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Die Eisfrau
von Ruth M. Fuchs

Gaby Hylla Gaby Hylla
© http://www.gabyhylla-3d.de
Es war einer dieser Faschingsbälle, wie sie in München so beliebt waren. Das Deutsche Theater, bzw. seine Interimsstätte, der „Zeltpalast des Lächelns“ in München-Fröttmaning war in einen großen Ballsaal verwandelt worden. Das Theater selbst wurde gerade renoviert, aber auch die Bälle hier im Zelt gehörten zu den stilvollsten, die es in München gab. Die Dekoration war wie immer sehr gelungen, der Platz optimal genutzt – vorne auf der Bühne spielte eine Band und unten im Parkett waren in der Mitte die Stühle entfernt worden, so dass eine Tanzfläche entstanden war. Nicht so groß wie die im eigentlichen Deutschen Theater, aber immerhin. Rund um die Tanzfläche saßen mehr oder weniger fröhliche Menschen. Andere besuchten die verschiedenen, in diversen Nischen angesiedelten Bars.

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Michael ging gern zu solchen Bällen. Da gab es jede Menge hübscher Mädchen mit zum Teil recht aufreizenden Verkleidungen und wenn der Abend fortschritt und der Alkoholpegel stieg, ließ sich immer die eine oder andere abschleppen. Erleichternd kam dabei natürlich noch dazu, dass Michael verdammt gut aussah, sehr charmant sein konnte und ein Gespür dafür hatte, wie er welchen Mädchentyp rumkriegen konnte.
Nach einigem Überlegen hatte er sich diesmal als Man in Black verkleidet – nach dem Film mit Will Smith und Tommy Lee Jones. Er trug einen schwarzen Anzug, schwarze Krawatte, weißes Hemd, eine Sonnenbrille und dazu einen dieser Wasserblaster, eine wuchtig aussehenden Riesenwasserpistole, die er mit schwarzem Autolack eingesprüht hatte. Jetzt funktionierte das Ding zwar nicht mehr richtig, sah aber absolut cool aus, wie Michael fand.

