|
Gut' Nacht, Sabrina ... von Michael Beyeler
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de ... Denn brave Kinder werden belohnt
Das Unheimlichste an meinem Vater ist sein Blick, wenn ich mich im Schlafanzug über die Wohnzimmer-Couch bücke, um Mama einen Gutenachtkuss auf die Wange zu drücken. Dabei setzt er sich nicht einmal in seinem Sessel auf, um mich zu umarmen. Die Füsse auf dem Schemel parkiert, senkt er die Zeitung vor seinem Gesicht ein wenig, um mich nur seine Augen unter den buschigen Brauen im Zigarrendunst erspähen zu lassen. Ich wünsche auch ihm eine gute Nacht, erhalte aber nie eine Antwort. Sein durchdringender Blick verfolgt dabei jede einzelne meiner Bewegungen, wandert an meinem Körper auf und ab, so dass ich schwören könnte, er beobachte mich noch, selbst wenn ich schon lange unter der Bettdecke liege.
Ich habe mich oft gefragt, woran mich dieser Blick erinnert. Ich mag ihn nicht. Es kommt mir stets vor, als stünde ich neben einem Panther im hohen Gras und wüsste nicht, ob ich mich fürchten oder ihn streicheln soll.
Auch Pedro hat dunkle, geheimnisvolle Augen. Aber Pedro verabschiedet sich immer, bevor ich nach Hause gehe. Er ist so ganz anders als mein Vater er findet immer die richtigen Worte. Vielleicht muss ich meinem Vater einfach mehr Zeit lassen, die richtigen Worte zu finden. Er weiss ja, wo ich schlafe.
Manchmal klopft er spätnachts noch an meine Zimmertüre und öffnet sie soweit, dass ein fader Lichtstrahl auf die Bettdecke fällt.
Jetzt hat er sich erinnert, fährt es mir durch den Kopf, und von weit her scheine ich ein Gut Nacht, Sabrina zu hören. Doch ich bin schon zu müde, um die Augen zu öffnen.
***
Als jedoch mein Vater an jenem Abend an meine Türe klopfte, wurde mir die Wahrheit schlagartig bewusst.
Wie immer machte ich mich direkt nach der Schule auf den Heimweg, um zu lesen und Pedros Musik zu hören. Pedro hat immer die neuesten CDs, und ich bin immer die Erste, denen er sie ausleiht.
Aus der Bahnhofunterführung quoll ein Strom erschöpfter Pendler herauf und trug mich durch die Zürcher Innenstadt. Am Sihlquai angekommen tröpfelte ich weiter von Ampel zu Ampel, bis ich endlich in der Seitenstrasse meines trauten Heims stand.
Wir leben nun schon seit meiner Geburt in diesem Rattenloch genannt Dachwohnung, aber an den Geruch, der mir unter der Eingangstür wie eine Faust ins Gesicht schlägt, werde ich mich nie gewöhnen können.
Mama, ich bin zu Hause!, brüllte ich um die Ecke, vor allem um nahe Kakerlaken aufzuscheuchen, damit sich diese wieder in ihre Löcher verkrochen. Ich hasse Kakerlaken, aber sie scheinen in diesem Stadteil genauso selbstverständlich zu sein wie die grellen Nachtclubs, in denen meine Mutter gearbeit hat. Dort treffen sich Leute aus aller Welt, und dann wird getrunken und getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Warum arbeiten nicht alle dort, wenn es doch so Spass macht?
Ich schlängelte mich durch den Flur, rief noch einmal nach meiner Mutter und schob mich an der Zigaretten-Vitrine vorbei in die Küche.
Meine Mutter sass am Küchentisch und starrte ins Leere. Da bist du ja, forderte ich sie auf, mir zu antworten. Ist Papa schon zu Hause?
Hallo Schätzchen, stammelte sie endlich, ohne sich von ihrem Blick lösen zu können. Sie nuckelte an ihrer Zigarette, liess den Stummel zwischen den Fingerspitzen kreisen und starrte auf die Kommode. Dort lag eine rote Augenbinde.
Warum muss ich das tragen, Mama?
