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Männerfalle
von Jennifer Schreiner

Wolfgang Sigl Wolfgang Sigl
© http://www.wolfgangsigl-grafiken.de/
Manche von uns stürzen sich in Wochenende, als wenn sie nur dafür leben würden. Als wäre die restliche Woche lediglich ein Anhängsel, dass es zu ertragen gilt, um zwei Tage lang leben zu dürfen, rücksichtslos und ungehemmt.
Ich tat dies nicht. – Ich lebte immer.
Mein Großvater, der im Krieg gewesen war, hat mir dieses Kredo immer gepredigt: Du musst immer leben, wer weiß, ob es ein Morgen gibt. Er musste wissen, wovon er sprach, viele seiner Freunde hatten kein Morgen mehr erlebt.
Vielleicht spielte bei meiner Einstellung auch eine Rolle, dass ich nicht ans Jenseits glaubte. Ich bin mir sicher, man ist entspannter, wenn man daran glaubte und alles auf sich zu kommen ließ. Und wie beneidete ich Menschen, die an Widergeburt glaubten. Was sie in diesem Leben nicht erledigen konnten…verschoben sie einfach auf das nächste.
Ich lebte hier und jetzt. Immer.
Auch heute. Montags. Und auch direkt nach der Arbeit.
Meine Kollegen würden mich nicht vermissen. Wir gingen zwar fast immer zusammen essen, was auch zwanzig Mal im Monat in Ordnung ging, aber ab und zu gönnte ich mir eine Ausnahme.
Heute hieß meine Ausnahme Mark Kirsten.
Genau vor einer Woche hatte ich ihn nach zehn Jahren wiedergesehen. Zum ersten Mal seitdem er, der umschwärmte Schulcasanova sein Referendariat beendet hatte und in die weite Welt gezogen war und mich – damals sechzehn Jahre alt, auf den zerbrochenen Schulmädchenträumen sitzen gelassen hatte.
Großer Gott, er ist eine Wucht gewesen! Jedes Mädchen in der Schule hat seinen athletischen Körper bewundert. Den Körper eines Mannes, nicht der eines Kindes, kaum vergleichbar mit den anderen Jungen, die farblos und verpickelt um unsere Gunst buhlten.
Neben ihm verblassten sie alle. Und er wusste es.
Rücksichtslos hat er seinen Charme spielen lassen, den Mädchen den Kopf verdreht und jeder Hoffnungen gemacht. Selbst mir.
Ich machte mir keine Illusionen mehr über damals. Ich hatte Augen und Fotos die bewiesen, dass ich damals eine blasse, dürre Hippe mit einer knallroten Brille und schlechtem Kleidergeschmack gewesen bin.
Im Gegensatz zu ihm, den wir heimlich durchs Schlüsselloch der Umkleidekabine nach dem Sportunterricht beobachteten. Kein Mensch hat sich früher für mich interessiert.
Heute war ich mir sicher, dass er gewusst hatte, dass wir ihn beobachteten. Zu oft hatte er sich zur Tür gedreht, obwohl dort keiner der Jungs stand. Posiert, als müsse er seine beste Seite zum Vorschein bringen. Offensichtlich hatte er es genossen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Und kein anderer Mann, den ich seitdem kennen gelernt hatte, hat es so gekonnt verstanden, Mädchenträume zu Frauenträumen umzuwandeln und mich in Erregung zu versetzen.
Er wird mich wahrscheinlich nicht erkennen, aber wenn ich ihm meinen Namen nenne, würde er sich hoffentlich erinnern. Schließlich ist es eine kleine Schule gewesen und er hat uns zwei Jahre lang begleitet. Zwei Jahre himmlisch-höllischer Sport- und Deutschunterricht.
Durch das Schaufenster sah ich ihn Schuhe sortieren. Er trug ein weißes Hemd, das die obersten zwei Knöpfe offen ließ und den Blick auf eine angenehm braun-muskulöse Brust gestattete. Er besaß einen gepflegten Haarschnitt und ein Lächeln, das gewohnt war, zu bekommen, was es wollte. Was hat einen Lehrer bloß dazu getrieben eine eigene Sportboutique zu eröffnen?
Ich betrat den Laden. Das Bimmeln der Türglocke ließ ihn aufblicken.
Sofort galt das einnehmende Lächeln mir. "Hallo!", begrüßte er mich.
"Hallo! Ich suche ein bequemes Sportoutfit für meine Schwester. Sie hat dieselbe Figur wie ich. Am liebsten schwarz-weiß, kurz", sagte ich und schenkte ihm Lächeln, das seines noch um Klassen übertraf.