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Der Weg zum Theater hatte sich als ziemlich beschwerlich erwiesen. Draußen wütete ein wahrer Schneesturm und Michael war froh gewesen, ins Warme zu kommen, obwohl er von der U-Bahn bis zum Eingang höchstens 3 Minuten gebraucht hatte.
Doch nun schlenderte er betont lässig von Bar zu Bar, ließ den Blick auch mal über die Tanzfläche schweifen und taxierte über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg die jungen Mädchen um ihn herum. Einige waren durchaus attraktiv, aber keine stach ihm so richtig ins Auge. Seine ‚Traumfrau für heute Nacht’, wie er die jeweils Auserwählte für sich selbst gerne nannte, war noch nicht gefunden.
Als er dann am Eingang vorbei ging, warf er einen müßigen Blick in den Vorraum, wo immer noch neue Gäste eintrafen. Da sah er plötzlich sie.
Sie schien eine Eisblume oder eine Schneeflocke oder irgend so etwas darzustellen. Jedenfalls sah ihre Kleidung aus, als wäre sie mit Eiskristallen bedeckt. Wobei das Oberteil ihres Kleides kaum mehr als ein weißer BH war, der wie mit kleinen Eiszapfen eingefasst wirkte. Das blonde Haar der Schönen war außerdem so fest zu Strähnen gegelt, dass sie wie vereist aussah, gekrönt von einem Etwas, dass an Schneekristalle erinnerte. Auf Hals und Dekolleté waren in Silber und Weiß Rosen gemalt, als hätte der Frost sie dort als Eisblumen hingezaubert. Für diese Aufmachung musste das Mädchen Stunden gebraucht haben. Noch faszinierender als die ausgefallene Maskierung aber erschienen Michael die melancholischen grünen Augen der Schönen und die sinnlich-vollen Lippen.
Sie stand allein und irgendwie verloren neben der Tür und sah sich suchend um. Nach ihrem Begleiter? Michael blieb stehen und beobachtete sie. Da es im Zelt dunkler war, als im Vorraum war die Gefahr, dass sie es bemerkte, gering. Die Zeit verging und die Schöne war immer noch allein. Nach wie vor gleich neben der Tür. Da muss es doch fürchterlich ziehen, dachte Michael, schon erstaunlich, dass sie gar nicht zu frieren scheint. Er wartete noch ein bisschen, bis er sich sicher sein konnte, dass sie allein gekommen war. Wahrscheinlich traute sie sich ohne Begleiter einfach nicht hinein, sagte er sich. Sie war zwar sehr sexy angezogen, aber dann hatte ihr Mut sie wahrscheinlich verlassen. Michael lächelte siegessicher: Er würde ihr die Angst schon nehmen! Seine sturmerprobte Schulter würde ihr genug Halt geben.
Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in seine Brusttasche. Die schwarzlackierte Wasserkanone klemmte er sich salopp unter den Arm. Dann setzte eine betont gefühlvolle Miene auf, trat zu der Unbekannten und sprach sie an: „Dein Kostüm ist fast so traumhaft schön wie die Frau, die es trägt.“
So ein Spruch zog immer, fand er.
Doch die Schneeflocke oder was sie auch immer darstellte, wirkte eher irritiert: „Kostüm? Wieso? Ich bin doch nicht verkleidet.“
„Nein, natürlich nicht.“ Michael schmunzelte. Die Kleine wollte offenbar ein Spielchen treiben. Nun, ihm sollte es recht sein.
„Wie heißt du?“, wollte er weiter wissen.
„Crystella. Ich bin eine Eisfrau“, kam die prompte Antwort.
„Sehr erfreut, Crystella.“ Michael hatte Mühe, ernst zu bleiben, riss sich dann aber zusammen. „Ich bin Mike, ein Alienjäger.“
„Oh“, sie schien nervös, „heißt das, du jagst so etwas wie mich?“
„Kommst du denn von einem anderen Stern?“ Michael lachte. „Aber nein, keine Angst. Ich jage nur Zwei-Meter-Kakerlaken und dergleichen. Aber doch keine so entzückenden Wesen wie dich.“
„Du findest mich entzückend?“ Sie schenkte ihm einen scheuen, aber doch koketten Seitenblick. „Wirklich?“
„Aber ja!“ Michael stellte begeistert fest, dass es mal wieder lief wie geschmiert. „Ich hab mich auf den ersten Blick in dich verliebt“, setzte er noch eins drauf. „Komm, lass uns hineingehen. Ich spendier dir einen Drink.“
Er fasste sie am Ellenbogen und bemerkte, dass sich ihre Haut eiskalt anfühlte. Die Ärmste musste ja schon erfroren sein. Na, bei einem Wodka-Orange oder einem Kir Royal würde ihr bestimmt schnell wieder warm werden. Ganz Gentleman bugsierte er sie vor sich her zum Eingang. Doch dann stellte sich heraus, dass sie gar keine Eintrittskarte hatte. Und die Abendkasse hatte bereits geschlossen; das Fest war ausverkauft.
Michael überlegte einen Moment, ob er das seltsame Mädchen nicht einfach stehen lassen sollte. Erwartete sie wirklich, jemand hätte ein Ticket zuviel dabei und würde es ihr schenken? Wie konnte man nur so blöd sein! Doch als Crystelle ihm einen dieser bedeutungsvollen Blicke schenkte, die so geheimnisvoll sind und so viel versprechen, da war seine Verärgerung sofort wieder verflogen. Die und keine andere war seine ‚Traumfrau für heute Nacht’. Er wollte diese Frau und keine andere, er musste sie einfach haben. Und ihr Blick sagte ihm, dass auch sie das wollte. Dafür konnte er schon mal auf einen Faschingsball verzichten, auch wenn die Karte dafür nicht gerade billig gewesen war.
„Na, macht nichts“, sagte er leichthin. „Gehen wir eben irgendwoanders hin. Warte, ich hole nur meinen Anorak.“
„Aber wozu denn?“ Crystella lächelte ihn an und sah ihm in die Augen. „Komm, lass uns zu mir gehen! Komm!“
Michael wurde mit einem Mal anders. Das Wassergewehr entglitt ihm und knallte auf den Boden. Der Tank bekam einen Riss und Wasser sickerte heraus. Es dauerte nicht lange und Michael stand in einer Pfütze. Das bemerkte er jedoch überhaupt nicht. Er konnte seinen Blick nicht mehr losreißen und sich nicht wehren. Auch nicht, als die schöne Eisfrau ihn mit sich ins Freie zog. Dort herrschte immer noch dichtes Schneetreiben. Ein eisiger Wind pfiff durch Michaels dünnen Anzug, als wäre er aus Papier. In kürzester Zeit klapperten Michael die Zähne und er fühlte sich wie ein Eiszapfen. Aber Crystella hielt ihn immer noch lächelnd an den Händen und noch immer blickte er wie hypnotisiert in ihre grünen Augen. Sein Kopf wurde ganz schwummrig und alles schien sich zu drehen.

