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Aristides Vulgaris von Angelika Jodl
Mario Moritz © http://www.sf-welten.de Jedes Jahr waren Ruth und Ralf nach Griechenland gefahren, hatten in der Ägäis gebadet, bei Souvlaki und Feta-Käse den Griechen zugesehen, wie sie abends in den Tavernen tanzten mit ausgebreiteten Armen, mit den Fingern schnippsend, schwankend und im Überschwang der Gefühle Porzellan zu Boden schmetterten. Letztes Jahr hatten sie dann das Grundstück auf Kos erstanden. Nun fuhr Ralf öfter allein hinunter und ärgerte sich als sprachunkundiger Bauherr mit Arbeitern und Ämtern herum. Wenn er heimkehrte, zog er eine rosa Muschel aus der Tasche oder einen zur Lampe ausgebauten Kugelfisch. Aber diesmal hatte er keine griechische kleine Nichtigkeit dabei, sondern brachte Aristides mit: Aristides Vulgaris, den er als seinen Freund vorstellte.
Was hieß Freund Banknachbarn in der Grundschule waren sie gewesen. Und Grieche war der andere auch nur zur Hälfte, seis drum! Jedenfalls hatten sie sich nun mitten auf Kos wieder getroffen, und das war Ralf wie ein Wink des Himmels erschienen.
Der Kerl ist ein richtiger Tausendsassa, erklärte er Ruth, während er auspackte und Aris sich im Badezimmer frisch machte. So eine Baustelle wie die unsere in Kos wäre für so einen nur ein Klacks! Weißt du, was ich mir überlegt habe? Wie wäre es, wenn wir ihm die Bauaufsicht übertragen würden? Was meinst du?
Ruth dachte nach. Sie selbst hatte bis jetzt noch keinen rechten Eindruck von diesem lebenden Mitbringsel. Übel sah er nicht aus, das musste sie zugeben, mit seinen schwarzen Löckchen und den geheimnisvollen Schatten unter den Augen. Und was seine Fähigkeiten betraf nun ja, das musste Ralf wissen, nicht sie.
Ralf war zuversichtlich. Die Idee begeisterte ihn regelrecht. Als Aris nach dem Abendessen ging, fielen sich die beiden Männer um den Hals, als gelte es einen Abschied fürs Leben zu nehmen.
Wollte er nicht morgen schon wieder vorbeikommen?, fragte Ruth.
Lass mal, lachte Ralf. So ist eben das griechische Temperament. Er seufzte kurz auf. Mein Gott, was der schon alles in seinem Leben getrieben hat! Bademeister, Kellner, Animateur im Club Med und Autos verschoben von Köln nach Teheran..! Wieder seufzte er. Ein Leben lang gewandelt auf dem rechten Pfad... War es ein versäumtes Leben?
Ein bisschen kam es Ruth so vor, dass er gerade das glaubte, denn seine Bewunderung für Aris, den herrlichen Hellenen schien grenzenlos zu sein. Griechenland, das Land seiner Träume, spielte dabei offenbar eine gewisse Rolle Eine Rolle, die der neu entdeckte Aris sogleich mit Leben erfüllte. Denn seltsam - um die Kölner Rotznase von damals konnte ja noch gar nicht so viel Aura von Souvlaki und Bouzouki gewesen sein. Aber nun! Nun fing alles an:
Denn beim nächsten Mal war Aris dabei in Griechenland. Aris war überhaupt überall mit dabei. Aris, der die albanischen Arbeiter schikanierte, rätselhafte Rechnungen für nie angekommenen Zement präsentierte und mit den Dorfschönen schäkerte. Von Tag zu Tag wurde er griechischer. Sein Kölsch wich einem Akzent, der so klang wie Vicky Leandros mit Polypen in der Nase. Und bei jeder Gelegenheit tanzte er auf dem Dorfplatz, wobei er schrille Pfiffe ausstieß, die rechte Hand durch die Luft rudern ließ und mit der linken Schenkel und Fußsohlen beklatschte. Ooompah! schrie er wild, Aiiindeh! Und dazu applaudierten nicht nur alle Dorfbewohner, sondern Ralf und anfangs auch noch Ruth. Er fing an, ihr ernstlich auf die Nerven zu fallen, als er dazu überging, beim Ouzo Theorien über Europa und Griechenland, das er offenbar einem anderen Kontinent zuordnete, zu präsentieren. Seiner Ansicht nach lebten einzig die Griechen in der Gegenwart, wie es sich gehört, sie scherten sich nicht um Geld und Leben, zerschlugen stolz ihren Hausrat aus lauter Lebenslust und lebten überraschenderweise dennoch länger als die anderen, weil es in diesem schönen Land nichts Giftiges gab (Griechise Slanggen beißen nicht) und der Grieche als solcher vor Krankheit gefeit war. Wir chaben die Ärzte erfunden!, schrie Aris und schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die brennende Kerze darauf umfiel und ein Loch in die Leinendecke brannte. Da wart ihr noch im Bärenfell! Ouzo und Patriotismus befeuerten ihn unglaublich, im Laufe des Abends schrie er noch einiges gegen Bulgaren und Türken in die Nacht und zerschlug einen massiven Aschenbecher dabei.
