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Der Fluch von Richard Norden
© http://www.richardnorden.de Aaron Spellbound ritt in Gedanken versunken die Handelsstraße nach Etheran entlang. Es war früher Nachmittag, die Sonne stand noch hoch am Himmel und die zahlreichen Olivenbäume entlang der Straße warfen nur wenig Schatten. Die einzigen Geräusche in der drückenden Stille waren das rhythmische Klacken der Hufe und das einschläfernde Zirpen der Zikaden in den Bäumen.
Aaron rückte seinen breitkrempigen Seemannshut zurecht und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Auch wenn das Pferd, das ihm der Händler in Garoa verkauft hatte, ein lammfrommer Wallach war, der auf jeden Schenkeldruck reagierte, waren ihm die Planken eines Schiffs doch zehnmal lieber als jeder Pferderücken. Er freute sich jetzt schon darauf, von Etheran aus mit seinen Freunden Brask und Felik wieder in See zu stechen.
Eine einzelne Gestalt, die eine knappe Meile vor ihm auf der Straße unterwegs war, weckte seine Aufmerksamkeit. In dieser Gegend begegnete man nicht vielen Wanderern. Weit und breit gab es hier nicht einmal Bauernhöfe. Die Gegend galt als nicht sicher für Reisende, da schon öfter Handelskarawanen auf dieser Strecke in Hinterhalte gelockt und überfallen worden waren.
In dieser Richtung hatte Aaron keine großen Sorgen. Erstens hatte er nichts bei sich, das das Interesse von Räubern hätte auf sich lenken können, und zweitens konnte er sich durchaus seiner Haut wehren.
Zu Pferde war er schneller als die einsame Gestalt vor ihm, und so verringerte sich der Abstand zwischen ihnen zusehends. Schon bald erkannte Aaron, dass es sich bei dem Wanderer um eine junge Frau handelte, die ihn beim Näherkommen misstrauisch musterte.
Mit ihrem langen, staubigen Kleid, das zweifellos recht teuer gewesen war und ihren eleganten Schuhen wirkte sie nicht gerade passend gekleidet für eine lange Wanderung. Aaron zügelte sein Pferd und brachte es neben ihr zum Stehen. 'Ich will mich ja nicht einmischen', grinste er breit, 'aber Ihr reist mit leichtem Gepäck. Seid Ihr in Schwierigkeiten?'
Sie musterte Aaron eingehend, bevor sie ihm antwortete. 'Wieso wollt Ihr das wissen?'
Aaron zuckte mit den Schultern. 'Eure Kleidung wirkt nicht danach, als ob Ihr Euch auf einen langen Fußmarsch vorbereitet hättet. Außerdem ist diese Gegend alles andere als sicher. Es gibt hier Wegelagerer und anderes Gesindel. Wenn Ihr wollt, kann ich Euch gerne bis zur nächsten Ortschaft mitnehmen. Besser schlecht geritten als gut gelaufen, oder?'
Sie taxierte Aaron erneut, was ihm Gelegenheit gab, sie genauer zu betrachten. Sie hatte ein hübsches, schmales Gesicht mit smaragdgrünen Augen, das von langen dunkelblonden Locken umrahmt wurde. Alles in Allem war sie sogar ausgesprochen hübsch, was ein weiterer Grund war, sie nicht alleine hier in der Einöde zu lassen. Schließlich nickte sie. 'Einverstanden, danke für das Angebot. Ich schätze wenn Ihr mich überfallen wolltet, hättet Ihr das längst getan. Ich heiße Alyssa.'
Aaron reichte ihr die Hand, um sie hinter sich aufs Pferd zu ziehen. 'Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Aaron.'
Während des weiteren Ritts versuchte Aaron mehrfach, ein Gespräch zu beginnen, doch Alyssa wirkte äußerst abgelenkt und fahrig. Alle paar Minuten merkte Aaron, wie sie sich hinter ihm umdrehte und mit ihren Augen den Horizont absuchte.
Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Frau, das war Aaron klar, und es weckte seine Neugier. Sie war auf der Flucht vor irgendjemandem, soviel war ihm klar, und sie hatte Angst, verfolgt zu werden. Aber von wem und aus welchem Grund, da konnte er nur raten...
Vielleicht war sie eine Diebin, die auf der Flucht vor den bestohlenen Opfern oder der Justiz war. Nicht dass es ihm etwas ausgemacht hätte, denn als Abenteurer und Schatzsucher teilte er gemeinhin auch eher die Auffassung, dass der Zweck die Mittel heiligt. Andererseits hatte er aber auch keine Lust, selbst womöglich noch von dieser Frau bestohlen zu werden. Er nahm sich vor, bevor er sich von ihr verabschiedete noch einmal genau nach seinem Geldbeutel und seinen Wertsachen zu sehen.
Als die Sonne langsam tiefer sank und kurz über den sanft gewölbten Hügelketten stand, erreichten sie einen kleinen Gasthof an der Straße. Alles hier wirkte rustikal und gemütlich, nach einem perfekten Quartier für die Nacht.
Aaron ritt in den von einer malerischen Bruchsteinmauer umsäumten Hof, sattelte das Pferd ab und übergab es dem bereitstehenden Stallburschen. Mit den Packtaschen über der Schulter betrat er zusammen mit Alyssa die Schankstube.
In dieser Jahreszeit waren nicht viele Gäste hier und der Wirt, ein korpulenter Mann mit einem buschigen schwarzen Schnauzbart, widmete ihnen seine volle geschäftstüchtige Aufmerksamkeit.
Aaron mietete zwei angrenzende Gästezimmer für die Nacht, bestellte Hafer für sein Pferd und ein gutes Essen für sie beide, dann zogen sie sich aufs Zimmer zurück.
Aaron legte seine Packtaschen anstelle des Kissens aufs Bett, hängte seinen Degen an den Stuhl und zog seine unbequemen Stiefel aus, als das Zimmermädchen das Tablett mit dem Wein brachte.
'Das Essen ist noch nicht fertig', sagte sie. 'Thales bringt es euch nachher hoch.'
Sie stellte alles auf den Tisch, bekam ein kleines Trinkgeld von Aaron und verschwand ebenso schnell und unauffällig, wie sie gekommen war.
Aaron setzte sich auf einen der rustikalen Holzstühle und füllte die beiden mundgeblasenen, etwas unregelmäßig wirkenden Gläser mit dem Rotwein aus der Karaffe. Er schob Alyssa eines der Gläser herüber und prostete ihr zu.
'Auf das Ende eines staubigen Tages', nickte er.
Alyssa hob das Glas an die Lippen und nahm einen Schluck. Wortlos hob sie das Glas und stieß mit ihm an.
Aaron ließ den Wein seine Kehle hinabrinnen. Er war stark und aromatisch, mit dem typischen würzigen Geschmack der hiesigen Landweine.
Mehr als eine Minute lang sahen sie sich über den Tisch hinweg an, ohne ein Wort zu reden. Es war Aaron, der das Schweigen schließlich brach. 'Ich bin ein neugieriger Mensch. Es würde mich interessieren, was eine hübsche junge Frau allein und in ziemlich unpassender Kleidung auf einer einsamen Landstraße sucht.'
Sie lächelte unfroh. 'Das ist eine lange Geschichte...' winkte sie ab.
'Ich mag lange Geschichten', grinste Aaron. 'Ich glaube, wir haben nichts Besseres vor, und ich bin ein guter Zuhörer.'
Alyssa zuckte die Schultern. 'Warum eigentlich nicht?' fragte sie. 'Du hast mir geholfen, also denke ich du hast ein Recht darauf, die Geschichte zu erfahren. Tja, wo soll ich anfangen?'
'Fangen wir doch damit an, vor wem du auf der Flucht bist', schlug Aaron mit einem charmanten Lächeln vor.
Alyssa lachte unfroh. 'Es ist sehr offensichtlich, nicht wahr? Natürlich hast du Recht. Ich bin seit dem Morgengrauen auf der Flucht vor dem Mann, mit dem mein Vater mich verheiraten will.'
