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Alles Gute zum Geburtstag,
Mr. Holmes! von Klaus-Peter Walter / K. Peter Walter
Andrä Martyna © http://www.andrae-martyna.de/ Bisher durfte ich nur wenig Persönliches von meinem Freund Sherlock Holmes berichten. Er mochte es, wenn Privates von ihm preisgegeben wurde. Gewiss meine Leser kennen seine einzigartige Methode und viele seiner oft merkwürdigen Charakterzüge, aber vor den Türen zu seinen Privatgemächern machte ich immer aus Respekt kehrt, ohne auch nur anzuklopfen. Ich denke jedoch, ich begehe keinen Vertrauensbruch, wenn ich nach all den Jahren endlich wenigstens Sherlock Holmes Geburtstag verrate. Das Datum ist leicht zu merken: der 26. Dezember! Aber genauso wenig wie sich mein Freund für christliche Feste interessierte, wenn sie nicht gerade seinen Beruf berührten, interessierte er sich für seine persönlichen Belange. Mir gegenüber war er mehr als aufmerksam und stets großzügig, sich selbst schien er dagegen kaum wahrzunehmen.
»Danke Ihnen, alter Freund«, murmelte er zerstreut, wenn ich ihm am Morgen ein kleines Präsent mit den besten Glückwünschen für das neue Lebensjahr überreichte.
»Ich habe doch noch
da muss doch noch
« fuhr er dann fort und suchte nach der Flasche einhundert Jahre alten Whiskeys für besondere Gelegenheiten, um mit mir anzustoßen.
Es versteht sich fast von selbst, dass unsere Räume in der Baker Street niemals Weihnachtsschmuck kennen lernten. Mrs Hudson mochte sich mühen soviel sie wollte und die Haustür mit Mispelzweigen schmücken, in seinen Räumen duldete Holmes nichts dergleichen, keine Tannenzweige, keine roten Schleifen. Als sie einmal in unserer Abwesenheit ein wie ich fand sehr geschmackvolles Gebinde über unsere Wohnungstür angebracht hatte, nahm Holmes das zwar hin, doch seither prangen jedoch die griechischen Buchstaben TI MOI ? auf dem Türsturz, was soll mir das? Klar, dass unsere Vermieterin daraufhin keine Lust mehr verspürte, irgendetwas Weihnachtliches an der Pforte zu den Räumen ihres Mieters anzubringen.
Holmes vergaß natürlich stets, Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Mir persönlich fiel es in der Regel leicht, ihm etwas zu schenken. Meist handelte es sich um ein Buch aus meiner Feder oder der unseres Freundes Conan Doyle.
»Was denn, schon wieder Weihnachten?«, pflegte er zu fragen. Wenn Mrs Hudson aus der Kirche gekommen war, bat er sie, einen Punsch zuzubereiten und sich ein paar Minuten zu uns zu setzen.
»Ihr Punsch, Sir«, meinte sie dann, »und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mr Holmes! Zum Wohl, Dr. Watson!«
Wenn wir uns bedankt hatten, stießen wir an und machten der Form halber ein paar Minuten Konversation. Währenddessen stimmte mein Freund meistens schon seine Geige, denn auf sein Weihnachtskonzert freuten wir uns schon den ganzen Dezember über. Wenn er, wie so oft, unvorbereitet war, konnten wir uns über seine genialen Improvisationen freuen. Gelegentlich hatte ihm aber auch ein befreundeter Komponist ein Stück gewidmet und geschickt, welches dann an Weihnachten seine offizielle Uraufführung erlebte. Holmes spielte meisterhaft vom Blatt, wenngleich solche modernen Werke nicht immer unseren Geschmack trafen.
Einmal fiel das Weihnachtskonzert aus. Ich weiß es noch wie heute. Es war im Jahre 1887 und eine Idee meiner ersten Frau Constance kurz vor ihrem Tode.
»Sherlock hat so viel für uns getan, James«, meinte sie und drückte meine Hand. »Denk dir einmal eine besondere Freude für ihn aus. So wie du mir zu jedem Geburtstag eine Überraschung bereitet hast. Ich werde es vielleicht nicht mehr erleben, aber es wäre ein schöner Gedanke, den ich mit in die Ewigkeit nehmen kann.«
Was hätte ich als gramgebeugter Ehemann dagegen sagen sollen? Constance starb Ende des Jahres, aber Sherlock Holmes Weihnachtsüberraschung, die erlebte sie noch mit. Mein Bericht darüber rang ihren abgezehrten Zügen ein Lächeln ab.
