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„Vampire vor der Leinwand“Dieser Artikel ist Teil der Kolumne:
Das Rote Palais: Die Totenwächterin von Helene Henke. Der Trend geht zu Eventlesungen. So verkünden es einige Stimmen. Der Autor ist das Event einer Lesung, entgegnen andere. Wie dem auch sei, auf jeden Fall kann man die Aufmerksamkeit eines Publikums mit einem abwechslungsreichen Programm leichter über eine Stunde halten. Da mein Debütroman Die Totenwächterin in einem Multiplexkino angesiedelt ist und ich seit Jahren in einem solchen arbeite, war es mir zunächst ein persönliches Anliegen, in einem Kino zu lesen. Mit der Idee, meinem Rudger Part eine entsprechende Stimme zu verleihen, kam die Inspiration. Und siehe da, dank außergewöhnlich motivierter CinemaxX Mitarbeiter, entstand nach und nach ein Event, das einem kleinen Theaterstück gleichen könnte. Wenn es auch eine Laiendarstellung war, so übertrugen wir unsere Freude an der Darbietung auf das Publikum und profitierten von einem außerordentlichen, kollegialen Zusammenhalt. Statt des üblichen Samstagseinkaufs beschlossen über fünfzig Lesefreunde, sich ein Vampirevent am helllichten Tag im Kino anzuschauen. Vampire bei Tag, ein Widerspruch! Oder ein weiterer Gegensatz, den ich zu meinen Vorlieben zählen darf. Hatten mein Ensemble und ich bei den Generalproben, eine Woche zuvor, Bauchschmerzen vor Lachen, wurde es nun ernst. Lampenfieber zog von einem Mitglied zum anderen. Abgesehen von den männlichen Darstellern, die sich ausnehmend cool gaben und sich ihre Aufregung nicht anmerken ließen. Während die Mädels im Trupp ihre Anspannungen mit einem Glas Sekt lösten und sich auf der Auslassebene des Kinos hingebungsvoll ihrem Vampir-Make-up widmeten, versuchte ich mich mit tausend Dingen abzulenken. Zu tun gab es schließlich genug. Die letzten Ton- und Lichtproben standen an und der eigens für diese Veranstaltung produzierte Buchtrailer musste Probe laufen. Aus dem Saal heraus koordinierte ich gemeinsam mit meinem Sohn Marcel (21, Azubi im CinemaxX), der sich in der Projektion befand, den Probelauf und die Lichteinstellungen im Saal. Es durfte nicht so dunkel wie üblich sein, damit man die Darsteller sehen konnte, aber auch nicht zu hell, damit die Stimmung blieb. Mein jüngerer Sohn David (13) übte eifrig den richtigen Einsatz der einzuspielenden Songs. Die ganze Familie war demnach eingespannt, unnötig zu erwähnen, dass mein Mann, ständig zupackend, jederzeit zur Stelle war. Noch ein Trend Familienevent. Nachdem die letzten Gäste ihre Karten gekauft hatten, starteten wir fast pünktlich. Das Licht wurde gedämmt und der Buchtrailer flimmerte professionell über die Großleinwand. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Trailer von Christian Cronenberg, dem Jarno Darsteller, kreiert wurde. Sichtlich beeindruckt genoss das Publikum den Vorfilm. Schließlich ein gewohntes Bild in einem Kino. Währenddessen hatte ich noch ein paar Minuten Zeit mich zu sammeln bzw. das laute Pochen meines Herzens zu ignorieren. Dunkelheit legte sich über den Saal, als der Trailer abgespielt war. Während die Saalbeleuchtung behäbig anging, begab ich mich an mein Lesepult vor der Leinwand. Mit weichen Knien, nahm ich beruhigend zur Kenntnis, dass mich die Leselampe genug blendete, sodass ich kaum etwas vom Publikum sah. Im Aufblitzen der Fotoapparate nahm ich wahr, dass alle Blicke auf mich gerichtet waren. Lampenfieber! Nicht ungewöhnlich bei der ersten, eigenen Lesung. Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung in den Text, atmete ich tief durch, wählte eine bequeme Position und begann zu lesen. Stille kehrte ein und Konzentration war angesagt. Langsam, bedächtig und deutlich lesen, zog es durch meine Gedanken. Vorsicht bei den Zungenbrechern und technischen Ausdrücken im Text, die stumm gelesen nicht auffallen, beim Lautlesen jedoch zu Stolperfallen führen. Kann man es üben, nicht zu stolpern? Ich las Kapitel 4 aus Das Rote Palais: Die Totenwächterin, in der Leyla Barth mit ihrer Freundin Evelyn eine Veranstaltung im Roten Palais besucht. ![]() Mein Publikum saß im Kinosaal eines realen Multiplexkinos und hatte es sich in den roten Polstersitzen bequem gemacht. Die gedämmte Atmosphäre und das festliche Ambiente des Saals, weckten schnell die Illusion, es sei Abend ähnlich wie sich die Besucher des Aurodom im vorgetragenen Text von der Magie der Vampire einlullen lassen. Es herrschte aufmerksame Stille. Meine Stimme wird durch ein Mikrofon verstärkt, durch den Raum getragen und profitiert von der guten Akustik. Nicht jeder Besucher hatte eine Vorstellung von einer Event-Lesung, so erwarteten die meisten, zurückgelehnt mit geschlossenen Augen, meinem Vortrag zu folgen. Rudgers Stimme kam aus der Dunkelheit, laut und kräftig. Ein spürbarer Ruck ging durch das Publikum, als Rudgers Stimme tatsächlich aus der Dunkelheit kam. Aus dem Augenwinkel sah ich einige Gesichter suchend umherblicken. Das klangvolle Timbre von Rudgers Lesestimme wallte durch den Saal. Kurz darauf erblickte das Publikum den jungen Sprecher, der im schwarzen Anzug gekleidet, mit Mikrofon in der Hand, souverän den Saal betrat. Ich heiße Sie willkommen im Roten Palais des Aurodom Jakob Szucko, ein junger Mann von Mitte zwanzig, mit einer herausragenden Stimme, die der eines doppelt so alten Mannes zu entsprechen scheint, zog sofort die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich genau wie es im Text gerade Rudgers Stimme zu tun vermochte. Die nächste Passage folgte im Dialog, wobei sich Jakobs Stimme optimal auf die Figur des charismatischen Meistervampirs einstellte. Und tatsächlich schwang seine Stimme wie warme Wellen durch den Saal und sollte später für einige hingerissene Kommentare aus der Damenwelt sorgen. Er sprach von Verlangen und Sehnsucht mit derselben Hingabe wie vom süßen Schmerz des Bisses, wenn man seine Zähne auf der Haut spürt. Während ich im Text fortfuhr und Jarnos Auftritt beschrieb, bewegten sich lautlos und diskret vier Vampirmädels durch das Publikum, streiften an mir vorbei und präsentierten lasziv ihre mondäne Aufmachung vor der ersten Reihe. (Yvonne Beilstein, Carina Grillo, Lisa Häfner, Marlen Ansteeg) Ist er nicht fantastisch?, bemerkte Leylas Sitznachbarin ohne eine Antwort zu erwarten. Mit diesem Satz, hielt ich inne, löschte das Licht am Stehpult und gab David hinter mir ein Zeichen. Daraufhin spielte er die Anfangssequenz des Songs Black Velvet ein. Das Licht des Scheinwerfers schwenkte zu Jarno. ![]() Die Vampirmädels jubelten ihm kreischend zu, während vereinzelte Ausrufe des Erstaunens aus den Reihen der Zuschauer ertönten. Jarno zog die Frau mit den Bissmalen (Marlen Ansteeg) von ihrem Sitz, ließ sich von ihr küssen, umschmeicheln und beißen. Der Song endete. Spot aus, Stehpultbeleuchtung an. Im fiktiven Roten Palais wandelte sich die Stimmung, als dort eine Art Snuff-Film gezeigt