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kEine Weihnachtsgeschichte
von Holger Kutschmann

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla3d.de/
"Das ist das Weihnachtsland?", fragte das Mädchen. Ihre Stimme war leise und zweifelnd. Das Mädchen saß vor Nikodemus auf dem Pferd. Er legte seine Hand auf ihre Schulter, die nur vom dünnen Stoff eines Hemdchens bedeckt war. Schneeflocken fielen auf ihr langes blondes Haar, bedeckten ihren Kopf wie ein Geflecht von Silber.
"Ja, das ist das Weihnachtsland." Unter ihnen lag das Tal heimelig im Schoß der Berge, die Häuser des kleinen Dorfes von Schneehauben gekrönt, warmes Licht in den vielfenstrigen Augen. Wenn das nicht das Weihnachtsland war - was dann?
Träumer ... sie waren immer seltsam. Wie Kinder.
Nikodemus lachte leise auf
"Warum lachst du?", fragte das Mädchen und drehte sich zu ihm herum. Das Pferd unter ihnen scharrte ungeduldig mit den Hufen. Nikodemus schüttelte den Kopf. "Ich habe über mich selbst gelacht", sagte er.
Das Mädchen hatte blaue Augen, groß und funkelnd, aller Glanz dieser Weihnacht schien sich in ihnen zu spiegeln. Sie war ein hübsches Kind, er war stolz, sie gefunden zu haben. Aber in das Weihnachtsland kamen ohnehin nur Kinder.
"Und weil ich mich freue, dich hierher zu bringen."
Das Mädchen sah wieder hinab in das Tal, und als sie langsam nickte, ließ er das Pferd den alten Passweg hinuntergehen. Und während sie hinunter in das Tal ritten, der Traumfinder und das Mädchen, klarte der Himmel auf.
Über dem Dorf, jenseits der schroffen Bergwipfel, stand der Weihnachtsstern und sandte sein silbriges Licht in das schneeweiße Tal.

Szenentrenner


Johanna riss einen Streifen Tesa ab und verklebte das Geschenk. Die Verpackung war ein wenig schräg geraten, aber dafür konnte auch wirklich niemand erkennen, was sich unter dem Papier verbarg. Johanna fand ihr Werk gelungen. Sie nahm sich das nächste Geschenk vor - das für Papa. Heute war Geschenke-Packtag, und das gefiel ihr. Weihnachten war immer wunderbar.
Nicht nur wegen der vielen Päckchen unter dem Baum! Klar, als sie klein gewesen war, hatte sich alles um die neuen Spielsachen gedreht. Aber jetzt - sie war ja mittlerweile zwölf - erschien ihr die umgekehrte Variante viel interessanter.
Die meisten Leute schenkten immer das Falsche. Johanna hatte das schon recht früh erkannt, sie wusste selbst nicht, wie sie darauf gekommen war. Aber sie hatte es sich gemerkt. Und deshalb wusste sie, was Papa fehlte.

Szenentrenner


"Ist der Weihnachtsmann auch da?", fragte das Mädchen.
Der Traumfinder nickte. "Bestimmt!"
Sie ritten den Passweg hinunter, das Pferd setzte sicher Huf vor Huf. Auf den schneeschweren Tannenzweigen blinkten Feenlichter.
"Kann ich ihn sehen?"
"Wenn du ihn sehen willst - er wartet nur auf dich."
Sie ritten hinab in das Weihnachtsland, das Weihnachtstal, das Weihnachtsdorf. Das Mädchen spürte die Wärme und Kraft des Pferdes und die mächtige Gestalt des großen Mannes, der die Zügel führte und die Arme dabei schützend um sie legte. Der Traumfinder, der sie im Schnee entdeckt und geweckt hatte.
War das wirklich nur ein Traum? Und - hatte sie nicht das Geschenk dabei? Sie spürte es deutlich, unter ihrem Nachthemd.

Szenentrenner


Das Geschenk für Papa. Das Messer.
Johanna schnitt einen passenden Streifen Geschenkpapier zurecht. Auf dieses Geschenk hatte sie lange gespart. Und es war klasse, da war sie sich sicher. Ein Fischmesser, wie es zu einem richtigen Angler gehörte. Und so einer wollte Papa ja jetzt sein, seit er in diesem Jahr dem Fischerei-Verein beigetreten war.
Johanna wickelte das Messer ein. Zog einen Streifen Tesa von der Rolle und verklebte es. So gefiel es ihr gleich viel besser. Es sah nicht mehr so scharf aus. Sie legte das Messer zu den anderen bereits verpackten Geschenken, Was kam als nächstes? Die Blumenvase für Mama. Mama liebte Blumen, und immer hatte sie eine Vase zu wenig. Johanna lächelte. Bald nicht mehr.
Die Türglocke schlug an. Johanna hörte es bis in ihr Zimmer. Aber Mama war ja da, sie brauchte sich nicht darum zu kümmern. Leise summend schnitt sie das Weihnachtspapier zurecht.

