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Trümmerhaufen
von Thomas Tippner

http://literra.info © http://literra.info
Ich weiß, dass ich ein Monster bin!
Eines jener Sorte, dass nicht jeden Tag aktiv ist, oder sich des Nachts in die Häuser der Menschen schleicht, um sie dort zu verstümmeln, zu vierteilen oder ihnen das Blut aus den Venen zu saugen.
Ich bin etwas anderes!
Etwas, wovon die Mythen der alten Völker berichten.
Es ist schwer, wenn man darüber nachdenkt, mit diesem Schicksal zu leben, welches ich mir auflud, als ich unbedacht war und die Kraft des Mondes unterschätzte, der hell und rund am Himmel stand.
Auf mich herab schien und mich die Stimmen hören ließ, die sich gerne zu mir gesellen, wenn ich alleine bin.
Alleine, mit mir und meinen Gedanken, die sich nur um das eine Thema drehen, welches ich seit dem Tag kenne, seit dem ich das bin, was ich war und immer sein werde.
Es war schwer zu begreifen, wie ich fand, sich zu verstecken und doch in der Öffentlichkeit zu leben.
Schwer war der Wind, der mich umspielte, als die Nacht hereinbrach, während ich in meinem Vorgarten stand, die Straße beobachtete und zum Haus meiner Nachbarn herüber schaute.
Ich lächelte sogar, als ich ihn sah, diesen erfolgreichen, kleinen Mann, der den Müll herausbrachte und mich freundlich mit einem Nicken begrüßte.
Wenn er nur wüsste!
Wenn er doch nur wüsste, was ich wirklich war.
Es wäre mir eine Erleichterung, dass glaube ich, und es wäre viel einfacher, die Nacht zu lieben und zu vergöttern.
Denn sie war es, die mich eines Tages töten würde.
Irgendwann!
Dann, wenn ich unachtsam war, mich der Rausch erneut packte, mich davon trug, und zu einer Kreatur machte, die ich nicht sein wollte.
Ich seufzte erneut, als ich das hell erleuchtete Haus sah, dass auf mich wirkte wie eine nicht ausgesprochene Einladung. Bis jetzt hatte ich den Fluch immer aus meiner Nachbarschaft fern halten können.
Bis jetzt!
Denn es war wieder da, dieses sengende Gefühl von Schmerz und Verachtung, der Wunsch, hier stehen zu bleiben, um sich auf die zu werfen, die vor mir standen und sich nicht für einen kleinen Augenblick erklären konnten, dass etwas im Begriff war, dass zu tun, womit keiner rechnete.
Wie heiße Strahlen brannte der Schein des Mondes auf meiner Haut.
Ich wollte hier nicht bleiben und doch hielt mich etwas fest.
Etwas Böses!
Etwas Gemeines!
Der Drang zum Töten!
Mir war schlecht bei diesem Gedanken und ich wusste, als ich meinen Nachbarn beobachtete, dass ich ihn haben wollte. Nicht so, wie Menschen sich begehrten oder liebten, nein, es war anders. Ich mochte mich mit mir nicht im Reinen befinden, litt darunter, dass meine Gedanken oft abschweiften und sich mit Dingen beschäftigten, die sie nichts angingen, aber in diesem Augenblick waren sie so klar, wie schon lange nicht mehr.
Ich räusperte mich, als ich verlegen die Hand hob, in die runden Augen meines Nachbarn schaute und das leichte Leuchten in ihnen erkannte, als er mich sah. Wie immer, wenn er den gelben Müllsack in Händen hielt, zur Straße ging, um diesen in die grüne Tonne zu werfen, lächelte er und fragte mich mit leicht fistelnder Stimme: „ Wie geht es Ihnen heute, Herr Paulsen?“
„Wie immer gut“, log ich und ärgerte mich darüber, dass mein Kopf brummte, dass er zu platzen drohte, wenn ich mich weiter im Vorgarten aufhielt und mich nicht schleunigst daran machte, im Haus zu verschwinden.
„Das hört man gerne. Was macht die Arbeit?“
„Bitte?“
Ich wusste nicht, warum ich es tat, aber ich hörte was er sagte und log ihn doch an. Er sollte näher kommen, mich einmal kurz anschauen, die kleine Straße überqueren, die unsere Häuser trennte und sich dicht vor mir aufbauen.
Nur einmal!
Für einen kurzen Augenblick!
Ich wollte ihm nichts böses, nur den Geruch einatmen, den er verströmte und mich für einen kurzen Moment in seinen Augen verlieren!