Ich ignorierte seinen scannenden Blick. Immerhin begann er bei meinem Gesicht und arbeitete sich erst dann langsam nach unten hinab und nicht umgekehrt. Ein Punkt für ihn. Hätte er anders herum angefangen, hätte ich mir jede weitere Mühe gespart.
Geistig erhielt er einen zweiten Pluspunkt, als sein prüfend-bewertender Blick wieder bei meinem Gesicht endete. Sein Lächeln schaffte es noch eine Spur freundlicher zu werden, intimer.
"Wofür benötigt Sie das Outfit, wenn ich fragen darf?!"
"Joggen, Workout, Gymnastik. – Was sie wollen." Ich zuckte nonchalant mit den Schultern.
Er deutete mit der Hand in eine Richtung und ließ mich vorangehen. Ich wusste, dass er – sicher, dass ich ihn nicht sehen konnte – Stellen beobachtete, die er früher nie bemerkt hatte.
Als er uns absichtlich hatte leiden lassen; uns vorgeführt hatte, was wir nicht bekommen würden. Nicht von ihm und wahrscheinlich auch von keinem anderen Mann.
Letzte Woche hatte ich ihn zufällig gesehen, wie er den A-Ständer vor dem Laden mit einem neuen Plakat versorgte. Hatte seine immer noch geschmeidigen Bewegungen beobachtet. Sein markant-männliches Gesicht mit diesem Hauch Überlegenheit, das Frauen um den Verstand brachte.
Als er wieder in den Laden ging, bin ich versucht gewesen ihm zu folgen. Aber ich besann mich eines Besseren, drehte mich auf dem Absatz um und ging zurück in meine Wohnung, während ich in Gedanken bereits eine Woche im Voraus plante.
Zugegeben – ich hatte noch einen anderen Mann in Petto, einen athletischen, verdammt süßen Mittzwanziger, der Jura studierte und den ich in einer Kneipe getroffen hatte. Aber als ich an der letzten Ampel stand und auf Grün wartete, wusste ich schon, dass Joshua warten musste. Er war ein toller Mann – diese Stadt war voll von tollen Männern. Aber es gab nur einen Mark Kirsten.
Zeit für einen Angriff.
Ich grinste und sah auf die Uhr. Es war fünf vor acht, fünf Minuten bis Ladenschluss. Kein Wort von ihm davon.
"Warum suchen Sie denn etwas Schwarz-Weißes? Wenn ihre Schwester so aussieht wie sie, kann sie jede Farbe tragen."
Ich drehte mich zu ihm um und gab mir keine Mühe zu verbergen, wie sehr mir gefiel, was ich sah. Überlegend befeuchtete ich meine Lippen mit der Zungenspitze. Langsam. Nachdenklich.
Wie gebannt folgte sein Blick ihrer Bewegung und flackerte, erst als sie wieder verschwunden war, zu meinen Augen hoch. Auf eine Einladung hoffend, die da trotz einer gewissen Laszivität nicht stand.
"Ich mag es Schwarz-Weiß!" Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern und drehte mich zum Weitergehen um. Ging zwei Schritte und blieb abrupt stehen. So abrupt, dass er dicht hinter mir zu Stehen kam, mich berührend.
Ich drehte mich zu ihm um.
Der Anstand hätte geboten, dass er spätestens jetzt einen Schritt zurück trat. Er tat es nicht, sondern sah fragend auf mich herab.
"Meine Güte!", ich legte genügend Überraschung in meine Stimme, um glaubwürdig zu erscheinen. "Sie sind Mark Kirsten, nicht wahr?"
Jetzt war die Überraschung auf seiner Seite und er trat doch noch ein Stück nach hinten um mich Stirnrunzelnd zu betrachten: "Woher…?"
Ich gestattete mir ein entzücktes Kichern, das ich mädchenhaft mit einer Hand zurückhielt. "Schule, Sportunterricht."
Ich beobachtete, wie es in seinem Gesicht arbeitete.
Nein, diese verführerisch-gutaussehende Blondine wäre im sicher früher aufgefallen. Im Sportunterricht. Ein paar verbotene Flirts, zufällige Berührungen. Aber nein, ich konnte nicht dabei gewesen sein.
Er schüttelte den Kopf, als er in Gedanken die Liste seiner Schülerinnen durchging.
"Mach dürr, blass und ohne Haarschnitt aus mir", gestattete ich ihm gönnerhaft.