Während der Tage ihrer schrecklichen Krankheit weilte natürlich Constances Cousine Ardena mit ihrer elfjährigen Tochter Nikki bei uns, die eigentlich Nicoletta hieß. Nikki war gleich bereit, uns zu helfen, nachdem Onkel Watson das Portemonnaie gezückt und eine Münze herausgenommen hatte. Sie gruselte sich auch kein bisschen. Artig holte sie einen Füllfederhalter und Papier, um sich ans Werk zu machen. Sherlock Holmes musste nämlich zunächst einmal aus dem Haus gelockt werden.
Und so kam es, dass nach dem Mittagessen ein herrschaftlicher Kutscher bei uns vorsprach.
»Ich habe den Auftrag, dies hier einem Mr Holmes persönlich zu übergeben«, verkündete er mit näselnder Stimme. Er klang so angewidert, als hätte er den Auftrag, feierlich einen Kuhfladen zu überreichen. Das tat er natürlich nur, um nicht zu verraten, dass wir gute alte Bekannte waren. Der Kutscher hieß Hollard und stand in Diensten Ardenas.
Holmes nahm das Päckchen aus Hollards Händen, nickte mir zu, ich solle das Trinkgeld übernehmen und riss, kaum dass Hollard die Treppe hinuntergepoltert war, nach einem kurzen Blick auf den Absender, der ihm offenbar nichts sagte, das Papier ab.
Zum Vorschein kam eine kleine Pappschachtel. Ich setzte meinen Zwicker auf, obwohl ich den Inhalt kannte: Ein Kranium eine Schädeldecke.
Holmes nahm sie mit der Pinzette heraus, um sie mit der Lupe einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Er lächelte, sagte aber nichts.
»Da ist noch ein Brief«, merkte ich an, über die Schachtel auf dem Rauchtisch gebeugt.
Noch immer lächelnd, ergriff er das Papier, faltete es auseinander und las:
»Sehr verehrter Mr. Holmes!
Nie würde ich es wagen, Sie zu belästigen, aber die Angelegenheit ist furchtbar wichtig. Im Haus von Mama und Papa ist nämlich jemand umgebracht worden. Wirklich! Meine Eltern wissen es aber nicht, und eigentlich dürfen sie auch nicht wissen, dass ich Ihnen scheibe. Sie würden furchtbar schimpfen. Deshalb schicke ich Mr Hollard, unseren Kutscher. Der ist mein Freund und würde mich nie verraten. Ich hatte keine Lust, meine Eltern zum Weihnachtsgottesdienst zu begleiten, Reverend Hadley-Thurgood predigt immer so lange und langweilig. Da sagte ich, ich hätte Kopfschmerzen und der Bauch täte mir weh. Sie hat sicher zuviel Pudding gegessen, meinte Papa. Da durfte ich zu Hause bleiben. Er erlaubt mir alles. Meine Eltern und mein Bruder gingen allein in die Kirche. Und ich stieg auf den Dachboden. Dort darf ich nicht hin, aber es ist immer so spannend, weil dort so viele alte Sachen herumliegen. Auch die Knochen von einem Toten. In einer alten Truhe. Wie ein Sarg. Ich hatte auch gar keine Angst, weil Papa sagt immer: Was tot ist, beißt uns nicht!. Der Mord muss schon vor vielen Jahren geschehen sein, weil nur noch Knochen übrig waren. Keine Haut mehr, kein Fleisch, nichts. Ich habe mir schnell ein Stück vom Kopf geschnappt und mitgenommen. Leider hat mich Mr Hollard damit erwischt, als ich vom Dachboden kam, aber er ist ja mein Freund und hat mir versprochen, den Kopf zu Ihnen zu bringen, damit Sie diesen Mord aufklären. Ich bezahle Ihnen auch zehn Penny für die Aufklärung. Das ist mein ganzes Gespartes. Ich bekomme kein Taschengeld. Finden Sie den Mörder des armen Menschen auf unserem Dachboden. Selbst wenn es Papa war!
Es grüßt sie ganz herzlich, Ihre Nikki.
P.S. Aber ich glaube, es war eher Großvater. Der war immer so streng.«
»Offensichtlich von einem kleinen Mädchen geschrieben, Alter vielleicht elf oder zwölf Jahre. Verzeihen Sie, Watson, wenn ich Sie für zwei Stunden verlasse. Der Fall entbehrt zwar der bizarren Momente, die ich so schätze, aber nicht der menschlichen Züge. Ich möchte das klären!«
»Gehen Sie nur! Ich muss ohnehin bald nach Hause ... meine Frau, Sie wissen ja. Sie wird in einer halben Stunde aufwachen. Da möchte ich bei ihr sein. Viel Erfolg!«
»Ich wusste, Sie würden wie immer Verständnis haben, Watson. Wenn Sie bitte Ihrer Frau Gemahlin die besten Genesungswünsche überbringen wollen
«
Er zog ein Buch aus dem Bücherregal, blickte kurz hinein, stellte es mit einem zufriedenen Nicken zurück, nahm Hut, Mantel und Stock und war verschwunden.