Diese hübschen Augen!
Diese toten Augen!
Sie würden brechen, irgendwann, dass war mir bewusst, nur fragte ich mich in einem kurzen Anflug von Trauer, ob sie es auf natürlich Art und Weise taten, oder ob ich es war, der ihnen ihr Licht nahm.
„Was die Arbeit macht, möchte ich wissen!“ Rief er etwas lauter und verzog das rundliche Gesicht, auf dem ich die feinen Stoppeln seines Bartes erkannte, den er gerade erst wieder gestutzt haben musste.
„Ich habe Sie immer noch nicht verstanden, Herr Lob!“
„Warten Sie“, sagte er leise und hob die kleine, mit dicklichen Fingern versehende Hand: „ Ich komme kurz zu ihnen rüber!“
Heiß und kalt war mir.
Mein Herz schlug wie wild und meine Kehle war eine trockene Wüstengrube, in die immer neuer Sand hinein rutschte.
Es war wie verrückt und ich konnte mir weder die Hitze noch die Kälte erklären, die mich in ihre Klauen genommen hatten und durchschüttelten. Ich umklammerte erneut die Querstrebe meines Zaunes und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Ich musste mich beruhigen und die Hitze der Angst vertreiben, die mein Herz erfasst hatte und mich schüttelte.
Ich keuchte und spürte den Hauch des Todes über meinen Rücken streifen und verstand nicht, warum mein Geist kurz aussetzte und sich neu zusammen fügte.
Mir war, als ob ich aus dieser Welt in eine andere getragen wurde.
Ich verließ den Platz, an dem ich stand und schritt langsam und bedächtig zu der Gartentür, schob den eisernen Riegel mit einem Klacken zurück und zog sie leicht nach innen auf.
Eine eindeutige Geste, die mein Nachbar, Herr Lob, nicht missverstehen konnte.
Als er über die Straße gehuscht kam, auf mich zusteuerte, wehte mir erneut die Kälte des Todes entgegen.
Und sie flüsterte: Er ist es, er ist es.
Ich hob die Hand, führte sie zu meinem Kopf und schüttelte diesen.
Nein, hauchte ich, heute nicht!
Und doch blieb ich das Monster!
Dieses ekelhafte und böse Geschöpf, dass mich zu Dingen zwang, die ich nicht verstehen konnte und die ich nicht begriff. Ich schluckte noch einmal und war versucht, die Gartentür zu schließen.
Doch Herr Lob änderte alles!
Grundlegend!
Er lächelte und nickte mir zu, als er mich sah, wie ich ihm die Pforte öffnete und er die Einladung annahm.
„Wie nett von Ihnen, Herr Paulsen. Wir haben noch nie wirklich miteinander gesprochen!“
„Noch nie“, hauchte ich leise und lächelte kantig.
Ich wusste, dass er die kleinen Schweißperlen auf meiner Stirn sehen musste und mir war bewusst, dass er es seltsam finden würde. Schließlich hatte der kalte Herbst Einzug ins Land gehalten und mit ihm eine eisiger Wind, der aus den Weiten Russlands zu uns herüber gekommen war. Jeder fröstelte und kaum noch jemand war auf der Straße zu finden, der T-Shirts oder kurze Hosen trug.
Trotzdem schwitzte ich!
Es war ein kalter, klebriger Schweiß, der mir auf der Stirn klebte, meinen Rücken benetzte und unangenehme Flecken unter meinen Achseln entstehen ließ.
Ich hoffte, dass er es nicht bemerkte und ich atmete erleichtert aus, als er mir die Hand entgegenstreckte und meinte: „ Ich heiße Hendrik.“
„Ich Björn“, flüsterte ich und betete innerlich, dass er meine feuchten Hände weder abstoßend noch besorgniserregend fand.
„Nett!“
Ich führte ihn durch meinen kleinen, liebevoll angelegten Garten in den ich mich gerne zurückzog, wenn der Mond zu hell am Himmel stand und die Nacht ihre lockenden Rufe entsann, um mich zu quälen und zu martern.
So wie jetzt!
Ich spürte die heißen Wellen, die durch meinen Körper zogen und fühlte das Brennen in mir, dass mich in etwas verändern wollte, was ich nicht war. Nein, ich war alles andere, als ein Monster.
Ich war ein Mensch!
Ein Anderer!
Ein Guter!
Wenn auch manchmal schlecht!
