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Die Weihnachtsleckerei von Ruth M. Fuchs
Gaby Hylla © http://www.gabyhylla-3d.de Wiggerl saß auf dem Sofa. Es war der dritte Advent, was man schon daran erkannte, dass auf dem Kranz aus Tannenzweigen, der vor Wiggerl auf dem Tisch lag, drei der vier Kerzen brannten. Wiggerl schaute in die Flammen und seufzte abgrundtief. Er war todunglücklich.
Na, was ist denn mit dir los? Ein tiefschwarzer Kater sprang zu ihm aufs Sofa. Wiggerl kannte ihn vom Sehen. Er war der Kater von Wiggerls Hausleuten, Christine und Peter, die hier seit einiger Zeit unter Wiggerls Obhut wohnten. Der Kater hörte auf den eigentlich eher unpassenden Namen Kitty. Ein ausgesprochen wohlgenährtes Exemplar, das selten das Haus verließ, obwohl es eine eigene Katzenklappe in der Tür hatte. Noch nie hatte Wiggerl Kitty eine Maus fangen sehen. Und noch nie hatte der Kater von Wiggerl Notiz genommen. Entsprechend war er jetzt sehr erstaunt, so einfach von ihm angesprochen zu werden.
Du hast irgendwelchen Kummer, nicht wahr? Wir Katzen sind gut darin, so was zu spüren, fuhr Kitty fort und rekelte sich auf den weichen Polstern.
Wiggerl sagte sich zwar, wenn er so bekümmert aussah, wie er sich fühlte, dann bräuchte es kaum ein besonderes Gespür um zu merken, dass er Sorgen hatte. Aber andererseits war er froh, mit irgendjemand über sein Problem reden zu können, also begann er zu erzählen: Ich bin schon seit vielen Jahren Hauskobold auf diesem Hof. Früher gab es hier Kühe, Schweine und Hühner. Da, wo jetzt das Auto der Hausleute steht, da war früher der Stall. Und das Atelier, wo jetzt so seltsame Figuren rumstehen und eigenartige, bunte Bilder, das war früher die Tenne.
Ich kümmerte mich darum, dass es allen gut ging und schenkte dem Haus meinen Segen. Und das Bauernpaar, das hier mit seinen Kindern lebte, dankte es mir auf die traditionelle Weise man ließ Essen für mich stehen und auf dem Herd stand ein Topf mit warmem Wasser, damit ich mich waschen konnte. Und zu Weihnachten bekam ich meinen Weihnachtsbrei mit einem großen Klacks Butter oben drauf. Aber das Paar, das jetzt hier wohnt, kommt aus der Stadt und hat wohl keine Ahnung von diesen Bräuchen. Ich finde zwar genug zu essen, aber es wird nicht extra für mich übrig gelassen. Und jetzt, an Weihnachten, gibt es sicher auch keinen Weihnachtsbrei für mich.
Warum bist du dann noch hier? Ich dachte, ihr Kobolde geht, wenn man euch schlecht behandelt, fragte der Kater. Und als er Wiggerls erstaunten Blick bemerkte, hob er selbstbewusst den Kopf: Wir Katzen kennen alle alten Geschichten und Wesen. Das liegt uns im Blut.
Der Hauskobold fand, dass Kitty ziemlich angab, aber immerhin kannte er ihn, darüber war er schon froh.
Mir gefällt es hier, antwortete er also. Ich kenn hier jeden Winkel, mit jeder Spinne bin ich per du. Im Weißdornbusch leben einige Elfen, die ich oft besuche und im Hügel hinter der Scheune wohnt ein Hockauf, der sich aber zur Ruhe gesetzt hat. Statt Leute zu erschrecken schreibt er jetzt Gedichte. Der ist mein bester Freund. Und in dem Holunderbusch am Zaun hausen drei Hollerweibchen, mit denen es sich nett plaudern lässt. Nein, ich will hier nicht weg. Und außerdem, wo sollte ich hin? Wo soll ich heutzutage einen Hof finden, wo man uns noch respektiert, aber trotzdem noch kein anderer Kobold ist? Und es macht mir auch nicht viel aus, wenn ich keinen Weihnachtsbrei kriege.
Und wo ist dann dein Problem?, brachte der Kater es gekonnt auf den Punkt.
Na ja, ich hab meinen Verwandten gegenüber nicht erwähnt, dass ich keinen Weihnachtsbrei erhalte ...
Und?
Genaugenommen habe ich vielleicht sogar den Eindruck erweckt, es gäbe Weihnachtsbrei. Oder zumindest ...
Ja?
Etwas Ähnliches.
Was denn?
Eben was Gutes.
Was denn?
Och, ich ... ich habe angedeutet, jedes Jahr was anderes ... Letztes Jahr wars Honigkuchen ...
Aha.
