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Man wird alt
von Marlies Eifert

Marlies Eifert Marlies Eifert
© http://home.rhein-zeitung.de/~meifert/
Hallo Louise,

Du bist ja noch ein paar Jahre jünger als ich, weißt nicht, was es heißt: Man wird alt.
Ein Vorteil des Altwerdens ist, dass man manchmal Zeit hat. Man muss nicht um sieben Uhr aufstehen, den ganzen Tag arbeiten und abends noch die Waschmaschine einräumen, die Spülmaschine ausräumen, die Kleider bügeln. Ich brauche dir nichts zu erzählen. Du kennst das.
Nun nehme ich mir die Zeit und schreibe dir ein bisschen was vom Altwerden, damit du einen kleinen Vorgeschmack bekommst...

Man betritt die Küche und dreht sich um, dann fragt man sich: "Was wollte ich doch gleich?"
Der Schlüssel, die Brille, der Bleistift, das Buch – sie alle lagen noch gerade eben hier! Hier auf dem Tisch, in der Schublade, auf dem Bord. Das kann doch nicht wahr sein. Ja, bin ich denn...
GEORG! Wie hieß der doch noch? Der Maler ?Georg, wo bist du? Du hast das immer gewußt. Der...? GEORG – jetzt sag schnell. Das gibt es doch nicht. Gestern hab' ich noch an ihn gedacht. Verrückt.
Ja, du hast Recht: Ich höre dich sagen – Dass man was vergisst, ist das, was jedem als erstes zum Thema Altwerden einfällt- neben den Falten natürlich, den Falten im Gesicht und wer weiß noch wo?
Und ja, man kann nicht mehr so wie früher. Da zwickt hier mal was, oder dort. Wieviel Zeit braucht man für die langen Aufenthalte beim Herrn Doktor? Dazu hatte man eben früher gar keine Zeit! Da fällt mir ein :Morgen habe ich den Arzttermin. Was meinst Du? Welches Kleid soll ich anziehen? Die Kleiderschränke platzen aus den Nähten. Natürlich habe ich nichts zum Anziehen. Das ist genau so wie in jungen Jahren. Und überhaupt: Ich bin zu dick. Das was da in den Schränken hängt, passt eigentlich nicht mehr. Ich wollte schon längst ausmisten.
Wo waren wir stehen geblieben? Arztbesuch. Ja. Ach, ist doch egal, ist überhaupt alles egal. So. Ich nehme den Rock und die Bluse. Wer schaut schon hin!
Vergesslichkeit. Nein, so vergesslich bin ich auch wieder nicht, dass ich vergessen hätte, wie vergesslich ich früher war.
***
Ich habe den Brief gestern nicht abgeschickt.
So kann ich Dir gleich weiter erzählen. Heute morgen z.B. schaue ich in den Spiegel, lächle ihm freundlich zu. Was ist?- soo alt bin ich doch nicht. "Wenn du nicht so recht weißt, wie alt du bist, dann geh' an einer Baustelle vorbei und warte, ob dir jemand hinterher pfeift. Das hab' ich mal irgendwo gelesen. Früher fand ich das immer blöd, aber jetzt...
Ach ja, auch das ist schon lange her, kommt für mich nicht mehr in Frage.

Gestern hatten wir Besuch von den heiligen drei Königen. Nein, Männer waren das nicht. Sie schrieben mit Kreide geheimnisvolle Zeichen an unsere Haustür und erklärten uns lachend und kichernd, was die Zeichen bedeuteten.
Kinder von zehn, zwölf Jahren.
Die Könige und die Heiligen – früher, -erinnerst Du Dich?-, waren das mal alte Männer mit langen weißen Bärten! Ja, die Könige und die Heiligen: Sie werden immer jünger!
***
Hatte ich Dir schon geschrieben, dass ich vor ein paar Wochen im Fernsehen zu sehen war? Zwar nur Regionalfernsehen, aber immerhin. Richtig stolz war ich, und vor allem gespannt, wie ich mich finden würde. Erfahrene Leute hatten mich gewarnt, dass man immer enttäuscht wäre. Man sähe sich anders. Na ja, man wird sehen. Alle möglichen Leute wurden informiert, sie sollten aufpassen und aufnehmen, denn die Sendung konnte hier von mir nicht empfangen werden.
Und dann wurde das Band eingelegt. Ach du meine Güte. Das sollte ich sein? DIE Alte?! Mit den Falten rund um den Mund. Unmöglich.- Zu all dem war die Stimme kaum zu verstehen. Sie hörte sich eher an wie das Gekrächze alter Raben!
Und mein lieber Gatte Georg: "Du siehst doch da nicht alt aus!"
Du wirklich, das ist nicht mehr zum Lachen.
***
Zum Schluß erzähle ich Dir noch von der traurigen Zahnarzt- Geschichte. Sie liegt nun auch schon wieder ein paar Monate zurück.

Ich sollte mir mal die Zähne nachsehen lassen, dachte ich so in meinem jugendlichen Leichtsinn. Tatsächlich wurde der Zahnarzt fündig. Ein Zahn müsse gezogen werden. Und dann wäre noch das und das und das zu machen.
Nun hat man ja gelernt, dass es gut ist, in so wichtigen Angelegenheiten am besten einen zweiten Fachmann zu befragen. War da nicht vor ein paar Jahren – ja, Du hast Recht, es ist schon zwanzig Jahre her – in der Uniklinik so ein netter Zahnarzt? Richtig väterlich war er und hat mir dann später auch noch mal aus Südafrika geschrieben. Ist auch schon gestorben – inzwischen.
Trotzdem – die Uniklinik ist ja gut. Ich melde mich mal an. Der nette, väterliche Zahnarzt war natürlich nicht mehr da. Stattdessen ein junger, spöttischer. "So, zufrieden waren Sie damals? Na ja, anspruchsvoll sind Sie nicht. Den Zahn lassen se sich mal ziehen. Das kann aber auch mein Kollege aus dem Westerwald – wie hieß der Ort noch?- machen." Er entließ mich huldvoll. Mehr oder weniger. Und in seinen Augen stand:" Ach die Alte."

Wenn ich mir das alles so überlege, liebe Louise, man hat ganz offensichtlich beim Älterwerden nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Vorvergangenheit. Die Vergangenheit ist....
Warte mal, ich höre gerade so ein leichtes Gekrächze auf der Kellertreppe. Nein, einen Raben haben wir nicht als Haustier. Ich weiß, du würdest uns das auch zutrauen, aber unser Kater hat inzwischen eine Stimme bekommen, die sich anhört wie das Gekrächze eines alten Raben!
So, das wär's für heute. Es ist viertel vor fünf. Um fünf Uhr wird der Briefkasten geleert.
Liebe Grüße von
Marliese

31. Aug. 2007 - Marlies Eifert

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