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Komm, tanz mit mir! von Eva Markert
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Seit Anbeginn der Zeiten hatte sich nichts geändert: Seuchen, Krankheiten, Katastrophen, Verbrechen, Kriege die Menschen starben immer auf die gleiche Weise.
Der Tod langweilte sich und ließ sich etwas Neues einfallen.
Zwischen zwei und drei Uhr morgens, zu der Stunde, in der das Leben zur schwachen Flamme verkümmert, herrschte dumpfe Stille in den Straßenschluchten der Metropole. Überall waren die Rollläden heruntergelassen, einige Türen sogar mit zusätzlichen Schlössern gesichert.
Scheinwerfer erhellten jeden Winkel. Sie strahlten den Brunnen vor dem Rathaus an, in dem das sprudelnde Wasser glitzerte wie flüssiges Kristall. Ihr grelles Licht fiel auch auf Blumenkästen, in denen der Nacht zum Trotz rote Geranien üppig blühten. Die Stadt versuchte, die Finsternis zu leugnen.
Doch sie mühte sich vergebens. Denn in der Nacht streifte der Tod durch die Straßen. Er tat sein Werk ausdauernd, beharrlich. Zu seinen Opfern zählten Männer, Frauen, Kinder, Betrunkene, Menschen, die das Abenteuer suchten, und solche, die notgedrungen den Schutz ihrer Wohnung verlassen mussten. Einige, die in der stillen Stadt unterwegs waren, verschonte er. Andere nicht. Niemand konnte sagen, warum. Niemand wusste, in welcher Gestalt er kam.
Eines Nachts, zwischen zwei und drei Uhr, hallten Schritte in der Straße wider.
Tod! Die Stimme eines jungen Mannes brach sich an den Häuserwänden. Tod!
Nichts rührte sich außer einem Nachtfalter, der um eine Laterne flatterte.
Der junge Mann blieb stehen. Nimm mein Leben haben, ich will es nicht mehr!
Eine Gardine bewegte sich.
Tod, wo bist du?, schrie der junge Mann, sank auf die Knie, warf den Kopf in den Nacken und entblößte seine Kehle. Komm, ich sehne mich nach dir!
Ein flinker Schatten huschte um die Ecke.
Eine alte Frau lief die Straße entlang. Sie war fast kahl und trug einen langen, schwarzen Mantel. Das Klopfen ihres Stockes auf dem Asphalt schallte unnatürlich laut zu dem jungen Mann herüber.
Er blickte ihr entgegen.
Steh auf, befahl sie mit brüchiger Stimme. Eine knochigweiße Hand streckte sich nach ihm aus.
Wie in Trance ergriff er sie.
Wie heißt du?, fragte die Alte.
Robert.
Komm mit mir, Robert.
Ich will sterben, flüsterte er.
Ich weiß.
Er sah sie an. Haben Sie keine Angst, nachts auf die Straße zu gehen?
Ihre Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. Ich habe mein Leben gelebt. Aber du noch nicht.
Plötzlich verharrte sie. Hörst du das?
Robert lauschte.
Eine klare Stimme schwebte zu ihnen herüber.
Brüderlein, komm, tanz mit mir
Beide Hände reich ich dir
Einmal hin, einmal her
Rundherum, das ist nicht schwer.
Es klingt wie ... ein Kind!, fügte er ungläubig hinzu.
Entschlossen wandte sich die alte Frau um. Warte hier auf mich.
Wohin gehen Sie?
Wenn hier ein Kind allein unterwegs ist, muss ich es finden.
Nachdenklich blickte Robert ihr nach, verwundert, wie schnell sie sich auf einmal bewegen konnte. Nach kurzem Zögern folgte er ihr.
An der Straßenecke blieb er stehen. Die Alte näherte sich einer kindlichen Gestalt. Robert konnte nicht erkennen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Das Kind trug einen dunklen Umhang, seine Silhouette wirkte wie ein Scherenschnitt gegen das gelbliche Licht der Straßenlaterne. Es kniete neben einem Mann, dessen regloser Körper in einer dunklen Pfütze lag.
Die Greisin neigte sich zu dem Kind hinunter. Es streckte ihr beide Hände entgegen. Die alte Frau ergriff sie. Polternd fiel ihr Stock zu Boden.
Das Kind begann zu singen:
Schwesterlein, komm, tanz mit mir
Beide Hände reich ich dir
Einmal hin, einmal her
Rundherum, das ist nicht schwer.
Es schien erstaunliche Kraft zu haben. Schneller und immer schneller drehten sie sich. Fast sah es so aus, als ob es die alte Frau herumwirbeln würde.
Als die Greisin stürzte, bückte sich das Kind. Etwas Silbriges blitzte auf.
Wie schwarze Tinte floss es aus der Alten heraus und bildete eine Lache auf dem Asphalt. Ihr Leib zitterte, die Gliedmaßen zuckten. Dann lag sie still.
Das Kind zog seine Kapuze über den Kopf, erhob sich und kam langsam auf Robert zu. Er hörte, wie es leise vor sich hin sang:
... beide Hände reich ich dir,
Einmal hin, einmal her ...
Er stand, unfähig sich zu rühren.
Das Kind hatte sich ihm bis auf ein paar Schritte genähert.
Er konnte nicht mehr denken. Nur noch warten.
Das Kind hatte ihn erreicht. Die Augen, die ihn anblickten, waren uralt.
Robert erschauderte.
Das Kind ging an ihm vorüber und verschwand.
Am nächsten Tag wurden zwei weitere Opfer ein Mann und eine alte Frau mit durchschnittener Kehle in der Straße gefunden.
Robert kehrte zu den Lebenden zurück. Niemand glaubte ihm, was er berichtete. Der Schnitter ein spielendes Kind? Das war undenkbar!
03. Aug. 2008 - Eva Markert
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