Aaron nahm noch einen Schluck Wein. 'Zwangsverheiratet? Na ja, ich halte auch nichts von arrangierten Ehen. Aber wenn ich deine Kleidung sehe, scheint er keine schlechte Partie zu sein.'
Alyssas Gesicht verfinsterte sich. 'Ja, er ist reich. Woher weißt du, dass es nicht meine Kleidung ist, sondern dass er sie mir gab?'
Aaron griff nach ihrer Hand und drehte sie herum. 'Du hast schöne Hände, aber es sind keine Hände, die Müßiggang gewohnt sind. Sie verraten, dass dir körperliche Arbeit nicht fremd ist. Und sei mir nicht böse, aber wer solche Kleidung trägt, macht sich normalerweise nicht mit Arbeit die Finger schmutzig.'
'Du bist ein guter Beobachter', nickte Alyssa. 'Ja, er gab mir diese Kleidung.'
Ihr Blick wanderte zum Fenster herüber, wo sich die Finsternis wie ein schwarzes Tuch über die Landschaft senkte. Es war eine sternenklare Vollmondnacht, ohne eine einzige Wolke am Himmel. Irgendwo dort draußen in den Hügeln heulte ein Wolf die blasse Mondscheibe an, die wie eine Silbermünze hoch am Himmel schwebte.
Als sie sich wieder zu Aaron umdrehte, bemerkte sie, wie auch er mit abgelenktem Blick in die Nacht hinausstarrte, während er mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand gedankenverloren die schwarze Perle rieb, die an einer silbernen Kette um seinen Hals hing.
'Woran denkst du?' fragte sie.
Aaron zuckte etwas zusammen, als sie ihn aus seinen Gedanken riss, und wandte sich ihr wieder zu. 'Nichts besonderes', lächelte er. 'Ich habe nur den Mond betrachtet.'
'Er ist schön, nicht wahr? Irgendwie ist es ein beruhigendes Gefühl, wenn er so auf einen herabblickt. Als kleines Mädchen habe ich immer geglaubt, dass meine Mutter von dort oben auf mich herabschaut. Sie starb als ich noch ganz jung war.'
Aaron sagte nichts dazu. Mit einer fahrigen Bewegung ließ er das Perlenamulett unter seinem Hemd verschwinden. 'Wer ist dieser geheimnisvolle Mann, den du heiraten solltest?' versuchte er das Gespräch auf das ursprüngliche Thema zurückzubringen.
'Er ist der Lehnsherr unseres Dorfs, der Graf von Ascar. Ein sehr reicher und mächtiger Mann. Man sagt, sein Einfluss geht bis an den Königshof.'
'Und es hätte dir nicht gefallen, Gräfin zu werden? Die meisten jungen Frauen würden fast alles tun, um von einem Adeligen geheiratet zu werden.'
Alyssa nahm einen großen Schluck Wein und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. 'Du kennst diesen Mann nicht. Er ist kein angenehmer Mensch, glaub es mir. Ich wäre nicht die erste Frau gewesen, die er geheiratet hat.'
Aaron zog die Augenbrauen hoch. 'Und was ist mit seinen früheren Frauen passiert?'
'Das weiß niemand so genau', orakelte Alyssa düster. 'Nachdem sie zu ihm ins Schloss gezogen sind, hat niemand aus dem Dorf mehr Kontakt zu ihnen gehabt. Und irgendwann hieß es dann immer, dass sie an einer Krankheit oder durch einen Unfall gestorben sind. Danach hat es dann nicht lange gedauert, bis der Graf wieder im Dorf auf Brautschau gegangen ist.'
'Du meinst er hat sie umgebracht, wenn er genug von ihnen hatte?' Aaron lief ein Schauer über den Rücken.
'Gibt es eine andere glaubwürdige Erklärung? Ich glaube nicht an Zufälle. Und ich wollte nicht am eigenen Leib erfahren, was diesen unglückseligen Frauen zugestoßen ist. Also habe ich gewartet bis zum Ende des Banketts am Vorabend der Hochzeit. Ich sagte ihm, ich sei müde und wolle mich hinlegen. Und dann bin ich heimlich aus dem Fenster geklettert und abgehauen.'
