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Schattenchronik und mehr...
Interview mit Jörg Kleudgen, geführt von Florian Hilleberg am 01. Mai. 2007.
Jörg Kleudgen
FH: Mittlerweile hast Du an vier Bänden von Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik mitgeschrieben. Mich würde allerdings interessieren, wie der Kontakt mit dem BLITZ-Verlag und speziell Alisha Bionda zustande kam?
JK: Ausschlaggebend war die Wiederveröffentlichung meiner Kurzgeschichtensammlung Cosmogenesis in der zur damaligen Zeit von Markus K. Korb betreuten Reihe E. A. Poes Phantastische Bibliothek im BLITZ-Verlag. Alisha betreut die meisten Reihen und Serien des Verlags als Lektorin, und ich fand es sehr beeindruckend mit welchem Gefühl sie sich der Texte annahm. Ihr gefielen wohl mein Stil und die Stimmung meiner Geschichten, und so kamen wir miteinander ins Gespräch. Ja, ich würde sogar sagen, wir entdeckten trotz vieler Gegensätze eine gewisse Seelenverwandtschaft.
FH: Und wie kam es dazu, daß Du fester Co-Autor für die Schattenchronik wurdest?
JK: Oh, ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als im Sommer 2005 Marc-Alastor E.E. als Autor ausfiel. Ich mußte mich recht kurzfristig entscheiden, ob ich mich der Aufgabe gewachsen fühlte. Daß ich mich für die SCHATTENCHRONIK entschieden habe, habe ich bis heute nicht bereut habe.
FH: Wie funktioniert bei euch die Arbeitsteilung? Hast du feste Charaktere, die Du erfunden hast bzw. die ausschließlich Du ausbaust und entwickelst? Oder teilt ihr euch die Vergangenheits- und Gegenwarts-Storylines auf?
Inwieweit entwickelst Du die Storyline mit, oder arbeitest Du nach Exposés von Alisha?
JK: Wir sprechen uns ab und diskutieren die jeweilige Handlung, aber grundsätzlich kann man sagen, daß mein Schwerpunkt auf den historischen Handlungssträngen liegt. Ich habe verschiedene Charaktere ins Spiel gebracht, aber wir unterscheiden bei der SCHATTENCHRONIK nicht so streng nach Dein und Mein. Im Vordergrund steht das Gelingen der Serie. Und da muß man auch schon mal loslassen können. Außerdem ist es ja spannend, zu sehen, welche fremden Facetten ein anderer Autor an Deiner Figur entdeckt.
Die Exposés erarbeiten wir seit Band 4 gemeinsam, also auch die für Bände, die Alisha zusammen mit S. H. A. Parzzival schreibt. Das ist eine Arbeit, die mir viel Spaß macht. Ich liebe es, mir Hintergründe und Rahmenhandlungen auszudenken, in denen sich eine Geschichte entfalten kann. Ich glaube, die SCHATTENCHRONIK steht da noch am Anfang einer faszinierenden Entwicklung. Es werden mehr und mehr Bezüge zwischen den einzelnen Figuren erkennbar.
FH: Hast Du eine bestimmte Arbeitszeit, in der Du besonders kreativ bist?
JK: Ja, das ist frühmorgens gleich nach dem Aufstehen, wenn mich noch nicht so viele Dinge beschäftigen, die im Laufe des Tages zwangsläufig auf einen einstürmen. Auch wenn man keinen Fernseher hat, sind wir alle doch von sehr vielen Ablenkungen umgeben. Man muß sich ja geradezu der ungebeten auf einen Menschen einstürmenden Unterhaltungsmedien erwehren, wenn man mal seine Ruhe haben will
FH: Als was arbeitest Du hauptberuflich?
JK: Nachdem ich mein Architekturstudium abgebrochen habe, arbeite ich in der ambulanten Krankenpflege. Der Beruf ist hart, aber er gibt mir das Gefühl, etwas zu tun, das einen Sinn hat, einen Nutzen. Er gibt mir einen festen Platz im Leben, einen Ausgangspunkt, von dem aus ich meine künstlerischen Neigungen ausleben kann.
FH: Wie sehr beeinflussen Privatleben und Brotjob Deine Schreiberei?