Szenentrenner


Der hohe Schnee dämpfte den gleichmäßigen Hufschlag des Pferdes, fast wie auf Wolken ritten sie hinein in das Dorf. Leise Musik klang zwischen den Häusern, und als sie die ersten Gebäude erreichten, konnte das Mädchen hinter den hell erleuchteten Fenstern emsig werkelnde Gestalten entdecken. Die Engel und Weihnachtswichtel arbeiteten eifrig an den Geschenken für all die Kinder dieser Welt. Genauso hatte sie sich das Weihnachtsland vorgestellt.
"Wo wohnt denn der Weihnachtsmann?"
Der Traumfinder hob den Arm und wies auf das Haus am Ende der Straße. Das Haus war nicht größer als die anderen, und auch sonst wies nichts darauf hin, das dort der Weihnachtsmann wohnte. Das wunderte das Mädchen, denn irgendwie war der Weihnachtsmann doch der Chef hier.
"Möchtest du sofort zum Weihnachtsmann?"
Das Mädchen nickte. "Klar", sagte es leise, "zuerst will ich zum Weihnachtsmann!"

Szenentrenner


"NEIN!"
Johanna hörte es bis in ihr Zimmer.
"Nein! " Das war Mama!
Johanna war bereits an der Tür und stürmte auf den Flur hinaus. Etwas Schreckliches war geschehen, das wusste sie. Und Mama weinte. Das hörte sie.
Johanna stand oben an der Treppe und sah hinunter in die Diele. Mama stand an der Haustür, die Hände vor das Gesicht geschlagen, seltsam gekrümmt, wie von einer unsichtbaren Last verbogen.
Draußen vor der Tür standen zwei Männer, die Köpfe geneigt, als schämten sie sich für etwas. "Frau Bernhard, wenn wir noch etwas für Sie tun können..." sagte der eine jetzt.
Mama schüttelte nur den Kopf. Was kaum zu sehen war, sie zitterte ja am ganzen Körper.
Genau wie Johanna.
"Mama!" Johanna spürte Tränen in ihren Augen. "Mama, was ist denn?!"
Ihre Mutter drehte sich zu ihr herum, die Haare klebten ihr wirr im Gesicht, und sie weinte, wie Johanna sie noch nie hatte weinen sehen.
"Johanna", Mama schluckte, "Johanna, Papa ist tot!"
"NEIN!"

Szenentrenner


Der Traumfinder Nikodemus zog die Zügel an und rutschte vom Pferd.
"Hier", er hielt dem Mädchen die Arme hin, um ihr beim Absteigen zu helfen, "hier bist du beim Weihnachtsmann, kleine Träumerin."
"Ich bin nicht klein", sagte das Mädchen, während es ihm ein wenig ungelenk entgegen glitt, "ich bin fast dreizehn."
Das war ein hohes Alter, um hier im Weihnachtsland aufzutauchen, das musste der Traumfinder sich eingestehen. Er zuckte beschwichtigend die mächtigen Schultern.
"Dann kannst du ja auch selbst anklopfen, oder?" Nikodemus zeigte auf die kleine Tür.
Von der niedrigen Dachkante hingen glitzernde Eiszapfen, so dass sich das Mädchen bücken musste, um an die Tür zu kommen. Sie klopfte.
"Wer ist da?" fragte eine tiefe, brummige Weihnachtsmannstimme.
Das Mädchen sah den Traumfinder an. "Was soll ich sagen?"
Nikodemus lachte. "Deinen Namen", erwiderte er.
"Natürlich", sagte das Mädchen, "was auch sonst!"

Szenentrenner


Am nächsten Tag stand es sogar in der Zeitung. Mit einem Bild! Mama war außer sich.
Noch nie in ihrem Leben hatte Johanna so schlecht geschlafen wie in der letzten Nacht. Und das schlimmste war - nichts hatte sich geändert. Der Tag begann so tränenreich und grau, wie er gestern geendet war, und die Zeitung machte alles nur noch schlimmer.
"Irgendetwas muss man doch dagegen unternehmen können!" Mama saß mit Onkel Wilfried auf der Couch. Sie sah furchtbar aus. Verweint und alt, richtig alt. "Wie kommen die dazu, so ein Foto abzudrucken? Wilfried, der Volker liegt noch da, tot, auf der Straße! Ich ... ich ..."
Onkel Wilfried nahm Mama in die Arme, und dann weinten sie gemeinsam. Onkel Wilfried war Papas Bruder.
Johanna weinte nicht mehr. Eine einzelne Träne schlich noch über ihre Wange, aber sonst waren ihre Augen trocken. Sie sah nur die Zeitung, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag.
WEIHNACHTSMANN ÜBERFÄHRT RADFAHRER
Und dann das Foto. Papa lag am Boden. Er war nicht richtig zu erkennen, aber Johanna kannte seinen Mantel. Und neben ihm, keinen Meter oder so entfernt, stand der Weihnachtsmann. Wie ein böses Gespenst.
"Ich hasse dich!" murmelte Johanna leise. Dann ging sie langsam aus dem Zimmer. Hinter sich hörte sie Mama schluchzen.