Vielleicht hab ich etwas übertrieben. Wiggerl warf die Hände in die Luft und sah den Kater ein wenig aufsässig an. Ich konnte mir einfach nicht merken, was ich das Jahr davor erzählt hatte und da hab ich gedacht ...
Vor mir musst du dich nicht verteidigen, unterbrach ihn Kitty. Aber ich verstehe immer noch nicht, was dein Problem ist. Quält dich jetzt dein Gewissen oder was?
Nein! Der Hauskobold wand sich regelrecht vor Verlegenheit. Aber dieses Jahr wollen mich meine Verwandten zu Weihnachten besuchen.
Ohoh.
Das ist eigentlich gar nicht üblich! Wiggerl schüttelte verzweifelt den Kopf. Aber jetzt steh ich da und weiß nicht, was ich machen soll. Ich kann ihnen doch nicht sagen, dass es gar keine Weihnachtsleckerei gibt! Ich wäre sogar mit Weihnachtsplätzchen zufrieden, aber die Hausfrau hier bäckt ja nicht!
Nein, Christine bäckt nicht, sie malt nur. Der Kater nickte.
Sie kocht auch nicht, fügte der Kobold hinzu.
Nein, aber Peter kocht manchmal.
Ach? Ich dachte, dass er nur den ganzen Tag diese komischen Figuren schnitzt.
Schon. Aber an Feiertagen kocht er auch gern mal frag mich nicht, wie dann die Küche aussieht ...
Von ihm ist das? Ich hatte mich schon gewundert ... Wiggerl schüttelte verständnislos den Kopf.
Doch Kitty fuhr unbeeindruckt fort: An Weihnachten macht er bestimmt einen Braten oder so. Vielleicht könntest du da ...
Wir essen nur weiße Nahrung. Und vegetarisch.
Wie unpraktisch.
Oh, da gibt es eine Menge: Brot Nudeln Käse, Joghurt, Quark, Milch, Erdbeermarmelade ...
Die ist aber nicht weiß.
Aber fein! Wiggerl zuckte die Achseln. So eng sehen wir das nicht. Aber das hilft mir alles nicht bei meinem Problem.
Wissen deine Freunde denn keinen Rat?
Zu denen möchte ich nicht gehen und ihnen sagen, dass ich ein Lügner bin. Wiggerls Stimme wurde immer leiser und er errötete heftig. Kitty schien das nicht zu bemerken. Er leckte sich die Pfote, um sich dann damit übers Gesicht zu fahren.
Was soll ich nur machen, flüsterte der Kobold.
Sag deinen Verwandten die Wahrheit. Der Kater ließ seinen Schwanz zucken, streckte dann ein Bein aus und begann, es abzulecken.
Ja, das werde ich wohl müssen. Wiggerl graute vor Weihnachten. Er schaute dem Kater noch ein Weilchen zu, wie er sich putzte, dann kletterte er vom Sofa hinunter und ging zu der kleinen magischen Tür, die zu seiner Wohnung führte. Vorher pustete er aber noch sorgfältig die Kerzen aus. Seine Hausleute hatten vergessen, sie zu löschen. Aber dafür gab es ja pflichtbewusste Hauskobolde.
Na, Wiggerl, was wird dir deine Hausfrau wohl dieses Mal kredenzen? Schosl hieb seinem Neffen kräftig auf die Schulter. Wiggerl taumelte nach vorne und fragte sich verzweifelt, ob sein Onkel denn überhaupt kein anderes Thema hatte. Schosl und auch die drei anderen Kobolde hatten nun schon zum wiederholten Male angeregt, dass Wiggerl nun endlich seinen Weihnachtsbrei oder was auch immer holen gehen solle. Der Hauskobold hatte mehrfach angesetzt, ihnen die Wahrheit zu gestehen, aber irgendetwas in ihrer anmaßend-leutseligen Art hatte ihn immer davon abgehalten. Inzwischen wusste er schon gar nicht mehr, ob er sich mehr über seine Verwandten ärgerte oder über seine eigene Dummheit. Bisher hatte er sie hingehalten, indem er erklärt hatte, seine Hausleute würden erst sehr spät essen und dann sei Bescherung, da wolle er nicht stören. Doch nun wurde es ernst. Die Ausreden gingen ihm aus.
Schließlich erhob er sich und murmelte: Dann geh ich mal nachschauen.
Mach das! Schosl hob derweil seinen Becher mit Holunderlikör, den Wiggerl von den Hollerweibchen zu Weihnachten bekommen hatte und prostete den anderen zu.
