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The Ward


Vielleicht ist das 21. Jahrhundert ja doch eine Art Jungbrunnen für zahlreiche noch lebende Regielegenden. Nach vielen Jahren drehen John Landis und Joe Dante wieder kleinere Produktionen und selbst Monte Hellmann konnte dank der digitalen Technik einen interessanten, selbst reflektierenden Streifen vorlegen. Das größte Comeback gelang John Carpenter, einen Mann, der im Verlaufe seiner langen Karriere mehrmals als künstlerisch “tot” abgeschrieben worden war. Über eine Dekade nach seinem letzten Kinofilm “Ghosts of Mars” kehrte John Carpenter mit dem Horrorthriller “The Ward” auf die Leinwand zurück. Es ist keine Überraschung, dass der Amerikaner auf das Horrorgenre zurückgegriffen hat. Schon Mitte der neunziger Jahre kehrte er nach wenig erfolgreichen, aber von der Presse auch ungerecht behaltenen Großproduktionen zu seinen Wurzeln zurück und drehte mit “Prince of Darkness” sowie dem Science Fiction Thriller “They live” zwei Filme, die aufhorchen ließen. Die seine Fans zumindest phasenweise befriedigten. Wenige Jahre vor “The Ward” zeigte John Carpenter mit einem seiner beiden Beiträge für die Anthologiefernsehserie “Masters of Horror” “Cigarette Burns”, was noch in ihm steckt. Ohne Frage ist diese verstörende, fast surrealistische und doch faszinierende Folge mehr als die Rekapitulation einer großen Karriere im Schatten des Kinos als Dämonenzeug.
John Carpenter scheint für “The Ward” bewusst Kompromisse eingegangen zu sein. Das Drehbuch stammt nicht aus seiner Feder, die Filmmusik hat er nicht komponiert. Und doch ist der vorliegende Horrorthriller ein klassischer Carpenter, seine beste Kinoarbeit seit “They live” und eine würdige Variation seiner Lovecraft Interpretation “In the Mouth of Madness”. Aus technischer Hinsicht greift Carpenter auf die Kiste von visuellen Effekten zurück, die seine Karriere im Grunde von Beginn ausgezeichnet hat: plötzliches effektives Eindringen in erster Linie von Menschen und Monstren in den bis dahin sehr gut durchgestalten Vordergrund, den peripheren Flächen oder im Hintergrund des Bildes. Vielleicht wiederholt John Carpenter diese Effekte ein wenig zu oft, um eine bedrohliche Atmosphäre zu erschaffen, die der Film im Kern nicht nötig hat. Auch wenn das Drehbuch aus der Feder Michael und Shawn Rasmussen seinen Knalleffekt erst in den letzten Minuten enthüllt und sein Publikum zwingt, das bisher Gesehene aus einer gänzlich anderen Perspektive noch einmal zu durchdenken. Der Epilog erreicht die Dimension de Palmas in seiner Stephen King Verfilmung “Carrie”, auch wenn er inhaltlich eher mechanisch wirkt.
Ganz bewusst haben die Drehbuchautoren ihr Script in den sechziger Jahren angesiedelt. In der Zeit vor den Handys oder dem Internet, als Isolation in einer gigantischen, wie ein Gefängnis wirkenden Nervenklinik auch Einzelhaft und Abgeschiedenheit von der Welt bedeutete. Nur so kann der Plot funktionieren und nur so nährt Carpenters nicht selten unterkühlte Emotionalität in seinen Filmen die Figuren. Zwischendurch fühlt sich der Zuschauer ein wenig an “Christine” erinnert. Weniger an Stephen Kings brillanten Roman, sondern an John Carpenters Film.

Wie selten ein Horrorfilm steht und fällt der Streifen mit der schauspielerischen Leistung Amber Heards, die als Identifikationsfigur des Zuschauers dienen muss. Zu Beginn des Films sieht man sie, ein einsames Farmhaus anzustecken. Sie scheint in ihrem schmutzigen Nachthemd von irgendwo geflohen zu sein. Die Polizei ergreift sie und bringt sie in die Nervenheilanstalt, deren geschlossene Anstalt von dem experimentierwilligen Dr. Stringer - Jared Harris - geleitet wird.

