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Hexenfeuer
von Holger Kutschmann

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Die ganze Stadt war auf den Beinen. Rund um den Marktplatz waren Stände aufgebaut. Der Brot-Bus bot kross geröstete Hexenstangen feil, der Fischer vom See wiederum Aale und Barsch, frisch aus dem Rauch, und der Wirt der Burgschänke zapfte schäumendes Bilsenbier. Die Leute waren gut gelaunt und lustig, heute sollten gleich drei Hexen zu Asche verbrannt werden.
In der Mitte des Marktplatzes warteten die Scheiterhaufen.
Marten betrachtete sie zum ersten Mal mit gemischten Gefühlen. Sicher war es nötig, die gefährlichen Buhlinnen des Teufels aus der Welt zu schaffen, so schnell es eben ging. Immer wieder brachten sie Leid über das Volk, verhexten das Vieh und machten die Leute krank, ließen das Korn auf den Feldern verdorren. Sie hatten den bösen Blick und übten sich in gefährlicher Zauberei.
Aber Gesche, die Tochter des Köhlers, konnte unmöglich zu ihnen gehören - und doch war sie gestern auf die Burg gebracht worden. Marten hatte sie sofort erkannt, obwohl sie ihr den Kopf mit einem Leinensack verhüllt hatten, wie es bei Hexen so üblich war. Die Büttel des Burgherrn hatten sie über den Burghof gezerrt, getreten und gestoßen, und dann hatten sie Gesche in den Hexenkeller geworfen.
Und dort war sie noch immer - so hoffte Marten wenigstens. Der Foltermeister hatte heute Hexen zu brennen, und seine Knechte würden den Schandkarren ziehen. Seit Marten morgens auf seinem Lager im Stall erwacht war, hatte er jedenfalls keinen verdächtigen Laut aus dem Keller vernommen - und so war es auch bis zum Mittag geblieben. Heute wurde nicht gefoltert - dies war der Tag des Brandes!
Er hatte schlecht geschlafen in der letzten Nacht. Erst einmal war er unten im Hexenkeller gewesen, und ihn grauste bei der Vorstellung, Gesche könne bereits hinter einer der schweren Eichentüren in einer Hexennische stecken. Natürlich, für richtige Hexen und Hexer war es die einzig sichere Verwahrung, nur - Gesche war bestimmt keine Hexe. Er konnte es nicht glauben.
Und darum wusste er nur einen Ausweg - er wollte sie befreien und mit ihr fliehen. Wohin, das wusste er noch nicht - und es war auch erstmal nicht wichtig. Bei dem Gedanken, auch sie könne eines nicht mal fernen Tages auf einem dieser Scheiterhaufen stehen, wurde ihm recht elend zu Mute.
Ein Raunen ging durch die Menge, als von der Burgstraße her das schwere Holpern hölzerner Räder zu hören war. Sie kamen!
Marten schob sich durch die neugierig gaffende Menge. Wenn der Schandwagen den Marktplatz erreicht hatte, wollte er zurück zur Burg. Schon heute Morgen hatte er seine Stallhose und ein altes Leinenhemd für sie bereit gelegt, denn in ihrem Büßergewand konnte er mit Gesche auf keinen Fall entkommen. Er würde ihr die Haare schneiden, ganz kurz, und mit Glück konnten sie so unerkannt aus der Stadt fliehen. Marten wusste, es war ein großes Wagnis, das auch ihn ins Feuer bringen konnte, aber er wollte es riskieren. Der Gedanke, dieses Mädchen brennen zu sehen, ließ sein Herz zerspringen. Dann wollte er auch nicht mehr leben.

Die Folterknechte zogen den Schandkarren auf den Marktplatz. Die drei Hexen waren an einen schweren Holzklotz gekettet und knieten auf dem Karren, die Köpfe von der Last der eisernen Eselsmasken auf die Brust gedrückt. Sie stanken. Ihre ehedem weißen Büßerhemden waren schwarz von Blut und Kot, und es war unheimlich, wie still die Frauen den Anblick der wartenden Scheiterhaufen ertrugen. Aber Marten wusste, sie konnten weder rufen, schreien noch schluchzen - die schweren Eselsmasken wurden mit ehernen Knebeln geschmiedet, die selbst den Tod in den Flammen zu einem beinahe lautlosen Schauspiel werden ließ. Nur das Lodern des Feuers, das Knistern der Scheite, das Zischen kochenden Fettes würde zu hören sein, wenn die Frauen endlich den gerechten Lohn für ihr schreckliches Treiben erfuhren.
"Brennt sie! Brennt sie!", johlte die Menge, und Eier und faules Obst flogen durch die Luft, deckten die Hexen mit einem Hagel der Empörung ein, dass die Folterknechte lachend davonstoben. Jetzt rumpelte auch der Wagen des Burgherrn auf den Markt, neben ihm saß der Foltermeister in der traditionellen Tracht seiner Zunft, das Gesicht hinter der ledernen Maske verborgen. Flankiert wurden die beiden von zwei der großen Hunde des Barons, die neugierig nach den vielfältigen Gerüchen schnüffelten.
Nach und nach erstarb das Toben der Leute, ein paar letzte Eier klatschten auf den Schandkarren.
Marten stahl sich davon, niemand achtete jetzt auf ihn. Behände lief er den Weg zur Burg empor, die Straße lag wie ausgestorben vor ihm. Niemand wollte sich die Gaudi entgehen lassen.