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Dann war der Schneesturm auf einmal weg. Michael blinzelte. Nicht nur der Sturm, auch das Zelt – die Werner-Heisenberg-Allee – ganz München war weg! Um ihn herum gab es nur eine Wüste aus Schnee und Eis. Ein riesengroßer Vollmond an einem sternenbesetzten Himmel tauchte alles in silbernes Licht und ließ die Schneekristalle blitzen und blinken, wie Tausende von Diamanten. Und es war kalt. Noch viel kälter als in München. Michael schlang die Arme um sich, krümmte sich zusammen und stampfte mit den Füssen, obwohl das gar nichts half. Er zitterte, nein, er schlotterte richtig. Sein Atem wurde zu Eis, noch ehe er die Lippen verlassen hatte. Er würde in Rekordzeit erfrieren, soviel war Michael klar. Da hob er den Kopf und sah Crystella vor sich stehen, hoch aufgerichtet und strahlend schön. Die Kälte schien ihr nichts auszumachen, ja, ihr sogar gutzutun.
Ihre grünen Augen ruhten ernst auf dem bibbernden Mann.
„Du hast gesagt, du liebst mich“, sagte sie anklagend, „und auch ich liebte dich. Doch du hast gelogen. Wäre deine Liebe echt, würde sie dich wärmen – hier, in meinem Reich.“
„Sehr witzig.“ Michael versuchte ein Lachen, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht. „Aber jetzt sag mir, wo dein Haus ist. Feuer – Wärme – Himmel ist mir kalt.“
Crystella rührte sich nicht. Ohne eine Spur von Mitgefühl sah sie zu, wie sich Michael zusammenkrümmte, um einen letzten Rest Wärme zu halten, während seine Finger schon steif und blau wurden. Dann hob sie die Hand und richtete die Handfläche auf ihn.
Michael entdeckte, dass er die Füße nicht mehr vom Boden heben konnte. Als er nach unten schaute, sah er, dass sie mit einer dicken Schicht klaren Eises überzogen waren. Und das Eis wuchs empor, hatte nun schon seine Knie umschlossen. Panik überfiel den jungen Mann und ließ ihn sogar die Kälte vergessen. Hilfesuchend blickte er um sich. Doch da war niemand. Nur die Eisfrau stand vor ihm und hob langsam ihre Hand. Und je höher sie sie hob, desto höher wuchs auch das Eis an Michaels Körper empor.
Nun hatte es die Taille erreicht. Mit aller Kraft riss Michael seine Hände aus der eisigen Umklammerung. Dass Fetzen seiner Haut zurückblieben, bemerkte er nicht. Verzweifelt versuchte er, die Eisschicht zu durchbrechen. Zwecklos. Er brüllte vor Wut und Enttäuschung. Dann schaute er auf die Eisfrau, die ungerührt vor ihm stand. Bittend streckte er ihr die Arme entgegen.
„Hör auf!“, flehte er. „Hör auf! Lass mich gehen! Ja, ich habe gelogen – ich wollte nur mit dir ins Bett. Aber es tut mir leid. Es tut mir so leid! Hörst du? Ich mach’s wieder gut. Lass mich gehen, bitte! Sei ...“
Eis verschloss ihm den Mund. Michael stöhnte auf, versuchte weiterzusprechen, doch vergebens. Entsetzt erkannte er, was unausweichlich mit ihm geschehen würde. Mit schreckgeweiteten Augen und voller Angst starrte er auf die Frau, die mit unbewegter Miene das Eis immer höher dirigierte, immer höher. Bis es ihn vollends eingeschlossen hatte.
Nachdenklich schritt sie dann um die Eissäule herum und betrachtete den darin Gefangenen.
„Ich wünschte, sie würden nicht immer so verstört dreinschauen“, sagte sie schließlich zu sich selbst. „Das sieht doch nicht gut aus. Kann denn nicht mal einer lächeln, wenn ich ihn einfriere? Schließlich muss ich mir das eine Ewigkeit lang ansehen.“ Sie seufzte und ihr Mund verzog sich in Missfallen. „Nein“, entschied sie, „der Anblick ist wirklich unerträglich. Vor allem diese flehentliche Geste ...“ Mit einem ärgerlichen Winken ihrer Hand ließ sie eine Schneewolke heranwehen und Michaels Eisblock verhüllen.

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Crystella drehte sich um und blickte die Ebene hinauf, über zahllose Hügel, einen neben dem anderen. Und alle ähnelten in Form und Größe dem einen, in dem Michael nun begraben war.

09. Mar. 2010 - Ruth M. Fuchs

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