Na ja, das mit der Gesundheit könnte schon stimmen, gab Ralf nach dem Abendessen unter dem Moskitonetz zu bedenken. Olivenöl, Honig, und was die in der Antike schon alles über Medizin wussten
Die Antike ist zweitausend Jahre her, murmelte Ruth, die vom Ouzo benebelt war und ahnte, dass sie in dieser Frage einen schweren Stand haben würde.
Da war es fast eine Genugtuung, als sie zwei Tage später mit Aris allein in dem kleinen Hafen-Restaurant saß, und er nach einer Gabel Oktopus-Salat plötzlich zu japsen begann. Seine Hand fuhr zur Kehle, das graue Rauchergesicht verfärbte sich dunkelrot, am Hals traten bisher nie gesehene Sehnen hell hervor und zitterten. Ka
Ka
krächzte der so erschreckend schnell verwandelte Mann und deutete mit den Augäpfeln rollend auf sein Hirtentäschchen. Darin tastete sie eine Kapsel mit Kalziumtabletten, und als Aris wieder sprechen konnte, fand er sich zu der Erklärung bereit, dass er an einer Allergie gegen Sellerie litt. Aber das durfte sie auf keinen Fall irgendjemandem sagen, weil die Gesundheitsbehörde hier
, weil in seinem Pass sonst eine Eintragung
, weil es sehr schwierig für alle würde, gerade auf dem Bau
O.K., O.K., sagte Ruth und winkte ab. Auf weitere Auskünfte über eventuelle heldenhafte Partisaneneinsätze ihres Bauleiters war sie nicht scharf. In diesen vier Ferienwochen hatte er sich nacheinander als Kommunist, strenggläubiges Mitglied der orthodoxen Kirche und Anhänger der Astrologie dargestellt, wer konnte sagen, was da noch alles daherkam! Denn dass der echte Grieche niemals erkrankte, war nun mal elementarer Bestandteil seines Selbstbilds.
Und was hätte es auch gebracht, ihn vor Ralf zu demaskieren? Ralf ließ auf Aris nichts mehr kommen. Seine rassistischen Entgleisungen entschuldigte er mit der uns fremden Kultur, die Anfälle von Zerstörungslust gegenüber Ruths Porzellan mit südländischem Temperament und die Tiraden über Griechenlands Großartigkeit doch tatsächlich mit einer tiefen Trauer über den Verlust einstiger Größe. Ralf war komplett arisfiziert.
Das wurde nach den Ferien nicht besser. Denn wieder war Aris im Gepäck als Souvenir, und Ralf rieb sich die Hände angesichts seiner neuen Idee. Weißt du was? Unser Nebengebäude zu Haus, das steht jetzt schon seit einem Jahr leer. Ich habe mir gedacht, das können wir doch an Aris vermieten!
An Aris? Hat der denn überhaupt Geld?
Er muss ja nicht in Geld bezahlen. Ich habe an so eine Art Major Domus gedacht...
Seither war Aris also ihr unmittelbarer Nachbar, empfing Minibusladungen von obskuren Freunden (und Freundinnen), drehte Lämmer am Spieß auf ihrer Terrasse und tanzte, pfiff, schrie, debattierte unentwegt.
Sieh dir das an!, sagte Ruth klagend, wenn sie morgens die Scherben auf der Terrasse zusammenkehrte. Das war mein Kuchenteller von Rosenthal!
Aris ist Grieche! Die feiern nun mal mit mehr Temperament als wir!
Halbgrieche!, jammerte Ruth, Meinst du nicht, er könnte auch mal sein Temperament halbieren?
Aber das kam nicht mehr an. Ralf, der kritische Kopf und rechtschaffene Anwalt, zuständig für Recht und Ordnung jetzt nahm er nichts mehr so wie früher. Wovon er sonst vorsichtig die langen, blassen Finger gelassen hatte jetzt fasste er es an: Kasino mit Aris, Rennbahn, obskure Kneipen und als Höhepunkt eine gemeinsame Reise durch den Balkan, eine Sache nur für Männer, denn Aris hatte in Rumänien ein paar Geschäfte, nach denen er sehen musste und Ralf guckte ihm dabei offenbar begeistert über die Schulter.