'Denkst du er wird dich verfolgen?'
'Ganz bestimmt. Der Graf ist ein ebenso stolzer wie herrschsüchtiger Mann. Er hat das Dorf fest in seiner Hand, und er würde es nie hinnehmen, dass jemand sich gegen ihn auflehnt. Meine einzige Chance ist, so schnell wie möglich so weit wie möglich von hier wegzukommen. Am besten in ein anderes Land, wo seine Häscher mich nicht aufspüren können.'
Aaron dachte kurz nach. 'Du könntest mit mir nach Etheran kommen. Dort treffe ich zwei Freunde, und von dort aus werden wir per Schiff nach Thura segeln. Spätestens am Hafen wird er deine Spur verlieren.'
Alyssa packte seine Hand und schlug ein. 'Das könnte meine Rettung sein. Du kennst mich nicht, aber trotzdem bist du bereit mir zu helfen. Danke!'
Aaron grinste breit. 'Ich könnte mir wesentlich unangenehmere Reisebegleitung als dich vorstellen', lächelte er. 'Ich bin sicher...'
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn.
'Wer da?' fragte Aaron.
'Hier ist Thales, der Wirt', sagte die Stimme auf der anderen Seite der Tür. 'Ich bringe euch das Essen, das ihr bestellt habt.'
Alyssa stand auf und ging zur Tür. Ihre Hand senkte sich auf die Klinke und drückte sie herunter. Während die Tür sich langsam öffnete, überkam Aaron plötzlich ein seltsames Vorgefühl, ein Gefühl atavistischer Furcht, das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Irgendetwas stimmte hier nicht, nein, überhaupt nicht.
Alyssa sah den Wirt im Türrahmen stehen, nickte ihm zu und ließ die Tür los. 'Kommt herein', sagte sie und drehte sich schon wieder halb um, als ein ungesundes Knacken aus dem Flur ertönte und der Kopf des Wirts mit einem erstickten Gurgeln zur Seite kippte.
Ein Fußtritt stieß die Tür bis zum Anschlag auf und schleuderte sie gegen ein Regal, das unter dem Aufprall krachend zerbarst. Aus dem Halbdunkel des nur von wenigen Kerzenhaltern erleuchteten Flurs schälten sich drei dunkle Gestalten, deren mittlere den leblosen Körper des Wirts achtlos wie eine zerbrochene Gliederpuppe zu Boden sinken ließ.
Alyssa starrte den Mann entsetzt an und wich erbleichend vor ihm zurück. Er folgte ihr gemächlich, flankiert von seinen beiden düsteren Begleitern. 'Nett dass du mich zu dir hereingebeten hast, meine Liebe.'
Aaron schob seinen Stuhl zurück und erhob sich langsam, ohne die drei Eindringlinge aus den Augen zu lassen. Er ahnte, mit wem er es zu tun hatte...
Der Fremde war schlank und hochgewachsen, mit einem hageren, aristokratisch wirkenden Gesicht und graumelierten Schläfen. Seine eisblauen Augen musterten Aaron ohne zu blinzeln.
'Du hast Besuch, meine Liebe?' fragte er amüsiert, wobei sein Lächeln nicht seine Augen erreichten, die Aaron weiter wie zwei Eiskristalle fixierten. 'Wie überaus erfreulich. Stell mir doch deinen Begleiter vor, Kindchen.'
Alyssa schob sich zwischen ihn und Aaron. 'Er hat nichts damit zu tun. Du willst mich, nicht ihn.'
Der Graf von Ascar schlug seinen Umhang zurück und legte Alyssa seine behandschuhte Hand auf die Schulter. 'Das ist ja richtig rührend.' Seine Stimme wurde kalt. 'Niemand macht mir Vorschriften, was ich zu tun oder zu lassen habe, Kindchen. Schon gar nicht ein dummes kleines Bauernmädchen wie du. Natürlich hast du Recht, ich will dich und nicht ihn. Aber auch meine beiden Begleiter wollen etwas Unterhaltung haben.'
