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Fegefeuer von Eva Markert
Andreas Gerdes © http://www.grafikdesign-gerdes.de Die kleine Vera lauschte den Schreien, die aus der brennenden Scheune drangen. Regungslos stand sie da, spürte die sengende Hitze und starrte auf die Feuergarben, die in den Nachthimmel schlugen. Gierig verschlangen die Flammen das Holzgebälk, loderten aus dem Dach, leckten aus der Türöffnung. Qualm blähte sich wie eine drohende Wolke über der Szene.
Vera wich zurück. Sie sah ihren Vater gestikulieren, Menschen liefen hin und her, Feuerwehrleute richteten einen Wasserstrahl auf die Flammen, es zischte und prasselte, in der Luft lag ein unheimliches Brausen.
Dann verstummten die Schreie.
Wie ein Feuersturm waren die Flammen durch die Scheune gerast.
Am Ende blieben nur noch verkohlte Reste, aus denen Rauch aufstieg. Alles war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Alles.
Seitdem fürchtete Vera das Feuer. Feuer das war ein gefräßiges Ungeheuer, eine dämonische Urgewalt aus Glut, Licht und Tod. Das Anzünden eines Streichholzes genügte, um ihr einen panischen Schrecken einzujagen, und sie konnte in keine Kerzenflamme schauen, ohne zu zittern.
Vera mied das Feuer doch das Feuer mied sie nicht. Es suchte und fand sie. Und es war unerbittlich.
Im Zimmer war es so stickig, als ob der Luft nach und nach Sauerstoff entzogen würde. Vera wartete auf das Knistern des Feuers, das jede Nacht in einer Ecke ihres Schlafzimmers aufflammte.
Schon war das erste leise Knacken zu hören und es roch durchdringend nach schwelendem Holz.
Vera kniff die Augen zu und lag stocksteif auf ihrem Bett. Durch die geschlossenen Lider konnte sie das Flackern der Flammen erahnen. Doch es gab kein Entrinnen. Das Feuer nährte sich von ihrer Angst, und es würde sich nicht eher verzehren, bis sie hineingeschaut hatte.
Sie richtete sich auf und versuchte, die Augen zu öffnen. Vergeblich, ihre Lider waren wie zugenäht. Mit den Fingern schob Vera sie hoch. Langsam setzte sie sich auf und starrte auf den Holzstapel in der Zimmerecke, der bereits lichterloh brannte. Die Flammen loderten höher, schienen sie heranzuwinken. Vera erhob sich. Wie aufgezogen setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie den Glutkreis des Feuers erreichte. Glühende Hitzenadeln bohrten sich in ihr Fleisch. Sie stöhnte. Und doch war dieser brennende Schmerz leichter zu ertragen als das Leid, das sie in den Flammen erblickte.
Im Herzen des Feuers sah sie das Mädchen, das sie so gut kannte, das Kind, das sie einst gewesen war: eine flinke kleine Flamme, die hüpfte und tanzte, bis die Feuerteufelin vor ihm in die Höhe wuchs und so lange auf das Flämmchen einschlug, bis es nur noch matt am Boden glomm.
Die Teufelin hatte ein menschliches Gesicht: das ihrer Mutter. Ihrer Mutter, der sie damals die Macht genommen hatte, als sie das brennende Streichholz ins zundertrockene Stroh warf und das Scheunentor von außen zusperrte.
In einer jener Nächte spürte Vera zum ersten Mal, dass etwas anders war. Noch bedrohlicher, noch beängstigender schlugen die Flammen nach ihr, als sie sich widerstrebend auf die brennenden Holzscheite zubewegte.
Das Flämmchen es tanzte nicht so wie sonst. Es war plumper, weniger flink. Plötzlich überkam Vera ein Gefühl zärtlicher Liebe. Meine kleine Tochter, murmelte sie. Gleichzeitig wartete sie mit bebendem Herzen auf die Teufelin, denn sie wusste: Wenn sie auftauchte, war das Flämmchen verloren.
Als ob das Feuer Atem holen würde, zog es sich zusammen, dann schossen Lohen zur Zimmerdecke und inmitten dieser Flammenhölle erschien sie. Die Teufelin fauchte, spie Glut und Funken und stürzte sich auf die kleine Flamme. Wie rasend trat sie auf das tanzende Lichtchen ein. Als es nur noch schwach zitterte, hielt sie inne und wandte Vera ihre Fratze zu.
Vera fuhr zurück. Es war nicht das Gesicht ihrer Mutter. Es war ihr eigenes.
In der folgenden Nacht wurde Vera bewusst, dass Feuer sie nicht nur mit Entsetzen erfüllte. Gleichzeitig übte es eine seltsame Anziehungskraft auf sie aus.
Sie wartete auf den würzigen Brandgeruch und das heimelige Knistern, sie sehnte die Wärme herbei, das strahlende Licht, und als der Scheiterhaufen in der Zimmerecke in hellen Flammen stand, wagte sie sich ganz dicht an das Feuer heran.
Übermütig tanzte das Flämmchen. Vera wollte es beschützen und streckte die Hände in die Flammen. Welche Wonne, das Brennen auf der Haut zu spüren, diese Hitze, die bis auf die Knochen ging und ihr Blut zum Kochen brachte! Sie wollte sich in das Feuer stürzen doch in diesem Augenblick verlosch es.
Vera stand mit ausgebreiteten Armen in der Ecke des Schlafzimmers. Haut löste sich in Blasen von ihren Armen, rohes Fleisch wurde unter den schwarzen Fetzen sichtbar. Oh! Dieser reinigende, dieser rettende Schmerz! Er war exquisit!
Vera hörte die Kleine im Kinderzimmer schreien. Sie mochte es nicht, wenn ihre Tochter schrie. Es machte sie wütend. Es machte sie rasend.
So rasend, wie ihre Mutter oft gewesen war. Dann hatte sie zugeschlagen, wieder und wieder, wie im Rausch, hatte sich hineingesteigert in eine wahre Ekstase der Gewalt und nicht von ihr abgelassen, bis Vera am ganzen Körper mit blauvioletten Flecken übersät war.
Auch Veras Tochter hatte Blutergüsse. Wie Totenflecken sahen sie aus. Vera wollte das nicht, doch der Zorn war stärker. Wie eine Stichflamme loderte er auf, durchraste ihren Körper und vernichtete jeden klaren Gedanken.
Erst wenn die Wut verraucht war, wenn ihr Kind wimmernd am Boden kauerte, begriff sie, was sie getan hatte. Dann erfüllte sie bittere Reue und sie schwor sich, es nie wieder zu tun. Bis es erneut geschah.
Das Weinen im Kinderzimmer hatte aufgehört.
Die Nacht brach herein. In der Zimmerecke flammte das Feuer auf und gewann schnell an Macht. Vera eilte darauf zu. Schon versengten die züngelnden Flammen ihr Fleisch. Vera breitete die Arme aus und mit einem Schrei stürzte sie sich mitten hinein.
Wie ein Feuersturm waren die Flammen durch das Haus gerast.
Am Ende blieben nur noch verkohlte Reste, aus denen Rauch aufstieg. Alles war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Alles.
28. Jan. 2009 - Eva Markert
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