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Asphaltnacht 1-3 von Sven-André Dreyer
Crossvalley Smith © http://www.crossvalley-design.de Asphaltnacht 1
Früh ging die Sonne an diesem strahlenden und ungewöhnlich kalten Wintertag unter, es dämmerte bereits gegen sechzehn Uhr fünfzehn. Rotglühend hatte bis vor wenigen Minuten die Sonne über einem gefrorenen Hügel ausgeharrt und lange Schatten in die Landschaft geworfen. Mühsam schob K. sein Fahrrad aus dem verfallenen Geräteschuppen unweit seines Hauses und machte sich auf den Weg. Er wohnte in einem grauen bröckelnden Haus, dessen erste Etage er seit einigen Jahren schon nicht mehr betreten hatte. Die Fensterläden waren stets geschlossen. Sein Grundstück, außerhalb des Dorfes gelegen und verborgen hinter dichten Hecken, zierten unzählige Nadelbäume die das Haus ausreichend zu verstecken wussten.
Das unüberhörbare Quietschen des Fahrrades verkündete das nahe Ende der Kette und verschreckte zwei Raben, die auf einem frostweißen Acker nach Nahrung suchten. Geräuschvoll flogen sie auf und äußerten lautstark ihren Unmut über diese unhöfliche Störung. Sie flogen über das Feld in Richtung des angrenzenden dunklen Waldes. K. hatte Nachtdienst und noch dreißig Minuten zu fahren bevor er die Autobahnmeisterei erreichte. Seine Kollegen, allesamt seit Jahren dabei, begrüßten K. mit lautstarkem Gelächter. Ob er sich nicht endlich einmal ein Auto kaufen wolle, er sei bei winterlichen Ankünften doch immer fast erfroren. Sie schimpften ihn einen komischen Kauz. K. lächelte mild und schenkte sich einen Kommentar. Immer wieder suchten sie ihn zu provozieren und obwohl er, K., stets pünktlich und fleißig war, so konnte er doch den jungen Kollegen gegenüber kaum noch standhalten.
K. entnahm dem Einsatzplan, hängend in dem verrauchten Aufenthaltsraum, dass er in dieser Nacht mit der Mannschaft des Wagens zwölf auf dem Autobahnabschnitt sechzehn eingesetzt war. Die Bundesfernstraße vierundvierzig wurde in dieser Nacht einspurig, die Mittelleitplanke sollte instand gesetzt werden und K. platzierte bereits zwanzig Minuten nach Ankunft in der Dienstelle die ersten Pylone auf den Mittelstreifen der Straße. Gelb blitzten Lichter rhythmisch in die Nacht und kündigten heranrauschenden Autofahrern die Baustelle bereits lange vorher an.
Hundertzwanzig.
Hundert.
Achtzig.
Sechzig.
Nun begann für K. seine liebste Zeit. Nachtzeit, und der Mond dazu, hoch oben und voll. Frierend stand er auf der vierundvierzig, gelegentlich gestreift vom trüben Schweinwerferlicht der Fahrzeuge, mittlerweile knöcheltief versunken in schwelendem Bodennebel, der von den angrenzenden Feldern auf die Fahrbahn brandete. Er dachte an den kommenden Morgen, an seinen Feierabend, daran, dass er bald nicht mehr arbeiten musste und an die beiden Raben auf dem frostweißen Acker. K. träumte sich in die kalte Nacht auf der fast autofreien vierundvierzig. K. träumte sich in die vorüber fahrenden Autos, konnte hier und da die Glut einer am Steuer gerauchten Zigarette oder das grüne Leuchten eines verbotener Weise gebrauchten Mobiltelefons ausmachen. Er spürte die in den Wagen herrschende Wärme. Leise lief Nachtmusik im Radio. Er träumte davon mitzufahren, irgendwohin. Das Ziel war ihm egal. Hauptsache weg. Hauptsache nicht allein.
K. war, unaufmerksam, zu nah an die Fahrbahn getreten und um ein Haar dem in der Baustelle viel zu schnell fahrenden Wagen zum Opfer gefallen. Der Wagen fuhr mindestens hundertdreißig, das Gesicht der Fahrerin hellgrün wie frisches Gras, beleuchtet durch die Armaturenanzeige. K. stolperte zurück, zu Tode erschrocken blickte er dem rasenden Fahrzeug lange hinterher. Glühend sah er die Rückleuchten des Wagens in die Nacht verschwinden.
Asphaltnacht 2
Wir fuhren, warm und weich gepolstert, mit hunderfünfundvierzig auf der nun winternassen Fahrbahn. Die Sonne war untergegangen, seit einigen Stunden schon. Hinter uns. Nebel wallte auf den schwarzen Winterasphalt und machte unsere Fahrt gefährlich.
Weg, nur weg!
Die Dunkelheit erhöhte unsere Aufmerksamkeit, oder doch zumindest meine.
