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Silent Night, unholy Night
von Tanya Carpenter

Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:

TRIADEM
A. Bionda, T. Carpenter
10 Beiträge / 29 Kurzgeschichten vorhanden
Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
London Times, 28. Dezember 1834
Der Serienmörder Arthur Bisking wurde heute in den frühen Morgenstunden durch den Strang hingerichtet. Der Mann, der sich selbst als Schwarzmagier und Großmeister bezeichnet, hat den Ermittlungen zufolge achtzehn Menschen grausam gefoltert und in Ritualen getötet. Eigenen Angaben zufolge, um seine magische Macht zu vergrößern.
In einer Grube hinter seinem Haus wurden die verstümmelten Überreste von neun Personen gefunden. Von weiteren Opfern fehlt jedoch jede Spur.
Inspektor Stew von Scotland Yard dazu: „Ich bedaure, dass wir von den übrigen neun Opfern, deren Ermordung Bisking gestanden hat, keine Überreste finden und ihm auch keine Angaben über deren Verbleib entlocken konnten. Aber ich bin auch froh, dass mit der Hinrichtung dieser ganze Spuk nun endlich vorbei ist.“

London, Dezember 2009
„Schau mal Mami, sind die nicht schön?“ Melody schaute mit großen Augen in die Glasvitrine des Ladens, in der eine Vielzahl von Christbaumkugeln ausgestellt waren. Ihre Objekte der Begierde waren dabei neun facettierte Glaskugeln mit geheimnisvollen Goldornamenten. Mercy konnte ihrer Tochter da nur zustimmen. Sie waren wirklich wunderschön. Aber vermutlich unerschwinglich. Trotzdem wollte sie ihrer Tochter zuliebe wenigstens den Verkäufer nach dem Preis fragen. Die Kleine hatte es in diesem Jahr schwer genug gehabt, nachdem Frank bei einem Unfall in der Lackfabrik ums Leben gekommen war und sie nun ohne ihren Vater aufwachsen musste. Tagelang hatte sich das Mädchen in seinem Zimmer eingeschlossen und mit niemandem reden wollen. Mercy war bei dem Gedanken an Weihnachten angst und bange geworden. Doch die Überlegung, keinen Baum aufzustellen und zu schmücken, traf bei der Fünfjährigen auf Unverständnis. Wenn sie Weihnachten nicht feierten, würde doch auch der Weihnachtsmann nicht kommen.
Mercy schluckte. Ihre Tochter ahnte ja nicht, wie recht sie damit behalten sollte. Schließlich hatte Frank jedes Jahr den Weihnachtsmann gespielt. Dieses Jahr würde wirklich niemand kommen, aber den Gedanken schob sie immer wieder beiseite. Sie wollte nicht daran denken, sich eine Antwort auf Melodys Fragen erst überlegen, wenn es soweit war. Ob sie ihr die Wahrheit sagen sollte? Aber waren nicht schon genug Träume in ihr zerstört worden?
Mercy seufzte. Egal, was diese blöden Kugeln kostet, Melody sollte sie haben, wenn sie ihr so gut gefielen.


Szenentrenner


Am Weihnachtsmorgen schmückten sie gemeinsam die Tanne. Melody war überglücklich, als sie die Kristalle im Baum platzieren durfte. Sie waren wie erwartet recht teuer gewesen, aber das glückliche Gesicht ihrer Tochter war diese Investition wert.
„Daddy hätten sie sicher auch gefallen. Und Santa kommt ganz bestimmt, bei so einem schönen Baum.“
Mercy wandte sich schnell von ihrer Tochter ab, damit sie die Tränen nicht sah, die ihr in die Augen stiegen. Sie wollte noch nicht an die Enttäuschung ihrer Kleinen denken, wenn heute Abend kein Weihnachtsmann kam, um ihr Geschenke zu bringen.
„Ist alles okay, Mummy?“
„Ja, mein Liebes. Ich hab nur grade was ins Auge bekommen.“