Hier ist Kristen von vier im Grunde typischen jungen weiblichen Patienten umgeben. Danielle Panabaker spielt die eitle, selbstverliebte und ihre Umgebung verführende Narzisstin, Mamie Gummer die Männer hassende Lesbe; Laura- Leigh spielt die einen Hasen als Ersatzbaby umgarnende Kindfrau, die so weit wie es ihr Charakter erlaubt von Lolita weg ist und schließlich gibt es noch die „relativ“ normale Lyndsy Fonseca. Anscheinend haben die Elektrobehandlungen Dr Stringers bei ihr am Besten angeschlagen. Sie steht kurz vor ihrer Entlassung. John Carpenter teilt die Handlung sehr geschickt auf. Der Zuschauer wird zum allgegenwärtigen Zeugen und verfolgt die beiden Handlungsebenen sehr genau. Während die Mädchen davon ausgehen, dass Lyndsy Fonseca aus der geschlossenen Anstalt entlassen worden ist, weiß der Zuschauer, dass sie von einer verstümmelten Gestalt bestialisch ermordet worden ist. Mika Boorem spielt den Geist. Kristen versucht – nach einer Bedrohung in der Dusche als typisches Slasherfilmklischee – hinter Boorems Geheimnis zu kommen. Auch in diesem Punkt arbeiten die beiden Drehbuchautoren mit einer Reihe von auf den ersten Blick stereotypen Spannungsmustern der „Freitag, der 13.“ oder passender für John Carpenter „Halloween“ Epigonen. Anscheinend ist Mika Boorem den anderen kranken Mädchen so auf den Geist gegangen, dass sie sich entschlossen haben, sie in ihrer Zelle zu ersticken. Warum der „Geist“ jetzt derartig „verbrannt“ erscheint, ist allerdings das Geheimnis des Drehbuchautoren.
Die zweite Hälfte von „the Ward“ besteht aus einem für das Subgenre typischen Verkauf, der Carpenter viel Kritik eingebracht hat. Kristen versucht anfänglich aus dem Gefängnis der Anstalt zu entkommen. Dabei enden ihre verschiedenen sehr gut eingefädelten Versuche entweder in den Armen eines Wächters; in der Vorhalle, als sie doch einem der Mädchen helfen will oder im Keller, wo zumindest in zwei Szenen Mika Boorem auf sie wartet. Um es noch einmal zu betonen, je weiter die Klischees unterstützt von ausgesprochen blutigen Morden gehen, um so mehr beginnt sich der Zuschauer zu wundern. Vieles widerspricht jeglicher Logik. So scheinen vier fünf Mädchen die einzigen Patienten der geschlossenen Anstalt zu sein. Wie kann ein Geist derartig handgreiflich werden? Oder wie kann er scheinbar an verschiedenen Orten zu gleich sein? Immerhin kennt sie sich in dem verschachtelten Gebäude sehr gut aus. Die letzte Frage, die sich noch stellt, ist der Verbleib der grausam verstümmelten Leichen. Am nächsten Tag sind die Zellen leer, die Betten gemacht. Keine Spur mehr von den Mädchen. Ist das Personal in die Vorgänge involviert? Die Geschichte gipfelt scheinbar in dem klassischen Konflikt des Außenseiters gegen die übernatürliche Bedrohung, wobei das Drehbuch Michael und Shawns Rasmussen am Ende das ganze Geschehen relativiert und eine interessante, die meisten Unstimmigkeiten glättende Erklärung präsentiert, welche den Zuschauer unangenehm nahe an die geistigkranken jungen Frauen heranrückt.
Hinweise finden sich in den Erinnerungsfetzen Kristens, die im Gegensatz zu den sehr realistischen Goreszenen noch verstörender erscheinen. Kristen ist in zweifacher Hinsicht Opfer ihrer Vergangenheit und Gefangene in der Gegenwart.

