|
Zufall oder doch Mord von Andrea Hoch
Diese Kurzgeschichte ist Teil der Kolumne:
Keine Einträge vorhanden.
Andrä Martyna © http://www.andrae-martyna.de/ Kommissar Wieler stand auf seiner Veranda und blickte auf das kleine Häuschen zu seiner Rechten. Elisabeth Hansen war vorletzte Nacht verstorben. Herzinfarkt hieß es. Eine Nachbarin, der die geschlossenen Fensterläden aufgefallen waren, hatte die Polizei alarmiert. Wieler hatte sie gerne gemocht, die Sissi. Oft kam sie abends mit selbst gebackenem Kuchen oder Eintöpfen vorbei. Sie sorgte sich um ihn, den alleinstehenden Beamten, der zu bequem war, sich selbst zu bekochen. Manchmal tranken sie zusammen ein Gläschen Wein. Das würden sie nun nie wieder.
Herzinfarkt., murmelte er. Seine innere Stimme sprach dagegen. Er hatte sie gut gekannt, sie war immer gesund und rüstig gewesen. Zwar 63 Jahre alt, dabei aber so vital wie 40.
Ein alter Toyota hielt mit quietschenden Reifen vor dem Nachbarhaus. Lars, Sissis Neffe, entstieg ihm auf der Fahrerseite. Nina, seine Schwester, auf der Beifahrerseite. Gerd Wieler ging hinüber, um den Geschwistern zu kondolieren. Lars nickte nur mit kalter Miene und ging sofort ins Haus. Vermutlich, um möglichst schnell eventuelle Kostbarkeiten zusammenzuraffen, die man zu Geld machen konnte. Der Gedanke verursachte Wieler Übelkeit.
Wenn ich etwas für euch tun kann, dann lasst es mich wissen, sagte er zu Nina, die ein ebenso betrübtes Gesicht machte wie er.
Danke, Gerd. Ich kann es noch gar nicht glauben.
Die vom Weinen geröteten Augen ließen Ninas Gesicht noch blasser aussehen. Der neue Kurzhaarschnitt war das einzig Attraktive an ihrem Äußeren. Andere Fünfundzwanzigjährige kleideten sich sexy und nach der neuesten Mode, Nina lief meist wie eine graue Maus herum.
Mir fällt es auch schwer, daran zu denken, dass sie nie mehr an meiner Tür läuten wird. Wieler erwähnte mit keinem Wort das aufschlussreiche Gespräch mit Sissi, das sie kurz vor ihrem Tod geführt hatten, als er wie so oft bei ihr zum Kaffee gewesen war. Darf ich mich im Haus umsehen?, fragte er zögernd.
Nina nickte und ging voran. Im Wohnzimmer überraschten sie Lars, der schnell ein Stück Papier in seiner Jackentasche verschwinden ließ.
Bist du als Privatmann oder als Polizist hier?, wollte er argwöhnisch wissen.
Spielt das für dich eine Rolle? Wieler grinste ihn an. Lars mochte ihn nicht, das wusste er, aber er lehnte sowieso jeden ab, den er nicht um den kleinen Finger wickeln konnte.
Ich habe es Nina schon angeboten, wenn ich euch helfen kann
?
Nein, brauchst du nicht!, entgegnete Lars schroff.
Nina blickte Gerd entschuldigend an.
Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin, was soll ich denn hier machen?
Ich habe dir doch gesagt, Nina, dass ich mich um alles kümmern werde. Du kannst beruhigt nach Hause gehen!
Man merkte Lars an, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dass er lieber allein hier sein wollte, ohne ... Zeugen.
Nina blickte auf. Großmutter rief mich vor zwei Tagen spät abends an, ich solle heute kommen, da sie etwas Wichtiges mit mir zu bereden habe. Sie war sehr aufgebracht. Tränen kullerten über ihre Wangen.
Was sollte denn die alte Frau schon zu besprechen haben?, entgegnete Lars grob, aber Wieler wurde hellhörig. Das musste direkt nach seinem Gespräch mit Sissi gewesen sein.
Nina sah ihren Bruder enttäuscht an. Er war ein attraktiver, junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, aber völlig kalt, was den Tod seiner Großmutter anging. Ein Mensch, der einem einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ, wenn man hinter seine hübsche Fassade schaute. Er deutete Wieler, hinauszugehen. Widerwillig ging der Kommissar voran, denn momentan konnte er wenig tun, wenn die beiden Enkel seiner verstorbenen Freundin ihn nicht explizit um seine Hilfe baten. Was offensichtlich nicht in Lars Absicht lag. Zu gerne hätte sich Wieler im Haus umgesehen, musste jedoch darauf verzichten. Eine innere Stimme flüsterte ihm zu, dass der Tod vielleicht doch nicht so natürlich gewesen war, wie es den Anschein hatte. Doch wie sollte er das beweisen, wenn er sich am Tatort nicht umsehen konnte? Er fühlte sich hilflos, vor allem, weil er meinte, es Sissi schuldig zu sein, die Wahrheit ans Licht zu bringen. So es denn eine gab.
Herzinfarkt, ist das richtig?, fragte ein hochgewachsener, weißhaariger Mann, der draußen stand.
Ja, wenn Sie es genau wissen wollen. Sonst noch was? Lars gab sich großspurig, stellte sich mit verschränkten Armen vor den Besucher, der offenbar lediglich kondolieren wollte. Aus Höflichkeit. Eine Tugend, die Lars schlichtweg nicht besaß. Walter Lehmann, der zwei Straßen weiter wohnte, sah ihn wortlos an.