Er runzelte die Stirn. Konnte sich nicht vorstellen, dass das Geschöpf vor ihm tatsächlich einmal unbedeutend und unbeachtet gewesen sein konnte. Unscheinbar.
Ich machte mir keine Illusionen. Ich wusste, dass ich heute nichts davon mehr war. Er überlegte immer noch.
"Rote Brille!", half ich ihm weiter.
Seine Augen wurden groß und sein Mund formte ein "O". Mein Grinsen wuchs in die Breite, als sein Blick noch einmal über meine Figur glitt, meine Ausstrahlung wahrnahm und ungläubig bei meinem Gesicht verharrte.
"Daniela?", er wirkte fassungslos. "Was hast du gemacht?"
Ich zuckte mit den Achseln und schenkte ihm mein charmantestes Lächeln. "Ich bin erwachsen geworden."
Seine Stimme klang etwas hektisch, als sein Blick zwischen meinem nahen Gesicht und der Uhr hinter mir hin und her huschte und er in Gedanken seine Chancen ausrechnete. "Ich habe gleich Feierabend."
Ich drehte mein Lächeln noch ein wenig mehr auf, wusste, dass ich strahlte. "Wollen wir etwas trinken gehen?"
Jetzt befeuchtete er seine Lippen, sinnlich, nachdenklich. Innerlich grinste ich. Er musste nicht nachdenken, tat es auch gar nicht. "Gerne!"
Mit einem Nicken trat ich an ihm vorbei und ging wieder zur Tür. Er folgte mir dicht. Eigentlich zu dicht. Angenehm dicht. Als ich die Tür öffnen wollte, griff er an mir vorbei und hielt sie mir auf.
"Ist das Tapas in Ordnung?", fragte ich, mit einer Kopfbewegung Richtung gegenüberliegende Gaststätte deutend.
Er nickte und wir überquerten die Strasse nebeneinander. Schweigend.
Es war eine dunkle Bar für Künstler und Möchtegerns mit melancholischer Spanischer Musik, die die Sehnsucht weckte. Erinnerungen an Sommertage, Meerrauschen und flüchtige Liebe.
Ich bestellte einen Weißwein, er einen Kaffee. Sehr solide. Aber vielleicht wollte er auch nur einen klaren Kopf bewahren für den Fall, dass er ihn gebrauchen konnte.
"Wieso arbeitest du in einer Sportboutique, ich dachte als Referendar wird man früher oder später Lehrer?", begann ich unverfänglich.
Er lachte leise, sehr männlich, überlegen. "Es war mir zuviel, mich von kleinen Mädchen anschmachten zu lassen."
Seine Bemerkung war nicht auf mich gemünzt, trotzdem setzte ich einen schuldbewussten Blick auf, fasste mir an die Nase und meinte: "Erwischt!"
Sein verwirrter Blick ruhte eine Sekunde länger auf mir, als er wusste, dann lachte er herzhaft und ungläubig. "Du?"
Ich lachte. Kein leises, zaghaftes Lachen, wie es die meisten Frauen auf Lager hatten, sondern ein echtes. Eines, nach dem sich die Männer in einer Bar umsehen. "Bis über beide Ohren!"
Er nahm meine Hand und drückte sie kurz. Es schien ihm nicht zu gefallen, sie wieder loslassen zu müssen, aber der Anstand gebot es ihm.
Die Getränke kamen. Wir stießen unüblich für Kaffee und Wein an, uns tief in die Augen schauend und wir nahmen beide einen Schluck.
Für einige Sekunden wurde das Schweigen unangenehm, das Prickeln deutlicher, zu deutlich. Ich fuhr scheinbar Gedankenverloren mit den Fingerspitzen der linken Hand um den Rand meines Glases.
"Du bist verheiratet?", fragte ich und deutete mit der rechten auf den schmalen silbernen Ring.
"Ja!", gab er zögernd zu. Sein Gesichtsausdruck war prüfend. Als ich seinen Blick stumm erwiderte und die Liebkosung meines Glases fortsetzte, fügte er hinzu. "Zum zweiten Mal schon." Er zuckte mit den Achseln, als schreibe er dieser Tatsache keine große Bedeutung zu.
"Kinder?"
"Nein!" Seine Stimme klang entsetzt. "Und es sind auch keine geplant!", die Entgegnung kam zu schnell, zu überlegt.
Ich lächelte. Anscheinend wusste er, was er wollte.
