenmeinung 'des Volkes', - jener sehr rechtslastigen Gruppe.
Nun gibt es da noch eine interessante Verbindung zwischen der Schildkröte und 'Tagame': 田鼈, tian2 bie1, das Reisfeld-Schildkrötchen, so heißt die erwähnte Raubwanze auf Chinesisch. Und Sie können mir nicht erzählen, daß Ôe Kenzaburo jene Namen einfach so zufällig verwendet hat. 'Schildkäfer' und 'Suppenschildkröte' freilich, diese Worte regen zu keiner weiteren Deutung an.