Ist dir nicht gut? Du bist ja ganz blass. Ich schnappte mir eine Safttüte aus dem Kühlschrank und setzte mich neben sie. Vielleicht brauchte sie etwas Aufmunterung. Stell dir vor, Pedro hat nächsten Samstag Geburtstag und veranstaltet eine grosse Party bei ihm zu Hause. Darf ich hingehen? Ich verspreche dir, ich bin um Neun wieder da. Mama?
Sie sah merkwürdig alt aus. Ich wusste genau, dass sie etwas bedrückte. Ich rückte meinen Stuhl neben sie und strich ihr durch die zerzausten Locken. Du kennst doch Pedro, oder? Wieder keine Reaktion. Das ist der Junge aus meiner Klasse, den ich mal heiraten werde, fügte ich verschmitzt an.
Heiraten? Meine Mutter zuckte auf. Das hätte ich besser nicht gesagt. Ich konnte sehen, wie augenblicklich feine Blutströme durch ihr fast lebloses Gesicht schossen und ein Netz der Blösse unter ihre bläuliche Kopfhaut woben. Heiraten?, wiederholte sie. Pedro! Du kennst doch die Regeln, Schätzchen. Nein, nein, du heiratest Dr. McDreamy, Schätzchen, vergiss das nicht!
Wenn es nach meiner Mutter ginge, würde ich kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag einen reichen Arzt heiraten und auf der anderen Seite des Sees wohnen. Sie spricht immer wieder davon - vor allem wenn es ihr nicht gut geht.
Versprich mir, dass du mit ihm glücklich wirst. Versprich es mir, Schätzchen, ja? Sei ein braves Mädchen.
Denn brave Kinder werden belohnt, schossen mir die Worte wieder durch den Kopf. Ich nickte betrübt, sorgte mich in diesem Moment jedoch mehr um meine Mutter als sie um mich.
Vielleicht brauchte sie auch einfach ihre Ruhe. Sie schien etwas verwirrt zu sein. Wem gehören denn diese Schuhe?, rief ich ihr aus dem Wohnzimmer zu, während ich mich auf dem Weg in mein Zimmer machte. Ich will Dr. McDreamy nicht heiraten, woher soll ich denn wissen, welche Musik er mag? Pedro und ich passen viel besser zusammen, wir sind wie Was hast du gesagt?
Ich konnte nicht verstehen, was Mama geantwortet hatte, und als ich wieder in der Küche stand, starrte sie erneut ins Leere. Papa ist wütend, sagte sie nur.
Ist er schon von der Arbeit zurück? Wo ist er?
Er ist wieder draussen. Im Calypso. Papa ist wütend, wiederholte sie und nestelte nach der nächsten Zigarette. Wenn er wieder zurückkommt, musst du bereits schlafen. Hörst du, Schätzchen? Versprich es mir.
Womöglich hatten sie wieder Streit. Meine Mutter mag es nicht, wenn ich zuschaue, wie sich die beiden streiten. Deshalb esse ich oft auf meinem Zimmer und verbringe den Abend dort lesend. Was ist denn passiert? Hast du was falsch gemacht? Hast du ihn verärgert?
Falsch? Fehler, sagt dein Vater, Fehler sind nicht erlaubt. Du kennst doch die Regeln, oder, Schätzchen?, fragte sie mich vorwurfsvoll, während sie das letzte Stäubchen Teer aus ihrer Zigarette sog und den Stummel erstickte.
Aber jeder macht doch Fehler ...
Du hörst nicht zu, Schätzchen. Sie nannte mich immer Schätzchen.
Meine Lehrerin sagt, rauchen sei ungesund. Warum rauchst du so viel?
Geh jetzt, seufzte sie.
Ich ging auf mein Zimmer.
Unsere Wohnung ist sehr düster, und wenn meine Füsse den Weg zu meinem Zimmer nicht schon auswendig gekannt hätten, wäre ich wohl dauernd über irgendwelche Kartons gestolpert. Ich schnappte mir das erstbeste Buch, das ich in die Finger bekam, warf mich auf mein Bett und vergrub meinen Kopf im Kissen.
***
Manchmal träume ich auch von Pedro. Dann treffen wir uns zusammen draussen, neben der Kirche am Stauffacher. Wir liegen im hohen Gras, hören Musik und lachen zusammen. Pedro und ich lachen oft.
