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Das Haus am Bach von Thomas Backus
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla3d.de/ Manchmal gibt es erfreuliche Dinge im Leben eines Menschen. Ein Krankenhausaufenthalt gehört nicht dazu, wohl aber eine größere Gehaltserhöhung, wofür man auch schon einmal einen Umzug in Kauf nimmt. Zumal die neue Gehaltsstufe einem mit einem besseren Lebensstandard auch eine optimalere Wohnmöglichkeit bietet.
Bei mir war es so, dass ich vom simplen Verkäufer zum Filialenleiter einer Kaufhauskette aufstieg. Ich zog um und tauschte meine kleine Ein-Zimmer-Wohnung gegen ein nettes Häuschen im Grünen.
Es lag am Rande, wenn nicht sogar etwas außerhalb des Ortes, was mir eine idyllische Ruhe bescherte. Von außen sah man eine gepflegte Fachwerkfassade, einen kleinen, neckischen Vorbau und ein kleines Gärtchen. Die Zimmer waren weder zu groß, noch zu klein, und die Gardinen ließen sie nicht zu öd und leer aussehen.
Selbstverständlich überprüfte ich, ob die Fenster auch dicht schlossen, die Heizung einwandfrei funktionierte und die Wasserinstallationen in Ordnung waren, ebenso die Beschaffenheit des Daches.
Mein Kumpel Jürgen, der mich bei der Besichtigung begleitete, war meiner Meinung: Das Haus war ideal, und der Preis erschien uns auch fair.
Wir gingen nochmals durch die Räume, ließen erneut die Atmosphäre auf uns wirken. Dabei entdeckten wir eine Tür, die uns vorher nicht aufgefallen war. Sie wurde fast vollständig durch einen braunen, dunklen Vorhang verdeckt. Der Versuch, diese Tür zu öffnen scheiterte - sie war verschlossen.
Der herbeigerufenen Verkäufer erschrak sichtlich, als wir auf die Tür hinwiesen. Es handele sich nur um eine Art Notausgang, den man eh nicht benötigen würde. Außerdem wisse er nicht, ob überhaupt ein Schlüssel existiere.
Dies erschien uns alles sehr merkwürdig, und es verstärkte unsere Neugier.
Welche Leichen hatte man in diesem Keller verscharrt?
Nun denn, der gute aber mittlerweile sehr ängstliche - Mann wollte das Haus unter allen Umständen verkaufen. Ich dagegen bestand darauf, zu erfahren, was hinter dieser Tür verborgen war. Er möge doch bitte einen Schlosser rufen, um die Tüt zu öffnen - auch wenn es sich wie in diesem Fall nur um einen Notausgang handelte.
Oder gerade deswegen.
Der Verkäufer wurde bleich. Nicht etwa kränklich bleich, nein sein Sonnenstudiobraun verwandelte sich in eine ungesunde Leichenblässe. Er stammelte herum, suchte Argumente, aber was ihn zu dieser seltsamen Reaktion veranlasste, gab er nicht preis. War die Wahrheit so schrecklich, dass ich das Haus nicht kaufen würde, wenn ich sie kannte? Was war der Grund dafür, dass er das Haus so günstig anbot? Letztendlich fand er bewussten Schlüssel doch klein und unscheinbar. In keinster Weise deutete er an, welch grausiges Geheimnis er verbergen mochte. Wir waren neugierig und konnten es gar nicht erwarten, dass sich die Tür öffnete und ihr wohlbehütetes Geheimnis preisgab.
Der Schlüssel ließ sich leicht ins Schloss einführen und er schloss so leicht, als wolle sich das Geheimnis offenbaren. nicht verbergen lassen.
Mit zitternder Hand drückte der Hausbesitzer die Klinke nach unten.
Meinem Kumpel und mir schlug das Herz bis zum Hals. Gleich, gleich würden wir es erfahren. Die Tür öffnete sich. Keine drohende Düsternis, kein modriger Gestank. Ein Sonnenstrahl drang warm und fröhlich ins Innere.