Szenentrenner


Das Haus lag still da, draußen fiel Schnee in dichten weißen Flocken vom Himmel. Mercy saß am Kamin und Tränen flossen unaufhörlich über ihre Wangen. Melody lag oben in ihrem Bett und schlief. Der Weihnachtsmann war nicht gekommen, aber sie hatte es einfach nicht über sich gebracht, ihr die Wahrheit zu sagen. Darum hatte sie eine fadenscheinige Geschichte erfunden, dass es vielleicht dieses Jahr besonders viel zu tun gab und er sich deshalb nur verspätete, aber in der Nacht kommen und seine Geschenke dalassen würde. Sie hatte Melody versprechen müssen, aufzubleiben, bis der Weihnachtsmann kam und sie dann zu wecken. Morgen früh würde sie ihr sagen, dass sie wohl am Kamin eingenickt war und verschweigen, dass sie die Geschenke selbst unter den Baum gestellt hatte. Leider war die blonde Puppe in dem rosa Seidenkleid nicht dabei, die sich Melody gewünscht hatte. Aber sie war einfach zu teuer gewesen. Soviel Geld hatten sie seit Franks Tod nicht mehr zur Verfügung und die Kristallkugeln waren schon nicht billig gewesen
Es knackte im Gebälk und Mercy zuckte zusammen. Sicher war es nur das Holz, das durch die Wärme des Feuers arbeitete. Aber warum wurde es plötzlich so kalt im Raum? Mercy zog die Decke enger um ihre Schultern und sah zum Fenster hinüber, ob sie es vielleicht offen gelassen hatte. Es war fest verschlossen. Als sie zurück zum Kamin schaute, nahmen die Flammen eine seltsam blau-grüne Aura an. Eine optische Täuschung? War sie etwa so übermüdet? Durch das Mauerwerk ging ein Vibrieren, das die Kristallkugeln hell klirren ließ. Es klang fast wie wehmütiges Jammern und Stöhnen. Mercy fuhr von ihrem Sessel hoch und wurde im selben Moment von einer eisigen Böe getroffen. Etwas zog an ihren Haaren, ging ihr durch Mark und Bein. Das Klirren schwoll zu einem Murmeln an, sie hörte einzelne Worte. Schlimme Worte, die von Schmerz und Rache sprachen. Etwas stach sie ins Bein, sie fasste unwillkürlich danach und spürte Blut an ihren Fingern.
„O mein Gott, was geht hier vor?“
Inzwischen schwebte ein heller Ton über allem, brachte ihre Trommelfelle fast zum Platzen. Alle neun Kristallkugeln am Tannenbaum glühten in tiefem Rot. Mercy ging mit zitternden Schritten darauf zu, unaufhörlich sickerte Blut aus dem Schnitt an ihrer Wade. Im Näherkommen sah sie Gesichter in den Kugeln, entstellt und verzerrt, mit leeren Augenhöhlen auf aufgerissenen Mündern. Bildete sie sich das ein, oder wurden die Gesichter größer? Da gab die erste Kugel nach und wie aus einer durchsichtigen Blase kroch eine Gestalt daraus hervor, schwebte zunächst im Raum und wendete dann den Kopf in Mercys Richtung, um urplötzlich mit lautem Geschrei auf sie loszugehen.
Mercy reagierte instinktiv. Sie rannte aus dem Wohnzimmer, die Treppe hinauf in Melodys Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
„Mami?“, fragte das Mädchen verschlafen, während sie noch den Riegel vorschob, doch eine Sekunde später kreischte es entsetzt auf und war hellwach. Durch das Holz der Tür drückten sich neun Gesichter und Hände. Gierig griffen die Finger ins Leere, schnappten die aufgerissen Mäuler nach etwas ... Lebendigem.
Sie wollten Mercy und Melody.
„Was ist das? Mami, ich hab Angst.“
Melody war aus ihrem Bett gesprungen und klammerte sich an ihrer Mutter fest. Sie weinte.
„Ich weiß nicht, mein Schatz. Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme klang schrill, fast hysterisch.
„Ho-ho-ho“, erklang es plötzlich vor dem Fenster. Ein Schatten zeichnete sich davor ab. Der Fensterladen wurde hochgeschoben und ein Mann im roten Mantel kletterte herein.
„Das ist Santa. Er kommt und hilft uns“, stieß Melody mit tränenerfüllter Stimme hervor.
