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Rot und Blau
von Angelika Jodl

Marion Lucka Marion Lucka
© http://www.marionlucka.de/

München, 5. März 2008


Liebste Carla,

ich kann mir vorstellen, dass Emmi Dir noch schreiben wird oder Dein Papa, um Dir von den letzten Ereignissen zu berichten und da sie sicher beide momentan nicht frei von gewissen Emotionen sind, erlaube ich mir, Dir aus meiner Sicht zu schildern, was sich seit Deinem Weggang von hier zugetragen hat.
Es ist mir klar, wie sehr nun getratscht wird - auch über meine Rolle. Dabei habe ich bis gestern Abend nur gezittert, wie dies alles ausgeht und dass ich bloß nicht am Ende Schuld daran bin, wenn es zum Bruch mit Deinem Papa kommt und all das Vermögen am Ende nicht Dir, sondern Emmi zufallen würde. Gestern also war der große Tag – Du wirst an uns gedacht haben – an der ligurischen Blumenküste – und mir stehen in der Erinnerung immer noch die Haare zu Berge – wenn Du einem alten Figaro so einen Spruch erlaubst.
Darf ich Dir aber zunächst sagen, wie hinreißend Du auf Deinem letzten Video anzusehen bist? Pelzrock mit Karo und diese beiden weißen Pudelchen - eine Göttin unter all den Models! Nie hätten wir zulassen dürfen, dass Luigi Dich uns entrissen und so einfach nach Italien entführt hat!
Damals hatte ich ja zuerst gedacht, dass sich Dein Papa noch beruhigen und einsehen wird, dass doch alles passt: Die Tochter auf dem Laufsteg, der Schwiegersohn macht Mode in Mailand – aber nein, da hat er gleich noch lauter gebrüllt über den „Katzlmacher da unten“ und dass die Italiener nichts vom Essen verstehen, weil sie nur Eselswurst kennen und außerdem hätten sie uns schon zwei Mal im Krieg verraten. „Aber da war der Luigi doch noch gar nicht auf der Welt!“, habe ich zu ihm gesagt, damit er sich beruhigt, doch er ist nur noch wilder geworden wegen der ausländischen Aussprache. „Der schreibt sich Lui-G-i!“, hat er geschrien und sein Schnauzbart hat gezittert dabei. „Dann soll er sich auch so anreden lassen! Muss man jetzt schon im eigenen Land in der Fremdsprache daherreden?!“ (Du kennst ja seine Marotte, dass er alles so ausspricht, wie er es liest – mich nennt er immer noch den „Ko-if-feuer“)
Ich schwöre Dir, Carla, ich habe damals nur versucht ihn zu beruhigen und ihn daran zu erinnern, dass Du doch immer seine Lieblingstochter warst, wie sehr Du Deiner wunderschönen Mama gleichst auf allen Fotos und Videos – groß und elastisch und mit deinen Hüten und Sandaletten der Inbegriff der Eleganz.
Aber freilich – Du warst da schon in Mailand, und Emmi eben in München und das hätte womöglich doch den Ausschlag geben können, dass er am Ende statt Dir die kleine Emmi als Erbin einsetzt. Und das wäre nun ja völlig absurd gewesen: Emmi mit ihrem unmöglichen Geschmack als Alleinerbin von all dem Geld?
Emmi – mein Gott, wie oft habe ich ihr zu erklären versucht, dass Rothaarige nichts Rotes tragen dürfen. Weißt Du noch den Abend, als wir alle auf eurer Terrasse saßen: Du, Luigi und ich, und wie dann Deine Schwester nach Hause kam und wir alle den Atem angehalten haben?
„Ist das jetzt der letzte Schrei aus der Altkleidersammlung?“, hast Du sie gefragt.
Und Luigi: “Ich weiße gar nichte, was das für Farben sein sollen. Iste das Lila?“
„Es ist Rot und Blau“, hast Du erklärt und hinzugesetzt, dass es sich dabei ungefähr um die Farben der Krampfadern auf den Unterschenkeln Deiner Schwester handeln dürfte.
„Allora.“ Luigi zwinkerte lustig. „Die Rote und die Blau wie die Kasperl seine Frau!“
Ich habe damals nichts gesagt – bei familiären Auseinandersetzungen halte ich mich zurück – aber jeder von uns hat natürlich das gleiche gedacht: Das sieht ja verboten aus! Erinnerst Du Dich an den Umhang, den sie anhatte an dem Abend? Auch in dieser unmöglichen Farbe und an den Rändern ausgefranst, als wären es Vogelfedern! Aber die Emmi hat nur immer gutmütig gelächelt, als ob sie überhaupt nicht verstehen könnte, was wir alle haben.
„Ach, Emmi!“, hast Du schließlich gesagt (und ich sehe noch vor mir, wie Du Deine langen, schlanken Beine übereinander gelegt hast, mit dieser Grazie, wirklich engelhaft!) „Du bist und bleibst der Trampel in der Familie!“