wurde, indem absonderliche Bilder eine imaginäre Vampirorgie darstellten. Rudgers/Jakobs Stimme zog erneut in warmen Wellen durch den Saal, berichtete von geheimen Begierden und der Faszination des Grauen, das im Verlies eines jeden Unterbewussten haust. Heißen Sie unseren nächsten Gast willkommen. Vincent der Illusionist! Ein weiterer rhythmischer Song wurde eingespielt und der Scheinwerfer schwang über die verdutzten Köpfe der Zuschauer hinweg auf die andere Seite des Saals. Der große Vampir kam aus einem der oberen Notausgänge im hinteren Bereich des Saales. Mit unendlich langsamen Schritten stieg Vincent die Seitentreppe hinab. Spektakulär dargestellt von Stephan Pricken, gab er jedem Einzelnen im Raum genügend Zeit, ihn zu betrachten. Vereinzelte Kickser von beschämten Damen waren zu vernehmen, als sie aus ihrer sitzenden Position unweigerlich auf seinen nackten Bauch starren mussten, um dann dem stechenden Blick seiner mit dunklem Khol-Kajal umrandeten Augen zu begegnen. Die Vampirmädchen geleiteten ihn mit ehrfürchtiger Bewunderung auf seinem Weg, während er ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit zollte. Vor der Leinwand angekommen, fiel sein Blick auf die abwesend dreinschauende Evelyn (Nadine Schiekiera). In seinen Bann gezogen, verließ sie ihren Platz und vollführte mit Vincent einen Tanz, der an Sinnlichkeit kaum zu überbieten war. Danach begab sich Vincent zu meiner Rechten und lehnte sich in aufreizender Pose gegen die Wand. ![]() Was willst du dagegen tun, kleine Frau? Deine Waffe ziehen? Ich las den Abschluss des Kapitels mit dem Satz: Doch Vincent hatte Evelyn auserwählt und würde nicht von ihr lassen, bis er sie zu einer von ihnen gemacht hatte. Es sei denn, jemand hinderte ihn daran. Endlich wagte ich aufzublicken, die Anspannung legte sich langsam. Das Publikum blickte mir freundlich entgegen und zögerte. Ergriffenheit? Oder hatten sie nicht bemerkt, dass der Vortrag zu Ende war? Vielen Dank für ihre Aufmerks Weiter kam ich nicht, denn wohltuender Applaus setzte ein, gemischt mit anerkennenden Zwischenrufen. Von tosendem Applaus zu sprechen, wäre unangemessen, dazu wären 50 Leute kaum in der Lage. Doch resümiert mit nachträglichen Kommentaren und freundlichem Lob, war es wohl ein klitzekleines Tosen. Während der Ovation bedankte ich mich an meine zahlreichen Helfer vor und hinter den Kulissen, sowie für Technik und Musik bei meinen Söhnen David und Marcel. Außerdem bei der Theaterleitung des CinemaxX Krefeld für den freundlichen Beistand. Ohne Absprache, bat ich jedes Mitglied meines fantastischen, engagierten Ensembles nach vorne, damit jeder dieser jungen Kollegen den ihn gebührenden Anteil an Aufmerksamkeit des Publikums erhielt. Nach der Verlosung, begaben wir uns zu einem Glas Sekt auf den Gang, damit man uns am Präsentiertisch hautnah erleben kann. Den zufriedenen Gesichtern der Besucher und strahlenden Augen des Ensembles zu entnehmen, war es eine rundum geglückte Darbietung. All die Vorbereitungen, von Treffen über Generalprobe bis zur letzten Schminkminute, haben erwiesen, wie stark man zusammen etwas erreichen kann. An dieser Stelle danke ich allen Lesern der Totenwächterin und freue mich Sie bald mit dem zweiten Teil des Roten Palais: Der Gottvampir unterhalten zu dürfen. ![]() 21. Jan. 2009 - Helene Henke Genre: Dark Fantasy Kolumne: VAMPIRISCHE WELTEN [Zurück zur Übersicht] |
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