Mercy war fassungslos. Der Weihnachtsmann? Frank? Wie konnte das sein?
„Das wird gleich nichts für kleine Mädchen“, flüsterte er ihr zu und zwinkerte. „Besser du hältst Melody die Augen zu, bis es vorbei ist.“
Es war wirklich Frank. Ihr Herz schlug schneller, aber er drehte sich schon wieder zur Tür, die just in diesem Moment zerbarst und neun unheimliche Gestalten einließ, eine grauenhafter als die andere. Ihre Gliedmaßen grotesk verrenkt, statt Augen schwarze Löcher, das Fleisch schon halb zerfallen. Aber eines sprach deutlich aus ihren entstellten Gesichtern: nackter Hass.
„Ich hab euch etwas mitgebracht“, rief der Weihnachtsmann ihnen entgegen. „Ho-ho-ho!“
Und mit dem letzten „Ho“ öffnete sich eine Falltür in der Decke, die plötzlich erschienen war, und ein Mann fiel herunter, der mit den Füßen an einem Strick hing. Er hatte schwarze Augen und ein verhärmtes Gesicht. Die Geister drehten zeitgleich ihre Köpfe in seine Richtung, während der Gefesselte mit Entsetzen auf die neunköpfige Meute starrte.
„Nein, nein, das könnte ihr unmöglich tun. Das dürft ihr nicht, nein!“
Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter, schwoll zu einem panischen Schrei an, als sich alle neun Gestalten auf ihn stürzten. Blind vor Hass fuhren sie in seinen Körper und wieder heraus, rissen tiefe, klaffende Wunden in seinen Leib, als schälten sie ihm das Fleisch von den Knochen. Der Mann kreischte und wand sich in Agonie. Mercy hielt ihrer Tochter die Ohren zu und barg Melodys Gesicht an ihrer Brust. Sie selbst konnte den Blick nicht von dem grausigen Schauspiel wenden.
Der Weihnachtsmann jedoch stand stumm daneben, bis von dem Hängenden fast nichts mehr übrig war, als ein paar blanke Knochen.
„Genug jetzt! Zeit nach Haus zu gehen“, sagte er mit fester Stimme und öffnete seinen Sack. Wie auf Befehl ließen die Geister von ihrem Opfer ab und fuhren einer nach dem anderen in den großen Jutesack. Als sich der Weihnachtsmann zu Mutter und Tochter umdrehte, lächelte er. „Jetzt ist alles gut.“
Die Stimme – diese Stimme. Mercy wollte es immer noch kaum glauben, dabei hatte sie ihn vom ersten Moment an erkannt. „Frank?“
Das Lächeln wurde breiter, doch er sagte nichts.
„Will die kleine Lady denn nicht ihre Geschenke aus dem Sack holen?“, fragte er Melody, die sich noch immer schluchzend an ihre Mutter klammerte. „Hey, Melody, du warst doch ein braves Mädchen. Schau mal, was ich für dich habe.“
Zögernd drehte Melody den Kopf und schaute den Weihnachtsmann aus noch immer schreckgeweiteten Augen an. Aber dann erkannte auch sie den vertrauten Gast, der jedes Jahr zu ihr kam und ihr einen Herzenswunsch erfüllte.
„Sind sie weg?“, fragte sie.
Er nickte. „Es ist alles in Ordnung. Und nun, nimm dir dein Geschenk.“
Zwischen dem braunen Stoff lugte etwas Rosafarbenes hervor. Melody zog vorsichtig daran und zum Vorschein kam die blonde Puppe mit dem Seidenkleid, die so schöne Lieder sang.
„Fröhliche Weihnachten“, sagte Santa und Mercy glaubte, Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen. „Ich bin immer für euch da.“
Dann war er fort und unten am Baum hingen auch keine Kristallkugeln mehr.
„Ich wusste es, Mummy“, flüsterte Melody.
„Was, mein Schatz.“
„Dass der Weihnachtsmann immer kommt. Er verspricht es mir doch jedes Jahr. Und was man verspricht, muss man auch halten.“
„Ja, Liebes. Da hast du recht.“

Szenentrenner


Ein Jahr später
Voller Stolz trug die elfjährige Joyce den Kasten mit den neun Kristallkugeln nach Hause. Ein Sonderangebot im Antiquitätenladen. Sie würden sich hübsch am Weihnachtsbaum machen, hatte ihre Mummy gesagt. Eine Überraschung für ihren Daddy.

23. Dez. 2009 - Tanya Carpenter

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