Ich nahm meine linke Hand vom Glas und fuhr mit ihr langsam und gut sichtbar über den Handrücken meiner rechten Hand. Er folgte meiner offensichtlich unwillkürlichen Geste. Betrachtete gespannt den sanften Druck der Finger auf meinem Handrücken und das Streichen über die Stelle des Ringfingers wo sich ein Ehering befinden würde, wenn ich verheiratet wäre. Nichts.
"Mit der Boutique…", er schwieg einen Moment und kam wieder auf meine Ausgangsfrage zurück. "Ich wollte frei sein, mir Träume erfüllen können."
"Und...?", fragte ich.
Er erwiderte meinen Blick. Seine Augen waren sehr dunkel, die Pupillen groß. "Nein." Seine Antwort kam leise, als sei es ihm unangenehm. "Es hat nicht funktioniert.
Das hatte ich schon vorher gewusst. Um frei sein zu können war keine Freiheit nötig. Man konnte überall frei sein. Freiheit war eine Einstellungs- eine Gedankensache.
"Oh Mist!", murmelte ich halblaut, wie in Gedanken.
"Was ist?" Er klang alarmiert.
"Ich habe das Outfit für meine Schwester vergessen!" Ich schlug theatralisch die Hände über den Kopf zusammen. "Sie hat morgen Geburtstag." Dann sah ich verwirrt wieder auf. "Wann machst du morgen den Laden auf?"
"Sei nicht albern!", tadelte er. "Es ist doch nur über die Straße."
"Bist du dir sicher?" Ich nagte schuldbewusste an meiner Unterlippe. Sein Blick sagte mir, dass er sich wünschte, es wären seine Zähne, die sich langsam in das rosige Fleisch gruben und daran nippten.
"Natürlich! Ich habe sogar schon eine Idee, was dir gefallen könnte."
Er bezahlte die Rechnung, ohne mich zu fragen oder mich darauf hinzuweisen, dass er mich einlud. Er tat es einfach und wir gingen in wortlosem Einverständnis nach Draußen. Ich nahm seinen Arm und ließ mich von ihm über die Straße führen.
"Macht es dir wirklich keine Umstände?", hakte ich noch einmal nach.
"Umstände? Machst du Witze?" Er schenkte mir einen tiefen Blick. "Eigentlich müsste ich dich dafür bezahlen, dass so etwas Schönes wie Du sich ausgerechnet in meinen Laden verirrt."
Er schloss die Tür auf und ließ in der Zeit das Kompliment wirken, das keines war. Eigentlich war es eine Erinnerung an früher. Zumindest kam es mir so vor.
Wir traten ein; dass Schellen der Glocken klang überraschend hell in den stillen Laden hinein, als er hinter uns wieder abschloss. Er ließ den Schlüssel von Innen stecken und schaltete das Licht ein.
Ich folgte ihm in den hinteren Teil des Ladens, wo er mir einen kurzen Zweiteiler reichte. Sein Blick, der mir in die Umkleidekabine folgte, war sehr intim, fragend.
Ich zog den Vorhang hinter mir zu und zählte langsam die Sekunden, während ich das Sportoutfit an die Seite legte.
Bei neun wurde der Vorhang zurückgezogen. Ich atmete aus. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
"Du hast überhaupt keine Schwester!", murmelte er. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
"Stimmt genau!", gab ich unumwunden zu.
Seine Augen wurden größer, ungläubiger. Dann war er mit einem Schritt bei mir, fiel raubtierartig über meinen Mund her, während seine Hände über meinen Rücken strichen und mich zu ihm zogen.
Ich bewegte mich vorsichtig, behutsam. Man konnte nicht wissen, was geschah, wenn man einen Mann in diesem Moment versuchte zu stoppen. Und ich wollte ihn ja auch gar nicht stoppen, ich wollte nur die Richtung bestimmen.
Langsam verstärkte ich den Druck meiner Abwehr, testend. Als er meine Ablehnung spürte, ließ er mich los. Sein Blick war irritiert, sein Gesichtsausdruck eine einzige Frage. "Aber…"
"Psst!", ich legte meinen Zeigefinger an seine Lippen und ließ ihn behutsam um die Konturen seines Mundes gleiten. "Deswegen bin ich hier!", gestand ich leise.
Mit meiner freien Hand zog ich ein Halstuch aus meiner Jackentasche. Seine Augen weiteten sich ungläubig und seine Hände schlossen sich um meinen Unterarm.
"Was hast du vor?" Seine Stimme war leise, verführerisch.
"Lass mich!", bat ich leise, nachdrücklich. "Vertrau mir!"
Er ließ mich los und gestattete mir, ihm das Tuch um die Handgelenkte zu legen und so zu verknoten, dass er an der Vorhangsstange gefesselt war.
