Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Übersicht
Neu hinzugefügt
Autoren
Genres Magazine Verlage Specials Rezensionen Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Kurzgeschichten > Fran Henz > Belletristik > Kalbsragout
emperor-miniature

Kalbsragout
von Fran Henz

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Hilde hörte, wie Erich die Wohnungstür öffnete. Zorro, der hellbraune Spaniel, hob den Kopf. Er stand schon lange nicht mehr auf, um sein Herrchen zu begrüßen, wusste er doch, dass er dafür nichts bekam als einen Fußtritt.
Der Aktenkoffer plumpste im Vorzimmer zu Boden, die Schuhe folgten. Hilde kannte den Ablauf der Geräusche, der die gleiche Monotonie besaß wie ihre ganze, achtundzwanzig Jahre dauernde Ehe.
Erich schlurfte grußlos an der Küche vorbei. „Ich will ein Bier, Mutter.“
Er verschwand im Schlafzimmer, um seinen angejahrten, aber bequemen Trainingsanzug anzuziehen. Wenn er damit fertig war, hatte das Bier auf dem Couchtisch zu stehen.
Hilde ging wieder zurück in die Küche. Von dort hörte sie, wie Erich den Fernseher einschaltete. Während sie das Geschirr abtrocknete und wegräumte, sah sie hinaus in den Garten, dem ihre ganze Liebe gehörte. Himbeerstauden, deren Ranken sich unter dem Gewicht der Früchte bogen, in voller Blüte stehende Rosenstöcke und ein Rasen, der wie grüner Samt schimmerte.
Das Haus und der Garten waren der Grund, warum sie den Gedanken an eine Trennung von Erich immer wieder verwarf. Bei der Scheidung hätte beides verkauft werden müssen, und ein Leben in einem Hochhausblock erschien Hilde unerträglich.
Lieber erduldete sie Erichs Gleichgültigkeit und die kleinen und großen Gemeinheiten im täglichen Zusammenleben. Längst lebten sie nebeneinander und nicht miteinander.
Erich erwartete nichts mehr von ihr, was über gebügelte Wäsche und warme Mahlzeiten hinausging. Einmal in der Woche traf er sich mit seinen Kegelbrüdern, die restlichen Abende verbrachte er vor dem Fernseher.
Hilde fand sich damit ab. Im Gegensatz zu ihren beiden Töchtern, die ihr zuredeten, Erich zu verlassen. Aber Hilde war mit ihrem Dasein zufrieden.
Meistens.
„Mutter“, hörte sie die wohlvertraute Stimme und ging hinüber ins Wohnzimmer.
Erich saß auf der Couch. Der Reißverschluss der Trainingsjacke stand offen, darunter spannte sich das Unterhemd über seinem Bauch. Ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen, hielt er ihr die leere Bierflasche hin. „Was gibt’s zum Abendessen?“
„Kalbsragout“, antwortete Hilde und griff nach der Flasche.
Obwohl ein Deckchen auf dem Tisch lag, waren auf der polierten Oberfläche die Abdrücke des Flaschenbodens zu sehen. Über so unwichtige Dinge machte sich Erich nie Gedanken, auch von Gläsern hielt er nicht viel. Hilde brachte ihm eine neue Flasche Bier, stellte sie auf das Deckchen und wischte die Tischplatte mit einem feuchten Tuch ab.
Zorro begann in der Küche auf und ab zu laufen. Es war halb sechs, Zeit für sein Fresschen. Hilde liebte den drolligen Kerl und das nicht nur, weil Erich Tiere – außer delikat zubereitet auf seinem Teller – hasste.
Aufmerksam verfolgte Zorro, wie Hilde eine Dose Chappi öffnete und in seine Schüssel leerte. Sein kurzer Stummelschwanz wackelte aufgeregt, als sie den Napf auf den Boden stellte. Nachdem er alles verschlungen hatte, leckte er mit der Zunge über seine Schnauze und sah Hilde mit noch immer hungrigen Augen an.
„Du kleiner Gauner!“ Hilde lächelte und kraulte ihn hinter den Ohren.
Im Schlafzimmer, wo Erich seine Kleider wie jeden Tag einfach fallen gelassen hatte, hängte sie den Anzug auf einen Bügel, strich die Krawatte glatt und legte ein frisches Hemd bereit, damit Erich am nächsten Morgen ordentlich aussah.
„Wo bleibt das Essen? Ich hab Hunger“, sagte Erich als sie durchs Wohnzimmer ging.
„Ich bring’s dir gleich“, entgegnete Hilde und kam sich dabei einmal mehr wie ein gut geölter Roboter vor. Ein Roboter, den man nach Gebrauch in einer Ecke vergaß und der niemals Fehler machte.
Zehn Minuten später stellte sie den gefüllten Teller vor Erich auf den Tisch. Er griff nach der Gabel und begann, die Fleischstücke in sich hinein zu schaufeln.
„Machst wohl wieder eine von deinen saublöden Diäten, was?“, fragte er mit vollem Mund.
Hilde nickte.
„Selbst schuld“, stellte er fest und nahm einen Schluck aus der Bierflasche.
„Lass es dir schmecken. Es ist noch genug da“, meinte Hilde freundlich und dachte an den Eiskasten, in dem der Topf Kalbsragout stand und an den Mülleimer, in dem heute zwei leere Dosen Chappi lagen.

28. Aug. 2008 - Fran Henz

[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

Heutige Updates

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info