JK: Hm, ich denke, ein gewisser Leidensdruck schadet nicht. Ich muß mir die Zeit, die ich für meine Projekte aufbringe, mühsam erkämpfen. Ich schreibe und musiziere unter zum Teil recht widrigen Bedingungen. Aber das macht die Zeit und die Befriedigung, die ich daraus für mich selber ziehe, um so wertvoller. Ohne einen gewisser Widerstand wäre es wohl, hm, wie soll ich sagen
zu einfach.
Es ist nicht so, daß ich über meine Arbeit schreibe. Aber während ich arbeite, gehen mir viele Dinge durch den Kopf.
Und mein Privatleben? Eine gute Frage. Habe ich denn eins?
FH: Trägst du dich mit dem Gedanken, eventuell einmal hauptberuflicher Autor zu werden?
JK: Kann man so etwas überhaupt planen? Ich weiß es nicht. Wenn ich, um vom Schreiben leben zu können, allzu viele Kompromisse eingehen und mich dem Diktat des Marktes unterwerfen müßte, würde ich es auf einen gewöhnlichen Job reduzieren. Es ist aber mehr als das. Weißt Du, ich habe mein Studium unter anderem deshalb an den Nagel gehängt, weil ich es nicht ertragen konnte, meine Ideale so billig zu verkaufen. In der SCHATTENCHRONIK ist es mir möglich, hundertprozentig das zu machen, was ich machen will, und damit kommerziell erfolgreich zu sein. Ich genieße trotz der engen gegenseitigen Absprachen mit Alisha in meinen Beiträgen eine erfreuliche Freiheit. Das resultiert vor allem daraus, daß wir die Leistung des anderen respektieren, und beruht auf Gegenseitigkeit.
FH: Wie wichtig ist Dir das Schreiben?
JK: Es ist mir
wichtig. Sehr wichtig! Aber es ist mir nicht wichtig, viel zu schreiben. Wahrscheinlich würden mir zwei bis drei Kurzgeschichten pro Jahr reichen, wenn sie eine Dichte besäßen, die einen ganzen Roman aufwöge. Kurze Texte verlangen eine sorgfältige Planung und außerordentlich viel Disziplin. In einem Roman darf man eher ins Schwafeln verfallen, während eine kürzere Erzählung in meinen Augen auf das Notwendigste reduziert sein sollte. In Kurzgeschichten liegt es mir immer besonders am Herzen, bereits zu Beginn mit wenigen Worten eine bestimmte Stimmung zu erzeugen.
Aber, um auf Deine Frage zurückzukommen, auch wenn Texte wie in Cosmogenesis oder in der SCHATTENCHRONIK veröffentlicht, unterhalten wollen, so verarbeite ich darin auch Erfahrungen und Eindrücke. Deshalb sind sie für mich auch von rein persönlicher Bedeutung. Das macht für mich auch einen guten Text aus. Der Autor muß etwas von sich selbst darin zurückgelassen haben.
FH: Hast Du eine innere Triebfeder, die Dich vorantreibt?
JK: Ja, das Glücksgefühl, wenn ich mich einer Herausforderung gestellt und sie bezwungen habe. Wenn mir eine Geschichte gut gelungen ist und sie jemanden anspricht, dann stellt mich das zufrieden. Wenigstens für einige Tage. Allerdings ist die SCHATTENCHRONIK inzwischen zu einer Droge geworden.
FH: Was macht den Menschen Jörg Kleudgen aus? Wie lebt er? Was mag er, was nicht?
JK: Oh, ich weiß nicht, ob ich für die Beantwortung dieser Frage der richtige Ansprechpartner bin. Unser eigenes Bild weicht doch in der Regel von dem Bild ab, das andere von uns haben. Ich definiere mich selbst sehr stark über meine Arbeit. Manchmal glaube ich, daß ich den Figuren meiner Geschichten immer ähnlicher werde. Ich verabscheue den Materialismus unserer Zeit. Es gibt wichtigeres, als sich mit möglichst vielen Dingen zu umgeben. Vielleicht wäre ich in einer früheren Zeit, oder wäre mein Leben anders verlaufen, Mönch geworden.
FH: Was ist Dir bei anderen Menschen wichtig?
JK: Daß sie das, was sie tun, ernst nehmen und miteinander in gegenseitigem Respekt umgehen.
FH: War es schon immer Dein Wunsch unheimliche Literatur zu verfassen?