Bevor es sich lohnt, auf die einzelnen Schauspielerinnen einzugehen, ist es wichtig festzuhalten, dass John Carpenter nichts von seiner visuellen Virtuosität verloren hat. Schon „Cigarette Burns“ war optisch eine ausgesprochen befriedigende Folge. In „The Ward“ konzentriert sich Carpenter nicht nur auf die Epoche – der Film spielt im Jahre 1966 mit dem Verzicht aufs Fluchen und dem Drang als Beruhigung zu rauchen -, sondern vor allem auf die Erzähltechnik. Die CGI Tricks sind effektiv, aber vor allem unauffällig und das teilweise schnelle Schnittmuster wird durch lange, stimmungsvoll dunkle Kamerafahrten ergänzt. Die Variation dieser auf den ersten Blick konträren Handlungsweisen erinnert nicht nur an Carpenters frühere Arbeiten mit Anlehnungen an „Halloween“, sondern auch an Stanley Kubricks Stephen King Adaption „The Shining“, wobei in beiden Filmen das Gebäude eine signifikante, aber letzt endlich plottechnisch nicht entscheidende Rolle gespielt hat. „The Ward“ ist zwar digital gedreht worden, aber Carpenter hat den Streifen auf das von ihm bevorzugte 35mm Format aufblähen lassen, ohne das es erkennbar ist. „The Ward“ ist trotz oder vielleicht sogar wegen des überschaubaren Budgets ein Film, der nicht nach dem Fernsehfilm der Woche aussehen will. Der Regisseur nutzt alle Stärken des digitalen Mediums und übergeht die Schwächen mit einer visuellen Souveränität, intelligenten Perspektiven und dem Spiel mit der in erster Linie fehlenden visuellen „Erwartungshaltung“ seiner Zuschauer. In vielerlei Hinsicht ist „The Ward“ – wie Joe Dantes „The Hole“ – eine Abkehr von den perversen Absurditäten des gegenwärtigen Horrorgenres und eine Rückkehr zu den klassischen Werten. Eine gegenwärtige Zuschauergeneration wird vielleicht irritiert auf das Geschehen reagieren, aber wer Carpenters Karriere von seinen ersten „richtigen“ Arbeiten „Assault on Precint 13“ und vor allem „Halloween“ über den atmosphärisch beklemmenden „The Fog“ bis zu den angesprochenen „Prince of Darkness“ und „In the Mouth of Madness“. Carpenter macht seinem Ruf als Techniker alle Ehre und präsentiert einen technisch überdurchschnittlichen Film.
Inhaltlich konzentriert sich alles auf die Pointe, die nachdenklich stimmt und vieles Gesehene relativiert.
Getragen wird der Film von Amber Heard, die auf der einen Seite verletzlich attraktiv erscheinen muss, auf der anderen Seite als durch ihre Erfahrungen gestählte „Überlebenskämpferin“ sich von einer hart realistischen Seite zu präsentieren hat. In Rückblenden, die ohne zu viel expliziert zu zeigen und doch alles zu sagen, wird das Martyrium deutlich, welches Kristen vor ihrer Einlieferung in die Klinik einen unbestimmbaren Zeitraum lag erleiden musste. Carpenter verzichtet gänzlich auf Dialoge und erzählt fast die ersten fünfzehn Minuten Kristens Geschichte alleine durch die Kraft seiner Bilder sowie relevante Schwarzblenden. Kristen ist eine Einzelkämpferin, die mit unterschiedlichen, von ihr eher als notwendiges Übel betrachteten jungen Frauen sich arrangieren muss. Der Zuschauer darf nicht nur an ihrem Martyrium teilnehmen, er muss ihre Orientierungslosigkeit akzeptieren. Wichtig ist, dass sich ihre Position in der zweiten Hälfte des Films wandelt. Sie wird die Rolle eines klassischen Opfers verschiedener Umstände aktiv wie auch gegen ihren Willen verlassen, was die Faszination dieses Streifens ausmacht. Der Zuschauer akzeptiert Kristen als real, als dreidimensionale Persönlichkeit, die noch schärfer als ihre eher verschiedene Stereotypen darstellende Mitinsassen gezeichnet worden ist. Der Gegenentwurf ist der „Geist“, der an den anderen Kranken Rache nimmt, wobei er als weiteren Hinweis Kristen ebenfalls einbezieht, die mit dem Mord nichts zu tun hat. Fast übertrieben verstümmelt mit verbrannter Haut, einer gesichtslosen verzerrten Maske stellt sie einen Schmelztiegel aller Rächertypen dar. Die Zeichnung wirkt übertrieben, ist aber notwendig, um einen Bogenschlag zu unterschätzten Streifen wie „Jacob´s Ladder“ zu symbolisieren.
Danielle Panabaker als die verführerische immer am Rande der emotionalen Selbstzerstörung entlang wandernde Narzisstin setzt unter den Mädchen schauspielerische Akzente, während Laura- Leigh als Kindfrau sich zu sehr auf die fiktive Hasenmutterrolle konzentriert und die verführerischen Lolita Effekte angesichts der Ausgangsprämisse stark unterdrückt.
Jared Harris erinnert in seiner Darstellung des Dr. Stringers stark an einen jungen Sam Neil, der mit seinen Elektroschockmethoden sich nahe an die Foltermethoden der Massenmörderin heranrückt. Neben der archaisch und primitiven für die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts erscheinende Behandlungsmethode - Sam Fuller hat in „Shock Corridor“ einen nach brutaleren Einblick in die geschlossenen Pflegeheime gegeben - benötigen Drehbuch und Film die laxeren Gesetze hinsichtlich der Aufbewahrung von geistigkranken Patienten, wobei am Ende einen Augenblick der Zweck die Mittel zu heiligen scheint.
John Carpenters „The Ward“ - auf der Krankenstation spielt bis auf den Anfang und die kurzen Rückblicke der ganze Film - ist eine technisch moderne Rückkehr zum Horrorfilm der Pre „Hostel“ oder „Saw“ Ära, in dem die Handlung nicht an einer Aneinanderreihung von brutalen Sexfolterszenen gehört. In dem die einzelnen Charaktere notwendigerweise nicht austauschbar sind und doch ironischerweise ein Ganzes bilden. Carpenter unterstreicht, das er sein Handwerk immer noch versteht und hat einen technisch überzeugenden bis in Bezug auf die visuellen Schockeffekte brillant verspielten Horrorfilm abgeliefert, der empfehlenswert ist und einen Bogen zu seinen früheren Arbeiten darstellt. Die auf ihn niederprasselnde Kritik ist teilweise unfair und erinnert an die Hetzjagden, denen sein Werk unverständlicherweise im Grunde seit „The Thing“ (1982) ausgesetzt ist.
In Deutschland ist der Film ungeschnitten bei Euro Video ohne Extras im nicht ganz passenden Format 16:9 und Dolby Digital erschienen.

CINE TRASH & TREASURY
Beitrag The Ward von Thomas Harbach
vom 28. Jan. 2013


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