Seine Augen waren groß, dunkel. Er zitterte leicht. Vor Angst und Erregung. Er wusste, er gestattete mir damit die dominante Position einzunehmen, musste sich aufgeben, konnte sich nun nur noch aufgeben. Das erregte ihn, er war ganz bei der Sache und er wusste, dass ich mir dessen bewusst war.
Ich zog ein weiteres Tuch aus meiner Tasche und gestattete ihm einen Blick darauf. Er blinzelte, sagte aber nichts, sondern ließ mich die Augenbinde in seinem Nacken festknoten.
Ich trat einen Schritt zurück und bewunderte mein Werk. Seine Atmung ging heftig und als sekundenlang nichts geschah, stöhnte er leise. Ein herrlich erregender Laut. Es ist das Versprechen der Leidenschaft, das Menschen in den Bann schlägt. Das Versprechen, das ich so sehr liebe. Was mich mindestens so erregt, wie ihn.
Erst, als ich mir sicher war, dass seine volle Aufmerksamkeit auf mir ruhte, berührte ich ihn, streife die nackte Haut seines Halses, flatterte mit den Fingern weiter nach unten, bis zu dem offenen Hemd, bis ich vom ersten Knopf gestoppt wurde.
Ich öffnete ihn, flatterte wieder nach oben und zurück. Öffnete den nächsten Knopf und ließ meine Finger wieder nach oben gleiten und zurück. Langsam, mir Zeit lassend. Erst als alle Knöpfe offen waren, folgte der Berührung mein Atem. Er zitterte. Ich wusste, er verzehrte sich danach, berührt zu werden. Aber er stellte sich diese Berührungen anders vor, als ich.
Minutenlang ließ ich meine Finger über seinen immer noch wundervollen Körper tanzen, über sein Gesicht, die Schultern über die Arme, zu seiner Brust. So sanft, dass er glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, wenn ich ihm nicht endlich mehr zugestünde.
Es ist nicht die Lust, sondern das Versprechen von Lust, das Menschen zur Ekstase bringt. Und es ist der Kampf dagegen, der mich erregt. Immer. Die süße Qual, während ich Männer an ihre Grenzen bringe und dort halte bis ich ihnen Erlösung gewähre. Das waren die Momente, von denen ich träumte, für die ich lebte. Der Sinn meines Lebens.
Niemand, der in einer festen Beziehung lebt und ein geregeltes, durchorganisiertes Leben führt, wie meine Freunde und Kollegen, wird mich je verstehen können. Die Intensität jener Momente, jede Sekunde ausgenutzt, gelebt, als sei sie die letzte. Vollkommen.
Meine Freundinnen, alle in einigermaßen festen Beziehungen schwören auf deren Intimität und Vertrautheit, aber sind es nicht Intimität und Vertrautheit sich völlig hinzugeben, aufzugehen in den Berührungen des anderen und sich ihm voller Vertrauen auszuliefern?
Sein Gürtel klirrte leise, als ich ihn öffnete. Und schon dieses winzige Geräusch sorgte dafür, dass er scharf die Luft einsog. Ich achtete darauf nicht seine Unterhose zu berühren, als ich ihn von seiner Jeans befreite.
Ich schob sie nach unten. Er trat aus ihr heraus und hob seine Füße, einen nach dem anderen, um mir zu gestatten, ihm die Socken auszuziehen.
Hier roch ich noch sein Parfüm, nicht nur seinen eigenen Geruch, pure Männlichkeit, sondern die Mischung zwischen Haut, Eigengeruch und Parfüm, Parfüm, welches durch den Geruch jedes Menschen einzigartig wurde.
Ich sog seinen Duft ein, ließ ihn einen Moment lang in meiner Nase verweilen, sich festsetzen und seinen Weg in mein Gehirn prickeln. Unverwechselbar, Unverkennbar. Für immer in meiner Erinnerung.
Genau wie sein Gesichtsausdruck, als ich meine Hände seine Beine nach oben gleiten ließ. Vollkommen.
"Bitte", flüsterte er. Er wollte, dass ich ihn berührte.
Doch nein, dass wollte er nicht wirklich. Er wollte, dass ich dieses Spiel weitertrieb. Ihm die Erlösung schenkte, von der er sein ganzes Leben geträumt hatte. – Von der fast jeder insgeheim träumte.
Von der Erlösung, der völligen Loslösung, dem Einklang mit einem Partner. Davon, dass nur noch sie beide zählen.