Ich wartete, bis die Haustür ins Schloss gefallen war und klopfte mit dem Stock auf den Boden. Das war das Zeichen für Mrs Hudson. Sie kam herauf, um mir beim Verschieben der Möbel zu helfen. Außerdem holten wir Stühle aus ihrer Wohnung. Dann räumte ich rasch noch das Zimmer etwas auf, das Holmes als Asservatenkammer diente und das jetzt als improvisierte Künstlerinnengarderobe dienen sollte.
Als alles zu unserer Zufriedenheit erledigt war, war es drei Uhr. Pünktlich ertönte die Hausglocke, und drei Herren im Frack mit Instrumentenkoffern nahmen auf den Stühlen Platz und begannen, zwei Violinen und eine Bratsche zu stimmen: Das Istvan-Esterhazy-Trio, meine besondere Geburtstagsüberraschung. Die verschleierte Dame in Begleitung der Musiker bezog derweil als improvisierte Garderobe unsere Asservatenkammer.
Dann kamen die anderen Gäste. Inspektor Lestrade, Mycroft Holmes und Polizei-Superintendent Thomas Arnold, einer von Holmes persönlichen Freunden. Fehlte nur noch der Meister selbst.
Wie lange würde er wohl ausbleiben?
Nun, er spannte unsere Geduld auf keine lange Probe.
»Na, Watson, was für eine Überraschungsparty haben Sie denn angezettelt?«, fragte er schon im Flur. »Ich hoffe, Mrs Hudson hat den Punch schon zubereitet. Ich friere erbärmlich!, denn ich bin zwei lange Stunden in dieser Kälte spazieren gegangen.«
Zunächst nahm er die Glückwünsche der drei Herren entgegen. Dann stieß Mrs Hudson zu uns, und Holmes bekam seinen wärmenden Punsch.
»Was war denn mit dem kleinen Mädchen«, fragte ich scheinheilig und scheinbar beiläufig zwischen zwei Schlucken.
»Ach kommen Sie, Watson! So ein glatter Schnitt kommt bei Ermordeten in der Regel nicht vor. Auch haben Schädeldecken in der Regel keine Bohrung für einen Draht, damit man den Schädel aufklappen kann. Es war mir sofort klar, dass es sich um ein Skelett aus einer früheren Arztpraxis handeln musste. Ein Blick auf den Absender sagte mir, dass ich Recht hatte. Wollband Street. Da wohnte bis zu seinem Tod Doktor Milner. Gut, dass ich alte Adressbücher nicht wegwerfe, ich fand ihn unter der angegeben Adresse sofort. Außerdem bemerkte ich Ihren lauernden Blick beim Empfang des Päckchens. Es war mir sofort klar, dass Sie mich mit diesem leicht zu durchschauenden Trick für eine Weile aus dem Haus locken wollten. Nun, ich tat Ihnen den Gefallen. Aber nun wollen wir die Herren Musiker nicht länger an der Ausübung ihrer Kunst hindern. Ich erkenne Istvan Esterhazy und kann es kaum noch erwarten. Bitte, meine Herren!«
Als alle Platz genommen hatten, begannen die Streicher mit einer Ouvertüre. In diesem Moment ging die Tür auf und die verschleierte Dame trat ein. Sie nahm vor den Musikern Aufstellung, nahm die Kapuze ab und ließ ihr Cape zu Boden fallen. Eine wunderschöne blonde Frau stand vor uns mit einer ebenso wunderschönen Stimme, die im nächsten Augenblick den Raum erfüllte. Weil ich neben ihm saß, hörte ich und wohl nur ich Holmes erstaunten Ausruf, der in der Musik unterging: »Irene!«
Ja, ich hatte DIE Frau engagiert, einige Romanzen vorzutragen, denn sie hatte sich nicht nur meinem Freund als geistig ebenbürtig erwiesen, sondern besaß auch eine der schönsten Stimmen Europas.
Als sie geendet hatte, sprang Holmes auf und küsste ihr die Hand. Sie nahm den Handkuss huldvoll entgegen, ergriff ihr Cape, warf es um die Schultern und rauschte regelrecht zur Tür hinaus. Holmes sah ihr hingerissen hinterdrein. Wenige Sekunden später fuhr vor dem Haus eine Kutsche an. Holmes bewegte sich nicht.
»Irene«, murmelte er noch einmal.
16. Dez. 2009 - Klaus-Peter Walter / K. Peter Walter
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