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Open City


Der Klappentext der Splendid DVD Veröffentlichung spricht von der koreanischen Antwort auf “Basic Instinct”. Um es gleich vorweg zunehmen, dem Streifen fehlt die subversive Grundnote des Paul Verhoeven Films, weil der Holländer in seiner Inszenierung ganz bewusst mit Michael Douglas und Sharon Stone zwei vom Leben gezeichnete, aber nicht gute bzw. böse Charaktere sind. Auch dem Bullen Michael Douglas traut der Zuschauer zu, dass er kaltblütig einen Mord begehen kann. Regisseur Lee Sang-Ki versucht mit der Femme Fatale Son Ye-Jin und Kim Myong-min in der Rolle des Polizisten zwei ähnliche komplexe und komplizierte Charaktere aufzubauen, aber hinsichtlich seiner asiatischen Schönheit überspannt er den Bogen und den Polizisten entwickelt das Drehbuch in Kombination mit dem Regisseur zu wenig weiter. Der Zuschauer muss sich dabei vor Augen halten, dass es sich bei Sang-Kis “Open City” um sein Spielfilmdebüt handelt und der Film von der optischen Seite her sehr ansprechend, sehr “cool” und doch visuell aufregend inszeniert worden ist. Ganz bewusst spielt der Regisseur insbesondere im letzten Drittel, in welchem sich normalerweise der Zuschauer auf den obligatorischen Showdown vorbereitet, mit verschiedenen Perspektiven und durchbricht mit einer schwarzweißen Rückblende ganz bewusst die Chronologie des Streifens. Mit diesen Rückblenden versucht er seinen beiden wichtigsten Protagonisten noch mehr Profil zu geben und ihren Lebensweg noch dunkler, noch nihilistischer darzustellen als er bislang schon gewesen ist. Sicherlich ist die Thematik organisierter Taschendiebe universell. Ganz bewusst steigt der Regisseur tief in das Milieu ein und zeigt diverse Tricks, die in ihrer Routine, den eingespielten Teams und der konsequenten Planung das Publikum verblüffen. Weniger für das südkoreanische als das europäische oder amerikanische Publikum verblüffend sind die drakonisch harten Strafen, die insbesondere für das organisierte Diebstahlvergehen ausgesprochen werden. Keine Bewährungsstrafen, sondern viele Jahre Knast in den sicherlich nicht gemütliche koreanischen Gefängnissen. Nur selten - auch wenn er mit diesen Motiven kokettiert - versucht Lee Sang- Ki die Motive der Täter zu hinterfragen. Nicht alle stehlen aus der reinen Begierde, schnell mit wenig Arbeit reich zu werden. Vielmehr scheinen zumindest bei der zu Beginn des Films aus dem Gefängnis entlassenen zuckerkranken Mutter des Polizisten andere Motive eine Rolle gespielt zu haben. Die Ernährung der unter armseligen Bedingungen hausenden Familie. Vieles wird angedeutet, nicht wenig wirklich in den Rückblenden von den Charakteren selbst bzw. den Verwandten/ Zeugen erläutert. Diese ambivalente Haltung verstört mehr und mehr im Verlaufe des Streifens und nimmt den Figuren “lebensnotwendige” sympathische Züge. Am Ende reduziert sich “Open City” - ein seltsamer übersetzter Titel, da der Film nicht nur in Korea, sondern auch in Japan spielt - auf den Konflikt zweier Menschen, die sich zumindest für einen Augenblick zu begehren scheinen und deren Wurzeln enger beieinander liegen als sie es sich selbst eingestehen wollen oder können. Das stellt sich aber erst im Verlauf der teilweise unnötig kompliziert dargestellten komplexen Handlung. Ganz bewusst versucht Lee Sang-Ki die Zuschauer erst einmal zu verblüffen. Die attraktive Baek Jang-mi (Son Ye-jein) leitet eine kleine Gruppe von professionellen Taschendieben, die spektakulär zuschlagen und sich ggfs. Bei Entdeckung auch rücksichtslos den Fluchtweg freistehen. Baek möchte die Gruppe um die gerade aus dem Gefängnis entlassene Man- ob zu erweitern, die nach ihrer Verhaftung viele Jahre geschwiegen hat. Diese weigert sich allerdings, noch einmal in die Dienste der kriminellen Organisation zu treten. Man- Ochs Sohn - dargestellt von Kim Myeong- Min - arbeitet inzwischen bei der südkoreanischen Polizei und wird damit beauftragt, die Taschendiebesbanden zu stellen und zu zerschlagen. Anfänglich agiert der junge Polizist ein wenig zurückhaltend und ängstlich, da er nicht möchte, das die kriminelle Vergangenheit seiner Mutter ans Tageslicht kommt. Später führt ihn die Spur zu Baek Jang-mis Tatoostudio. Anfänglich versucht die attraktive Frau ihn nicht nur mit ihrer Erscheinung zu beeindrucken, sondern dank zufällig gefundener Hinweise auch zu lenken. Geschickt nutzt sie die unwissende Polizei, um Konkurrenten und Widersacher auszuschalten. Ganz mag ihr selbst nach einer heißen Liebesnacht Kim Myeong Min nicht trauen, da er erstens ihre ebenfalls kriminelle Vergangenheit kennt, ihre Wunschtraum nach einer Luxusyacht als durch ehrliches Arbeiten nicht erreichbar erklärt und schließlich eine Leiche findet, deren Körper seltene nur beim Tätowieren zu findende Farbstoffe aufweist. Eine weitere deutlich brutalere Bande versucht Baek und ihre kleine Gruppe auszuschalten, während Man- Och durch einen hinterhältigen Trick für einen letzten großen Coup angeheuert wird. Auf dem zentralen Markt soll sie zusammen mit Baeks Komplizen Taschendiebstähle durchführen. Dank eines Tipps versucht Kim Myong Min ausgerechnet dort die Diebesbande zu stehlen und erlebt eine bittere Überraschung.