Es war ja nicht so, dass Dein Vater das nicht gesehen hätte. „Mein Gott, die Emmi“, hat er oft geseufzt. „Kein Mann, kein Beruf! Wie soll denn aus der noch was Gescheites werden?“ Und da ist mir eben damals die Idee mit Paris gekommen. „Schick sie nach Paris“, hab ich ihm gesagt. „Da kann sie Visagistin lernen, von der Pike auf, und später kaufst Du ihr einen Salon in München. Ein Jahr Paris – mehr braucht sie nicht und dann kriegt sie auch noch ein bisschen was mit von dem Chic, der ihr so abgeht. Wenn sie erst mal sieht, wie die Pariserin das mit den Farben hält, du weißt schon, dass noch Schuhe und Lidschatten stimmen müssen zur Haarfarbe. Gerade wie deine Frau das auch so gut gekonnt hat.“
Ich war mir wirklich sicher: Ein Jahr Paris und aus der Emmi wird auch noch was. Natürlich niemals Deine Klasse, aber mal sehen, vielleicht kommt sie zurück in Aschblond? Oder meinetwegen weiter rothaarig, aber dann weiß sie wenigstens, was sich dazu tragen lässt: schwarzes Kleid, Spaghettiträger, Stilettos, und um den Hals nichts – oder ein wenig Gold mit Perle in der Kehlgrube.
Aber das Wichtigste bei dem Unternehmen – und das vergessen natürlich alle die, die sich jetzt das Maul zerreißen – war ja, dass Du jetzt nicht mehr die Einzige warst, die im Ausland lebt. Und dass Dein Papa endlich ein bisschen Ruhe hatte und noch einmal darüber nachdenken konnte, wie er sich mit Dir und Luigi versöhnt.
Wirklich hat er sich langsam beruhigt und wieder über Dich und Deinen Mann gesprochen (wenn er ihn auch weiter LuiGi aussprach, aber wenigstens hat er nicht mehr „Katzlmacher“ gesagt), und dass aus Paris gute Nachrichten kamen, das hat ihn natürlich auch gefreut. Weil immer, wenn wir nachgefragt haben, hieß es, dass alles ganz wunderbar läuft, wie viel die Emmi schon gelernt hat und wie gut sie sich anstellt.
Es war also alles ganz friedvoll, bis Dein Brief kam, vor vier Wochen, worin Du ihm geschrieben hast, dass ihr an seinem Siebzigsten nicht hier sein werdet, weil Luigi die Messe vorbereiten muss und weil zu der Jahreszeit in Ligurien die Azaleen blühen und ihr euch das unbedingt ansehen wollt.
Da stand Dein Papa im Wohnzimmer mit diesem Brief in der Hand, und hatte seinen Unterkiefer zurückgezogen, dass die Zähne aufeinanderknirschten. „Was für verfluchte...?“, hat er mich gefragt, „jetzt habens auch noch – was? Blüten, die Makkaronis?“
Ich wollte ihm erklären, dass die Azaleen wirklich wunderschön aussehen und rot blühen, da hat er noch mehr mit den Zähnen geknirscht, und da habe ich wirklich Angst gekriegt, wie das noch ausgeht mit seinem Siebzigsten, wenn jetzt Du nicht kommst und wenn sich die Emmi vielleicht immer noch nicht gemausert hätte.