Er deutete mit beiden Händen auf die hageren Gestalten, die ihn wie zwei Schatten flankierten. Sie waren genauso bleich wie der Graf selbst, mit kalten, ausdruckslosen Augen, in denen tief verborgen eine animalische Wildheit lauerte.
Aaron packte Alyssas Schulter und zog sie hinter sich. 'Geh in den Nebenraum', kommandierte er entschlossen. 'Verschließ die Tür hinter dir und schieb den Riegel vor. Egal was du hörst, komm keinesfalls da raus!'
Der Graf und seine Handlanger sahen amüsiert zu, wie sich die Tür hinter Alyssa schloss. Während der Graf langsam seine Handschuhe abstreifte, sagte er beiläufig 'Der einzige Weg aus diesem Raum führt hier an uns vorbei. Es gibt von dort keinen zweiten Ausgang zum Flur, falls das euer Gedanke gewesen sein sollte.'
Er legte seinen Umhang ab und warf ihn achtlos aufs Bett. 'Kein Weg der an uns vorbeiführt, mein tapferer kleiner Held. War es nicht schon immer der Traum deiner Kindheit, wie ein Ritter in strahlender Rüstung Jungfrauen in Not vor bösen Monstern zu beschützen? Nun, hier kommt deine Gelegenheit.'
Der Graf lachte amüsiert über seinen eigenen Witz und entblößte zwei spitze Eckzähne.
Aaron zuckte nicht einmal mit der Wimper. 'Glaubt nicht, dass ich euch nicht sofort als das erkannt hätte, was Ihr seid, Graf.' Das letzte Wort spuckte er geradezu aus. 'Vampirbrut. Untote Kreaturen der Nacht.'
Das Amüsement wich aus der Stimme des Grafen, als er die Tür zum Flur schloss und von innen den Riegel vorschob. 'Kluger Junge. Ja, die liebe Alyssa war selbst schuld mit ihrer leichtsinnigen Aufforderung, herein zu kommen. Es wäre schwieriger gewesen, euch aus dem Zimmer zu locken.' Er zuckte mit den Schultern. 'Wie auch immer, wir wollen keine Zeit verschwenden. Habt Ihr noch einen letzten Wunsch oder noch ein paar heroische Worte zu sagen, bevor wir anfangen?'
'Wie wäre es mit: Fahrt zur Hölle, Dämonenbrut?'
Der Graf schmunzelte. 'Mutig bis zuletzt, das muss man Euch lassen', sagte er, während er beiläufig nach dem eisernen Kaminbesteck griff und ohne ein Anzeichen körperlicher Anstrengung den Schürhaken zu einem Halbkreis bog. Er deutete auf das lange Seefahrermesser in Aarons Gürtel. 'Wollt Ihr uns etwa damit besiegen?'
Aaron wich langsam vor dem Grafen in Richtung der Tür zu Alyssas Zimmer zurück. Er hatte schon von der übermenschlichen Kraft von Vampiren gehört, aber diese Demonstration jagte ihm doch einen Schauer über den Rücken. Nein, kein Mensch auf Erden, egal wie stark oder geschickt er auch sein mochte, hatte auch nur den Hauch einer Chance gegen drei Vampire. Kein Mensch...
Aaron Spellbound griff nach der dünnen Silberkette, die um seinen Hals verlief, und zog sie langsam hervor. Die schwarze Perle an ihrem Ende glänzte im Licht der Kerzen.
Der Graf nickte unbeeindruckt. 'Eine schwarze Perle. Wirklich schön, sie wird gut in meine Sammlung passen. Ich liebe magische Artefakte. So etwas mag gegen Flüche und Zauberei helfen, mein Lieber, aber nicht gegen uns.'