Der Film lebt trotz einer Reihe von durchaus dreidimensional und überzeugend gezeichneten Nebenfiguren von der direkten Konfrontation zwischen Baek und dem jungen Polizisten Kim Myeong- min. Während der Zuschauer die unterkühlte bis eiskalte Femme Fatale gerne sehen möchte, Drehbuchtechnisch wäre es intelligent gewesen, ihr einen heißblütigen, pflichtbewussten und vor allem sympathisch natürlichen Charakter gegenüber zu stehen. Als Figur bleibt Kim Myong Min zu distanziert. Selbst als der Zuschauer von seiner tragischen Lebensgeschichte und der kriminellen Vergangenheit seiner Mutter erfährt, bricht der Charakter nicht aus den engen Schranken aus. In zwei Schlüsselszenen wird der Polizist vermenschlicht. Zum einen als er seine eigene Mutter abweist, weil sie Geld für die Begräbniskosten ihres Bruders beistehen möchte und zum anderen, als sie aus dem Affekt heraus Kim Myong-min vor dem Messer eines Bandenmitglieds rettet. Diese beiden Szenen sind in ihrer Tragik sehr gut komponiert und stellen die zwei emotionalen Höhepunkt des ganzen Films dar. Obwohl der Regisseur auf die optische Ästhetik insbesondere die Scott- Brüder zurückgreift und der Zuschauer sich stellenweise wie in einem Tony Scott Streifen zurecht finden muss, durchbrechen sie das teilweise zu extrem konstruierte Muster des Films. Dagegen wirkt die verführerische Son Ye- jein zu stark wie ein Kunstprodukt, wie ein gelungenes lebendiges und kaltherziges Pin Up Girl, mit dem sich der Zuschauer natürlich nicht identifizieren kann, das er im Grunde nur anstarren kann und will. Sie ist eine eiskalte Opportunistin, die ihre kleine Bande mit einer Mischung aus Rücksichtslosigkeit und falschen mütterlichen Gefühlen führt. Die genau weiß, mit welchen Bandenchefs sie sich nicht direkt anlegen kann und welche ihr über kurz oder lang aus der Hand fressen. Regisseur gelingt es leider nicht, sie auch als Schurkin mit Herz darzustellen. In einer einzigen Szene zwingt sie einen ihrer Diebe, das gestohlene Geld zurückzugeben, weil die Mutter einen Kredit aufgenommen hat, um ihr Kind durch eine sehr teure Operation zu retten. Gleich zu Beginn sind es ihre Bandenmitglieder, die während eines gescheiterten Diebeszuges rücksichtslos vom Messer Gebrauch machen und ein unschuldiges Opfer aufschlitzen. Aufgrund dieser absichtlich überzogenen Charakterisierung können die wenigen emotionalen Szenen im Verlauf des geradlinigen Drehbuch nicht überzeugen. Bei der Liebesgeschichte mit dem jungen Polizisten weiß der Zuschauer trotz gegenteiliger Beteuerungen, dass es sich um reine Kontrolle handelt und sie nur einen Spitzel bei der Polizei haben möchte. Aufgrund ihres Verrats , ihres bewussten Verrats löst sie am Ende eine Katastrophe auf, die in der direkten Konfrontation zwischen dem Polizisten und ihr mündet. Auf den letzten Metern mit einer dramatischen, aber ganz bewusst nicht zu Ende gespielten Szene versucht der Regisseur den in der zweiten Hälfte teilweise unfokussiert wirkenden Streifen wieder einzufangen. Als sie in einer anderen Szene von einem betrunkenen Mitglied einer anderen Gang vergewaltigt zu werden droht, setzt sie sich mit letzter Kraft zur Wehr. Aus dieser interessanten Sequenz, die zumindest impliziert einen Zugang zu ihrem Charaktere hätte bedeuten können, zimmert das Drehbuch zwar das Fundament ihres Untergangs, aber die eigentliche Figur bleibt verschlossen. Natürlich sieht Son Ye-jein für ihre sehr offenherzige Rolle unglaublich faszinierend, anziehen oder um es mit Sharon Stone zu sagen, einfach nur heiß aus. Sie geizt nicht mit körperlichen Reizen, auch wenn sie selbst keine Prostituierte oder Opportunisten zu sein scheint, die mittels ihrer körperlichen Vorzüge mit jedem wichtigen Gangsterboss ins Bett geht. Sharon Stone liebte es in „Basic Instinct“ nicht nur zu verführen, sondern vor allem zu provozieren. Son Ye-jein wirkt nach den ersten guten Eindrücken wie ein Kunstprodukt der Werbewelt, das ihren perfekten Körper zeigt, dessen Geist aber teilweise nicht mit den hübschen Kleidern und der unterkühlten Umgebung anfangen kann. Es ist nicht beabsichtigt, aber überraschend, wenn am Ende des Films die wenigen Szenen in Erinnerung bleiben, in denen die Schauspielern nicht wie aus einem Versandhauskatalog entstiegen agiert und aussieht. Obwohl auch ihr Charakter nicht unbedingt dreidimensional gezeichnet worden ist, wirkt sie ein wenig zugänglicher. Zwar unrealistisch für die Realität gezeichnet, aber zumindest realistischer als andere Protagonisten dieses Films.