Endlich waren wir unterwegs. Auf der Flucht. Die letzten Minuten unseres Aufenthaltes boten einen furchtbaren, einen kranken Anblick.
Mühsam quälten sich eisentragende Lastkraftwagen durch deutsches Mittelgebirge, ihrem, vielleicht unserem Ziel entgegen.
Wenn Lastkraftwagen hohe Geschwindigkeiten fahren geben sie Geräusche von sich.
Eigentümlicher Gesang.
Einem Heulen gleich.
Ich kannte es aus meiner Erfahrung: Durst, oder der Wunsch das Produkt des Trinkens loszuwerden, treibt den Angestrengten auf Rastplätze. Besonders Nachts heulen Gespanne, durch eine spärliche Hecke getrennt, über den Asphalt der gespurten Fahrbahnen.
Ein kaltes und nasses Heulen.
Meistens.
Nachts, und der Mond dazu, hoch oben und voll.
Gelb blitzte es bald am Horizont rhythmisch in unsere Nachtfahrt. Nun einspurig auf der vierundvierzig.
Hundertfünfundvierzig.
Hundertvierzig.
Hundertfünfunddreißig.
Das Gesicht unserer Fahrerin, hellgrün wie frisches Gras, beleuchtet durch Armaturenanzeigen hinter dem Lenkrad, überblickte ruhig die Fahrbahn. Schwarz erschienen nun ihre sonst blauen Augen.
Ihr Sitznachbar schlief, den Tag, die Tat im Traum verarbeitend und gewiß, sicher und beschützt den Zielort zu erreichen. Anderen wurde heute ihr Ziel gewaltsam genommen.
Wie gerne würde ich meinen Traum am Tag verarbeiten.
Die Dame, die mit mir die Rückbank des Wagens teilte, starrte, so konnte ich gespiegelt im Fensterglas beobachten, unruhig in die Nacht.
Der Wunsch nun endlich ihr Spiegelbild anzuflüstern - sie endlich ganz für mich zu haben - wuchs, die Einsicht weiterhin still aus dem Fenster zu blicken und nicht entdeckt zu werden siegte. Ich kauerte mich müde zusammen.
Eigentlich waren es normale Gefühle.
Auch für Menschen auf der Flucht.
Auch für Mörder wie uns.
Asphaltnacht 3
Mit hoher Geschwindigkeit war F. in seinem Fahrzeug durch die nachtschwarze Stadt gejagt. Er erreichte die Wohnung in der Südstadt mühelos. Träge staubte das Licht der Straßenlaterne in den Raum. F. betrat müde die Wohnung im Erdgeschoß und folgte den Stimmen in den kleinen, zur Straße gelegenen Raum. Niemand hatte Licht gemacht, unruhig durchschnitten nur einige Taschenlampenstrahlen die Dunkelheit. Der schemenhafte Anblick des Raumes und dessen Inhalt reichte F. um sich umgehend angewidert abwenden zu müssen. Eine solche Tat hatte er schon lange nicht mehr gesehen.
Er widmete sich der Zeugenvernahme. Sie seien zu viert gewesen, sagte ihm ein angetrunkener Nachbar aus der ersten Etage des Hauses. Man wundere sich darüber, dass man nichts hörte, gab der Hausbesitzer zu Protokoll. Und er höre sonst alles. Alles.
Das Fluchtfahrzeug sei ein graues Fahrzeug gewesen. Oder ein schwarzes.
Und Frauen seien dabei gewesen. Man sei sich sicher, es waren zwei Frauen. Eine der beiden habe sogar das Fahrzeug gelenkt, die zweite setzte sich auf die Rückbank, da sei man sich sicher.
F. verließ das Haus und sah seinem Atem, der träge in den schwarzen Nachthimmel aufstieg, hinterher. Er rieb sich die Augen und blickte unsicher umher. Die flüchtigen Personen und das Fahrzeug wurden zur Fahndung ausgeschrieben.
Viele Wochen später meldete sich ein älterer Herr bei der Polizei. Angereist war er mit einem quietschenden alten Fahrrad. Sie waren zu viert, gab er zu Protokoll.
Und viel zu schnell seien sie gefahren.
Hundertdreißig. Mindestens
Und der Nebel stand knöchelhoch.
Und die Raben flogen Richtung Wald.
Und der Mond dazu, hoch oben und voll.
Und leise lief Nachtmusik im Radio.
Und das Gesicht der Fahrerin.
Hellgrün wie frisches Gras.
Beleuchtet durch Armaturenanzeigen hinter dem Lenkrad.
Sie überblickte ruhig die Fahrbahn.
Schwarz erschienen nun ihre sonst blauen Augen.
13. Feb. 2010 - Sven-André Dreyer
Bereits veröffentlicht in:
Im Buch: Nachtfahrt, Lerato
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