Aarons linke Hand griff nach dem Verschluss der Kette. 'Wie Ihr sagt, Graf. Die Aura einer schwarzen Perle blockiert Magie und die Auswirkungen von Flüchen. Diese hier ist ein altes Familienerbstück, das bei uns vom Vater auf den Sohn übergeht. Ich lege sie so gut wie nie ab, schon gar nicht in Nächten wie dieser.' Er sah hinaus in die vom Licht des Vollmonds geisterhaft beleuchtete Nacht. 'Aber manchmal muss man eine Ausnahme machen.'
Er löste die Kette von seinem Hals und schlang sie mit einer schnellen Bewegung um den Türknauf zu Alyssas Zimmer. Kaum löste sich sein Griff von der Perle, spürte er das Zerren und Reißen in seinen Gliedern. 'Als Kreatur der Finsternis', keuchte er, 'dürften euch Flüche und ihre Auswirkungen doch bekannt sein.'
Der Graf wich einen Schritt zurück und sein ohnehin schon fast totenbleiches Gesicht schien noch ein paar Nuancen blasser zu werden, als er die Verwandlung sah, die mit Aarons Körper vor sich ging: Der Rücken krümmte sich und sprengte Hemd und Weste, als der fellbedeckte Brustkorb sich dehnte. Die grünbraunen Augen über der langen, zahnbewehrten Schnauze verengten sich zu schmalen Schlitzen. Mit einem rauen, kaum noch menschenähnlich zu nennenden Knurren wandte er sich dem Grafen zu.
Die Vampire reagierten sofort auf die neue Bedrohung. Mit einer kreisförmigen Handbewegung befahl der Graf seinen Handlangern, den Werwolf in die Zange zu nehmen. Sie sprangen behände zur Seite und näherten sich ihm gleichzeitig von beiden Seiten. Aaron lauerte in leicht gebückter Haltung, wartete auf ihren Angriff.
In dem Moment, als sich beide gleichzeitig auf ihn stürzten, sprang er mit einem Satz vorwärts, riss den Grafen um und wandte sich noch in der Sprungbewegung wieder zu seinen beiden Gegnern um, die stolpernd aus dem Gleichgewicht gerieten und gegeneinander prallten.
Aaron stieß sich vom Boden ab, sprang auf den rechten der beiden zu und rammte ihm mit einem gewaltigen Prankenhieb seine mehrere Zentimeter langen Klauen in die Brust. Die Rippen des Vampirs brachen wie dünne Hölzer, als die Krallen tief in seinen untoten Körper drangen und sein Herz durchbohrten. Einen Augenblick lang stand er noch aufrecht, dann zerbarst sein Körper in einer Staubwolke und brach als Skelett auf dem Dielenboden zusammen.
Der Werwolf zog seine Pranke aus dem leblosen Skelett zurück und wandte sich dem zweiten Vampir zu. Der Vampir warf die Arme zurück und stieß einen röhrenden Schrei aus, bevor er sich wutentbrannt auf den Wolfsmenschen warf.
Aaron wurde von zwei harten Schlägen getroffen, die einen Menschen sofort getötet hätten, und spürte wie die Wucht der Treffer ihm die Luft aus den Lungen presste. Er duckte sich unter einem weiteren Schlag hinweg und sprang den überrumpelten Gegner von unten an. Seine Kiefer öffneten sich im Sprung und schlossen sich zielgenau um den Hals des Vampirs. Noch im Sprung drehte er sich um seine eigene Schulter und spürte, wie die Halswirbel des Untoten unter der enormen Wucht nachgaben.
Mit einem unappetitlichen Geräusch verlor der Vampir seinen Kopf und stürzte wild mit den Armen um sich rudernd auf den Dielenboden. Bereits beim Aufprall zerstäubte sein Körper und ließ nur ein staubbedecktes Gerippe zurück.
Aus dem Augenwinkel heraus sah Aaron zu der Tür zu Alyssas Raum hinüber. Etwas stimmte nicht. Etwas war nicht da... die Perle! Im selben Augenblick, in dem Aaron seinen Fehler erkannte, sprang der Graf ihm auch schon mit enormer Wucht auf den Rücken und umklammerte mit stahlhartem Griff seinen Hals.