Vor uns lag eine kleine Terrasse, gerade groß genug für einen Tisch und zwei Stühle, und vielleicht einen Grill. Umrahmt wurde alles vom frischen Grün des Frühlings. Gräser und Sträucher, noch nicht einmal Brennnesseln. Wovor hatte der Verkäufer solche Angst? Vor dem kleinen Bächlein, dass fröhlich vor uns hinplätscherte? Selbst für einen Nichtschwimmer barg das Gewässer keine Gefahr.
Aber der Hausbesitzer hatte Angst, das war nur zu offensichtlich. Er schlotterte am ganzen Leib trotz der angenehm warmen Frühlingssonne. Sogar seine Blässe hatte sich noch verstärkt so unglaublich das auch klingen mag. Er weigerte sich strikt, die Terrasse zu betreten, ja, er drängte uns sogar, wieder ins Haus zurückzukehren.
Dies taten wir dann auch mit einem leichten Zögern, aber mit sehr viel Unverständnis. Doch der Verkäufer ließ sich nicht aus der Reserve locken. Er verschwieg de- Grund seines auffälligen Verhaltens. Das Haus verkaufte er mir, er wollte es unbedingt loswerden, aber er beschwor mich, diese Tür wieder zu verschließen und nie wieder zu öffnen.
Ich versprach es ihm, allerdings nur, um ihn zu beruhigen. Ich dachte nicht im Traum daran, diesen herrlichen Fleck meines neuen Besitzes ungenutzt zu lassen.
Die nächsten Tage konnte man als das große Ausmisten bezeichnen. Es ist erstaunlich, wie viel Müll sich im Laufe der Zeit ansammelt. Ich meine nicht leere Bierflaschen oder Coladosen, oder ähnliches, sondern diese Tausend Dinge, die man aufbewahrt, weil man sie eines Tages vielleicht noch mal brauchen könnte. Die meisten benötigt man natürlich nie wieder, und der ideologische Wert verschwindet meist auch sehr schnell, so dass man diese Gegenstände bei einem Umzug doch besser wegwirft. Für mich bedeutete das nicht weniger als fünfundzwanzig blaue Müllsäcke bedeutungslos gewordener Erinnerungen.
Dennoch blieb viel übrig, was sortiert, in Kartons verpackt und zum neuen Häuschen transportiert werden musste aber alle meine Freunde halfen mit.
Dann begannen wir mit dem Umzug und am Abend feierten wir die Einweihung.
Mein Kumpel Jürgen half mir am nächsten Morgen die Überbleibsel der Party zu beseitigen. Nach getaner Arbeit hatte das am Vorabend aufgetretene Magendrücken nachgelassen, und wir sannen auf Nachschub. Leider waren jegliche Essensvorräte aufgebraucht. Da Sonntag war, gab es leider auch keine Möglichkeit einzukaufen.
Nun denn, ungewöhnliche Geschehnisse erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Jürgen war nicht nur Berufssoldat, sondern auch Mitglied in einem Schützenverein, und somit im Besitz einer Handfeuerwaffe. Es musste doch möglich sein, eine der auf dem Bach beheimateten Enten in einen leckeren Braten umzuwandeln.
Jürgen holte seine Knarre aus dem Auto er hatte so eine Art Tresor im Kofferraum , während ich sorgfältig ein Messer schärfte. Dann öffneten wir die geheimnisvolle Tür zur Terrasse und machten Witze über das Grauen, welches nicht uns, sondern die Enten erwartete.
Wir pirschten uns Bach aufwärts und stiefelten das Ufer entlang.
Das Rauschen des Baches und das Surren der Mücken begleitete uns. Schier endlos lang stapften wir durch die Botanik, und es verwunderte mich, wie weit mein Häuschen am Rande des Ortes lag, denn wir hatten kein einziges Anzeichen menschlicher Anwesenheit entdecken können. Nicht nur, dass sich außer uns keiner hier herumtrieb was in Anbetracht unserer vorsätzlichen Wilderei äußerst vorteilhaft erschien , sondern das Fehlen jedes menschlichen Zivilisation. Wir sahen kein Haus, keine Scheune, keine Straßen, und keine Felder oder Feldwege. Nichts.