Als müsste er unbedingt da mal rein in dieses Rotlichtmilieu, wo seine Mandanten alle herkommen, klagte Ruth ihrer Freundin Ines. Also, lang halte ich das nicht mehr aus. Aber Ines war Anhängerin von Rudolf Steiner und arbeitete an einer Waldorfschule, also seufzte sie nur und meinte: Du, wenn das sein Weg ist
Jetzt war also der Rosenthal-Teller hin. Ergrimmt beseitigte Ruth die Scherben. Heute Abend gaben Ralf und sie eine Party. Es musste ja nicht sein, dass die Gäste durch einen Haufen Splitter latschten.
Als sie ihre Küche betrat, fand sie Aris vor, der auf einem Blatt Papier herumkritzelte. Ich bin Grieche, erklärte er ihr zum Schreiben brauche ich den Geruch von Olivenöl.
Sie warf einen Blick auf die geöffnete Seite. Alles riskieren! empfahl ihr die Titelzeile. Darunter stand: Roman von Aristides Vulgaris.
Du schreibst einen Roman?
Mein Leben ist ein Roman!
Aha. Auf Griechisch oder Deutsch?
Griechis kann man nicht übersetzen. Kein einziges Wort. Ihr Deutse versteht das nicht.
O.K., sagte Ruth. Wenn ich dich mal was bitten dürfte: Geht es vielleicht heute Abend ausnahmsweise ein bisschen leiser? Ralfs Partner kommt, der hat das nicht so gern, wenn man ihn anschreit. Und Ines und ihre Leute auch nicht. Ach und Hände weg von meinem Porzellan!
Er maß sie mit einem Blick tiefster Verachtung. Deutse Mäuse. Immer leise, kein Risiko, wie bei Chitler.
Die Party war in vollem Gang, als Ruth ihre Mitternachtssuppe auf den Herd stellte. Plötzlich drang Schlachtenlärm durch Eric Clapton und die freundlich summenden Stimmen auf dem Flur bis hinunter zu ihrer Küche. Aber
aber
ich sagte doch
hörte sie den mehrfachen Versuch von Ralfs Partner, sich Gehör zu verschaffen.
Bosnien! rief eine andere Stimme. Und dann Aris:
Orthodoxie
Chände weg!...
Sie stellte die Flamme klein und hastete nach oben. Da stand ihr hellenischer Hausmeister, fuchtelnd und schreiend, die Augen voll heiligem Hass: Unsere serbisen Brüder!, schrie er heiser, trank sein Glas leer und starrte es einen Moment lang an. Chände weg von unseren Brüdern! Fasisten!! Damit schleuderte er das Glas auf den Boden.
Das Klirren des zerspringenden Glases versetzte sie in einen lang schon nicht mehr da gewesenen Schwung. Sie drängte aus dem Wohnzimmer, während sie von drinnen hörte, dass jemand Musik auflegte ausgerechnet den Syrtaki zu Alexis Sorbas. Im Flur traf sie auf Ines, die ihren verständnisvoll lauschenden Waldorfianern erklärte:
kommt doch selber aus der Gegend
Trauma, ja! Der hat da glaube ich, einen Bruder verloren also so habe ich das jedenfalls verstanden
O.K. Küche. Kühlschrank. Wo war das Zeug? Ah ja, da hinten. Nur das Kraut nehmen, das sieht aus wie Petersilie. Noch mehr Knoblauch? Gute Idee, überdeckt den Geruch. Und bei einer Obduktion? Quatsch, das war eben ein blödes Versehen heute Abend, es wusste ja niemand was von der Allergie. Und überhaupt: Alles riskieren! oder?
Zur Suppe gab es noch mehr Syrtaki, und Ruth tanzte dazu am ausgelassensten. Ooompah!, schrie sie und wirbelte, den Reigen anführend von einem Zimmer zum anderen. Das Geräusch hinter der Sofaecke, wo Aris mit der Suppe gestanden hatte, hörte wohl sowieso nur sie selbst. Dennoch griff sie nach dem Terrinendeckel und schleuderte ihn krachend auf das Parkett.
So plötzlich, mein Gott..., sagte Ralf beklommen nach der schlichten Feier am Waldfriedhof. Ich fasse es nicht.
Nun ja, sagte Ruth sanft und schob ihren Arm in seinen. So war er nun mal. Wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt. Alles riskieren- das war sein Motto. Hast du das gewusst?
Meinst du, er wäre lieber in griechischer Erde beerdigt worden?
Nein, Aris war Weltbürger. Es ist in Ordnung so.
12. Mar. 2009 - Angelika Jodl
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