Mein Atem beschleunigte sich, als ich ihm meine neu gezüchtete Rosenhecke zeigte, und das Herz, welches verräterisch in meiner Brust klopfte, trieb den Fluch durch meinen Venen und ließ mich spüren, wie es begann.
Dieses Reißen und Zehren.
Diese Gedanken voller Mordlust und Blutdurst!
Nein, ich wollte es nicht und konnte es kaum verhindern, dass sich meine Umgebung zu verändern begann. Erst war es nur ein leichtes Verschieben der Konturen, dann das Gefühl die Realität einbüßen zu müssen. Ich sah nichts mehr; weder die schräg gesetzten Steinplatten, auf denen wir standen, noch die hölzerne Wand des Schuppens, den ich letztes Jahr aufgebaut hatte, nachdem die Werkzeuge nicht mehr in den Keller gepasst hatten.
Ich hörte, dass Hendrik etwas sagte und wusste doch nicht, was er meinte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als der zuckende Schmerz meine Hände erfasste, sie kurz krampfen ließ und mich glauben ließ, sie in die Länge zu ziehen.
Nein! Schrie ich in Gedanken und knurrte mehr, als das ich sagte: „ Oh, dass Telefon. Ich... ich muss hinein!“
„Telefon?“ fragte Hendrik verwirrt und ließ die Rose los, die er angefasst hatte und mit dem Daumen über ihre Blüte gestrichen war: „ Ich höre nichts!“
„Oh doch, es klingelt“, keuchte ich und stierte den kleinen, untersetzten Mann an, der einen Ehering an der rechten Hand trug und seinen Pullover lässig über den Bund seiner Jeans hängen ließ.
„Hmmm“, machte er und lauschte angestrengt, ohne zu bemerken, wie ich nervös von einem Bein aufs andere trat und hoffte, dass er endlich verschwinden würde.
Hendrik begriff es nicht!
Ich musste ihn am Arm packen, ihn den gepflasterten Weg entlang ziehen und über das kleine Beet stolpern lassen, dass sich entlang der Platten zog, die von der Gartentür bis hin zu meinen Haus reichten.
„Es muss ein dringender Anruf sein“, hauchte ich: „ Der Anrufer lässt einfach nicht locker!“
„Björn, bitte“, zischte Hendrik und riss seinen Arm aus meiner Handklammer: „ Lass mich endlich los!“
„Gewiss“, zischte ich und huschte dem Haus entgegen, ohne Hendrik einen Blickes zu würdigen. Ich wusste, dass er niemals wieder kommen würde, dass er jedem erzählen würde, ich sei ein Verrückter, den man meiden sollte.
Sollten sie ruhig!
Denn so entgingen sie dem, was ich war und immer sein werde.
Der Tod!
Sie wussten nicht einmal, in was für einer Gefahr sie schwebten, ihnen war nicht bewusst, dass sie mit einer Gestalt Tür an Tür lebten, die des Nachts zu ihnen kommen konnte und ihnen die Kehle zerfetzte.
Eilig hetzte ich die beiden Stufen zu meiner Veranda empor und griff mit einem Ziehen im Nacken nach dem Griff der Tür. Ich zog sie auf, huschte hinein, in den kleinen, voll gestellten Flur und schmiss sie zurück ins Schloss.
Mit pumpendem Herzen und drehenden Gedanken, hörte ich, wie Hendrik verschwand, wie er über die Straße huschte und mich alleine ließ. Mir war nicht wohl dabei, ihn erschreckt zu haben, aber hier, im dunklen, mondfreien Flur, fühlte ich mich besser und glaubte wirklich, dass ich den Fluch für diese Nacht brechen konnte.
Was sollte ich auch anderes tun?
Darauf hoffen, dass es nie wieder passierte?
Das ging nicht!
Es geschah jedes Mal!
Einmal im Monat!
Eine lästige Pflicht, die ich zu erfüllen hatte, durch meine eigene Unvorsichtigkeit.
Und ich hatte diesen Abend gewonnen, dass wusste ich, als meine Gedanken sich beruhigten, dass Herz leise und ruhig schlug und sich mein Körper entspannte.
Diese Nacht, dachte ich, habe ich dich gerettet. Was aber passiert morgen?
Wenn der Mond heller scheint, die Rufe lauter werden und mein Geist sich völlig verabschiedet?
Was dann?
Ich schauderte und war froh, als ich zur Seite kippte und leichte zitterte.
Für mich, war ich heute ein Held gewesen!

10. Aug. 2008 - Thomas Tippner

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