Das Burgtor war geöffnet, die Zugbrücke herabgelassen, eine einzelne Wache sah missmutig vom Wehrgang herab, während er flinken Schrittes im Stall verschwand. Rasch sah er sich sichernd um, aber wie erwartet war außer den Pferden niemand zu sehen. Vom Stall führte eine Tür direkt in die Vorhalle. Auch dort herrschte zuvorkommende Leere. Der Durchgang zum Rauchturm war geöffnet, Marten lauschte, hörte von dort aber nur das Knistern des Herdfeuers. Er schlich vorsichtig voran, spähte in die Burgküche. Auch dort war niemand zu sehen. Gut!
Er wandte sich der Kellerluke zu, hob sie mit angehaltenem Atem an und schlüpfte hinunter. Eine einzelne Ölfunsel erhellte den Keller, daneben lagen eine handvoll Fackeln, von denen er eine entzündete. Eine weitere Treppe führte tiefer hinab, in die Verliese, zur Folterkammer und dem noch tiefer gelegenen Hexenkeller. Marten huschte die schmalen Stufen hinab, metallischer Blutgeruch mischte sich mit dem erstickenden Gestank von Kot und Pisse.
Auch die Folterkammer war verlassen, vielleicht hatten sie ihr tatsächlich noch nichts angetan.
Er stieg die Stufen zum Hexenkeller hinunter. Hier wurde die Luft schier unerträglich - Marten würgte, als er den kleinen Kellerraum betrat. Rings an den Wänden versperrten vier Türen vier Hexennischen, drei weitere Türen standen weit geöffnet. Die Nischen lagen hoch in der Wand, damit jeder Kontakt des Gefangenen mit dem Erdboden vermieden wurde, und waren gerade groß genug, das ein Mensch darin sitzen und angekettet werden konnte. Marten betrachtete die vier geschlossenen Nischen. Hinter einer davon musste Gesche sein.
Das Herz pochte ihm schwer in der Brust, als er den Riegel der ersten Tür öffnete. Die Gestalt, die in der Nische in ihrem eigenen Unrat hockte, zuckte voller Angst zusammen, als der schwere Eichenverschlag aufschwang. Es war nicht Gesche, soviel war sicher. Marten schloss und verriegelte die Tür wieder.
Bei der zweiten Nische hatte er Glück, er erkannte sie sofort, auch wenn ihr noch immer der Leinensack über den Kopf gestülpt war. Das lange, rote Haar, das darunter hervorquoll, ließ ihm keinen Zweifel. Hastig löste er die eisernen Fuß- und Handschellen und die Kette, die sich um ihren Leib zwang. Marten hörte das Mädchen hinter dem Knebel ängstlich wimmern.
"Hab keine Angst", raunte er ihr zu, "ich will dir nichts zu leide tun. Du kennst mich, ich bin Marten, der Stallbursche."
Er zog ihr den Sack vom Kopf, selbst darunter hatte man ihr die Augen noch zusätzlich verbunden. Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Schulter.
"Halt dich an mir fest", sagte er, "du musst springen, du hockst gut drei Ellen über dem Boden."
Gesche beugte sich vorsichtig vor, dann machte sie einen beherzten Hüpfer und landete mit einem kleinen Straucheln auf dem Boden, fiel aber nicht. Marten löste ihre Augenbinde und den Knebel. Das Mädchen blinzelte geblendet in das zuckende Licht der Fackel und rang in der pestigen Luft nach Atem. Sie hatten keine Zeit für viele Worte, Marten ergriff ihre Hand und zog Gesche zur Treppe.
"Wir müssen schnell sein", raunte er ihr zu, "noch ist die ganze Stadt beschäftigt!"