Wiggerl schob sich durch seine kleine Tür und schaute sich suchend um. Vor ihm stand ein üppig geschmückter Weihnachtsbaum mit unzähligen Kerzen, die alle um die Wette strahlten. Auf dem Sofa gegenüber kuschelte sich Christine an Peter, einen dicken Pullover an sich gedrückt, offenbar ein Geschenk. Auf der rechten Seite ging es in die offene Küche. Da huschte gerade Kitty hinein. Wiggerl trottete hinterher und sah gerade noch, wie der Kater auf die Arbeitsplatte sprang, wo noch Peters Kochutensilien standen. Darunter war auch ein offenes Glas Honig, das Kitty gerade an den Rand schob und dann elegant umfallen ließ. Die zähe Masse sammelte sich am Glasrand und plumps fiel ein großer Klecks hinunter, direkt in eine Schale, die randvoll mit Sahne war.
Los, nimm schon!, raunte der Kater Wiggerl zu, sprang wieder auf den Boden und lief hinaus.
Mit einem fröhlichen Yippie! schwang er sich dann plötzlich in den Weihnachtsbaum und kletterte flink empor. Der Baum schwankte und die Glaskugeln klirrten leise. Peter und Christine sahen es und stürzten, durcheinander rufend und wild gestikulierend zu dem Baum, um ihre Katze herunter zu holen, bevor zu viele Weihnachtskugeln zu Bruch gingen oder gar der Baum mit den brennenden Kerzen umfiel.
Ich hab dir gesagt, nimm elektrisches Licht!, hörte der verdutzte Wiggerl Peter noch rufen, dann raffte er sich auf und nutzte das Durcheinander, um geschwind die Schale in seine Wohnung zu schieben.
Sahne mit Honig! Schosl war schwer beeindruckt. Deine Hausleute wissen dich aber wirklich zu schätzen!
Wiggerl errötete, ob vor Freude oder vor Scham ließ sich nicht so leicht sagen. Jedenfalls war er sehr erleichtert. Er überließ es seinen vier Besuchern, die Köstlichkeit zu genießen und saß nur zufrieden lächelnd da.
Warum steht eigentlich Kitty auf der Schale?, wollte Schosl da wissen und wies auf den Schriftzug, der die Schale gelb auf rotem Grund zierte.
Wiggerl schreckte auf, fing sich aber gleich wieder: Die Hausfrau heißt Christine, abgekürzt Kitty schätze, sie will, dass ich weiß, dass das von ihr ist ...
Ah ja. Klar. Schosl machte sich wieder ans Essen.
Wiggerl aber machte sich Gedanken darüber, dass der Kater offensichtlich seine eigene Weihnachtsleckerei für ihn gegeben hatte.
Am nächsten Morgen, gleich nach der Abreise seiner ungebetenen Gäste machte sich Wiggerl auf die Suche nach Kitty.
Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann, sagte er, als er ihn endlich gefunden hatte. Du hast für mich auf deine Sahne verzichtet ...
Och, ich werde ohnehin zu dick, wiegelte der Kater ab, lächelte aber freundlich. Ich habe in letzter Zeit Probleme, durch die Katzenklappe zu kommen, weißt du?
Hattest du viel Ärger wegen des Baums?
Ach, das veranstalte ich jedes Jahr! Kitty machte eine wegwerfende Bewegung mit der Pfote. Sie halten mir dann immer eine Predigt und dann knuddeln sie mich, weil sie so froh sind, das mir nichts passiert ist.
Aha. Äh. Ich hab hier eine Kleinigkeit für dich ... Verlegen holte der Hauskobold sein Geschenk heraus. Es war eine kleine Maus, die er die ganze Nacht lang geschnitzt hatte, während seine Verwandten selig schnarchend schliefen.
Die ist ja wunderbar! Kitty schien sich wirklich zu freuen. Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Spielerisch schubste der Kater sein neues Spielzeug von einer Pfote in die andere. Aber sag mal, wandte er sich wieder an Wiggerl. Da ist etwas, das ich nicht verstehe. Du sagst, alle anderen Kobolde bekommen Weihnachtsbrei ...
Ja, genau.
Den sie an Heiligabend abholen ...
Na klar, unbedingt.
Aber wie können sie dich denn dann an diesem Abend besuchen?
Na ja, sie ... Wiggerl stockte. Ja, wie konnten sie das? Wenn sie ihren Brei nicht holten, mussten ihre Hausleute doch glauben, ihr Kobold habe sie verlassen. Kein guter Kobold hätte das zugelassen!
Du meinst ..., wandte er sich an den Kater, der hingebungsvoll mit der Maus spielte.
Ich meine, dass die auch keinen Brei bekommen und es nicht zugeben wollen! Kitty unterbrach sein Spiel und nickte Wiggerl zu. Und jetzt sind sie zu dir gekommen, weil du so überzeugend gelogen hast.
Darauf hätte ich auch selber kommen können. Der Kobold griff sich an die Stirn. Hast du das gestern auch schon gewusst?, fragte er neugierig weiter.
Doch Kitty blinzelte ihn nur an und vertiefte sich dann wieder in sein Spiel. Wiggerl aber setzte sich hin und schaute ihm glücklich zu.
13. Dez. 2009 - Ruth M. Fuchs
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