Nennt mich Fleisch Meier

„Kein Zutritt für Hinterwäldler“ ist Jonnie Schulz’ grandioses Debüt in Sachen Popliteratur

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Grad zwischen Trash und Genialität ist wie immer ein schmaler. Und wenn ein zentraler Teil einer Erzählung in einem Roman die Ereignisse einer Tournee schildert, bei der ein Grillfest auf einer Bühne mit Country-Trash illustriert wird, dann kommt man schon einmal ins Zweifeln, was man da gerade liest. Diese Zweifel zerstreuen sich jedoch sehr schnell. Überraschend unterhaltsam kommt der Roman „Kein Zutritt für Hinterwäldler“ von Jonnie Schulz daher. Dies ist natürlich einerseits dem skurrilen Gegenstand der Beschreibung geschuldet, der Butch Meier Band, andererseits aber vor allem einem geschulten Blick des Autors auf den Beobachtungsgegenstand – inklusive einer analytischen Introspektion.

Die Handlung setzt im Jahr 2000 ein. Der Leser ist mit dem Erzähler zusammen in Hamburg. Vier Protagonisten sind mit ihrer allgemeinen Lebenssituation unzufrieden. Alle haben einen musikalischen Hintergrund und was könnte in einer solchen Lebenssituation näher liegen als eine Band zu gründen. Der Erzähler Jonnie Schulz ist Schlagzeuger von einem Quartett mit dem Namen Butch Meier Band und deren geheimer Chronist. Auf der Suche nach einem unbelasteten Musikgenre und gelangweilt von der aktuellen Punkeuphorie entscheidet man sich für ein absolutes Alleinstellungsmal in Sachen Musik: Man gründet die erste Country- und Westernband von St. Pauli, Tennessee, die Butch Meier Band. Dabei wird ein mittlerweile im Mainstream angekommenes Konzept entwickelt. Die Band covert bekannte Pop-, Rock- und Punksongs und macht aus diesen Highlights der Popkultur Countrysongs. Dabei haben die vier Helden dieser teilweise autobiografischen Geschichte den bezaubernden Charme von Verlierern, die nicht aufgeben und die immer wieder versuchen, die Welt zu verbessern. Und nach der Lektüre des Romans stellt sich das Gefühl ein, dass die „vier Musketiere der Musikbranche“ ihrem Ziel durchaus näher gekommen sind.

Jonnie Schulz schafft es, die Aufbruchsstimmung und die Begeisterung zu vermitteln, die seine vier Protagonisten durch den Tag trägt und die sie motiviert, ihren Weg auf die Bühne zu finden. Das hier auch der nötige Humor nicht fehlt, kann man schon dem Spitznamen des Erzählers entnehmen: „Der Funbird erzählte eben nicht nur Witze, er war auch derjenige, über den Witze gemacht wurden.“ Jonnie – „The Funbird“ – Schulz macht die verzweifelten Geschichten erträglich, indem er die Erzählsituation bricht und ironisiert: „Hotel Treeneperle in Schwabstedt. Mit laufendem Motor standen wir auf dem Parkplatz und warteten auf Ted, der seit knapp einer halben Stunde mit dem Hotelbesitzer Nappi über unsere Gage verhandelte.“ Was schon fast an eine Szene aus einem amerikanischen Gangsterfilm erinnert, ist wenige Zeilen später zu einer Situation des Scheiterns mutiert – die wieder der Ausgangspunkt neuer Aktivitäten in Sachen Butch Meier Band wird – man macht weiter mit einem „Trotzdem“ auf den Lippen!

Der Erzähler hat vier Charaktere erschaffen, die ihre Vorbilder in der Wirklichkeit haben: „Bei Butch Meier konnte man niemanden ersetzen, jeder von uns war unverzichtbar – auch Ted Memphis. Die einzigartige Zusammensetzung von Charakteren hatte uns zu dem gemacht, was wir waren: Experten auf dem Gebiet der Entfaltung.“ Wofür die Bezeichnung „Entfaltung“ ein Synonym ist, wird schnell deutlich. Was im Einzelfall darunter zu verstehen ist, gehört zu den großartigen Momenten des Buches. Nach fast 300 sehr unterhaltsamen Seiten schließt das Buch mit einem Epilog. Dieser leicht melancholische Schlussakkord spielt in der Zukunft, im Jahr 2045. Alle Mitglieder der ehemaligen Butch Meier Band sind mit mehr oder weniger ungeliebten Tätigkeiten beschäftig und ein smartes altes Auto schafft es, die „Musketiere“ wieder zusammenzubringen. Und der Leser merkt sofort: 2045 wird ein besonderes Jahr werden, egal was vorher passiert ist.

Jonnie Schulz hat ein kleines, aber feines Stück Popliteratur geschrieben, das beim Lesen mehr „Perlen der Dichtkunst“ offenbart, als man bei einem Buch über eine schräge Countryband vermuten würde. Und sicherlich trifft auch auf die Leser des Buches zu, was Jonnie Schulz bei der LitPop an Worten seinen Zuhörern entgegenwarf: „Ich hab schon vor viel größeren Mengen gelesen, aber ihr seid wirklich was ganz besonderes!” Hier findet man das Potential für ein Kultbuch – was nicht weiter verwunderlich ist, ist der Soundtrack zum Buch doch von der Butch Meier Band.

Titelbild

Jonnie Schulz: Kein Zutritt für Hinterwäldler. Die Geschichte der Butch Meier Band.
Ventil Verlag, Mainz 2013.
296 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783955750060

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