Die wenigsten Menschen schaffen das, denn sie lassen sich fast nie völlig los. Sogar beim Sex zeigen sie einem nur das, was sie einen sehen lassen wollen. Bis du sie an den Rand bringst. Am Rand sind sie jenseits von allem. Jenseits jeder Vernunft, jenseits aller Zurückhaltung. Ihre zivilisierte Maske fällt von ihnen ab. Und genau da wollen sie sein. Dort finden sie ihre Erlösung.
Deswegen darf ich jetzt nicht schwach werden. Und trotz seiner Bitte weiß auch er es.
Gerade für Männer ist es schwer sich loszulassen. Sie haben gelernt, dass es wichtig ist, immer die Kontrolle über alles zu haben. Menschen, Situationen. Macht.
Wahrscheinlich hatte Mark gedacht, ich würde nur ein wenig spielen. Nicht gleich alles wollen. Vertrauensvoll hatte er sich mir überliefert, weil ich einmal seine Schülerin gewesen bin. Jetzt war er mein Schüler.
Ich hauchte ihm meinen Atem über die seidigen, braunen Brustwarzen. Sie wurden sofort hart. Er schluckte sichtbar. Ich wusste, seine Augen hinter dem Tuch waren fest geschlossen.
Mein Blick wanderte zu der Boxershorts. Es war das einzige, was er noch am Leib hat. Ich rollte es langsam nach unten, genüsslich über seine Oberschenkel, die Knie, Waden und die Knöchel. Er hob die Füße nacheinander und gestattet mir, ihn vollständig zu entblößen.
"Hast du einen Kühlschrank im Laden?", hauchte ich in sein Ohr.
Er nickte mit zusammengekniffenen Lippen.
"Wo?"
"Hinten." Er machte eine wage Kopfbewegung. Ich trat aus der Kabine und ging in die gedeutete Richtung, ins Hinterzimmer.
Glücklicherweise hatte er tatsächlich Eiswürfel im Gefrierfach, Ich füllte sie in ein großes Glas und nahm sie mit.
Als ich durch den Vorhang huschte, wirkte sein Gesichtsausdruck alarmiert. "Was…?", weiter kam er nicht, weil ich die Würfel leise gegen das Glas klirren ließ.
Durch die gespannte Stille und seiner Blindheit war er sich dieses winzigen Geräusches bewusst und atmete zischend ein. "Ich finde wirklich…"
Er atmete erschrocken ein, als ich ihn mit dem ersten Eiswürfel berührte. Am Hals. Ich ließ ihn einige Sekunden länger dort, als angenehm sein konnte.
"Aua!", protestierte er.
"Psst!", besänftigte ich. "Bleib ruhig, beweg dich nicht!"
"Aber ich…"
"Soll ich dich so zurücklassen? Was wird deine Frau sagen, wenn sie dich so findet?"
"Du bist…"
"Psst…!" Ich legte ihm nachdrücklich den Zeigefinger an die Lippen.
Er nickte, er hatte verstanden.
Ich presste das Eis gegen seinen Bauch. Er zuckte zusammen und versuchte zurückzuweichen. Ich hielt den Druck konstant, bis er sich dazu zwang, sich wieder zu entspannen.
Erst dann löste ich das Eis von seinem Körper.
"Beweg dich nicht!"
Er schluckte hart, nickte aber. Spielregeln verstanden.
Trotzdem musste ich den Vorgang noch dreimal wiederholen, bis er tatsächlich still stand.
Als ich mir sicher war, dass er verstanden hatte, änderte ich meine Methode. Ich nahm einen weiteren Eiswürfel von der kleinen Pyramide im Glas. Zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt presste ich ihn Mark auf die linke Schläfe. Er sog erschrocken die Luft ein. Nach einigen Sekunden wechselte ich die Seite.
Der Wechsel zwischen Anspannung, Entspannung und neuerlicher Anspannung auf seinem Gesicht war wunderschön ehrlich.
Ich betupfte seine Stirn. Gerade lange genug, um einen kleinen feuchten Fleck zu hinterlassen, wenn der Eiswürfel verschwand. Ihm wurde bewusst, dass er Durst hat, er befeuchtete seine Lippen. Ich ließ den Eiswürfel über seine aristokratische Nase wandern, zu seinem sinnlichen Mund. Seine Lippen schlossen sich um den Würfel, um meine Finger und ich gestatte ihm, an beidem zu saugen.
Für einen Moment glaubte er sich wieder in der Machtposition. Glaubte, ich würde mich bestechen lassen. Als ich mich zurückzog, um ihn durstig und unbefriedigt zurückzulassen, stöhnte er empört auf.