Langsam wurden wir ungeduldig. Es musste hier doch Enten geben, die gab es schließlich auf jedem Bach. Von Unmut geprägt bogen wir um die Flussbiegung.
Was wir dort sahen, ließ uns erstarren. Die Landschaft hatte sich verändert. Es sah so verschroben aus, so unwirklich, so bizarr. Der Bach hatte sich verbreitert, war auf die Ausmaße eines Flusses gebläht. Aber er sah noch immer sehr flach aus. Auffällig waren auch die abertausend Felsbrocken, die die Oberfläche durchstießen. Lang und schmal, ein wenig verwittert, aber mit erschreckender Symmetrie.
Wie Figuren auf einem Schachbrett, chaotisch, aber dennoch geordnet allerdings nach einer Ordnung, die der menschliche Geist unmöglich erfassen konnte.
Das Grün der Pflanzen war gewichen. Vereinzelt sah man kahle Sträucher, die ihre Äste Totenfingern gleich in den schwefelgelben Himmel streckten. Wir standen da, mit vor Staunen geöffneten Mündern. Das war also die Leiche im Keller. Oder war es nur ein Teil, womöglich ein verschwindend kleiner Teil des grausigen Geheimnisses? Warum war das einzige Lebewesen dieser Welt ein Geier? Er saß auf einem der knorrigen Totenfinger und glotzte, wie es nur ein Geier vermag.
Jede Faser meines Körpers verlangte danach, von hier zu verschwinden, die Tür zu dieser Scheiß-Terrasse mit diesem Scheiß-Bach für immer hinter mir zu verschließen. Den Schlüssel im Klo runter zu spülen und das Scheiß-Haus zu verkaufen.
Aber ich konnte mich nicht rühren. Ich stand da und glotze auf den Geier, der immer näher hüpfte. Er bewegte sich mit diesem ulkigen Geiergehüpfe, welches diese Tiere zu Unrecht lustig und sympathisch erscheinen ließ, bevor sie ihren rasiermesserscharfen Schnabel in den Kadaver ihrer Beute schlugen. Ich war mir sicher, dieses Exemplar würde nicht auf unseren Tod warten, um uns zu verzehren.
Aber dieses Wissen half mir nicht. Ich stand da und wartete auf das unausweichliche Schicksal eines Frevlers. Warum hatte ich darauf bestanden, dass die Tür geöffnet wurde?
Jürgen starrte genauso wie ich, obwohl er darauf geschult worden war, auf eine Gefahr zu reagieren. Dann schoss er. Die Kugel traf keine leckere Entenbrust, sondern den hässlichen Geierschädel. Er zerplatzte wie eine Tomate, die man an die Wand wirft. Dann kippte der Kadaver ins Wasser. Blasen blubberten und Dampf stieg auf. Der Schuss hatte mich aus der Starre befreit, und ich musste nicht geschult worden zu sein, um zu rennen. Und ich rannte! Wie nie in meinem Leben! Jürgen auch. Dann tat ich das dämlichste, was ich tun konnte. Wie Lots Frau sahen ich mich noch einmal um. Der Bach, bzw. der breite Fluss türmte sich zu einer riesigen Flutwelle auf, wobei die Felsen nicht im Flussbett verblieben, sondern die Welle wie das riesige Maul eines Hais erscheinen ließen. Eine verdammt gute Motivation, noch schneller zu rennen. Ich weiß nicht, ob wir einen neuen Weltrekord aufgestellten, aber wir retteten unser Leben. Ich höre noch heute das Getöse, mit dem die Wassermassen gegen die gerade noch geschlossene Tür schlugen.
Als das Zeitungsbüro am Montagmorgen öffnete, staunten die Damen von der Anzeigenannahme nicht schlecht. Zwei unrasierte Männer in nassen Klamotten lauerten vor ihrer Tür. Das waren Jürgen und ich. Wir gaben eine Verkaufsannonce auf und ich verkaufte das Haus. Wir betraten es nur noch ein einziges Mal um die verdammte Tür zuzumauern!
10. Dez. 2007 - Thomas Backus
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