Diesmal ist mein Vater auch da: Er sitzt auf einer Parkbank und liest. Pedro erzählt mir von seinem Haus am Meer, den Olivenbäumen und der kleinen Fischerbucht. Sein Grossvater ist Fischer, und wenn Pedro seine Familie besuchen geht, darf er mit abuelo zum Fischen aufs Meer rausfahren. Nächstes Jahr will Pedro mich mitnehmen. Pedro pflückt ein Gänseblümchen und steckt es mir ins Haar. Versprochen, flüstert er mir ins Ohr.
Ob er mich jetzt küsst? Ich warte immer darauf, aber es kommt nie dazu.
Plötzlich zuckt Pedro auf und dreht sich um. Ehe ich mich versehen kann, ist Pedro weg, und ich starre in Vaters Gesicht, während er auf mich zustampft. Wieder dieser Blick. Warum darf ich nicht mit?
Auf einmal lag ich hell wach da. Noch immer hörte ich das Keuchen meines Vaters, doch diesmal kam es aus dem Nebenzimmer.
Brave Kinder werden belohnt.
Manchmal wünschte ich, mein Zimmer läge am anderen Ende des Gebäudes und nicht gegenüber dem Wohnzimmer, wo ich durchs Schlüsselloch sehen konnte, wie sich Mama die Bluse aufknöpfte und auf meinen Vater wartete.
Sie hatte mich belogen. Papa war doch verärgert.
Böse Kinder werden bestraft.
Und als die beiden dann im Schlafzimmer waren und ich nur noch ihr Bett gegen die Wand hämmern hörte - erst langsam, dann immer schneller -, hätte ich alles gegeben, um einmal mehr aufwachen zu können. Womöglich war alles nur ein schlimmer Traum.
Mache nie Fehler, hörst du?
Ich hörte Mutter umso lauter schreien, je kürzer die Pausen zwischen den Stössen wurden. Als ich noch klein war, hatte ich mich oft aus meinem Zimmer heraus getraut und an der Türklinke ihres Schlafzimmers gerüttelt. Es hatte doch einen Grund für Mutters Schreie geben müssen! Und auch wenn sie von Räubern umzingelt gewesen wäre, hätte ich sie befreien wollen.
Doch die Angst verschwand, als auch ich zu schreien begann.
Es ist schon lange her und Mama hat mir versprochen, es würde nie wieder vorkommen, wenn ich nur brav sei. Kinder sollten nicht schreien müssen, wenn sie bestraft werden.
Aber vielleicht gehört das Schreien einfach dazu, so wie die Augenbinde. Wahrscheinlich schreien alle Mütter und Töchter. Es ist eine Form, seine Fehler dem Vater einzugestehen und ihn um Verzeihung zu bitten. Strenge Väter hören mit der Bestrafung aber erst dann auf, wenn sie sicher sind, dass die Tochter ihre Lektion gelernt hat.
Die Pausen zwischen den Stössen wurden unerträglich kurz, so dass mit jedem Stoss der Verputz von der Wand auf mein Kopfkissen bröselte.
Dann, endlich trat Stille ins Zimmer nebenan und liess mich etwas Erholung finden, nur damit kurz darauf das ganze Spiel von neuem beginnen konnte.
Ich hörte Vater nach meinem Namen rufen, aber Mama schien ihn zurückzuhalten, noch bevor die Schlafzimmertür wieder ins Schloss fiel. Ich presste meinen Kopf noch tiefer ins Kissen und bildete mir ein, die Schreie so irgendwann nicht mehr hören zu können.
Plötzlich war es still. Das Licht im Wohnzimmer ging an, und ehe ich mich versehen konnte, hämmerte eine schwere Faust gegen meine Türe.
Da war er wieder, dieser Blick. Es waren die Augen einer Antilope, die in der Savanne graste; grosse runde Farbkleckse im Gesicht eines scheuen Rehs, die mich einluden, ihnen ins Schlafzimmer meiner Eltern zu folgen.
Ich setzte mich im Bett auf, nahm das seidene Rot entgegen und legte es über meine Augen.
Eigentlich konnte ich ja nur belohnt werden.
geschrieben anlässlich der Amnesty International Jahreskampagne 2006 gegen häusliche Gewalt in der Schweiz
15. Sep. 2008 - Michael Beyeler
Bereits veröffentlicht in:
die perspektive #1 - 2010 32 Seiten / gratis
[Zurück zur Übersicht]
|
|