Ich hielt den Eiswürfel, bis er in meinen Händen zu schmelzen begann und ließ Tropfen um Tropfen auf seinen makellosen Körper fallen, eine gerade Spur bis zu den Haaren zwischen seinen Beinen.
Er konnte mir nicht mehr entkommen, sich nicht mehr bewegen und die erschrockenen Seufzer waren alles, was ihm geblieben war. Seine Selbstbeherrschung schwand.
Den zweiten Würfel bewegte ich mit langsamen, kreisenden Bewegungen sein Bein empor, bis zum Knie. Dasselbe wiederholte ich an dem anderen Bein. Erst dann wanderte ich höher, über das Knie hinaus, seinen Schenkel hinauf.
Er verbrannte jetzt innerlich. Aber er blieb still stehen, ohne ein Wort.
Langsam senkte ich den Eiswürfel, bis er seine Brustwarze berührte, bis er begriff. Dann begann ich, das Eis hin und her zu bewegen. Langsam, eine Fingerbreite in jede Richtung, wobei ich nur die Spitze seiner Brustwarze berührte, sonst nichts.
Die Brustwarzen von Männern sind oft empfindlicher als die von Frauen. Die meisten Frauen wissen das nicht, oder ignorieren diese Erkenntnis. Ich nicht, ich spielte mit ihr. Liebte es, zuzusehen, welche Wirkung eine einfache Berührung haben konnte.
Ich bewegte den Eiswürfel etwas schneller, doch immer noch nur die Spitze streifend. Er wölbte sich mir entgegen. Empört über diese Anspielungen von flammender Leidenschaft, empört ob der Unbefriedigung seiner Wünsche. Doch ich hob meine Hände soweit, dass der Druck konstant bleibt.
Ich weiß, damit kann man einen Mann in den Wahnsinn treiben. Ihm ein Stückchen von sich und ihm zu schenken, um es dann wieder wegzunehmen um zu bestimmen.
Und genau das war es, was ich tat. Ich wusste, er wollte mehr Druck, brauchte mehr Druck
Er rückte wieder zurück. Erst jetzt verstärkte ich den Druck langsam, wurde schneller. Nur ein bisschen. Nicht genug. Als er keine Anstalten machte, sich wieder zu bewegen, um den Druck aus eigenem Willen zu manipulieren, senkte ich den Eiswürfel ein wenig.
Ein leises Stöhnen entkam ihm, ein kurzes Seufzen der Dankbarkeit.
Ich nahm meine Hände weg.
"Ich kann nicht mehr!", flüsterte er leise.
Aber er muss. Das sind die Momente für die ich lebe. Die vollkommenen, einmaligen Momente.
Die Momente, die ich in einer festen Beziehung nie erreichen könnte, weil die Einmaligkeit fehlen würde. Weil der Mann es immer wieder und wieder haben wollen würde. Wenn ich es ihm verweigerte, würde er unbefriedigt bleiben und wenn ich ihm den Wunsch erfüllen würde, würde sich die Einmaligkeit zur Gewöhnlichkeit gesellen. Sich das Wunderbare zum Alltäglichen degradieren.
Denn genau das war es jedes Mal aufs Neue: Ein Wunder. Ein Wunder inmitten der Gleichförmigkeit, eine Verbindung, eine Erinnerung die sich in den Männern einnistete und mich unsterblich machte.
In dem Moment, in dem der Mann sich völlig losließ und sich mir hingab, bekomme ich ein Stück Unsterblichkeit.
Mann für Mann, Erinnerung für Erinnerung.
Es geht mir nicht um Macht, es geht um Leben in der Erinnerung, die wahre Unsterblichkeit.
Ich gestand Mark ein wenig mehr Druck zu. Dann keinen Druck mehr. Mehr Druck, dann keinen. Druck, Nichts. Eine Minute lang.
Er seufzte leise. Seine Erregung war größer, als er es je für möglich gehalten hätte. So etwas gab es nur in Filmen, Träumen. Und bei mir.
Und wenn ich ihm doch nur mehr geben würde, könnte er endlich frei sein. Viel brauchte er ja nicht mehr. Ja. So war es fast genug.
Nein.
Ich nahm die Hände weg.
Er bäumte sich empor, dorthin, wo er meine Hände erwartete. Erst als er merkte, dass dort nur noch Luft war, schrie er auf, empört, weil ihm Befriedigung verweigert wurde.
Ich lachte leise, sinnlich.
"Lass mich mit dir schlafen!", flüsterte er leise, außer Atem.