Aaron fuhr herum und versuchte ihn abzuschütteln, aber der Vampir ließ nicht locker. Wutentbrannt warf Aaron sich mit Rücken und Seite gegen die Möbel und Wände, um seinen Gegner zum Loslassen zu bewegen, doch der Griff des Vampirfürsten wurde nur immer fester und unerbittlicher. Während Aaron spürte, wie ihm langsam die Luft abgeschnürt wurde, warf der Vampir ihm plötzlich etwas um den Hals und zog es erbarmungslos zu.
Ein brennender Schmerz durchzuckte Aarons Körper wie eine Woge, als die Metamorphose einsetzte. Die Kette mit der schwarzen Perle, schoss es ihm durch den Kopf. Der Graf hatte seine Diener bewusst geopfert, um ihn lange genug abzulenken. Und er war darauf hereingefallen.
Im selben Maß, wie sein Körper sich wieder zurückverwandelte, schwanden auch Aarons Kräfte und um so weniger hatte er dem brutalen Würgegriff des Vampirs entgegenzusetzen. Er spürte den Kopf des Grafen dicht neben seinem Hals, als dieser ihm ins Ohr raunte: 'Ich werde dich nicht töten, Wolfsmensch. Mit diesem Biss werde ich dich zu einem meiner Diener machen, zu einer jener untoten Kreaturen die du so verachtest. Wie findest du das?'
Aaron bäumte sich auf, aber der stahlharte Griff des Grafen lockerte sich nicht.
'Noch ein paar letzte Worte, Wolfsmensch?' höhnte der Graf, während seine Zähne sich Aarons Kehle näherten.
Aaron schloss die Augen. Er hatte verloren, das wurde ihm mit schmerzhafter Gewissheit klar.
'Ja, fahr zur Hölle, du Monster!' Die Stimme kam von hinter ihnen und noch bevor der Vampirfürst sich auf die geänderte Situation einstellen konnte, durchbohrte ein abgebrochenes hölzernes Stuhlbein seinen Körper und sein Herz. Er explodierte in einer Staubwolke, als seine Knochen in sich zusammenfielen.
Alyssa ließ den Pflock achtlos fallen und beugte sich zu Aaron herab. 'Bist du in Ordnung?'
Aaron hustete und rieb sich die schmerzenden Quetschungen an seinem Hals, die bald blau anlaufen würden. 'In Ordnung wäre übertrieben, aber zumindest lebe ich noch was ohne deine Hilfe nicht der Fall wäre.'
Alyssa lächelte, während sie ihm auf die Beine half. 'Wir scheinen ein gutes Team zu sein. Immerhin haben wir es geschafft, nicht nur unser Leben zu retten sondern auch noch die Schreckensherrschaft des Grafen von Ascar zu beenden.'
Aaron warf einen Blick in die Nacht hinaus, wo der Vollmond noch immer wie eine silberne Münze am Himmel hing, und nestelte den Verschluss seiner Kette zu. Er zögerte, bevor er sich wieder zu Alyssa umdrehte. 'Jetzt weißt du, welcher Fluch auf meiner Familie liegt und was es mit diesem Amulett auf sich hat. Ich nehme an, dass du dir für morgen eine angenehmere Reisebegleitung suchen wirst, jetzt wo niemand dich mehr verfolgt. Du kannst in dein Dorf zurückkehren, zu deinen Leuten.'
'Dummkopf!' lachte Alyssa. 'Du hast dein Leben riskiert, um meines zu retten. Ich könnte mir keinen besseren Begleiter als dich wünschen. Und nur damit du es weißt, ich werde ganz bestimmt nicht in mein altes Dorf zurückkehren. Nein, eine Seereise nach Thura klingt da doch schon viel interessanter.'
Aaron nickte schweigend und legte den Arm um ihre Schulter. Noch einmal wanderte sein Blick hinauf zum Mond, und zum ersten Mal seit langer Zeit verband er den gewohnten Anblick mit etwas Positivem. Alles konnte etwas Gutes haben. Alles...
10. Mai. 2006 - Richard Norden
Bereits veröffentlicht in:
Im Web: http://www.horrorfantasy.net
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