Drehbuchtechnisch bricht „Open City“ nach den ersten sehr guten Minuten etwas ein. Zu viele Zufälle und im Verlauf des Films unwahrscheinliche Verwandtschaftsverhältnisse, von denen die Zuschauer früher etwas wissen als die einzelnen Charaktere, bestimmen den Plot und nehmen dem Film erstaunlich viel seiner Spannung. Den Thrillerteil bestimmen die teilweise sehr gut recherchierten und ebenso brillant inszenierten Diebeszüge der Banden. Wobei die zweite konkurrierende Band inklusiv ihres überzeichneten Anführer ein wenig zu sehr in Richtung Karikatur geht als unbedingt notwendig. Das Familiendrama erinnert nicht zuletzt aufgrund der suggestiven Inszenierung als eine klassische TV Soap, nur auf knappe neunzig Minuten komprimiert. Im Gegensatz zu den Filmen eines John Woo oder Tsui Hark wirken die Figuren zu klischeehaft, zu distanziert und teilweise zu leblos gezeichnet, als das ausgerechnet das Schicksal der beiden wichtigsten Protagonisten den Zuschauer wirklich rühren kann. Sehr viel besser sind die Nebenfiguren wie die aus dem Gefängnis gekommene Mutter Kim Myeong-mins gezeichnet, die erst die Abscheu ihres Sohnes ertragen muss und dann erkennen darf, das dieser ebenfalls ein Opfer der verführerischen Son geworden ist. In den verschiedenen Rückblenden vervollständigt sich für den Zuschauer das Bild, allerdings macht der Film aus ihrer fast tragischen Geschichte viel zu wenig. Sie dient für einige wichtige Ereignisse als Katalysator, die sich im Nachhinein als weniger interessant herausstellen. Durch die Fokussierung auf das natürliche tragische Zusammentreffen der beiden Charaktere werden wichtige und zu Beginn des Films interessant angerissene Themen immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Das eine koreanische Diebesbande aus im japanischen Osaka ohne Probleme ihrem schändlichen Tun nachgehen können, wird als Fakt in den Raum gestellt, ohne das der Zuschauer die Zusammenhänge wirklich erkennen kann. Zusammengefasst ist „Open City“ kein schlechter koreanischer Thriller, aber im Vergleich zu einigen anderen, deutlich emotionaleren und vor allem originelleren Streifen auch kein wirklich guter Film. Für ein Debüt ist die Inszenierung souverän, die Führung der Schauspieler lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Mit dem Slogan der koreanischen Antwort auf „Basic Instinct“ wird allerdings eine Erwartungshaltung aufgebaut, welcher der Streifen nicht genügen kann und trotz latenter Ähnlichkeiten auch nicht genügen will. Es ist kein realistischer Thriller, aber zumindest ein ungewöhnlicher, unterhaltsamer Kriminalfilm.

Splendid Entertainment hat den Film im 1,85:1 Format veröffentlicht. Das Bild ist gestochen scharf, die Farben sind naturalistisch und die Nachtszenen fallen durch die guten, scharfen Kontraste sehr positiv auf. Als Tonspuren werden im Dolby Digital 5.1 sowohl deutsch als auch koreanisch mit lesbaren Untertiteln angeboten. Zu den Extras gehört ein kurzweiliges, aber nicht sonderlich in die Tiefe gehendes Making Off, der Originaltrailer des Films sowie kurze Interviews. Bei diesen informativen Gesprächen kann der Zuschauer feststellen, dass sich im Verlaufe der Dreharbeiten der Fokus des Streifens wirklich ein wenig verändert hat. Die Extras sind akzeptabel, kurzweilig zu sehen. Die Gesamtpräsentation des Films ist gut.

CINE TRASH & TREASURY
Beitrag Open City von Thomas Harbach
vom 02. Feb. 2009


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