Szenentrenner


"Wer ist da?", fragte die dunkle Stimme noch einmal.
"Johanna", erwiderte das Mädchen.
"Komm herein, Johanna. Ich habe gern Besuch!", sagte die freundliche Weihnachtsmannstimme.
Der Traumfinder nickte ihr aufmunternd zu.
Johanna öffnete die niedrige Tür und duckte sich, um einzutreten. Goldenes Licht und eine wohlige Wärme strömten ihr entgegen. Das Innere der Hütte schien nur aus einem einzigen Raum zu bestehen. Gegenüber der Tür brannte ein großes Feuer in einem noch größeren Kamin. Und vor dem Kamin, in einem schweren Lehnstuhl, saß der Weihnachtsmann. Der lange weiße Bart fiel auf seinen runden Bauch herab, und er hatte die roten Hosenbeine hoch gekrempelt, denn offenbar nahm er gerade ein Fußbad. Seine kleinen blauen Augen blinkten Johanna freundlich entgegen.
"Willst du deinen Wunschzettel ändern, mein Kind?" Der Weihnachtsmann lächelte müde. "Alle Kinder wollen ihre Wunschzettel ändern, wenn sie mich besuchen. Du brauchst dich also nicht zu zieren."
Johanna sah sich weiter um. Überall an den Wänden hingen grüne Tannenzweige, von denen Zuckerkringel und Glitzerkugeln baumelten. Dazwischen schwirrten eifrige Holzengel herum, die kleine bunte Päckchen an die Zweige banden oder wieder ab nahmen, wenn sie genügend gewachsen waren. Dann wurden sie in die großen Säcke transportiert, die überall im Raum verteilt standen.
"Der Weihnachtsmann spricht mit dir, Johanna", sagte der Traumfinder hinter ihr. Sie hatte gar nicht gemerkt, das er ihr gefolgt war.
"Oh ja, ich wollte nicht unhöflich sein." Johanna nickte dem Weihnachtsmann entschuldigend zu, "aber das ist ja ein ziemlich buntes Treiben hier."
"Gefällt es dir?", fragte der Weihnachtsmann.
Johanna zuckte unschlüssig die Achseln. "Ein bisschen kitschig, um ehrlich zu sein. Aber genau so habe ich es mir immer vorgestellt."
"Na, das ist ja toll." Die Stimme des Weihnachtsmannes klang nicht mehr ganz so freundlich. "Um mir das zu sagen, bist du ins Weihnachtsland gekommen? Das wird ja immer besser. Irgendwann taucht hier noch eine Göre auf, die mich einfach abschaffen will." Johanna nickte. "Möglich ist alles. Ich bin jedenfalls wegen einem Geschenk hier."
Der Weihnachtsmann verdrehte die Augen. "Also doch die Wunschzetteländerung!"
Johanna schüttelte den Kopf. "Nein. Ich meinte ein Geschenk für dich, Weihnachtsmann."
Der Weihnachtsmann lachte leise auf. "Ein Geschenk? Für mich?" Er schüttelte ungläubig den Kopf, dann wandte er sich an den Traumfinder. "Hast du so was schon erlebt, Nikodemus? Ich nicht!" Er sah wieder Johanna an. "Aber nett finde ich es schon. Nun zeig schon her!"
Die kleinen blauen Augen des Weihnachtsmannes waren richtig groß geworden.
Johanna lüpfte verschämt ihr Nachthemd und zog das Geschenk hervor. Sie hatte es die ganze Zeit im Bund ihres Schlüpfers getragen, und das war nicht gerade angenehm gewesen. Aber unauffällig.
"Was ist das?". fragte der Weihnachtsmann.
Das Geschenk war lang und irgendwie schmal,
"Das sieht man nicht, es ist ja verpackt", sagte Johanna. Sie wog das Geschenk in der Hand. Es war nicht sehr schwer. Eher spitz.
Der Weihnachtsmann streckte die Hand aus, aber Johanna zog das Geschenk zurück. Hob es bis über ihren Kopf.
Der Weihnachtsmann schüttelte verärgert die rote Zipfelmütze. "Wenn es ein Geschenk für mich ist, dann gib's mir."
Johanna nickte. "Du sagst es!"
Ihre Hand fuhr nieder, sie legte alle Kraft ihres jungen Körpers in den Stoß, und dann...
"Was war das?", fragte der Traumfinder und starrte entsetzt auf den weißen Bart des Weihnachtsmannes, der sich langsam rot färbte.
"Ein Fischmesser", antwortete Johanna.

Szenentrenner


25. Dez. 2007 - Holger Kutschmann

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