Mein Beileid, murmelte er dann zu Nina gewand und schlurfte grußlos weiter. Wieler wusste, dass der alte Lehmann Elisabeth Hansen gerne geheiratet hätte. Jahrelang hatte er sie erfolglos umworben. Er tat ihm leid wegen des Verlustes ebenso wie wegen Lars harscher Abfertigung. Der Kommissar verabschiedete sich von den Geschwistern. Momentan konnte er hier nichts mehr tun.
Abends hockte er sich mit einem Bier vor den Fernseher, konnte sich auf den Spielfilm allerdings nicht konzentrieren. Das Gespräch mit Sissi ging ihm nicht aus dem Kopf. Als Polizeibeamter wusste er allzu gut, dass Zufälle sehr häufig waren. Doch war das auch hier der Fall? Der Arzt hatte Herzinfarkt diagnostiziert, daran war ohne stichhaltige Beweise nicht zu rütteln. Wenn es nun doch kein Zufall war?
Gelangweilt beobachtete er die kleine Spinne, die sich an einem kaum sichtbaren Faden von der Wohnzimmerdecke herunter ließ. Es war wieder einmal Zeit einen Reinigungstag einzulegen.
Plötzlich durchzucke ihn ein Gedanke. Vielleicht war das die Lösung. Doch wie sollte er es beweisen? Oder waren es Hirngespinste?
Um elf drehte er das Licht aus und setzte sich an das Küchenfenster. Von dort hatte er das Haus der Verstorbenen gut im Blickfeld. Um zwei war die Thermoskanne mit Kaffee leer. Er schimpfte sich einen Narren. Sein Beruf war schuld, dass er überall Verbrechen sah. Andererseits hatte ihn sein Instinkt in all den Jahren im aktiven Dienst nie betrogen. Plötzlich gewahrte er einen Schatten vor dem Nachbarhaus. Oder spielten ihm seine Augen einen Streich? Angestrengt blickt er hinüber. Und wirklich, hinter einem der Fenster im ersten Stock sah er nach geraumer Zeit einen Lichtschein.
Hastig ging er zu Sissis Haus und legte sich auf die Lauer. Zum Glück gab es keine Hintertür. Er dachte schon, der Einbrecher hätte sich davongeschlichen, als er endlich ein Geräusch hörte. Ein Schlüssel wurde von innen umgedreht. Wieler riss die Tür auf, schubste die Person in den Flur, knipste das Licht an und richtete seine Dienstwaffe auf den dunkel gekleideten Mann.
He, was soll das?
Du bist in ein Haus eingedrungen, das nicht dir gehört. Diebstahl, Hausfriedensbruch
Lars lachte schallend. Du spinnst ja. Ich erbe das Haus sowieso, außerdem hab ich einen Schlüssel. Damit kommst du nicht durch.
Unvermittelt wurden Wielers Augen groß. Er starrte auf die kleine Kiste mit den Löchern, die am Boden lag. Der Deckel hatte sich gelöst. Es sah aus, wie ein prächtiges Geschenkband, dieses Ding, das sich nun langsam herausschlängelte. Man sagte, die buntesten Schlangen seien die gefährlichsten. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen. Mit einer Giftschlange in einem winzigen Vorraum zu sein, war nicht das, was er sich unter einem gemütlichen Abend vorstellte.
Die wenigen Sekunden, die er Lars aus den Augen gelassen hatte, nutzte dieser und stürzte sich auf ihn. Wieler fiel zu Boden. Geistesgegenwärtig schnellte er vorwärts, bekam Lars, der soeben zur Tür hinaus wollte, an einem Bein zu fassen und brachte ihn zu Fall.
Du verdammtes Schwein. Lars Stimme überschlug sich vor Wut.
Schnell legte Wieler ihm Handschellen an und nahm dann sein Mobiltelefon aus der Jackentasche, ehe er das Kleidungsstück über die Schlange warf. Nach einem kurzen Anruf wandte er sich zu Lars.
Eure Großmutter hat euch nach dem Unfalltod eurer Eltern aufgezogen, und so dankst du es ihr. Du wusstest von ihrer Reptilienphobie. Sie hat nie verstanden, warum du dir eine Vielzahl solcher Viecher hältst. Eine ebenso große Leidenschaft wie deine Spielsucht, nicht wahr?
Falls du das aktuelle Testament gesucht hast, es befindet sich in meinen Händen. Deine Großmutter war bis zu dem Diebstahl in dich vernarrt, aber sie war nicht dumm. Du hast ihr letzten Monat zweitausend Euro gestohlen. Sie war sich sicher, dass nur du in Frage kommst.
Lars Gesicht war zornverzerrt. Ich habe die Alte gehasst. Immerzu nur Belehrungen, und dann hat sie mir auch noch den Geldhahn zugedreht.
Ob deine Großmutter durch einen Schlangenbiss getötet wurde, oder ob sie aus Angst starb, wird die Obduktion zeigen.
Der Gefesselte gab keine Antwort, blickte ihn nur böse an.
Die richtige Schlange hat die falsche Schlange zu Fall gebracht, murmelte Wieler nur. Es war die richtige Entscheidung von Sissi gewesen, Nina im aktuellen Testament als Alleinerbin einzusetzen.
15. Feb. 2010 - Andrea Hoch
[Zurück zur Übersicht]
|
|