Das Glück schien auf ihrer Seite, sie erreichten den Stall, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Dort schlüpfte Gesche eilig und ohne falsche Scham in das Zeug, das er für sie bereit gelegt hatte. Danach säbelte er ihr das wunderschöne Haar vom Kopf, bis sie aussah wie ein rupfköpfiger Schafhirte.
Marten spähte durch den Spalt der leicht geöffneten Stalltür auf den Burghof hinaus. Die Wache auf dem Wehrgang kehrte ihnen den Rücken zu und beobachtete an eine Zinne gelehnt das ferne Treiben auf dem Marktplatz. Drei fettig-schwarze Rauchsäulen stiegen in den klaren Sommerhimmel. Der Burghof lag leer und verlassen im hellen Sonnenlicht vor ihm. Wenn sie leise waren, mochte es tatsächlich möglich sein, ohne Aufsehen aus der Burg zu kommen.
"Kannst du schwimmen?", fragte er Gesche.
Sie hatte sich Dreck ins Gesicht geschmiert und war kaum noch zu erkennen. "Ja."
"Das ist gut ..."

Im Schatten der Mauer huschten sie zum Burgtor. Der Graben war in diesem Sommer gut gefüllt, Gesche glitt lautlos wie eine Nixe ins Wasser, es gab nur ein winziges Plätschern. Marten folgte ihr etwas geräuschvoller, aber die Wache hörte nicht darauf. Sie umschwammen die Burg, bis sie im Schutz des Rauchturms vor neugierigen Blicken sicher waren. Dort glitten sie lautlos zum stadtseitigen Ufer hinüber.

Szenentrenner


"Warum hast du das getan?"
Die Sonne machte sich daran, hinter den fernen Hügeln in ihr Bett zu sinken.
Marten wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Sie hatten sich am Ufer eines Sees einen Unterschlupf in einem kleinen Gehölz gesucht, beide waren sie zu erschöpft, die Flucht noch weiter fortzusetzen. Einen langen, langen Nachmittag waren sie gelaufen, wenn möglich durch Wald, aber sie hatten auch Wiesen überquert, rot von Mohn, Felder, die in geilem Grün standen, doch immer bemüht, einen weiten Bogen um jede menschliche Ansiedlung zu schlagen. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen - so weit es eben möglich war.
Marten zuckte mit den Schultern. Konnte er einfach sagen: Deine Augen, dein Mund, dein Haar haben es mir gesagt, weil ich ohne dich nicht leben will?
Gesches Augen waren grün, und er mußte sich wehren, um nicht einfach in ihnen zu versinken.
"Du bist keine Hexe", murmelte er. Auch wenn du mich verzaubert hast. "Darum."
"Danke", sagte sie nur. Aber ihre Augen sagten viel mehr, und als sich die Nacht über das Land senkte, rückten sie näher zueinander. Als die Wärme des Tages langsam der Dunkelheit floh, wärmten sie sich gegenseitig.
Und bevor der Schlaf sie übermannen konnte, fanden sich ihre Hände, ihre Lippen, ihre Körper, ganz einfach so.
Marten wusste, er würde niemals bereuen.

Szenentrenner


Im Grauen des Morgens weckte sie das Bellen der Hunde.
Sie waren flink, aber die Hunde und die berittenen Büttel des Burgherrn waren flinker.
Die Folterknechte schürten die Glut, der Foltermeister richtete die Instrumente seiner Kunst. Marten überstand die Daumenschrauben und zwei Nächte in der Hexennische, geknebelt, gezwungen, in einer Dunkelheit, die nur vom Gestank der Hölle gefärbt wurde.
Der Bock endlich brach seinen Widerstand, und als sie ihn danach auf das Dornenbrett stellten, mit schweren Gewichten auf den schmalen Schultern, gestand er endlich.
Ja, er hatte sie auf einem Besen fliegen sehen, er war ihr Buhle, und auch er hatte den Arsch des Teufels geküsst.
Und der Uhlenbrock Detlef, der Schmied, gehörte auch zu ihnen, jawohl...
Sieben Tage nach dem letzten Brand wurden wieder Scheiterhaufen aufgeschichtet, nur zwei diesmal. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Der Brot-Bus röstete Hexenstangen, es gab Rauchfisch und Bilsenbier.
Und als die Feuer endlich brannten, die Scheite knackten, das Fett zischend kochte und schwarzer Rauch in den klaren Sommerhimmel stieg, wussten die Leute, dass in ihrem Land der Satan einen schweren Stand hatte.
Denn wenn sich auch ihre Rauchfahnen umeinander zu winden schienen, wie in einem letzten teuflischen Tanz, so brannten sie doch nieder bis auf den letzten Rest.

08. Mai. 2009 - Holger Kutschmann

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