Ich schwöre es Dir, Carla, es ging mir nur darum, dass nicht am Ende noch ein richtiges Fiasko entsteht, und er sich noch mehr aufregen muss. Dass ich also der Emmi dann noch mal geschrieben habe, das darfst Du auf keinen Fall so auffassen, als ob ich plötzlich mit ihr gemeinsame Sache hätte machen wollen – am Ende noch gegen Dich! Ich wäre untröstlich, wenn Du so dächtest! Und genau genommen habe ich ja auch nichts weiter getan, als noch mal nachzufragen, ob sie denn auch wirklich kommt und ob sie sich schon was zu ihrem Outfit überlegt hat, weil Dein Papa wenigstens die Farbe Rot inzwischen nicht mehr sehen kann. Wegen der Azaleen – schon, aber auch aus anderen Gründen, wir haben das ja schon öfter besprochen und es geht eben mal gegen mein ästhetisches Gewissen, ich sage es ganz offen: Rothaarige sollten sich einfach mit Rot zurückhalten, basta.
Gut, die Emmi mailt mir zurück, dass ich mir keine Sorgen machen muss: „Ich komme gewiss, und ich komme mit dem Kleinen Schwarzen“.
Schön und gut, und ich habe mir also erst mal gar nichts weiter gedacht außer, dass der Pariser Chic Gott sei Dank wirklich gewirkt hat. Obwohl ich mich ja schon hätte fragen können „Warum schreibt sie denn nicht IM Kleinen Schwarzen?“ Aber vor allem, um das noch einmal zu betonen – ich wollte doch damit keinesfalls irgendwie Deinem Vater Recht geben, als er gegen Dich solche Sachen gesagt hat wie „Hat die überhaupt keinen Sinn mehr dafür, wo sie herkommt, seitdem sie mit dem Makkaroni beieinander ist?“ Sondern nur darin, dass er sich darauf freut, dass wenigstens die Emmi kommt und noch dazu sozusagen ästhetisch geläutert.
Oder zumindest verändert, das wäre vielleicht das bessere Wort gewesen. Denn wie sie da gestern aus dem Taxi gestiegen ist – das ist ja vorgefahren bis mitten hinein in den Rasen zur Geburtstagsgesellschaft – da habe ich auch erst zwinkern müssen, weil sie mir einerseits so anders vorgekommen ist: irgendwie breiter in den Schultern und dass sie so volle, rote Lippen hat – das hatte ich früher auch nicht bemerkt.
Andererseits – das war es ja gerade: Rot! Genau denselben Fummel hat sie getragen wie an dem Abend damals auf eurer Terrasse: Rot, bisschen Blautöne, Lila und das Haar – immer noch lang und magentarot! Und im Arm hatte sie ein seltsames, längliches Paket. Ich konnte sehen, wie Dein Papa den Unterkiefer nach hinten schob, aber da war sie schon an dem Tisch mit der großen Torte, legte ihr Paket ab und sagte: „Also, da ist mein Kleines.“ Und als wir uns alle darüber beugten und sahen, wie das Baby ein paar Blasen auf die Lippen blubberte, die neben seinen Augäpfeln das einzig Weiße in seinem Gesicht darstellten, fügte sie noch hinzu: „Er heißt Jean Baptiste wie sein Papa. Wie? Ach so – Gaststudent an der Sorbonne. Aber inzwischen ist er schon wieder zurück in Zaire.“
Ja, und so, liebste Clara, musst Du Dir wohl doch keinerlei Sorgen machen, dass Dein Papa Dich zugunsten von Emmi enterbt! Bis jetzt hat er immer noch damit zu tun, Deiner Schwester zu erklären, wie man ZAIRE richtig deutsch ausspricht.

Es grüßt und küsst Dich (und Luigi) ganz herzlich Dein alter Freund und Figaro Olli.


P.S. Vielleicht sprichst Du mal mit Luigi über eine Kollektion für Kinder? Dafür fände ich Rot übrigens gar nicht schlecht. Der kleine Jean Baptiste käme sicher nicht übel in dieser Farbe. Sagt jedenfalls mein ästhetisches Gewissen.

13. Okt. 2008 - Angelika Jodl

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