JK: Von einem Wunsch kann ich nicht direkt sprechen. Ich habe es getan. Es war und ist meine Art, Dinge aufzuarbeiten. Ich könnte versuchen, andere Texte zu schreiben, aber ich glaube, der Versuch wäre nicht von Erfolg gekrönt. Wenn ich eine Geschichte nicht leben kann, wird sie eine Aneinanderreihung toter Wörter bleiben. Damit wäre ich nie zufrieden. Nein, auf Dauer verstellen könnte ich mich nicht.
FH: Hast Du Vorbilder, an denen Du Dich orientierst?
JK: Nein, nicht mehr. Jeder Autor sollte versuchen, seinen eigenen Weg zu gehen. Wenigstens ab einem bestimmten Punkt. Trotzdem wird man in meinen Texten wahrscheinlich viele verschiedene Einflüsse wiederfinden.
FH: Welche Autoren bevorzugt der Leser Jörg Kleudgen?
JK: Nicht viele. Umberto Eco, Josef Nyary, Mervyn Peake.
FH: Gibt es Menschen, die Dir im literarischen Sinne geholfen haben?
JK: Hm, ich weiß nicht
Autoren scheinen meist Einzelkämpfer zu sein. Vielleicht ist der Markt auch zu sehr umkämpft. Obwohl ich es ja für albern halte, in der Größenordnung, in der wir uns meist bewegen, ein Konkurrenzdenken an den Tag zu legen.
Geholfen hat mir in diesem Sinne bislang nur Alisha Bionda, ohne deren Einfluß ich nicht die Entwicklung durchgemacht hätte, die mich auf den heutigen Stand gebracht hat. Sie hat in mir eine feinere Sensibilität für Texte geweckt, als ich sie früher kannte. Ich denke, daß ich heute professioneller mit dem geschriebenen Wort umgehe. Trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor mir. Und irgendwie wachsen wir Autoren ja mit der SCHATTENCHRONIK weiter.
FH: Ist die Zusammenarbeit an der Schattenchronik Deine erste dieser Art? Was zeichnet sie für Dich aus?
JK: Oh, ich habe immer wieder mit verschiedenen befreundeten Autoren zusammengearbeitet
Michael Knoke, Boris Koch, Christian von Aster, Uwe Voehl, Arnold Reisner
So sind einige unterschiedlich lange Texte entstanden, die mal mehr die Prägung des einen, mal des anderen Autors aufwiesen.
Die Zusammenarbeit im Rahmen der SCHATTENCHRONIK geht darüber ein wenig hinaus, weil für die Serie sehr enge Absprache notwendig sind und die Romane eine gewisse Kontinuität besitzen sollen. Wir sind da selten unterschiedlicher Meinung, wenn es um den Inhalt oder die Ausrichtung der SCHATTENCHRONIK geht. Man könnte dafür ruhig den Ausdruck blindes Verstehen verwenden. Seltsamerweise war das von Anfang an so, und ich denke, das war maßgeblich für die von mir als sehr positiv empfundene Entfaltung der Serie.
FH: Welche Projekte planst Du für die Zukunft neben der Schattenchronik.
JK: Im nächsten Jahr möchte ich in E. A. Poes Phantastischer Bibliothek im BLITZ-Verlag ein Projekt verwirklichen, an dem ich schon einige Jahre arbeiten. Es handelt sich um eine Sammlung von Erzählungen verschiedener Autoren unter dem Titel Necrologio. Das Buch soll gleichzeitig mit einer CD- und DVD-Box meiner Band THE HOUSE OF USHER erscheinen. Es war nur logisch, diesen Schritt zu tun, und das Buch in der Poe-Reihe unterzubringen, die ich sehr schätze. Aber da liegt leider noch sehr viel Arbeit vor mir.
FH: Hast Du einen speziellen Wunsch, einen Titel, den Du auf jeden Fall schreiben möchtest? JK: Oh, da gibt es viele Ideen und Pläne, aber ich mag es nicht, über Dinge zu sprechen, die am Ende aus welchen Gründen auch immer nicht verwirklicht werden.
FH: Vielen Dank für dieses Interview in einem weiteren würde ich Dich gerne zu Deinem musikalischen Werdegang und den dortigen Projekten befragen!
© http://www.the-house-of-usher.de/ Weitere Interviews mit Jörg Kleudgen
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