Ich zögerte einen Augenblick. Die Versuchung war groß. Aber nein. Kinderträume. Meine Unschuld war eine andere Sache.
Ich antwortete nicht, sondern begann von vorne.
Ließ das Eis von seinen Schultern ausgehend über seine Haut gleiten. Von den Füßen ausgehen. Aber immer auf seine Mitte zu.
Schließlich bewegte ich den Eiswürfel in kleineren Kreisen. Begann näher an der Mitte, kam ihr näher.
Einmal als er seinen Gefühlen nachgab und wimmerte, begann ich wieder bei den großen Kreisen. Zögerte es wieder hinaus.
Es war wunderschön sein Gesicht zu beobachten. Vollkommen. Sein geöffneter Mund. Die Anstrengung, Anspannung und Verzückung auf seinen Zügen. Ich war mir sicher, seine Augen hinter der Binde waren weit offen. Aufgerissen.
In jeder Faser seiner Körpers lag ein Ausdruck von äußerster Anstrengung, Willenskraft und völlige Auflösung.
Er war mit jeder Faser, mit jedem Gedanken bei mir. Bei dem, was ich als nächstes tun würde, in seiner Welt war kein Platz mehr für etwas anderes. Nur noch er und ich und seine Gefühle. Kein Gewissen, keine Ehefrau, ja nicht einmal mehr die Kabine, in der er stand.
Und kurz davor, seine mühsam durch Zivilisation aufrecht erhaltene Fassung zu verlieren, schrie er auf, als ich den letzten Eiswürfel zwischen seine Beine gleiten ließ und ihn dort bewegte.
Als ich die richtige Stelle gefunden hatte und dort rieb, durchliefen ihn ein Beben und er schrei. Abgerissene Schreie.
Schreie der Ekstase und mehr. Ich verschaffte ihm Erlösung. Erlösung, weil ich ihn endlich dort berühre, wo er berührt werden musste, indem ich sein Verlangen stillte, dass ich in den letzten zwei Stunden aufgebaut hatte.
Ich saugte den herrlichen Anblick in mich auf: Die manikürten Fingernägel, die sich in seine Handballen bohrten, seine verspannten Muskeln, die schweißnassen Haare. Die goldenen Minuten meines Lebens. Kein Anstand, keine Sozialisation, nur er und ich. Die wahrhaftigsten Momente des Lebens. Echte Momente.
Die ekstatischen Schreie wichen den erleichterten. Endlich konnte er nachgeben. Er versuchte mehr zu bekommen, sich mir entgegenzudrängen. Ich hielt ihn mit einer Hand still. Mein Tempo. Nur mein Tempo.
Er schrie. Niemals hätte er gedacht, dass es so etwas in der Realität gab. Er wimmerte bei jeder Berührung. Schneller. Schneller.
Er balancierte am Rand, einem roten, flammenden Rand der Ekstase.
Die Geräusche, die über seine Lippen kamen waren magisch, ebenso wie sein Gesicht. Ich beobachtete jeden Zug, jedes Detail seines Gesichtes. Wie es sich anspannte, als ich ihm jetzt endlich Freiheit gewährte.
Er war wunderschön. Jeder Mann am Rand ist wunderschön. Und ich beobachtete die Männer immer. Bis zum Ende. Ich beobachtete ihr Gesicht und registrierte jede Einzelheit ihrer Erregung, jedes Detail ihres Kommens. Ich erinnerte mich an jeden Mann. Ihren Duft, ihre Wölbungen, das Gefühl ihrer Haut und weiß, in ihrer Erinnerung werde ich für immer leben.
Erst als sich ein Seufzer der Erleichterung zwischen seinen Lippen hervorstiehlt, nahm ich ihm das Tuch von den Augen.
Seine Augen waren tatsächlich offen, er sah mich an und ihm dämmerte langsam, dass die vollkommenste Verführung seines Lebens vorbei war.
Und ich? Ich würde immer in seiner Erinnerung sein. Keine Frau wird mir gleichwertig sein, keine wird es jemals können. Ich war die erste, die ihn an den Rand gebracht hatte, dazu, seine Erziehung zu vergessen und sich der Ekstase auszuliefern.
Es ist die Intensität dieser Momente, die in seinem Gedächtnis sein wird – und in meinem. Die Einmaligkeit dieses Geschehnisses.
Ich schenkte ihm ein Lächeln zum Abschied. Wir werden uns nie wieder sehen, er wird mich nie besitzen. Nur eine Erinnerung.

03. Sep. 2007 - Jennifer Schreiner

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